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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Die Schlangen. Vipern. Spießottern.
Jungen, welche ein Weibchen zur Welt bringt, richtet sich nach Alter und Größe der Mutter: jüngere
hecken deren fünf bis sechs, ältere zwölf bis vierzehn Stück. Das Eierlegen selbst ist von Lenz
ebenfalls beobachtet und sehr ausführlich beschrieben worden. "Wenn die Otter heckt", sagt er, "so
liegt sie ausgestreckt da und drückt ein Ei nach dem anderen aus der Mündung des Darmschlauches,
in welchen die Eiergänge münden, hervor, ohne Zweifel abwechselnd, sodaß, wenn aus dem einen
Eiergange ein Ei gelegt ist, eines aus dem anderen folgt. Beim Legen hebt sie den Schwanz schief
und oft in einem Bogen empor, während der Leib auf dem Boden ruht. Aufangs ist letzterer bis
zum Schwanze dick; sobald aber das erste Ei gelegt ist, sieht der Zuschauer sehr deutlich das folgende
nachrücken und bemerkt, wie sich jedesmal hinter dem zu legenden Ei der Körper einzieht, um es
weiter und endlich herauszupressen. Zwischen dem Erscheinen der Eier vergehen jedesmal mehrere
Minuten, zuweilen auch Viertel- oder ganze Stunden. Währenddem ist nach meinen vielfältigen
Beobachtungen die Kreuzotter ungemein gutmüthig.

"Kaum ist das Ei gelegt, so dehnt sich auch das darin befindliche Junge, zerreißt die feine
Eischale und kriecht hervor. Jetzt hängt ihm noch der Dottersack im Leibe; er aber bleibt liegen,
indem das Thierchen beim Herumkriechen die Nabelgefäße zerreißt und nun, in jeder Hinsicht
vollkommen, ohne an Mutter und Vater zu denken, auf eigene Gefahr den argen Lebenslauf beginnt.

"Bemerken muß ich, daß die Kreuzotter boshaft geboren wird und unwiderruflich bis an ihr
Lebensende im Bösen verharrt. Jch habe solche Thierchen, noch während sie von dem eben verlassenen
Ei ganz naß waren, wenn ich sie berührte, zischen hören und grimmig um sich beißen sehen; aber ich
muß zugleich auch gestehen, daß nicht alle mit gleicher Bosheit zur Welt kommen, da immer, auch
unter Geschwistern, sich gutmüthige finden. Vorzüglichen Spaß hat es mir gemacht, daß die kleinen,
kaum dem Ei entschlüpften Otterchen, indem sie anfangen herumzukriechen und sich mit der Welt
bekannt zu machen, gewöhnlich auch nicht vergessen, den Rachen von Zeit zu Zeit zu öffnen, ihre
Todeswaffen, die Giftzähne, dabei emporrichten, den Hinterkopf in die Breite dehnen und so sich auf
ihr berüchtigtes Handwerk vorbereiten.

"Bei der Geburt sind sie meist 7 Zoll oder etwas darüber lang und in der Mitte des Körpers
etwa 4 1/3 Linie dick. Kopf, Schilder, Schuppen, Zähne, Zahnscheide etc. sind wie bei den Alten
gestaltet, sie aber mit einer sehr feinen, durchsichtigen, lose anliegenden Oberhaut bekleidet, unter
welcher die Farbe weit heller erscheint. Wenige Minuten oder Stunden nach der Geburt streifen sie
diese Oberhaut ganz wie die Alten ab, und so ist denn die Häutung das erste wichtige Geschäft
ihres Lebens.

"Unter den bei mir geborenen Otterchen habe ich immer nur etwa den fünften Theil Männchen
gefunden, auch draußen weit mehr Weibchen als Männchen, dagegen ebensoviel alte Männchen als
alte Weibchen. Was mag die Ursache dieser Erscheinung sein?

"Noch will ich darauf aufmerksam machen, daß sich bei der Kreuzotter keine Spur von Eltern-,
Kinder- und Geschwisterliebe zeigt. Sobald das Otterchen das Tageslicht erblickt hat, geht es, ohne
die geringsten Ansprüche an die Liebe seiner Mutter zu machen, die sich doch nicht um ihre Kinder
bekümmert, und ohne mit seinen Geschwistern einen freundlichen Blick zu wechseln, seinen Weg.
Man findet diese kleinen Thierchen, denen das Bewußtsein eigener Kraft Muth und Selbstvertrauen
verleiht, vereinzelt hier und dort. Aber besitzen sie auch wirklich schon, wenn auch nur in geringem
Maße, ihren Antheil des tödtlichen Giftes, auf dessen Kraft sie sich zu verlassen scheinen? Es war
wohl der Mühe werth, hierüber einige Versuche anzustellen. Jch nahm daher ein Junges, das etwa
in fünf Tagen hätte geboren werden müssen, aus einer Alten, welche ich zu diesem Zwecke soeben
getödtet hatte, durchstach ihm den Kopf an der Stelle, wo die Giftdrüsen sitzen, mehrmals mit einer
Nadel und verwundete damit einen Kreuzschnabel, welcher aber davon gar nicht litt. Mit einer
anderen jungen Otter und einem anderen Kreuzschnabel verfuhr ich dann ebenso, aber wieder mit
demselben Erfolge. Bald darauf ließ ich eine junge, halbwüchsige Maus in einen Kasten, worin
sich sechszehn, im Durchschnitt sechs Tage alte, bei mir geheckte Kreuzotterchen befanden. Die Maus

Die Schlangen. Vipern. Spießottern.
Jungen, welche ein Weibchen zur Welt bringt, richtet ſich nach Alter und Größe der Mutter: jüngere
hecken deren fünf bis ſechs, ältere zwölf bis vierzehn Stück. Das Eierlegen ſelbſt iſt von Lenz
ebenfalls beobachtet und ſehr ausführlich beſchrieben worden. „Wenn die Otter heckt“, ſagt er, „ſo
liegt ſie ausgeſtreckt da und drückt ein Ei nach dem anderen aus der Mündung des Darmſchlauches,
in welchen die Eiergänge münden, hervor, ohne Zweifel abwechſelnd, ſodaß, wenn aus dem einen
Eiergange ein Ei gelegt iſt, eines aus dem anderen folgt. Beim Legen hebt ſie den Schwanz ſchief
und oft in einem Bogen empor, während der Leib auf dem Boden ruht. Aufangs iſt letzterer bis
zum Schwanze dick; ſobald aber das erſte Ei gelegt iſt, ſieht der Zuſchauer ſehr deutlich das folgende
nachrücken und bemerkt, wie ſich jedesmal hinter dem zu legenden Ei der Körper einzieht, um es
weiter und endlich herauszupreſſen. Zwiſchen dem Erſcheinen der Eier vergehen jedesmal mehrere
Minuten, zuweilen auch Viertel- oder ganze Stunden. Währenddem iſt nach meinen vielfältigen
Beobachtungen die Kreuzotter ungemein gutmüthig.

„Kaum iſt das Ei gelegt, ſo dehnt ſich auch das darin befindliche Junge, zerreißt die feine
Eiſchale und kriecht hervor. Jetzt hängt ihm noch der Dotterſack im Leibe; er aber bleibt liegen,
indem das Thierchen beim Herumkriechen die Nabelgefäße zerreißt und nun, in jeder Hinſicht
vollkommen, ohne an Mutter und Vater zu denken, auf eigene Gefahr den argen Lebenslauf beginnt.

„Bemerken muß ich, daß die Kreuzotter boshaft geboren wird und unwiderruflich bis an ihr
Lebensende im Böſen verharrt. Jch habe ſolche Thierchen, noch während ſie von dem eben verlaſſenen
Ei ganz naß waren, wenn ich ſie berührte, ziſchen hören und grimmig um ſich beißen ſehen; aber ich
muß zugleich auch geſtehen, daß nicht alle mit gleicher Bosheit zur Welt kommen, da immer, auch
unter Geſchwiſtern, ſich gutmüthige finden. Vorzüglichen Spaß hat es mir gemacht, daß die kleinen,
kaum dem Ei entſchlüpften Otterchen, indem ſie anfangen herumzukriechen und ſich mit der Welt
bekannt zu machen, gewöhnlich auch nicht vergeſſen, den Rachen von Zeit zu Zeit zu öffnen, ihre
Todeswaffen, die Giftzähne, dabei emporrichten, den Hinterkopf in die Breite dehnen und ſo ſich auf
ihr berüchtigtes Handwerk vorbereiten.

„Bei der Geburt ſind ſie meiſt 7 Zoll oder etwas darüber lang und in der Mitte des Körpers
etwa 4⅓ Linie dick. Kopf, Schilder, Schuppen, Zähne, Zahnſcheide ꝛc. ſind wie bei den Alten
geſtaltet, ſie aber mit einer ſehr feinen, durchſichtigen, loſe anliegenden Oberhaut bekleidet, unter
welcher die Farbe weit heller erſcheint. Wenige Minuten oder Stunden nach der Geburt ſtreifen ſie
dieſe Oberhaut ganz wie die Alten ab, und ſo iſt denn die Häutung das erſte wichtige Geſchäft
ihres Lebens.

„Unter den bei mir geborenen Otterchen habe ich immer nur etwa den fünften Theil Männchen
gefunden, auch draußen weit mehr Weibchen als Männchen, dagegen ebenſoviel alte Männchen als
alte Weibchen. Was mag die Urſache dieſer Erſcheinung ſein?

„Noch will ich darauf aufmerkſam machen, daß ſich bei der Kreuzotter keine Spur von Eltern-,
Kinder- und Geſchwiſterliebe zeigt. Sobald das Otterchen das Tageslicht erblickt hat, geht es, ohne
die geringſten Anſprüche an die Liebe ſeiner Mutter zu machen, die ſich doch nicht um ihre Kinder
bekümmert, und ohne mit ſeinen Geſchwiſtern einen freundlichen Blick zu wechſeln, ſeinen Weg.
Man findet dieſe kleinen Thierchen, denen das Bewußtſein eigener Kraft Muth und Selbſtvertrauen
verleiht, vereinzelt hier und dort. Aber beſitzen ſie auch wirklich ſchon, wenn auch nur in geringem
Maße, ihren Antheil des tödtlichen Giftes, auf deſſen Kraft ſie ſich zu verlaſſen ſcheinen? Es war
wohl der Mühe werth, hierüber einige Verſuche anzuſtellen. Jch nahm daher ein Junges, das etwa
in fünf Tagen hätte geboren werden müſſen, aus einer Alten, welche ich zu dieſem Zwecke ſoeben
getödtet hatte, durchſtach ihm den Kopf an der Stelle, wo die Giftdrüſen ſitzen, mehrmals mit einer
Nadel und verwundete damit einen Kreuzſchnabel, welcher aber davon gar nicht litt. Mit einer
anderen jungen Otter und einem anderen Kreuzſchnabel verfuhr ich dann ebenſo, aber wieder mit
demſelben Erfolge. Bald darauf ließ ich eine junge, halbwüchſige Maus in einen Kaſten, worin
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[298/0324] Die Schlangen. Vipern. Spießottern. Jungen, welche ein Weibchen zur Welt bringt, richtet ſich nach Alter und Größe der Mutter: jüngere hecken deren fünf bis ſechs, ältere zwölf bis vierzehn Stück. Das Eierlegen ſelbſt iſt von Lenz ebenfalls beobachtet und ſehr ausführlich beſchrieben worden. „Wenn die Otter heckt“, ſagt er, „ſo liegt ſie ausgeſtreckt da und drückt ein Ei nach dem anderen aus der Mündung des Darmſchlauches, in welchen die Eiergänge münden, hervor, ohne Zweifel abwechſelnd, ſodaß, wenn aus dem einen Eiergange ein Ei gelegt iſt, eines aus dem anderen folgt. Beim Legen hebt ſie den Schwanz ſchief und oft in einem Bogen empor, während der Leib auf dem Boden ruht. Aufangs iſt letzterer bis zum Schwanze dick; ſobald aber das erſte Ei gelegt iſt, ſieht der Zuſchauer ſehr deutlich das folgende nachrücken und bemerkt, wie ſich jedesmal hinter dem zu legenden Ei der Körper einzieht, um es weiter und endlich herauszupreſſen. Zwiſchen dem Erſcheinen der Eier vergehen jedesmal mehrere Minuten, zuweilen auch Viertel- oder ganze Stunden. Währenddem iſt nach meinen vielfältigen Beobachtungen die Kreuzotter ungemein gutmüthig. „Kaum iſt das Ei gelegt, ſo dehnt ſich auch das darin befindliche Junge, zerreißt die feine Eiſchale und kriecht hervor. Jetzt hängt ihm noch der Dotterſack im Leibe; er aber bleibt liegen, indem das Thierchen beim Herumkriechen die Nabelgefäße zerreißt und nun, in jeder Hinſicht vollkommen, ohne an Mutter und Vater zu denken, auf eigene Gefahr den argen Lebenslauf beginnt. „Bemerken muß ich, daß die Kreuzotter boshaft geboren wird und unwiderruflich bis an ihr Lebensende im Böſen verharrt. Jch habe ſolche Thierchen, noch während ſie von dem eben verlaſſenen Ei ganz naß waren, wenn ich ſie berührte, ziſchen hören und grimmig um ſich beißen ſehen; aber ich muß zugleich auch geſtehen, daß nicht alle mit gleicher Bosheit zur Welt kommen, da immer, auch unter Geſchwiſtern, ſich gutmüthige finden. Vorzüglichen Spaß hat es mir gemacht, daß die kleinen, kaum dem Ei entſchlüpften Otterchen, indem ſie anfangen herumzukriechen und ſich mit der Welt bekannt zu machen, gewöhnlich auch nicht vergeſſen, den Rachen von Zeit zu Zeit zu öffnen, ihre Todeswaffen, die Giftzähne, dabei emporrichten, den Hinterkopf in die Breite dehnen und ſo ſich auf ihr berüchtigtes Handwerk vorbereiten. „Bei der Geburt ſind ſie meiſt 7 Zoll oder etwas darüber lang und in der Mitte des Körpers etwa 4⅓ Linie dick. Kopf, Schilder, Schuppen, Zähne, Zahnſcheide ꝛc. ſind wie bei den Alten geſtaltet, ſie aber mit einer ſehr feinen, durchſichtigen, loſe anliegenden Oberhaut bekleidet, unter welcher die Farbe weit heller erſcheint. Wenige Minuten oder Stunden nach der Geburt ſtreifen ſie dieſe Oberhaut ganz wie die Alten ab, und ſo iſt denn die Häutung das erſte wichtige Geſchäft ihres Lebens. „Unter den bei mir geborenen Otterchen habe ich immer nur etwa den fünften Theil Männchen gefunden, auch draußen weit mehr Weibchen als Männchen, dagegen ebenſoviel alte Männchen als alte Weibchen. Was mag die Urſache dieſer Erſcheinung ſein? „Noch will ich darauf aufmerkſam machen, daß ſich bei der Kreuzotter keine Spur von Eltern-, Kinder- und Geſchwiſterliebe zeigt. Sobald das Otterchen das Tageslicht erblickt hat, geht es, ohne die geringſten Anſprüche an die Liebe ſeiner Mutter zu machen, die ſich doch nicht um ihre Kinder bekümmert, und ohne mit ſeinen Geſchwiſtern einen freundlichen Blick zu wechſeln, ſeinen Weg. Man findet dieſe kleinen Thierchen, denen das Bewußtſein eigener Kraft Muth und Selbſtvertrauen verleiht, vereinzelt hier und dort. Aber beſitzen ſie auch wirklich ſchon, wenn auch nur in geringem Maße, ihren Antheil des tödtlichen Giftes, auf deſſen Kraft ſie ſich zu verlaſſen ſcheinen? Es war wohl der Mühe werth, hierüber einige Verſuche anzuſtellen. Jch nahm daher ein Junges, das etwa in fünf Tagen hätte geboren werden müſſen, aus einer Alten, welche ich zu dieſem Zwecke ſoeben getödtet hatte, durchſtach ihm den Kopf an der Stelle, wo die Giftdrüſen ſitzen, mehrmals mit einer Nadel und verwundete damit einen Kreuzſchnabel, welcher aber davon gar nicht litt. Mit einer anderen jungen Otter und einem anderen Kreuzſchnabel verfuhr ich dann ebenſo, aber wieder mit demſelben Erfolge. Bald darauf ließ ich eine junge, halbwüchſige Maus in einen Kaſten, worin ſich ſechszehn, im Durchſchnitt ſechs Tage alte, bei mir geheckte Kreuzotterchen befanden. Die Maus

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/324>, abgerufen am 22.12.2024.