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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Kreuzotter.
zeigte aufangs gar keine Furcht, aber während sie da herumschnupperte, erhob sich allerwärts ein
feines, jedoch grimmiges Gezisch; alle blickten wüthend nach ihr und, wohin sie kam, zuckten Bisse.
Sie suchte der drohenden Gefahr durch Windungen auszuweichen, bekam aber doch zehn Bisse, wovon
einige der heftigsten in die Schauze und den linken Hinterfuß drangen, ja, zweimal hatte sich ein
Otterchen so stark in sie verbissen, daß es eine Strecke weit von ihr mit fortgeschleppt wurde. Jch
nahm nun die Maus heraus, sie hinkte, putzte sich öfters Hinterfuß und Schnauze, wurde matt, lebte
aber doch noch etwas über eine Stunde, dann starb sie. Jn eine andere Kiste, worin sich vierund-
zwanzig eben solche Otterchen befanden, ließ ich nun den Bruder jener Maus, und der Erfolg war
fast ganz derselbe."

Wenn Lenz sagt, daß die Kreuzotter boshaft bleibt bis an ihr Ende, so gilt Dies auch für ihr
Betragen in der Gesangenschaft. Jhre unmäßige und sinnlose Wuth stumpft sich allerdings mit der
Zeit etwas ab: sie beißt weniger und seltener als anfangs; niemals aber läßt sie sich wirklich zähmen,
niemals dahin bringen, nicht mehr nach ihrem Pfleger zu beißen, und deshalb bleibt ihr Umgang
stets und immer gefährlich. Merkwürdig ist, daß man sie auch bei der sorgfältigsten Pflege nur
ausnahmsweise dahin bringen kann, im Käfige Nahrung zu sich zu nehmen. "Es ist", meint Lenz,
"als ob sie von dem Augenblicke, welcher sie in die verhaßte Gefangenschaft bringt, den Entschluß
faßt, zu verhungern; denn fast ohne Ausnahme speit sie entweder sogleich oder doch nach Stunden
oder Tagen die genossene Nahrung wieder aus, selbst wenn man sie so behutsam fing, daß sie
dabei, außer am Schwanzende, gar nicht gedrückt wurde. Zuweilen speit sie schon, indem man sie
am Schwanze aufhebt, öfters während man sie in der Pflanzenbüchse oder im Säckchen nach Hause
trägt, oft auch, wenn sie schon zu Hause einige Zeitlang ungestört in der ihr angewiesenen Wohnung
gelegen hat.... Jn der Gefangenschaft habe ich ihr außer Mäusen, kleinen Vögeln, Fröschen,
Eidechsen etc. eine Menge anderer Dinge vorgelegt, als Kerbthiere aller Art, Mehlwürmer, Ameisen-
cier, Regenwürmer, Laubfrösche, Vogeleier, Eidechseneier, junge Schlangen anderer Art, Brod,
Semmel etc.; sie hat aber nach all den Leckerbissen gar keine Begierde gezeigt. Nur Ameisenpuppen
hat sie oft verzehrt, ohne sie jedoch gehörig zu verdauen. Jch habe auch den Versuch gemacht,
ausgehungerten Ottern junge, kleine Mäuschen einzustopfen, indem ich mit der linken Hand sie hinten
am Kopfe packte, mit der rechten vermittels einer Zange die Maus faßte, sie dann in den Rachen
schob und mit einem Hölzchen die Speiseröhre hinabstopfte. Das ganze Unternehmen half leider
Nichts; denn die Otter spie doch hernach den Pfropfen wieder aus." Dieses hartnäckige Verschmähen
aller Nahrung ist die Regel, jedoch auch sie nicht ohne Ausnahme. Wenn man es der Kreuzotter
recht behaglich macht, ihr namentlich einen Käfig herrichtet, welcher gleichsam den Moorboden nach-
ahmt, entschließt sie sich zuweilen doch, freiwillig Nahrung zu sich zu nehmen. Letzteres erfuhren
Erber und Effeldt. "Von mehreren bewährten Schlangenkundigen", sagt der Erstgenannte,
"wurde mir die bestimmte Versicherung gegeben, daß unsere einheimische Viper in der Gefangen-
schaft nie Nahrung zu sich nimmt; darum unterließ ich es, dieselbe mit Futter zu versehen. Doch
wie war ich überrascht, als ich um die Mitte Oktobers die Kreuzotter eines Abends, nachdem ich ihr
kurz zuvor zwei sehr junge Mäuschen in den Käfig gegeben, beim Schmause eines dieser jungen,
bereits getödteten Grasverderber begriffen fand!" Effeldt versicherte mir, daß unter den
unzähligen, welche er gefangen hielt, ebenfalls einige waren, welche sich zum Fressen bequemten, eine
sogar, welche regelmäßig Futter annahm. Doch, wie bemerkt, sie bilden nur Ausnahmen; die Regel
ist, daß sie sich, gefangen, dem Hungertode weihen, und man sie deshalb auch selten länger als
neun Monate am Leben erhält.

Unter allen deutschen Schlangen bringt die Kreuzotter, was Vertilgung schädlicher Thiere
anlangt, den größten Nutzen: -- und dennoch dankt ihr Niemand die Verdienste, welche sie sich
erwirbt, sucht Jedermann sie zu vernichten, wo und wie er es vermag! Und in der That, bei keinem
deutschen Thiere weiter ist die rücksichtsloseste, unnachfichtlichste Verfolgung in demselben Grade
gerechtfertigt wie bei ihr. Jn unserem Vaterlande kommt es gegenwärtig schwerlich noch vor, daß

Kreuzotter.
zeigte aufangs gar keine Furcht, aber während ſie da herumſchnupperte, erhob ſich allerwärts ein
feines, jedoch grimmiges Geziſch; alle blickten wüthend nach ihr und, wohin ſie kam, zuckten Biſſe.
Sie ſuchte der drohenden Gefahr durch Windungen auszuweichen, bekam aber doch zehn Biſſe, wovon
einige der heftigſten in die Schauze und den linken Hinterfuß drangen, ja, zweimal hatte ſich ein
Otterchen ſo ſtark in ſie verbiſſen, daß es eine Strecke weit von ihr mit fortgeſchleppt wurde. Jch
nahm nun die Maus heraus, ſie hinkte, putzte ſich öfters Hinterfuß und Schnauze, wurde matt, lebte
aber doch noch etwas über eine Stunde, dann ſtarb ſie. Jn eine andere Kiſte, worin ſich vierund-
zwanzig eben ſolche Otterchen befanden, ließ ich nun den Bruder jener Maus, und der Erfolg war
faſt ganz derſelbe.“

Wenn Lenz ſagt, daß die Kreuzotter boshaft bleibt bis an ihr Ende, ſo gilt Dies auch für ihr
Betragen in der Geſangenſchaft. Jhre unmäßige und ſinnloſe Wuth ſtumpft ſich allerdings mit der
Zeit etwas ab: ſie beißt weniger und ſeltener als anfangs; niemals aber läßt ſie ſich wirklich zähmen,
niemals dahin bringen, nicht mehr nach ihrem Pfleger zu beißen, und deshalb bleibt ihr Umgang
ſtets und immer gefährlich. Merkwürdig iſt, daß man ſie auch bei der ſorgfältigſten Pflege nur
ausnahmsweiſe dahin bringen kann, im Käfige Nahrung zu ſich zu nehmen. „Es iſt“, meint Lenz,
„als ob ſie von dem Augenblicke, welcher ſie in die verhaßte Gefangenſchaft bringt, den Entſchluß
faßt, zu verhungern; denn faſt ohne Ausnahme ſpeit ſie entweder ſogleich oder doch nach Stunden
oder Tagen die genoſſene Nahrung wieder aus, ſelbſt wenn man ſie ſo behutſam fing, daß ſie
dabei, außer am Schwanzende, gar nicht gedrückt wurde. Zuweilen ſpeit ſie ſchon, indem man ſie
am Schwanze aufhebt, öfters während man ſie in der Pflanzenbüchſe oder im Säckchen nach Hauſe
trägt, oft auch, wenn ſie ſchon zu Hauſe einige Zeitlang ungeſtört in der ihr angewieſenen Wohnung
gelegen hat.... Jn der Gefangenſchaft habe ich ihr außer Mäuſen, kleinen Vögeln, Fröſchen,
Eidechſen ꝛc. eine Menge anderer Dinge vorgelegt, als Kerbthiere aller Art, Mehlwürmer, Ameiſen-
cier, Regenwürmer, Laubfröſche, Vogeleier, Eidechſeneier, junge Schlangen anderer Art, Brod,
Semmel ꝛc.; ſie hat aber nach all den Leckerbiſſen gar keine Begierde gezeigt. Nur Ameiſenpuppen
hat ſie oft verzehrt, ohne ſie jedoch gehörig zu verdauen. Jch habe auch den Verſuch gemacht,
ausgehungerten Ottern junge, kleine Mäuschen einzuſtopfen, indem ich mit der linken Hand ſie hinten
am Kopfe packte, mit der rechten vermittels einer Zange die Maus faßte, ſie dann in den Rachen
ſchob und mit einem Hölzchen die Speiſeröhre hinabſtopfte. Das ganze Unternehmen half leider
Nichts; denn die Otter ſpie doch hernach den Pfropfen wieder aus.“ Dieſes hartnäckige Verſchmähen
aller Nahrung iſt die Regel, jedoch auch ſie nicht ohne Ausnahme. Wenn man es der Kreuzotter
recht behaglich macht, ihr namentlich einen Käfig herrichtet, welcher gleichſam den Moorboden nach-
ahmt, entſchließt ſie ſich zuweilen doch, freiwillig Nahrung zu ſich zu nehmen. Letzteres erfuhren
Erber und Effeldt. „Von mehreren bewährten Schlangenkundigen“, ſagt der Erſtgenannte,
„wurde mir die beſtimmte Verſicherung gegeben, daß unſere einheimiſche Viper in der Gefangen-
ſchaft nie Nahrung zu ſich nimmt; darum unterließ ich es, dieſelbe mit Futter zu verſehen. Doch
wie war ich überraſcht, als ich um die Mitte Oktobers die Kreuzotter eines Abends, nachdem ich ihr
kurz zuvor zwei ſehr junge Mäuschen in den Käfig gegeben, beim Schmauſe eines dieſer jungen,
bereits getödteten Grasverderber begriffen fand!“ Effeldt verſicherte mir, daß unter den
unzähligen, welche er gefangen hielt, ebenfalls einige waren, welche ſich zum Freſſen bequemten, eine
ſogar, welche regelmäßig Futter annahm. Doch, wie bemerkt, ſie bilden nur Ausnahmen; die Regel
iſt, daß ſie ſich, gefangen, dem Hungertode weihen, und man ſie deshalb auch ſelten länger als
neun Monate am Leben erhält.

Unter allen deutſchen Schlangen bringt die Kreuzotter, was Vertilgung ſchädlicher Thiere
anlangt, den größten Nutzen: — und dennoch dankt ihr Niemand die Verdienſte, welche ſie ſich
erwirbt, ſucht Jedermann ſie zu vernichten, wo und wie er es vermag! Und in der That, bei keinem
deutſchen Thiere weiter iſt die rückſichtsloſeſte, unnachfichtlichſte Verfolgung in demſelben Grade
gerechtfertigt wie bei ihr. Jn unſerem Vaterlande kommt es gegenwärtig ſchwerlich noch vor, daß

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[299/0325] Kreuzotter. zeigte aufangs gar keine Furcht, aber während ſie da herumſchnupperte, erhob ſich allerwärts ein feines, jedoch grimmiges Geziſch; alle blickten wüthend nach ihr und, wohin ſie kam, zuckten Biſſe. Sie ſuchte der drohenden Gefahr durch Windungen auszuweichen, bekam aber doch zehn Biſſe, wovon einige der heftigſten in die Schauze und den linken Hinterfuß drangen, ja, zweimal hatte ſich ein Otterchen ſo ſtark in ſie verbiſſen, daß es eine Strecke weit von ihr mit fortgeſchleppt wurde. Jch nahm nun die Maus heraus, ſie hinkte, putzte ſich öfters Hinterfuß und Schnauze, wurde matt, lebte aber doch noch etwas über eine Stunde, dann ſtarb ſie. Jn eine andere Kiſte, worin ſich vierund- zwanzig eben ſolche Otterchen befanden, ließ ich nun den Bruder jener Maus, und der Erfolg war faſt ganz derſelbe.“ Wenn Lenz ſagt, daß die Kreuzotter boshaft bleibt bis an ihr Ende, ſo gilt Dies auch für ihr Betragen in der Geſangenſchaft. Jhre unmäßige und ſinnloſe Wuth ſtumpft ſich allerdings mit der Zeit etwas ab: ſie beißt weniger und ſeltener als anfangs; niemals aber läßt ſie ſich wirklich zähmen, niemals dahin bringen, nicht mehr nach ihrem Pfleger zu beißen, und deshalb bleibt ihr Umgang ſtets und immer gefährlich. Merkwürdig iſt, daß man ſie auch bei der ſorgfältigſten Pflege nur ausnahmsweiſe dahin bringen kann, im Käfige Nahrung zu ſich zu nehmen. „Es iſt“, meint Lenz, „als ob ſie von dem Augenblicke, welcher ſie in die verhaßte Gefangenſchaft bringt, den Entſchluß faßt, zu verhungern; denn faſt ohne Ausnahme ſpeit ſie entweder ſogleich oder doch nach Stunden oder Tagen die genoſſene Nahrung wieder aus, ſelbſt wenn man ſie ſo behutſam fing, daß ſie dabei, außer am Schwanzende, gar nicht gedrückt wurde. Zuweilen ſpeit ſie ſchon, indem man ſie am Schwanze aufhebt, öfters während man ſie in der Pflanzenbüchſe oder im Säckchen nach Hauſe trägt, oft auch, wenn ſie ſchon zu Hauſe einige Zeitlang ungeſtört in der ihr angewieſenen Wohnung gelegen hat.... Jn der Gefangenſchaft habe ich ihr außer Mäuſen, kleinen Vögeln, Fröſchen, Eidechſen ꝛc. eine Menge anderer Dinge vorgelegt, als Kerbthiere aller Art, Mehlwürmer, Ameiſen- cier, Regenwürmer, Laubfröſche, Vogeleier, Eidechſeneier, junge Schlangen anderer Art, Brod, Semmel ꝛc.; ſie hat aber nach all den Leckerbiſſen gar keine Begierde gezeigt. Nur Ameiſenpuppen hat ſie oft verzehrt, ohne ſie jedoch gehörig zu verdauen. Jch habe auch den Verſuch gemacht, ausgehungerten Ottern junge, kleine Mäuschen einzuſtopfen, indem ich mit der linken Hand ſie hinten am Kopfe packte, mit der rechten vermittels einer Zange die Maus faßte, ſie dann in den Rachen ſchob und mit einem Hölzchen die Speiſeröhre hinabſtopfte. Das ganze Unternehmen half leider Nichts; denn die Otter ſpie doch hernach den Pfropfen wieder aus.“ Dieſes hartnäckige Verſchmähen aller Nahrung iſt die Regel, jedoch auch ſie nicht ohne Ausnahme. Wenn man es der Kreuzotter recht behaglich macht, ihr namentlich einen Käfig herrichtet, welcher gleichſam den Moorboden nach- ahmt, entſchließt ſie ſich zuweilen doch, freiwillig Nahrung zu ſich zu nehmen. Letzteres erfuhren Erber und Effeldt. „Von mehreren bewährten Schlangenkundigen“, ſagt der Erſtgenannte, „wurde mir die beſtimmte Verſicherung gegeben, daß unſere einheimiſche Viper in der Gefangen- ſchaft nie Nahrung zu ſich nimmt; darum unterließ ich es, dieſelbe mit Futter zu verſehen. Doch wie war ich überraſcht, als ich um die Mitte Oktobers die Kreuzotter eines Abends, nachdem ich ihr kurz zuvor zwei ſehr junge Mäuschen in den Käfig gegeben, beim Schmauſe eines dieſer jungen, bereits getödteten Grasverderber begriffen fand!“ Effeldt verſicherte mir, daß unter den unzähligen, welche er gefangen hielt, ebenfalls einige waren, welche ſich zum Freſſen bequemten, eine ſogar, welche regelmäßig Futter annahm. Doch, wie bemerkt, ſie bilden nur Ausnahmen; die Regel iſt, daß ſie ſich, gefangen, dem Hungertode weihen, und man ſie deshalb auch ſelten länger als neun Monate am Leben erhält. Unter allen deutſchen Schlangen bringt die Kreuzotter, was Vertilgung ſchädlicher Thiere anlangt, den größten Nutzen: — und dennoch dankt ihr Niemand die Verdienſte, welche ſie ſich erwirbt, ſucht Jedermann ſie zu vernichten, wo und wie er es vermag! Und in der That, bei keinem deutſchen Thiere weiter iſt die rückſichtsloſeſte, unnachfichtlichſte Verfolgung in demſelben Grade gerechtfertigt wie bei ihr. Jn unſerem Vaterlande kommt es gegenwärtig ſchwerlich noch vor, daß

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/325>, abgerufen am 22.12.2024.