Jnnerhalb ihrer Klasse gehören die Landschildkröten zu den trägsten, gleichgültigsten und lang- weiligsten Geschöpfen. Jede ihrer Bewegungen ist plump, schwerfällig und unbeholfen. Sie sind im Stande, ziemlich weite Strecken in einem Zuge zu durchwandeln, thun Dies jedoch mit einer Lang- samkeit ohne Gleichen, träge einen Fuß vor den anderen setzend und den schweren Körper gleichsam mit Widerstreben vorwärts schiebend. Jede Bewegung geschieht aber mit bedeutender Kraft: schon eine mittelgroße Schildkröte ist im Stande, einen Menschen, welcher sich auf ihren Panzer stellt, mit fortzuschleppen, und die Riesen der Ordnung thun Solches anscheinend ohne alle Beschwerde. Zufällig ins Wasser gerathene oder gewaltsam gebrachte Landschildkröten sinken wie Steine zu Boden, strampeln hier ruhig weiter und gelangen so nach geraumer Zeit wieder an das Ufer, ohne irgend welchen Schaden erlitten zu haben. Viel schwieriger wird es ihnen, sich umzustürzen, wenn sie durch andere ihrer Art oder durch Feinde auf den Rücken gewälzt wurden: sie müssen dann oft tagelang mit dem Schwanze arbeiten, bevor es ihnen gelingt, sich umzuwenden; denn die ungelenken Füße ver- sagen ihnen hierbei ihre Dienste. Auffallenderweise zeigen sie sich in einer anderen Bewegungs- fertigkeit verhältnißmäßig geschickt: sie verstehen nämlich in einem gewissen Grade zu klettern. Eine eigentliche Stimme scheinen sie nicht hervorbringen zu können: wenn sie gereizt werden, stoßen sie höchstens ein schnaubendes Blasen aus, nicht aber einen wirklich klingenden Ton. Die höheren Fähig- keiten stehen im Einklange mit dem verkümmerten Gehirn, welches überhaupt nur der Sinne halber vorhanden zu sein scheint. Doch läßt sich ein gewisses Maß geistiger Begabung nicht in Abrede stellen. Sie bekunden einen ziemlich entwickelten Ortssinn, geben Beweise von Gedächtniß und lassen zuweilen sogar eine gewisse Ueberlegung oder wenigstens Absicht bemerklich werden. Angesichts eines Feindes gebrauchen sie alle das Schutzmittel, ihre Gliedmaßen einzuziehen und im Panzer zu ver- bergen, ermüden hierdurch nach und nach auch den geduldigsten Gegner; denn einmal erschreckt ziehen sie bei der geringsten Veranlassung ihre Glieder wieder in die schützende Hülle zurück. Unter sich legen sie ein Gefühl gegenseitiger Anhänglichkeit an den Tag, andererseits auch der Abneigung; denn selbst unter ihnen macht sich die Eifersucht geltend und erhitzt das bischen Gehirn, welches sie haben. Zwei Männchen können eifersüchtig um den Besitz eines Weibchens kämpfen und einen solchen Kampf längere Zeit mit einer gewissen Hartnäckigkeit fortführen. Dem erkorenen Weibchen folgen die verliebten Thiere tagelang, jedoch nur während der Zeit der Paarung; wenn letztere vorüber, geht jedes einzelne, unbekümmert um das andere, seinen Weg. Bei Ablegung der Eier bekunden sie die unter ihren Ordnungsgliedern übliche Sorgsamkeit; die ausgeschlüpften Jungen hingegen lassen sie vollständig gleichgültig. Es scheint also, als ob ihnen nur daran läge, die Eier los zu werden und möglichst gut unterzubringen, als ob sie einem nicht zum Bewußtsein kommenden Drange folgen, nicht aber mit Ueberlegung handeln.
Die Nahrung besteht hauptsächlich aus weichen Pflanzentheilen, welche sie entweder abweiden oder richtiger abschneiden. Die größten Arten fressen gierig allerlei Kraut in großer Menge, die kleineren mit mehr Auswahl Blatttheile und Pflanzensprossen; erstere weiden rupfend, letztere schneiden mit den scharfen Kieferrändern aus oder trennen den erfaßten Bissen durch ruckweises Zurückziehen des Kopfes ab. Gelegentlich fressen sie auch mancherlei Gewürm, beispielsweise Schnecken und Regenwürmer; an größere Thiere scheinen sie sich nicht zu wagen. Sie trinken selten und wenig auf einmal, scheinen auch zwischen verschiedenen Flüssigkeiten kaum einen Unterschied zu machen, trinken wenigstens Milch ebenso gern als Wasser und Branntwein oder Bier ohne Bedenken, da weder ihr Geruchs- noch ihr Geschmackssinn so ausgebildet sein mögen, daß sie derartig verschiedene Stoffe unter- scheiden können.
Die rundlichen, mit weicher, kalkiger, zäher Schale überzogenen Eier werden in den günstigsten Monaten des Jahres gelegt und entweder in die Erde gegraben oder zwischen zusammen gehäuftem Laube verborgen; die Jungen schlüpfen nach einigen Wochen aus und beginnen von Stund an das Leben ihrer Eltern.
Die Schildkröten. Landſchildkröten.
Jnnerhalb ihrer Klaſſe gehören die Landſchildkröten zu den trägſten, gleichgültigſten und lang- weiligſten Geſchöpfen. Jede ihrer Bewegungen iſt plump, ſchwerfällig und unbeholfen. Sie ſind im Stande, ziemlich weite Strecken in einem Zuge zu durchwandeln, thun Dies jedoch mit einer Lang- ſamkeit ohne Gleichen, träge einen Fuß vor den anderen ſetzend und den ſchweren Körper gleichſam mit Widerſtreben vorwärts ſchiebend. Jede Bewegung geſchieht aber mit bedeutender Kraft: ſchon eine mittelgroße Schildkröte iſt im Stande, einen Menſchen, welcher ſich auf ihren Panzer ſtellt, mit fortzuſchleppen, und die Rieſen der Ordnung thun Solches anſcheinend ohne alle Beſchwerde. Zufällig ins Waſſer gerathene oder gewaltſam gebrachte Landſchildkröten ſinken wie Steine zu Boden, ſtrampeln hier ruhig weiter und gelangen ſo nach geraumer Zeit wieder an das Ufer, ohne irgend welchen Schaden erlitten zu haben. Viel ſchwieriger wird es ihnen, ſich umzuſtürzen, wenn ſie durch andere ihrer Art oder durch Feinde auf den Rücken gewälzt wurden: ſie müſſen dann oft tagelang mit dem Schwanze arbeiten, bevor es ihnen gelingt, ſich umzuwenden; denn die ungelenken Füße ver- ſagen ihnen hierbei ihre Dienſte. Auffallenderweiſe zeigen ſie ſich in einer anderen Bewegungs- fertigkeit verhältnißmäßig geſchickt: ſie verſtehen nämlich in einem gewiſſen Grade zu klettern. Eine eigentliche Stimme ſcheinen ſie nicht hervorbringen zu können: wenn ſie gereizt werden, ſtoßen ſie höchſtens ein ſchnaubendes Blaſen aus, nicht aber einen wirklich klingenden Ton. Die höheren Fähig- keiten ſtehen im Einklange mit dem verkümmerten Gehirn, welches überhaupt nur der Sinne halber vorhanden zu ſein ſcheint. Doch läßt ſich ein gewiſſes Maß geiſtiger Begabung nicht in Abrede ſtellen. Sie bekunden einen ziemlich entwickelten Ortsſinn, geben Beweiſe von Gedächtniß und laſſen zuweilen ſogar eine gewiſſe Ueberlegung oder wenigſtens Abſicht bemerklich werden. Angeſichts eines Feindes gebrauchen ſie alle das Schutzmittel, ihre Gliedmaßen einzuziehen und im Panzer zu ver- bergen, ermüden hierdurch nach und nach auch den geduldigſten Gegner; denn einmal erſchreckt ziehen ſie bei der geringſten Veranlaſſung ihre Glieder wieder in die ſchützende Hülle zurück. Unter ſich legen ſie ein Gefühl gegenſeitiger Anhänglichkeit an den Tag, andererſeits auch der Abneigung; denn ſelbſt unter ihnen macht ſich die Eiferſucht geltend und erhitzt das bischen Gehirn, welches ſie haben. Zwei Männchen können eiferſüchtig um den Beſitz eines Weibchens kämpfen und einen ſolchen Kampf längere Zeit mit einer gewiſſen Hartnäckigkeit fortführen. Dem erkorenen Weibchen folgen die verliebten Thiere tagelang, jedoch nur während der Zeit der Paarung; wenn letztere vorüber, geht jedes einzelne, unbekümmert um das andere, ſeinen Weg. Bei Ablegung der Eier bekunden ſie die unter ihren Ordnungsgliedern übliche Sorgſamkeit; die ausgeſchlüpften Jungen hingegen laſſen ſie vollſtändig gleichgültig. Es ſcheint alſo, als ob ihnen nur daran läge, die Eier los zu werden und möglichſt gut unterzubringen, als ob ſie einem nicht zum Bewußtſein kommenden Drange folgen, nicht aber mit Ueberlegung handeln.
Die Nahrung beſteht hauptſächlich aus weichen Pflanzentheilen, welche ſie entweder abweiden oder richtiger abſchneiden. Die größten Arten freſſen gierig allerlei Kraut in großer Menge, die kleineren mit mehr Auswahl Blatttheile und Pflanzenſproſſen; erſtere weiden rupfend, letztere ſchneiden mit den ſcharfen Kieferrändern aus oder trennen den erfaßten Biſſen durch ruckweiſes Zurückziehen des Kopfes ab. Gelegentlich freſſen ſie auch mancherlei Gewürm, beiſpielsweiſe Schnecken und Regenwürmer; an größere Thiere ſcheinen ſie ſich nicht zu wagen. Sie trinken ſelten und wenig auf einmal, ſcheinen auch zwiſchen verſchiedenen Flüſſigkeiten kaum einen Unterſchied zu machen, trinken wenigſtens Milch ebenſo gern als Waſſer und Branntwein oder Bier ohne Bedenken, da weder ihr Geruchs- noch ihr Geſchmacksſinn ſo ausgebildet ſein mögen, daß ſie derartig verſchiedene Stoffe unter- ſcheiden können.
Die rundlichen, mit weicher, kalkiger, zäher Schale überzogenen Eier werden in den günſtigſten Monaten des Jahres gelegt und entweder in die Erde gegraben oder zwiſchen zuſammen gehäuftem Laube verborgen; die Jungen ſchlüpfen nach einigen Wochen aus und beginnen von Stund an das Leben ihrer Eltern.
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[22/0034]
Die Schildkröten. Landſchildkröten.
Jnnerhalb ihrer Klaſſe gehören die Landſchildkröten zu den trägſten, gleichgültigſten und lang-
weiligſten Geſchöpfen. Jede ihrer Bewegungen iſt plump, ſchwerfällig und unbeholfen. Sie ſind
im Stande, ziemlich weite Strecken in einem Zuge zu durchwandeln, thun Dies jedoch mit einer Lang-
ſamkeit ohne Gleichen, träge einen Fuß vor den anderen ſetzend und den ſchweren Körper gleichſam
mit Widerſtreben vorwärts ſchiebend. Jede Bewegung geſchieht aber mit bedeutender Kraft: ſchon
eine mittelgroße Schildkröte iſt im Stande, einen Menſchen, welcher ſich auf ihren Panzer ſtellt, mit
fortzuſchleppen, und die Rieſen der Ordnung thun Solches anſcheinend ohne alle Beſchwerde.
Zufällig ins Waſſer gerathene oder gewaltſam gebrachte Landſchildkröten ſinken wie Steine zu Boden,
ſtrampeln hier ruhig weiter und gelangen ſo nach geraumer Zeit wieder an das Ufer, ohne irgend
welchen Schaden erlitten zu haben. Viel ſchwieriger wird es ihnen, ſich umzuſtürzen, wenn ſie durch
andere ihrer Art oder durch Feinde auf den Rücken gewälzt wurden: ſie müſſen dann oft tagelang
mit dem Schwanze arbeiten, bevor es ihnen gelingt, ſich umzuwenden; denn die ungelenken Füße ver-
ſagen ihnen hierbei ihre Dienſte. Auffallenderweiſe zeigen ſie ſich in einer anderen Bewegungs-
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eigentliche Stimme ſcheinen ſie nicht hervorbringen zu können: wenn ſie gereizt werden, ſtoßen ſie
höchſtens ein ſchnaubendes Blaſen aus, nicht aber einen wirklich klingenden Ton. Die höheren Fähig-
keiten ſtehen im Einklange mit dem verkümmerten Gehirn, welches überhaupt nur der Sinne halber
vorhanden zu ſein ſcheint. Doch läßt ſich ein gewiſſes Maß geiſtiger Begabung nicht in Abrede
ſtellen. Sie bekunden einen ziemlich entwickelten Ortsſinn, geben Beweiſe von Gedächtniß und laſſen
zuweilen ſogar eine gewiſſe Ueberlegung oder wenigſtens Abſicht bemerklich werden. Angeſichts eines
Feindes gebrauchen ſie alle das Schutzmittel, ihre Gliedmaßen einzuziehen und im Panzer zu ver-
bergen, ermüden hierdurch nach und nach auch den geduldigſten Gegner; denn einmal erſchreckt
ziehen ſie bei der geringſten Veranlaſſung ihre Glieder wieder in die ſchützende Hülle zurück. Unter
ſich legen ſie ein Gefühl gegenſeitiger Anhänglichkeit an den Tag, andererſeits auch der Abneigung;
denn ſelbſt unter ihnen macht ſich die Eiferſucht geltend und erhitzt das bischen Gehirn, welches ſie
haben. Zwei Männchen können eiferſüchtig um den Beſitz eines Weibchens kämpfen und einen ſolchen
Kampf längere Zeit mit einer gewiſſen Hartnäckigkeit fortführen. Dem erkorenen Weibchen folgen
die verliebten Thiere tagelang, jedoch nur während der Zeit der Paarung; wenn letztere vorüber,
geht jedes einzelne, unbekümmert um das andere, ſeinen Weg. Bei Ablegung der Eier bekunden ſie
die unter ihren Ordnungsgliedern übliche Sorgſamkeit; die ausgeſchlüpften Jungen hingegen laſſen ſie
vollſtändig gleichgültig. Es ſcheint alſo, als ob ihnen nur daran läge, die Eier los zu werden und
möglichſt gut unterzubringen, als ob ſie einem nicht zum Bewußtſein kommenden Drange folgen,
nicht aber mit Ueberlegung handeln.
Die Nahrung beſteht hauptſächlich aus weichen Pflanzentheilen, welche ſie entweder abweiden
oder richtiger abſchneiden. Die größten Arten freſſen gierig allerlei Kraut in großer Menge, die
kleineren mit mehr Auswahl Blatttheile und Pflanzenſproſſen; erſtere weiden rupfend, letztere ſchneiden
mit den ſcharfen Kieferrändern aus oder trennen den erfaßten Biſſen durch ruckweiſes Zurückziehen
des Kopfes ab. Gelegentlich freſſen ſie auch mancherlei Gewürm, beiſpielsweiſe Schnecken und
Regenwürmer; an größere Thiere ſcheinen ſie ſich nicht zu wagen. Sie trinken ſelten und wenig auf
einmal, ſcheinen auch zwiſchen verſchiedenen Flüſſigkeiten kaum einen Unterſchied zu machen, trinken
wenigſtens Milch ebenſo gern als Waſſer und Branntwein oder Bier ohne Bedenken, da weder ihr
Geruchs- noch ihr Geſchmacksſinn ſo ausgebildet ſein mögen, daß ſie derartig verſchiedene Stoffe unter-
ſcheiden können.
Die rundlichen, mit weicher, kalkiger, zäher Schale überzogenen Eier werden in den günſtigſten
Monaten des Jahres gelegt und entweder in die Erde gegraben oder zwiſchen zuſammen gehäuftem
Laube verborgen; die Jungen ſchlüpfen nach einigen Wochen aus und beginnen von Stund an das
Leben ihrer Eltern.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/34>, abgerufen am 22.12.2024.
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