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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Tun.
Hand voll Sand, dessen Körner die äußerst furchtsamen Fische derartig erschrecken, "als fiele ihnen der
Himmel auf den Rücken". Erweist sich der Sand zum Fortscheuchen nicht kräftig genug, so wird
das fürchterliche Schaffell in die Tiefe gesenkt, und fruchtet auch dieses nicht, so greift man zum
Aeußersten, indem man die betreffende Kammer vermittels eines besonderen Netzes zusammenzieht
und dadurch den Tun zum Weichen bringt.

Nach jeder Untersuchung erstattet der Reis dem Eigenthümer geheimen Bericht von der Sach-
lage ab, gibt die Anzahl der im Netze befindlichen Tune an und bringt ihm die getroffene Einrichtung,
die Vertheilung der Fische im Netze u. s. w. zur Kunde.

Jst nun das Netz genugsam bevölkert, und tritt an dem Tage, dessen Erscheinen man mit tausend
Wünschen und Gebeten zu beschleunigen sucht, Windstille ein, so kommt es zur Metzelei. Die
umliegende Gegend theilt die Spannung und Aufregung der Fischer; aus entfernten Theilen des
Landes finden sich die Vornehmen ein, um dem aufregenden Schauspiel beizuwohnen. Als Grund-
satz gilt bei allen Tonaren, daß der Fremde, welcher sich einstellt, willig aufgenommen, auf das
Freundschaftlichste behandelt und bei der Abreise freigebig beschenkt wird. Jn der Nacht vor dem
Fange treibt der Reis alle Tunfische, deren Tod beschlossen, in die Vor- oder Goldkammer, einen
wahren Vorsaal des Todes, Goldkammer genannt, weil der Tun in diesem Theile des Netzes dem
Fischer ebenso sicher ist, wie das Gold im Beutel. Nun gilt es noch ein wichtiges Geschäft abzuthun,
nämlich, denjenigen Heiligen, welcher zum Schutzherrn des folgenden Tages erkoren werden soll,
auszuwählen. Zu diesem Ende wirft man die Namen einiger jener vormaligen Biedermänner in
einen Glückstopf und zieht einen Zettel heraus. Der Erwählte wird während des ganzen folgenden
Tages einzig und allein angerufen und thut selbstverständlich seine Pflicht und Schuldigkeit, da er ja
doch beweisen muß, daß er anderen an Macht und Wirksamkeit nicht nachsteht. Ein weiser Mann
erkennt daraus, wie außerordentlich groß die Bedeutung und Wirksamkeit der Heiligen sein muß,
selbst nach Ansicht der Jtaliener, denen doch kirchliche Gläubigkeit aus erster Hand zuertheilt wird.

Am Schlachttage begibt sich der Reis vor Sonnenaufgang zur Jnsel, um die Tune in die
Todtenkammer zu treiben -- eine Verrichtung, welche zuweilen viel Schwierigkeiten verursacht und
den Reis in die äußerste Verlegenheit bringt, da es scheint, als verstünden die Fische, welche wichtigen
Folgen der Schritt aus einer Kammer in die andere nach sich zieht. Unterdeß waffnet man zu Lande
die Augen und sieht durch Ferngläser nach der Jnsel hin, den ersten Wink des Reis zu bemerken.
Sobald dieser Alles in Richtigkeit gebracht hat, steckt er eine Fahne aus. Jhr Anblick bringt das
Ufer in Aufruhr und Bewegung. Mit Fischern und Zuschauern beladene Fahrzeuge stoßen vom Lande
ab; am Ufer läuft Alles bunt durch einander und auf und nieder. Die Fahrzeuge nehmen, schon ehe
sie der Jnsel sich nähern, die Ordnung ein, in welcher sie um die Todtenkammer zu stehen kommen;
zwei von ihnen, auf welchen sich die Unteranführer besinden, stellen sich an gewissen Punkten auf, die
anderen zwischen ihnen. Jn der Mitte der Kammer wählt sich der Reis seinen Platz; er führt den
Befehl beim Angriffe, wie der Admiral am Tage der Schlacht.

Zuerst zieht man, unter unaufhörlichem Schreien aller Fischer, zwar äußerst langsam aber möglichst
gleichmäßig, die Todtenkammer herauf. Der Reis ist überall; vorn und hinten, auf dieser, auf jener
Seite, schnauzthier den Einen an, schmält mit dem Anderen, wirft diesem einen Verweis, jenem ein Stück
Kork an den Kopf. Je näher die Todtenkammer zur Oberfläche emporkommt, umso mehr rücken die
Fahrzeuge zusammen. Ein an Stärke stetig zunehmendes Aufkochen des Wassers kündigt die Annä-
herung der Fische an. Nun begeben sich die Todtschläger, bewaffnet mit großen Keulen, an deren
Spitze ein eiserner Haken befestigt wird, nach den beiden Hauptbooten, von denen aus die Tune
angegriffen werden. Noch ehe sie ihre Arbeit beginnen, macht sich unter ihnen die größte Aufregung
bemerklich.

Endlich gibt der Reis den Befehl zur Schlacht. Es erhebt sich ein fürchterlicher Sturm, hervor-
gebracht durch das Umherfahren und gewaltige Umsichschlagen der ungeheueren Fische, welche sich
eingeschlossen, verfolgt und dem Tode nahe sehen; das schäumende Wasser überfluthet die Boote.

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Tun.
Hand voll Sand, deſſen Körner die äußerſt furchtſamen Fiſche derartig erſchrecken, „als fiele ihnen der
Himmel auf den Rücken“. Erweiſt ſich der Sand zum Fortſcheuchen nicht kräftig genug, ſo wird
das fürchterliche Schaffell in die Tiefe geſenkt, und fruchtet auch dieſes nicht, ſo greift man zum
Aeußerſten, indem man die betreffende Kammer vermittels eines beſonderen Netzes zuſammenzieht
und dadurch den Tun zum Weichen bringt.

Nach jeder Unterſuchung erſtattet der Reis dem Eigenthümer geheimen Bericht von der Sach-
lage ab, gibt die Anzahl der im Netze befindlichen Tune an und bringt ihm die getroffene Einrichtung,
die Vertheilung der Fiſche im Netze u. ſ. w. zur Kunde.

Jſt nun das Netz genugſam bevölkert, und tritt an dem Tage, deſſen Erſcheinen man mit tauſend
Wünſchen und Gebeten zu beſchleunigen ſucht, Windſtille ein, ſo kommt es zur Metzelei. Die
umliegende Gegend theilt die Spannung und Aufregung der Fiſcher; aus entfernten Theilen des
Landes finden ſich die Vornehmen ein, um dem aufregenden Schauſpiel beizuwohnen. Als Grund-
ſatz gilt bei allen Tonaren, daß der Fremde, welcher ſich einſtellt, willig aufgenommen, auf das
Freundſchaftlichſte behandelt und bei der Abreiſe freigebig beſchenkt wird. Jn der Nacht vor dem
Fange treibt der Reis alle Tunfiſche, deren Tod beſchloſſen, in die Vor- oder Goldkammer, einen
wahren Vorſaal des Todes, Goldkammer genannt, weil der Tun in dieſem Theile des Netzes dem
Fiſcher ebenſo ſicher iſt, wie das Gold im Beutel. Nun gilt es noch ein wichtiges Geſchäft abzuthun,
nämlich, denjenigen Heiligen, welcher zum Schutzherrn des folgenden Tages erkoren werden ſoll,
auszuwählen. Zu dieſem Ende wirft man die Namen einiger jener vormaligen Biedermänner in
einen Glückstopf und zieht einen Zettel heraus. Der Erwählte wird während des ganzen folgenden
Tages einzig und allein angerufen und thut ſelbſtverſtändlich ſeine Pflicht und Schuldigkeit, da er ja
doch beweiſen muß, daß er anderen an Macht und Wirkſamkeit nicht nachſteht. Ein weiſer Mann
erkennt daraus, wie außerordentlich groß die Bedeutung und Wirkſamkeit der Heiligen ſein muß,
ſelbſt nach Anſicht der Jtaliener, denen doch kirchliche Gläubigkeit aus erſter Hand zuertheilt wird.

Am Schlachttage begibt ſich der Reis vor Sonnenaufgang zur Jnſel, um die Tune in die
Todtenkammer zu treiben — eine Verrichtung, welche zuweilen viel Schwierigkeiten verurſacht und
den Reis in die äußerſte Verlegenheit bringt, da es ſcheint, als verſtünden die Fiſche, welche wichtigen
Folgen der Schritt aus einer Kammer in die andere nach ſich zieht. Unterdeß waffnet man zu Lande
die Augen und ſieht durch Ferngläſer nach der Jnſel hin, den erſten Wink des Reis zu bemerken.
Sobald dieſer Alles in Richtigkeit gebracht hat, ſteckt er eine Fahne aus. Jhr Anblick bringt das
Ufer in Aufruhr und Bewegung. Mit Fiſchern und Zuſchauern beladene Fahrzeuge ſtoßen vom Lande
ab; am Ufer läuft Alles bunt durch einander und auf und nieder. Die Fahrzeuge nehmen, ſchon ehe
ſie der Jnſel ſich nähern, die Ordnung ein, in welcher ſie um die Todtenkammer zu ſtehen kommen;
zwei von ihnen, auf welchen ſich die Unteranführer beſinden, ſtellen ſich an gewiſſen Punkten auf, die
anderen zwiſchen ihnen. Jn der Mitte der Kammer wählt ſich der Reis ſeinen Platz; er führt den
Befehl beim Angriffe, wie der Admiral am Tage der Schlacht.

Zuerſt zieht man, unter unaufhörlichem Schreien aller Fiſcher, zwar äußerſt langſam aber möglichſt
gleichmäßig, die Todtenkammer herauf. Der Reis iſt überall; vorn und hinten, auf dieſer, auf jener
Seite, ſchnauzthier den Einen an, ſchmält mit dem Anderen, wirft dieſem einen Verweis, jenem ein Stück
Kork an den Kopf. Je näher die Todtenkammer zur Oberfläche emporkommt, umſo mehr rücken die
Fahrzeuge zuſammen. Ein an Stärke ſtetig zunehmendes Aufkochen des Waſſers kündigt die Annä-
herung der Fiſche an. Nun begeben ſich die Todtſchläger, bewaffnet mit großen Keulen, an deren
Spitze ein eiſerner Haken befeſtigt wird, nach den beiden Hauptbooten, von denen aus die Tune
angegriffen werden. Noch ehe ſie ihre Arbeit beginnen, macht ſich unter ihnen die größte Aufregung
bemerklich.

Endlich gibt der Reis den Befehl zur Schlacht. Es erhebt ſich ein fürchterlicher Sturm, hervor-
gebracht durch das Umherfahren und gewaltige Umſichſchlagen der ungeheueren Fiſche, welche ſich
eingeſchloſſen, verfolgt und dem Tode nahe ſehen; das ſchäumende Waſſer überfluthet die Boote.

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[547/0581] Tun. Hand voll Sand, deſſen Körner die äußerſt furchtſamen Fiſche derartig erſchrecken, „als fiele ihnen der Himmel auf den Rücken“. Erweiſt ſich der Sand zum Fortſcheuchen nicht kräftig genug, ſo wird das fürchterliche Schaffell in die Tiefe geſenkt, und fruchtet auch dieſes nicht, ſo greift man zum Aeußerſten, indem man die betreffende Kammer vermittels eines beſonderen Netzes zuſammenzieht und dadurch den Tun zum Weichen bringt. Nach jeder Unterſuchung erſtattet der Reis dem Eigenthümer geheimen Bericht von der Sach- lage ab, gibt die Anzahl der im Netze befindlichen Tune an und bringt ihm die getroffene Einrichtung, die Vertheilung der Fiſche im Netze u. ſ. w. zur Kunde. Jſt nun das Netz genugſam bevölkert, und tritt an dem Tage, deſſen Erſcheinen man mit tauſend Wünſchen und Gebeten zu beſchleunigen ſucht, Windſtille ein, ſo kommt es zur Metzelei. Die umliegende Gegend theilt die Spannung und Aufregung der Fiſcher; aus entfernten Theilen des Landes finden ſich die Vornehmen ein, um dem aufregenden Schauſpiel beizuwohnen. Als Grund- ſatz gilt bei allen Tonaren, daß der Fremde, welcher ſich einſtellt, willig aufgenommen, auf das Freundſchaftlichſte behandelt und bei der Abreiſe freigebig beſchenkt wird. Jn der Nacht vor dem Fange treibt der Reis alle Tunfiſche, deren Tod beſchloſſen, in die Vor- oder Goldkammer, einen wahren Vorſaal des Todes, Goldkammer genannt, weil der Tun in dieſem Theile des Netzes dem Fiſcher ebenſo ſicher iſt, wie das Gold im Beutel. Nun gilt es noch ein wichtiges Geſchäft abzuthun, nämlich, denjenigen Heiligen, welcher zum Schutzherrn des folgenden Tages erkoren werden ſoll, auszuwählen. Zu dieſem Ende wirft man die Namen einiger jener vormaligen Biedermänner in einen Glückstopf und zieht einen Zettel heraus. Der Erwählte wird während des ganzen folgenden Tages einzig und allein angerufen und thut ſelbſtverſtändlich ſeine Pflicht und Schuldigkeit, da er ja doch beweiſen muß, daß er anderen an Macht und Wirkſamkeit nicht nachſteht. Ein weiſer Mann erkennt daraus, wie außerordentlich groß die Bedeutung und Wirkſamkeit der Heiligen ſein muß, ſelbſt nach Anſicht der Jtaliener, denen doch kirchliche Gläubigkeit aus erſter Hand zuertheilt wird. Am Schlachttage begibt ſich der Reis vor Sonnenaufgang zur Jnſel, um die Tune in die Todtenkammer zu treiben — eine Verrichtung, welche zuweilen viel Schwierigkeiten verurſacht und den Reis in die äußerſte Verlegenheit bringt, da es ſcheint, als verſtünden die Fiſche, welche wichtigen Folgen der Schritt aus einer Kammer in die andere nach ſich zieht. Unterdeß waffnet man zu Lande die Augen und ſieht durch Ferngläſer nach der Jnſel hin, den erſten Wink des Reis zu bemerken. Sobald dieſer Alles in Richtigkeit gebracht hat, ſteckt er eine Fahne aus. Jhr Anblick bringt das Ufer in Aufruhr und Bewegung. Mit Fiſchern und Zuſchauern beladene Fahrzeuge ſtoßen vom Lande ab; am Ufer läuft Alles bunt durch einander und auf und nieder. Die Fahrzeuge nehmen, ſchon ehe ſie der Jnſel ſich nähern, die Ordnung ein, in welcher ſie um die Todtenkammer zu ſtehen kommen; zwei von ihnen, auf welchen ſich die Unteranführer beſinden, ſtellen ſich an gewiſſen Punkten auf, die anderen zwiſchen ihnen. Jn der Mitte der Kammer wählt ſich der Reis ſeinen Platz; er führt den Befehl beim Angriffe, wie der Admiral am Tage der Schlacht. Zuerſt zieht man, unter unaufhörlichem Schreien aller Fiſcher, zwar äußerſt langſam aber möglichſt gleichmäßig, die Todtenkammer herauf. Der Reis iſt überall; vorn und hinten, auf dieſer, auf jener Seite, ſchnauzthier den Einen an, ſchmält mit dem Anderen, wirft dieſem einen Verweis, jenem ein Stück Kork an den Kopf. Je näher die Todtenkammer zur Oberfläche emporkommt, umſo mehr rücken die Fahrzeuge zuſammen. Ein an Stärke ſtetig zunehmendes Aufkochen des Waſſers kündigt die Annä- herung der Fiſche an. Nun begeben ſich die Todtſchläger, bewaffnet mit großen Keulen, an deren Spitze ein eiſerner Haken befeſtigt wird, nach den beiden Hauptbooten, von denen aus die Tune angegriffen werden. Noch ehe ſie ihre Arbeit beginnen, macht ſich unter ihnen die größte Aufregung bemerklich. Endlich gibt der Reis den Befehl zur Schlacht. Es erhebt ſich ein fürchterlicher Sturm, hervor- gebracht durch das Umherfahren und gewaltige Umſichſchlagen der ungeheueren Fiſche, welche ſich eingeſchloſſen, verfolgt und dem Tode nahe ſehen; das ſchäumende Waſſer überfluthet die Boote. 35*

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 547. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/581>, abgerufen am 16.07.2024.