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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Die Schildkröten. Alligatorschildkröten.
sich höckerig gegen die Mitte hin, umsomehr, je älter das Thier. Der Rand wird aus fünfundzwanzig
Schildern zusammengesetzt, von denen das erste sehr schmal ist, und die hinteren sich so scharf zuspitzen,
daß sechs bis acht tiefe Einschnitte gebildet werden. Der kleine, kreuzförmig gestaltete Brustpanzer
trägt ungleiche Schilder und verbindet sich nur durch schmale Streifen mit dem Rückenpanzer. Der
Kopf ist groß, platt und dreieckig, hat äußerst kräftige und scharfe ungezähnelte Kinnladen, der Hals,
welcher beim ruhenden Thiere kurz erscheint, kann weit vorgestreckt werden. Die Beine sind kräftig,
die Vorderfüße fünf-, die Hinterfüße vierzehig, letztere auch schwimmhäutig. Der Schwanz fällt auf
durch seine Länge, welche zwei Dritttheile von der des Schildes beträgt, seine bedeutende Dicke
und einen Kamm knöcherner, spitzer Schuppen. Eine warzige Haut, welche am Bauche schlaff,
rauh und runzelig erscheint, überall aber mit kleinen Schuppen bedeckt ist, umhüllt die nicht vom
Panzer eingeschlossenen Körpertheile. Jhre Färbung ist ein schwer zu bezeichnendes, vielfach
wechselndes Oelgrün; das Rückenschild sieht oben schmuzigdunkel- oder schwarzbraun, unten gelbbraun
aus und ist, wie gewöhnlich, bei jungen Thieren lichter als bei alten. Letztere können eine Länge
von drei bis vier Fuß und ein Gewicht von vierzig bis funfzig Pfund erreichen.

Jn den südlichen Theilen der Vereinigten Staaten, insbesondere in Tejas und den Ländern des
südlichen Mississippi, lebt eine andere Art dieser Familie, welche sich durch noch bedeutendere Größe,
kräftigere Kieferbewaffnung und verhältnißmäßig kürzeren Schwanz auszeichnet, und Temminck zu
Ehren Chelydra Temminckii genannt, von Agassiz aber zum Vertreter der Geierschildkröten
(Gypochelys) erhoben worden ist. Jn China sollen verwandte Arten vorkommen; in Europa lebten
solche in der Vorzeit.

Schnapp- und Geierschildkröte leben in Flüssen und größeren Sümpfen der Vereinigten
Staaten, in einzelnen Gegenden in großer Anzahl, am liebsten in solchen Gewässern, welche tiefen
Schlamm haben; denn sie verschmähen, wie Müller sagt, selbst die stinkendsten Pfützen nicht.
Gemeiniglich liegen sie, laut Holbrook, im tiefen Wasser in der Mitte des Flußbettes oder
Sumpfes, erscheinen aber zuweilen nah der Oberfläche, stecken ihre Schnautzenspitze heraus und lassen
sich mit dem Strome treiben, fliehen jedoch beim geringsten Geräusche, besonders in stark bewohnten
Gegenden, während sie in den Gewässern des spärlicher bevölkerten Südens minder scheu sind. Mit
Recht fürchtet und haßt man sie: ihr Name Schnappschildkröte ist aber auch begründet. Sie beißen
nach Allem, was ihnen in den Weg kommt und lassen das einmal Erfaßte so leicht nicht wieder los.
"Kaum sitzt eine gefangene Schnappschildkröte im Boote", erzählt Weinland, "so wirft sich das
wüthende Thier auf seine mächtigen Hinterbeine zurück, aber nur, um im nächsten Augenblicke mit
seiner furchtbaren Schnellkraft einen Fuß vorwärts zu stürzen und grimmig in das dargebotene
Ruder zu beißen." Man hat alle Ursache, sie mit Vorsicht zu behandeln, weil sie mit ihrer Wuth
entschiedene Bosheit paart, und einen Menschen, welcher sich in das von ihr bewohnte Wasser begibt,
unter Umständen ingrimmig zu Leibe geht, mit ihrem kräftigen Gebiß auch sehr gefährliche Wunden
beibringen kann. Weinland versichert, daß ein halbzoll dickes Ruder von dem harten Raub-
vogelschnabel des Thieres wie von einer Kugel durchbohrt werden kann; andere Beobachter behaupten
übereinstimmend, daß sie einen ziemlich starken Spazierstock ohne Weiteres entzwei beißt. "Während
das Auge der übrigen Schildkröten", berichtet Müller, "eine gewisse dumme Gutmüthigkeit aus-
drückt, leuchtet dieser die Tücke und Bosheit sozusagen aus den Augen heraus, und es gibt gewiß
Viele, welche, wenn sie dieser Art zum ersten Male begegnen sollten, ihr ausweichen würden. Ob-
gleich nun wohl dieses Ansehen in der ganzen Gestalt des Thieres liegt, so haben doch der lange Kopf
und Schwanz etwas widerwärtig Schreckhaftes, und ich möchte wissen, was Jene bei ihrem Anblicke
sagen würden, welche sich schon vor einem Salamander oder vor einer Eidechse fürchten."

Die Alligatorschildkröten sind beweglicher als die meisten ihrer Verwandten. Sie gehen auf
dem Lande, welches sie zuweilen betreten, nicht langsamer als diese, schwimmen sehr schnell und ent-
wickeln beim Verfolgen ihrer Beute eine erstaunliche Raschheit. Fische, Frösche und andere Wirbel-
thiere, welche im Wasser leben, bilden ihre Nahrung; sie greifen auch keineswegs blos kleinere,

Die Schildkröten. Alligatorſchildkröten.
ſich höckerig gegen die Mitte hin, umſomehr, je älter das Thier. Der Rand wird aus fünfundzwanzig
Schildern zuſammengeſetzt, von denen das erſte ſehr ſchmal iſt, und die hinteren ſich ſo ſcharf zuſpitzen,
daß ſechs bis acht tiefe Einſchnitte gebildet werden. Der kleine, kreuzförmig geſtaltete Bruſtpanzer
trägt ungleiche Schilder und verbindet ſich nur durch ſchmale Streifen mit dem Rückenpanzer. Der
Kopf iſt groß, platt und dreieckig, hat äußerſt kräftige und ſcharfe ungezähnelte Kinnladen, der Hals,
welcher beim ruhenden Thiere kurz erſcheint, kann weit vorgeſtreckt werden. Die Beine ſind kräftig,
die Vorderfüße fünf-, die Hinterfüße vierzehig, letztere auch ſchwimmhäutig. Der Schwanz fällt auf
durch ſeine Länge, welche zwei Dritttheile von der des Schildes beträgt, ſeine bedeutende Dicke
und einen Kamm knöcherner, ſpitzer Schuppen. Eine warzige Haut, welche am Bauche ſchlaff,
rauh und runzelig erſcheint, überall aber mit kleinen Schuppen bedeckt iſt, umhüllt die nicht vom
Panzer eingeſchloſſenen Körpertheile. Jhre Färbung iſt ein ſchwer zu bezeichnendes, vielfach
wechſelndes Oelgrün; das Rückenſchild ſieht oben ſchmuzigdunkel- oder ſchwarzbraun, unten gelbbraun
aus und iſt, wie gewöhnlich, bei jungen Thieren lichter als bei alten. Letztere können eine Länge
von drei bis vier Fuß und ein Gewicht von vierzig bis funfzig Pfund erreichen.

Jn den ſüdlichen Theilen der Vereinigten Staaten, insbeſondere in Tejas und den Ländern des
ſüdlichen Miſſiſſippi, lebt eine andere Art dieſer Familie, welche ſich durch noch bedeutendere Größe,
kräftigere Kieferbewaffnung und verhältnißmäßig kürzeren Schwanz auszeichnet, und Temminck zu
Ehren Chelydra Temminckii genannt, von Agaſſiz aber zum Vertreter der Geierſchildkröten
(Gypochelys) erhoben worden iſt. Jn China ſollen verwandte Arten vorkommen; in Europa lebten
ſolche in der Vorzeit.

Schnapp- und Geierſchildkröte leben in Flüſſen und größeren Sümpfen der Vereinigten
Staaten, in einzelnen Gegenden in großer Anzahl, am liebſten in ſolchen Gewäſſern, welche tiefen
Schlamm haben; denn ſie verſchmähen, wie Müller ſagt, ſelbſt die ſtinkendſten Pfützen nicht.
Gemeiniglich liegen ſie, laut Holbrook, im tiefen Waſſer in der Mitte des Flußbettes oder
Sumpfes, erſcheinen aber zuweilen nah der Oberfläche, ſtecken ihre Schnautzenſpitze heraus und laſſen
ſich mit dem Strome treiben, fliehen jedoch beim geringſten Geräuſche, beſonders in ſtark bewohnten
Gegenden, während ſie in den Gewäſſern des ſpärlicher bevölkerten Südens minder ſcheu ſind. Mit
Recht fürchtet und haßt man ſie: ihr Name Schnappſchildkröte iſt aber auch begründet. Sie beißen
nach Allem, was ihnen in den Weg kommt und laſſen das einmal Erfaßte ſo leicht nicht wieder los.
„Kaum ſitzt eine gefangene Schnappſchildkröte im Boote“, erzählt Weinland, „ſo wirft ſich das
wüthende Thier auf ſeine mächtigen Hinterbeine zurück, aber nur, um im nächſten Augenblicke mit
ſeiner furchtbaren Schnellkraft einen Fuß vorwärts zu ſtürzen und grimmig in das dargebotene
Ruder zu beißen.“ Man hat alle Urſache, ſie mit Vorſicht zu behandeln, weil ſie mit ihrer Wuth
entſchiedene Bosheit paart, und einen Menſchen, welcher ſich in das von ihr bewohnte Waſſer begibt,
unter Umſtänden ingrimmig zu Leibe geht, mit ihrem kräftigen Gebiß auch ſehr gefährliche Wunden
beibringen kann. Weinland verſichert, daß ein halbzoll dickes Ruder von dem harten Raub-
vogelſchnabel des Thieres wie von einer Kugel durchbohrt werden kann; andere Beobachter behaupten
übereinſtimmend, daß ſie einen ziemlich ſtarken Spazierſtock ohne Weiteres entzwei beißt. „Während
das Auge der übrigen Schildkröten“, berichtet Müller, „eine gewiſſe dumme Gutmüthigkeit aus-
drückt, leuchtet dieſer die Tücke und Bosheit ſozuſagen aus den Augen heraus, und es gibt gewiß
Viele, welche, wenn ſie dieſer Art zum erſten Male begegnen ſollten, ihr ausweichen würden. Ob-
gleich nun wohl dieſes Anſehen in der ganzen Geſtalt des Thieres liegt, ſo haben doch der lange Kopf
und Schwanz etwas widerwärtig Schreckhaftes, und ich möchte wiſſen, was Jene bei ihrem Anblicke
ſagen würden, welche ſich ſchon vor einem Salamander oder vor einer Eidechſe fürchten.“

Die Alligatorſchildkröten ſind beweglicher als die meiſten ihrer Verwandten. Sie gehen auf
dem Lande, welches ſie zuweilen betreten, nicht langſamer als dieſe, ſchwimmen ſehr ſchnell und ent-
wickeln beim Verfolgen ihrer Beute eine erſtaunliche Raſchheit. Fiſche, Fröſche und andere Wirbel-
thiere, welche im Waſſer leben, bilden ihre Nahrung; ſie greifen auch keineswegs blos kleinere,

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[42/0054] Die Schildkröten. Alligatorſchildkröten. ſich höckerig gegen die Mitte hin, umſomehr, je älter das Thier. Der Rand wird aus fünfundzwanzig Schildern zuſammengeſetzt, von denen das erſte ſehr ſchmal iſt, und die hinteren ſich ſo ſcharf zuſpitzen, daß ſechs bis acht tiefe Einſchnitte gebildet werden. Der kleine, kreuzförmig geſtaltete Bruſtpanzer trägt ungleiche Schilder und verbindet ſich nur durch ſchmale Streifen mit dem Rückenpanzer. Der Kopf iſt groß, platt und dreieckig, hat äußerſt kräftige und ſcharfe ungezähnelte Kinnladen, der Hals, welcher beim ruhenden Thiere kurz erſcheint, kann weit vorgeſtreckt werden. Die Beine ſind kräftig, die Vorderfüße fünf-, die Hinterfüße vierzehig, letztere auch ſchwimmhäutig. Der Schwanz fällt auf durch ſeine Länge, welche zwei Dritttheile von der des Schildes beträgt, ſeine bedeutende Dicke und einen Kamm knöcherner, ſpitzer Schuppen. Eine warzige Haut, welche am Bauche ſchlaff, rauh und runzelig erſcheint, überall aber mit kleinen Schuppen bedeckt iſt, umhüllt die nicht vom Panzer eingeſchloſſenen Körpertheile. Jhre Färbung iſt ein ſchwer zu bezeichnendes, vielfach wechſelndes Oelgrün; das Rückenſchild ſieht oben ſchmuzigdunkel- oder ſchwarzbraun, unten gelbbraun aus und iſt, wie gewöhnlich, bei jungen Thieren lichter als bei alten. Letztere können eine Länge von drei bis vier Fuß und ein Gewicht von vierzig bis funfzig Pfund erreichen. Jn den ſüdlichen Theilen der Vereinigten Staaten, insbeſondere in Tejas und den Ländern des ſüdlichen Miſſiſſippi, lebt eine andere Art dieſer Familie, welche ſich durch noch bedeutendere Größe, kräftigere Kieferbewaffnung und verhältnißmäßig kürzeren Schwanz auszeichnet, und Temminck zu Ehren Chelydra Temminckii genannt, von Agaſſiz aber zum Vertreter der Geierſchildkröten (Gypochelys) erhoben worden iſt. Jn China ſollen verwandte Arten vorkommen; in Europa lebten ſolche in der Vorzeit. Schnapp- und Geierſchildkröte leben in Flüſſen und größeren Sümpfen der Vereinigten Staaten, in einzelnen Gegenden in großer Anzahl, am liebſten in ſolchen Gewäſſern, welche tiefen Schlamm haben; denn ſie verſchmähen, wie Müller ſagt, ſelbſt die ſtinkendſten Pfützen nicht. Gemeiniglich liegen ſie, laut Holbrook, im tiefen Waſſer in der Mitte des Flußbettes oder Sumpfes, erſcheinen aber zuweilen nah der Oberfläche, ſtecken ihre Schnautzenſpitze heraus und laſſen ſich mit dem Strome treiben, fliehen jedoch beim geringſten Geräuſche, beſonders in ſtark bewohnten Gegenden, während ſie in den Gewäſſern des ſpärlicher bevölkerten Südens minder ſcheu ſind. Mit Recht fürchtet und haßt man ſie: ihr Name Schnappſchildkröte iſt aber auch begründet. Sie beißen nach Allem, was ihnen in den Weg kommt und laſſen das einmal Erfaßte ſo leicht nicht wieder los. „Kaum ſitzt eine gefangene Schnappſchildkröte im Boote“, erzählt Weinland, „ſo wirft ſich das wüthende Thier auf ſeine mächtigen Hinterbeine zurück, aber nur, um im nächſten Augenblicke mit ſeiner furchtbaren Schnellkraft einen Fuß vorwärts zu ſtürzen und grimmig in das dargebotene Ruder zu beißen.“ Man hat alle Urſache, ſie mit Vorſicht zu behandeln, weil ſie mit ihrer Wuth entſchiedene Bosheit paart, und einen Menſchen, welcher ſich in das von ihr bewohnte Waſſer begibt, unter Umſtänden ingrimmig zu Leibe geht, mit ihrem kräftigen Gebiß auch ſehr gefährliche Wunden beibringen kann. Weinland verſichert, daß ein halbzoll dickes Ruder von dem harten Raub- vogelſchnabel des Thieres wie von einer Kugel durchbohrt werden kann; andere Beobachter behaupten übereinſtimmend, daß ſie einen ziemlich ſtarken Spazierſtock ohne Weiteres entzwei beißt. „Während das Auge der übrigen Schildkröten“, berichtet Müller, „eine gewiſſe dumme Gutmüthigkeit aus- drückt, leuchtet dieſer die Tücke und Bosheit ſozuſagen aus den Augen heraus, und es gibt gewiß Viele, welche, wenn ſie dieſer Art zum erſten Male begegnen ſollten, ihr ausweichen würden. Ob- gleich nun wohl dieſes Anſehen in der ganzen Geſtalt des Thieres liegt, ſo haben doch der lange Kopf und Schwanz etwas widerwärtig Schreckhaftes, und ich möchte wiſſen, was Jene bei ihrem Anblicke ſagen würden, welche ſich ſchon vor einem Salamander oder vor einer Eidechſe fürchten.“ Die Alligatorſchildkröten ſind beweglicher als die meiſten ihrer Verwandten. Sie gehen auf dem Lande, welches ſie zuweilen betreten, nicht langſamer als dieſe, ſchwimmen ſehr ſchnell und ent- wickeln beim Verfolgen ihrer Beute eine erſtaunliche Raſchheit. Fiſche, Fröſche und andere Wirbel- thiere, welche im Waſſer leben, bilden ihre Nahrung; ſie greifen auch keineswegs blos kleinere,

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/54>, abgerufen am 22.12.2024.