achtzig Jachten voller Heringe aufzog und noch viel mehr auf dem Grunde umkommen ließ." Heut- zutage betreibt man in Norwegen und zwar vorzugsweise längs der ganzen Küste zwischen Trondjem und Lindesnäs den Fang regelmäßiger, stellt große Netze aus, in denen man 800,000 bis 1,600,000 Stück erhält, wendet aber immer noch mit Vorliebe die Wate an und sperrt, laut Blom, zuweilen noch mehrere Tausend Tonnen Fische ab, zu 24,000 Stück jede einzelne gerechnet. Gegenwärtig werden etwa 1,200,000 Tonnen jährlich ausgeführt, weil man endlich gelernt hat, die Heringe zweck- mäßig zuzubereiten. Ueberhaupt zeigt es sich gerade beim Heringsfange, daß, mit Ausnahme der Deutschen, alle übrigen Völker gelernt und ihre Einrichtungen verbessert haben, während die Deutschen, streng genommen, eigentlich erst beginnen zu lernen. Fast ebenso bedeutend als die Fischerei der Norweger ist noch heutigentags die der Holländer, obgleich sie schon seit vielen Jahren stetig abgenommen hat und noch abnimmt, wie in demselben Verhältnisse die Fischerei der Eng- länder zunimmt.
Ueber die letztere entnehme ich dem Berichte Bertram's das Nachstehende: Die Fischerei auf Heringe, Pilchards und Sprotten währt mit kurzer Unterbrechung fast das ganze Jahr hindurch; die eigentliche Fangzeit des erstgenannten Fisches aber geschieht während des Herbstes vom August bis zum Oktober. Dann ist das Meer an den schottischen, irischen und englischen Küsten bedeckt mit Booten, und jeder Meerbusen rund um die Küste hat seine kleine Flotte, jede Bucht ihre Fischerei, während sich auf den hauptsächlichsten Plätzen sehr bedeutende Flotten vereinigen. Die Sulzer besitzen in den jenen Plätzen benachbarten Städten weite Lagerräume und Höfe, welche angefüllt sind mit Tonnen, Salz und anderweitigem Zubehör. An der Küste selbst schlagen andere, minder begüterte Sulzer ihre Werkstätte auf, und da, wo Dies geschehen, sammelt sich bald eine mehr oder minder zahlreiche Flotte im Meere und ein Haufen des allergemischtesten Volkes auf dem Lande: Salzhändler, Faßdaubenverkäufer, Böttcher, Landmädchen, Hochlandsleute und Andere, welche ihnen ihre Hände anbieten. Landstreichende Prediger, innere Missionäre, Wiedererwecker und anderweitige Seelenfänger finden sich ebenfalls ein, die Kraft ihrer Worte hier zu erproben; selten auch fehlt es ihnen an einigen Hunderten mehr oder minder gläubigen oder doch gläubigscheinenden Zuhörer. Wenn die wirkliche Fischzeit beginnt, bemächtigt sich eine Art von Wahnsinn aller Versammelten: Alles spricht, Alles denkt, Alles arbeitet ausschließlich vom Heringe. Alte Leute erscheinen auf dem Platze, um die Vorbereitungen zu besichtigen und erzählen mit neu auflebender Begeisterung, wie es der Alten Art, von zwanzig und mehr Jahre zurückliegenden Zeiten; die Jüngeren besichtigen Boote, Segel und Netze; Frauen und Bräute, wenigstens Schätze machen alte Netze aussehend wie neue, Katechusieder bieten ihren braunen Saft, welcher die Netze und Segel erhalten soll, allmänniglich an u. s. w. Längs der ganzen Küste sieht man überall dieselben Auftritte; Alles vereinigt sich zu demselben Zwecke, Alle in derselben Hoffnung auf eine glückliche Fischerei; junge Herzen beten für den Erfolg der Boote ihrer Geliebten, weil dieser Erfolg ihnen des Herzens größtes Sehnen, den Ehering und die Haube, bringen soll; aus des Sulzers Augen leuchten gehobene Stimmung und große Hoffnung hervor; die Besitzer noch ungenutzter Boote scheinen glücklich zu sein; kleine Kinder selbst nehmen an der Erregung vollen Antheil: auch sie sprechen von Nichts als vom Hering. Es wird verglichen und gediftelt, geweissagt und gewettet, geflucht und gebetet, gezweifelt und gehofft. "Fische diesen Morgen!" ist der Gruß, welcher der Nachbar dem Nachbar spendet, "Wenige oder viele Fische!" der Dank, die Antwort. Die einheimische Bevölkerung der Küstenstädte vermehrt sich bald um Tausende. Mit dem seelenweckenden Pfaffen ziehen andere Landstreicher ein; auf dem Markte schlagen Kaufleute ihre Buden auf, und das Genäsel der Straßenprediger wird würdig begleitet von verstimmten Drehorgeln.
Ein geringer Theil von denen, welche mit hinaus auf die See fahren, um zu fischen, gehört der eigentlichen Fischerkaste an; die große Mehrzahl besteht aus "geheuerten Händen", einer Mischung von Bauern, Handwerkern, Matrosen und Landstreichern: daher denn auch die vielen Unfälle, welche sich während jeder Fischerei ereignen. Zum Fange wendet man gegenwärtig vorzugsweise
Hering. Fiſcherei.
achtzig Jachten voller Heringe aufzog und noch viel mehr auf dem Grunde umkommen ließ.“ Heut- zutage betreibt man in Norwegen und zwar vorzugsweiſe längs der ganzen Küſte zwiſchen Trondjem und Lindesnäs den Fang regelmäßiger, ſtellt große Netze aus, in denen man 800,000 bis 1,600,000 Stück erhält, wendet aber immer noch mit Vorliebe die Wate an und ſperrt, laut Blom, zuweilen noch mehrere Tauſend Tonnen Fiſche ab, zu 24,000 Stück jede einzelne gerechnet. Gegenwärtig werden etwa 1,200,000 Tonnen jährlich ausgeführt, weil man endlich gelernt hat, die Heringe zweck- mäßig zuzubereiten. Ueberhaupt zeigt es ſich gerade beim Heringsfange, daß, mit Ausnahme der Deutſchen, alle übrigen Völker gelernt und ihre Einrichtungen verbeſſert haben, während die Deutſchen, ſtreng genommen, eigentlich erſt beginnen zu lernen. Faſt ebenſo bedeutend als die Fiſcherei der Norweger iſt noch heutigentags die der Holländer, obgleich ſie ſchon ſeit vielen Jahren ſtetig abgenommen hat und noch abnimmt, wie in demſelben Verhältniſſe die Fiſcherei der Eng- länder zunimmt.
Ueber die letztere entnehme ich dem Berichte Bertram’s das Nachſtehende: Die Fiſcherei auf Heringe, Pilchards und Sprotten währt mit kurzer Unterbrechung faſt das ganze Jahr hindurch; die eigentliche Fangzeit des erſtgenannten Fiſches aber geſchieht während des Herbſtes vom Auguſt bis zum Oktober. Dann iſt das Meer an den ſchottiſchen, iriſchen und engliſchen Küſten bedeckt mit Booten, und jeder Meerbuſen rund um die Küſte hat ſeine kleine Flotte, jede Bucht ihre Fiſcherei, während ſich auf den hauptſächlichſten Plätzen ſehr bedeutende Flotten vereinigen. Die Sulzer beſitzen in den jenen Plätzen benachbarten Städten weite Lagerräume und Höfe, welche angefüllt ſind mit Tonnen, Salz und anderweitigem Zubehör. An der Küſte ſelbſt ſchlagen andere, minder begüterte Sulzer ihre Werkſtätte auf, und da, wo Dies geſchehen, ſammelt ſich bald eine mehr oder minder zahlreiche Flotte im Meere und ein Haufen des allergemiſchteſten Volkes auf dem Lande: Salzhändler, Faßdaubenverkäufer, Böttcher, Landmädchen, Hochlandsleute und Andere, welche ihnen ihre Hände anbieten. Landſtreichende Prediger, innere Miſſionäre, Wiedererwecker und anderweitige Seelenfänger finden ſich ebenfalls ein, die Kraft ihrer Worte hier zu erproben; ſelten auch fehlt es ihnen an einigen Hunderten mehr oder minder gläubigen oder doch gläubigſcheinenden Zuhörer. Wenn die wirkliche Fiſchzeit beginnt, bemächtigt ſich eine Art von Wahnſinn aller Verſammelten: Alles ſpricht, Alles denkt, Alles arbeitet ausſchließlich vom Heringe. Alte Leute erſcheinen auf dem Platze, um die Vorbereitungen zu beſichtigen und erzählen mit neu auflebender Begeiſterung, wie es der Alten Art, von zwanzig und mehr Jahre zurückliegenden Zeiten; die Jüngeren beſichtigen Boote, Segel und Netze; Frauen und Bräute, wenigſtens Schätze machen alte Netze ausſehend wie neue, Katechuſieder bieten ihren braunen Saft, welcher die Netze und Segel erhalten ſoll, allmänniglich an u. ſ. w. Längs der ganzen Küſte ſieht man überall dieſelben Auftritte; Alles vereinigt ſich zu demſelben Zwecke, Alle in derſelben Hoffnung auf eine glückliche Fiſcherei; junge Herzen beten für den Erfolg der Boote ihrer Geliebten, weil dieſer Erfolg ihnen des Herzens größtes Sehnen, den Ehering und die Haube, bringen ſoll; aus des Sulzers Augen leuchten gehobene Stimmung und große Hoffnung hervor; die Beſitzer noch ungenutzter Boote ſcheinen glücklich zu ſein; kleine Kinder ſelbſt nehmen an der Erregung vollen Antheil: auch ſie ſprechen von Nichts als vom Hering. Es wird verglichen und gediftelt, geweiſſagt und gewettet, geflucht und gebetet, gezweifelt und gehofft. „Fiſche dieſen Morgen!“ iſt der Gruß, welcher der Nachbar dem Nachbar ſpendet, „Wenige oder viele Fiſche!“ der Dank, die Antwort. Die einheimiſche Bevölkerung der Küſtenſtädte vermehrt ſich bald um Tauſende. Mit dem ſeelenweckenden Pfaffen ziehen andere Landſtreicher ein; auf dem Markte ſchlagen Kaufleute ihre Buden auf, und das Genäſel der Straßenprediger wird würdig begleitet von verſtimmten Drehorgeln.
Ein geringer Theil von denen, welche mit hinaus auf die See fahren, um zu fiſchen, gehört der eigentlichen Fiſcherkaſte an; die große Mehrzahl beſteht aus „geheuerten Händen“, einer Miſchung von Bauern, Handwerkern, Matroſen und Landſtreichern: daher denn auch die vielen Unfälle, welche ſich während jeder Fiſcherei ereignen. Zum Fange wendet man gegenwärtig vorzugsweiſe
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[725/0765]
Hering. Fiſcherei.
achtzig Jachten voller Heringe aufzog und noch viel mehr auf dem Grunde umkommen ließ.“ Heut-
zutage betreibt man in Norwegen und zwar vorzugsweiſe längs der ganzen Küſte zwiſchen Trondjem
und Lindesnäs den Fang regelmäßiger, ſtellt große Netze aus, in denen man 800,000 bis 1,600,000
Stück erhält, wendet aber immer noch mit Vorliebe die Wate an und ſperrt, laut Blom, zuweilen
noch mehrere Tauſend Tonnen Fiſche ab, zu 24,000 Stück jede einzelne gerechnet. Gegenwärtig
werden etwa 1,200,000 Tonnen jährlich ausgeführt, weil man endlich gelernt hat, die Heringe zweck-
mäßig zuzubereiten. Ueberhaupt zeigt es ſich gerade beim Heringsfange, daß, mit Ausnahme der
Deutſchen, alle übrigen Völker gelernt und ihre Einrichtungen verbeſſert haben, während die
Deutſchen, ſtreng genommen, eigentlich erſt beginnen zu lernen. Faſt ebenſo bedeutend als die
Fiſcherei der Norweger iſt noch heutigentags die der Holländer, obgleich ſie ſchon ſeit vielen Jahren
ſtetig abgenommen hat und noch abnimmt, wie in demſelben Verhältniſſe die Fiſcherei der Eng-
länder zunimmt.
Ueber die letztere entnehme ich dem Berichte Bertram’s das Nachſtehende: Die Fiſcherei auf
Heringe, Pilchards und Sprotten währt mit kurzer Unterbrechung faſt das ganze Jahr hindurch; die
eigentliche Fangzeit des erſtgenannten Fiſches aber geſchieht während des Herbſtes vom Auguſt bis
zum Oktober. Dann iſt das Meer an den ſchottiſchen, iriſchen und engliſchen Küſten bedeckt mit
Booten, und jeder Meerbuſen rund um die Küſte hat ſeine kleine Flotte, jede Bucht ihre Fiſcherei,
während ſich auf den hauptſächlichſten Plätzen ſehr bedeutende Flotten vereinigen. Die Sulzer
beſitzen in den jenen Plätzen benachbarten Städten weite Lagerräume und Höfe, welche angefüllt
ſind mit Tonnen, Salz und anderweitigem Zubehör. An der Küſte ſelbſt ſchlagen andere, minder
begüterte Sulzer ihre Werkſtätte auf, und da, wo Dies geſchehen, ſammelt ſich bald eine mehr oder
minder zahlreiche Flotte im Meere und ein Haufen des allergemiſchteſten Volkes auf dem Lande:
Salzhändler, Faßdaubenverkäufer, Böttcher, Landmädchen, Hochlandsleute und Andere, welche ihnen
ihre Hände anbieten. Landſtreichende Prediger, innere Miſſionäre, Wiedererwecker und anderweitige
Seelenfänger finden ſich ebenfalls ein, die Kraft ihrer Worte hier zu erproben; ſelten auch fehlt es
ihnen an einigen Hunderten mehr oder minder gläubigen oder doch gläubigſcheinenden Zuhörer.
Wenn die wirkliche Fiſchzeit beginnt, bemächtigt ſich eine Art von Wahnſinn aller Verſammelten:
Alles ſpricht, Alles denkt, Alles arbeitet ausſchließlich vom Heringe. Alte Leute erſcheinen auf dem
Platze, um die Vorbereitungen zu beſichtigen und erzählen mit neu auflebender Begeiſterung, wie es
der Alten Art, von zwanzig und mehr Jahre zurückliegenden Zeiten; die Jüngeren beſichtigen Boote,
Segel und Netze; Frauen und Bräute, wenigſtens Schätze machen alte Netze ausſehend wie neue,
Katechuſieder bieten ihren braunen Saft, welcher die Netze und Segel erhalten ſoll, allmänniglich
an u. ſ. w. Längs der ganzen Küſte ſieht man überall dieſelben Auftritte; Alles vereinigt ſich zu
demſelben Zwecke, Alle in derſelben Hoffnung auf eine glückliche Fiſcherei; junge Herzen beten für
den Erfolg der Boote ihrer Geliebten, weil dieſer Erfolg ihnen des Herzens größtes Sehnen, den
Ehering und die Haube, bringen ſoll; aus des Sulzers Augen leuchten gehobene Stimmung und
große Hoffnung hervor; die Beſitzer noch ungenutzter Boote ſcheinen glücklich zu ſein; kleine Kinder
ſelbſt nehmen an der Erregung vollen Antheil: auch ſie ſprechen von Nichts als vom Hering. Es
wird verglichen und gediftelt, geweiſſagt und gewettet, geflucht und gebetet, gezweifelt und gehofft.
„Fiſche dieſen Morgen!“ iſt der Gruß, welcher der Nachbar dem Nachbar ſpendet, „Wenige oder viele
Fiſche!“ der Dank, die Antwort. Die einheimiſche Bevölkerung der Küſtenſtädte vermehrt ſich bald
um Tauſende. Mit dem ſeelenweckenden Pfaffen ziehen andere Landſtreicher ein; auf dem Markte
ſchlagen Kaufleute ihre Buden auf, und das Genäſel der Straßenprediger wird würdig begleitet von
verſtimmten Drehorgeln.
Ein geringer Theil von denen, welche mit hinaus auf die See fahren, um zu fiſchen, gehört der
eigentlichen Fiſcherkaſte an; die große Mehrzahl beſteht aus „geheuerten Händen“, einer Miſchung
von Bauern, Handwerkern, Matroſen und Landſtreichern: daher denn auch die vielen Unfälle,
welche ſich während jeder Fiſcherei ereignen. Zum Fange wendet man gegenwärtig vorzugsweiſe
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 725. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/765>, abgerufen am 22.12.2024.
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