hierüber ausführlichere Mittheilungen gemacht. Die vornehmsten Fischereien des Pontus, soweit die russische Herrschaft reicht, befinden sich nach Kohl an den Mündungen der großen Flüsse, des Dujestr, Dujepr, der Donau und in den Meerengen von Jenikale oder Kaffa, den großen Einbruchs- thoren, vor denen sich diejenigen Fische sammeln, welche bei ihren verschiedenen Lebensverrichtungen sowohl salziges als auch süßes Wasser bedürfen. Jn den Meerengen tauscht das eine Meer mit dem andern seine Wanderer aus, und es drängen sich die Fische hier ebenso wie die Menschen auf einer schmalen Landenge zwischen zwei großen Ländern.
An allen diesen Punkten sind daher theils stehende Fischerdörfer, theils sogenannte Fischereien entstanden, welche letztere im Frühlinge aufgestellt und im Herbste wieder weggenommen werden. Jrgend ein Großrusse oder Grieche, welcher sich Wirth der Fischerei nennt, miethet einen Küstenstrich von dem benachbarten Besitzer, erbaut eine geräumige Schilfhütte am Strande, kauft Fischerboote, Netze und Alles, was sonst nöthig, ladet eine Anzahl anderer Russen oder Griechen, Tataren, Mol- dauer und Polen, je nachdem das eine oder andere Volk sich in der Nähe befindet, zur Theilhaber- schaft ein und setzt sich mit ihnen für einen Sommer am Strande fest. Der Wirth, welcher das Kapital vorschoß und auf welchen daher natürlich der größte Theil des Gewinnes oder Verlustes fällt, ist freilich das Haupt und führt die meisten Geschäfte der Fischerei, hat dabei aber doch einen Kassirer oder Buchhalter, welchen die übrigen Genossen sich wählen, als Beaufsichtiger zur Seite. Dieser führt über alle Ein- und Verkäufe ebenso Rechnung wie der Wirth und vertritt die übrige Gesell- schaft. Die Hütten der Leute sind sehr geräumig und groß und stehen dicht am niederen Meeres- ufer, jedoch außerhalb der höchsten Flutmarke. Jn ihnen stehen die Betten der Mannschaft, welche sich zuweilen auf zwölf bis zwanzig Köpfe beläuft, im Hintergrunde die Fischbottiche, große Salz- fässer und Mühlen zum Zermahlen des Salzes; vor allen Dingen aber sorgen die Leute für ein Heiligenbild, welches sie im Jnnern über der Thür "aufhängen und dessen kleine Lampe Tag und Nacht ihre Hütte erhellt, wie das Bild selbst das Jnnere ihres Geistes" -- woraus zu erkennen, daß es ebensowohl in der Hütte als im Jnnern des Geistes sehr dunkel sein muß. Zu beiden Seiten der Thüre hängen beständig gefüllte Wassergefäße. Draußen haben sie einen Herd in die Erde gegraben und ein alter dienender Geist, welcher nicht mit aufs Wasser geht, ist beständig mit Kochen, Wasserzutragen, Salzmahlen etc. beschäftigt. Gehen die Fische flott und zahlreich ins Netz, so schaffen sie sich auch andere Dinge an, kaufen sich Hunde zur Bewachung ihrer Schätze, ein Volk Hühner, welches in die Wogen hineingackelt, Schafe zum Sonntagsbraten; gewöhnlich aber ist das Meer ihre Speisekammer, aus welchem Alles hervorgeht, was ihren Kessel füllt.
Dicht am Rande der Brandung errichten sie einen hohen Mastbaum, welcher in etwas schiefer Richtung über das Meer sich hinneigt; er ist oben mit einer Art von Mastkorb versehen, und auf dieser Warte sitzt nun Einer von ihnen, welcher nach den heranziehenden Fischen blickt und sogleich die nahenden Schaaren verkündet, damit der Fischer ihnen entgegen gehen kann. Es ist ein reizender Sitz: wenn man nicht hinter sich schaut, meint man gerade wie ein Vogel mitten über dem Meere zu schweben. Die Fischer finden auf der für einen unwissenden Nichtfischer durchaus ein- förmigen Meeresfläche unglaublich Viel zu beobachten und verkünden von ihrem hohen Mastkorbe viele Dinge, von denen ein Anderer Nichts sieht. Sie entdecken die nahenden Fischschaaren schon aus großer Ferne und wissen jedesmal zu unterscheiden, um welche Art von Fischen es sich handelt. Jhre Haupteintheilung begreift rothe und weiße Fische, und unter ersteren verstehen sie die Störarten.
An solchen Orten wendet man zum Fange hauptsächlich Netze an. Ganz anders dagegen betreibt man den Fang der Störe zu anderen Zeiten und namentlich im Winter, wenn Eis die Flüsse bedeckt, und die Störe, wie Lepechin sagt, die Köpfe in den Schlamm eingebohrt, die Schwänze, wie ein dichter Wald von Pallisaden, in die Höhe gerichtet, Winterschlaf halten. Die Fischer merken sich laut Pallas, die tieferen Stellen des Flusses, auf denen sich die Störe im Herbste reihenweise zusammenlegen, versammeln sich sodann im Januar und berathschlagen, nachdem sie sich einen Erlaubnißschein zum Fischen erworben, über Tag, Ort und Art des Fischfanges. Auf das Zeichen
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Störfiſcherei.
hierüber ausführlichere Mittheilungen gemacht. Die vornehmſten Fiſchereien des Pontus, ſoweit die ruſſiſche Herrſchaft reicht, befinden ſich nach Kohl an den Mündungen der großen Flüſſe, des Dujeſtr, Dujepr, der Donau und in den Meerengen von Jenikale oder Kaffa, den großen Einbruchs- thoren, vor denen ſich diejenigen Fiſche ſammeln, welche bei ihren verſchiedenen Lebensverrichtungen ſowohl ſalziges als auch ſüßes Waſſer bedürfen. Jn den Meerengen tauſcht das eine Meer mit dem andern ſeine Wanderer aus, und es drängen ſich die Fiſche hier ebenſo wie die Menſchen auf einer ſchmalen Landenge zwiſchen zwei großen Ländern.
An allen dieſen Punkten ſind daher theils ſtehende Fiſcherdörfer, theils ſogenannte Fiſchereien entſtanden, welche letztere im Frühlinge aufgeſtellt und im Herbſte wieder weggenommen werden. Jrgend ein Großruſſe oder Grieche, welcher ſich Wirth der Fiſcherei nennt, miethet einen Küſtenſtrich von dem benachbarten Beſitzer, erbaut eine geräumige Schilfhütte am Strande, kauft Fiſcherboote, Netze und Alles, was ſonſt nöthig, ladet eine Anzahl anderer Ruſſen oder Griechen, Tataren, Mol- dauer und Polen, je nachdem das eine oder andere Volk ſich in der Nähe befindet, zur Theilhaber- ſchaft ein und ſetzt ſich mit ihnen für einen Sommer am Strande feſt. Der Wirth, welcher das Kapital vorſchoß und auf welchen daher natürlich der größte Theil des Gewinnes oder Verluſtes fällt, iſt freilich das Haupt und führt die meiſten Geſchäfte der Fiſcherei, hat dabei aber doch einen Kaſſirer oder Buchhalter, welchen die übrigen Genoſſen ſich wählen, als Beaufſichtiger zur Seite. Dieſer führt über alle Ein- und Verkäufe ebenſo Rechnung wie der Wirth und vertritt die übrige Geſell- ſchaft. Die Hütten der Leute ſind ſehr geräumig und groß und ſtehen dicht am niederen Meeres- ufer, jedoch außerhalb der höchſten Flutmarke. Jn ihnen ſtehen die Betten der Mannſchaft, welche ſich zuweilen auf zwölf bis zwanzig Köpfe beläuft, im Hintergrunde die Fiſchbottiche, große Salz- fäſſer und Mühlen zum Zermahlen des Salzes; vor allen Dingen aber ſorgen die Leute für ein Heiligenbild, welches ſie im Jnnern über der Thür „aufhängen und deſſen kleine Lampe Tag und Nacht ihre Hütte erhellt, wie das Bild ſelbſt das Jnnere ihres Geiſtes“ — woraus zu erkennen, daß es ebenſowohl in der Hütte als im Jnnern des Geiſtes ſehr dunkel ſein muß. Zu beiden Seiten der Thüre hängen beſtändig gefüllte Waſſergefäße. Draußen haben ſie einen Herd in die Erde gegraben und ein alter dienender Geiſt, welcher nicht mit aufs Waſſer geht, iſt beſtändig mit Kochen, Waſſerzutragen, Salzmahlen ꝛc. beſchäftigt. Gehen die Fiſche flott und zahlreich ins Netz, ſo ſchaffen ſie ſich auch andere Dinge an, kaufen ſich Hunde zur Bewachung ihrer Schätze, ein Volk Hühner, welches in die Wogen hineingackelt, Schafe zum Sonntagsbraten; gewöhnlich aber iſt das Meer ihre Speiſekammer, aus welchem Alles hervorgeht, was ihren Keſſel füllt.
Dicht am Rande der Brandung errichten ſie einen hohen Maſtbaum, welcher in etwas ſchiefer Richtung über das Meer ſich hinneigt; er iſt oben mit einer Art von Maſtkorb verſehen, und auf dieſer Warte ſitzt nun Einer von ihnen, welcher nach den heranziehenden Fiſchen blickt und ſogleich die nahenden Schaaren verkündet, damit der Fiſcher ihnen entgegen gehen kann. Es iſt ein reizender Sitz: wenn man nicht hinter ſich ſchaut, meint man gerade wie ein Vogel mitten über dem Meere zu ſchweben. Die Fiſcher finden auf der für einen unwiſſenden Nichtfiſcher durchaus ein- förmigen Meeresfläche unglaublich Viel zu beobachten und verkünden von ihrem hohen Maſtkorbe viele Dinge, von denen ein Anderer Nichts ſieht. Sie entdecken die nahenden Fiſchſchaaren ſchon aus großer Ferne und wiſſen jedesmal zu unterſcheiden, um welche Art von Fiſchen es ſich handelt. Jhre Haupteintheilung begreift rothe und weiße Fiſche, und unter erſteren verſtehen ſie die Störarten.
An ſolchen Orten wendet man zum Fange hauptſächlich Netze an. Ganz anders dagegen betreibt man den Fang der Störe zu anderen Zeiten und namentlich im Winter, wenn Eis die Flüſſe bedeckt, und die Störe, wie Lepechin ſagt, die Köpfe in den Schlamm eingebohrt, die Schwänze, wie ein dichter Wald von Palliſaden, in die Höhe gerichtet, Winterſchlaf halten. Die Fiſcher merken ſich laut Pallas, die tieferen Stellen des Fluſſes, auf denen ſich die Störe im Herbſte reihenweiſe zuſammenlegen, verſammeln ſich ſodann im Januar und berathſchlagen, nachdem ſie ſich einen Erlaubnißſchein zum Fiſchen erworben, über Tag, Ort und Art des Fiſchfanges. Auf das Zeichen
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Störfiſcherei.
hierüber ausführlichere Mittheilungen gemacht. Die vornehmſten Fiſchereien des Pontus, ſoweit
die ruſſiſche Herrſchaft reicht, befinden ſich nach Kohl an den Mündungen der großen Flüſſe, des
Dujeſtr, Dujepr, der Donau und in den Meerengen von Jenikale oder Kaffa, den großen Einbruchs-
thoren, vor denen ſich diejenigen Fiſche ſammeln, welche bei ihren verſchiedenen Lebensverrichtungen
ſowohl ſalziges als auch ſüßes Waſſer bedürfen. Jn den Meerengen tauſcht das eine Meer mit dem
andern ſeine Wanderer aus, und es drängen ſich die Fiſche hier ebenſo wie die Menſchen auf einer
ſchmalen Landenge zwiſchen zwei großen Ländern.
An allen dieſen Punkten ſind daher theils ſtehende Fiſcherdörfer, theils ſogenannte Fiſchereien
entſtanden, welche letztere im Frühlinge aufgeſtellt und im Herbſte wieder weggenommen werden.
Jrgend ein Großruſſe oder Grieche, welcher ſich Wirth der Fiſcherei nennt, miethet einen Küſtenſtrich
von dem benachbarten Beſitzer, erbaut eine geräumige Schilfhütte am Strande, kauft Fiſcherboote,
Netze und Alles, was ſonſt nöthig, ladet eine Anzahl anderer Ruſſen oder Griechen, Tataren, Mol-
dauer und Polen, je nachdem das eine oder andere Volk ſich in der Nähe befindet, zur Theilhaber-
ſchaft ein und ſetzt ſich mit ihnen für einen Sommer am Strande feſt. Der Wirth, welcher das
Kapital vorſchoß und auf welchen daher natürlich der größte Theil des Gewinnes oder Verluſtes fällt,
iſt freilich das Haupt und führt die meiſten Geſchäfte der Fiſcherei, hat dabei aber doch einen Kaſſirer
oder Buchhalter, welchen die übrigen Genoſſen ſich wählen, als Beaufſichtiger zur Seite. Dieſer
führt über alle Ein- und Verkäufe ebenſo Rechnung wie der Wirth und vertritt die übrige Geſell-
ſchaft. Die Hütten der Leute ſind ſehr geräumig und groß und ſtehen dicht am niederen Meeres-
ufer, jedoch außerhalb der höchſten Flutmarke. Jn ihnen ſtehen die Betten der Mannſchaft, welche
ſich zuweilen auf zwölf bis zwanzig Köpfe beläuft, im Hintergrunde die Fiſchbottiche, große Salz-
fäſſer und Mühlen zum Zermahlen des Salzes; vor allen Dingen aber ſorgen die Leute für ein
Heiligenbild, welches ſie im Jnnern über der Thür „aufhängen und deſſen kleine Lampe Tag und
Nacht ihre Hütte erhellt, wie das Bild ſelbſt das Jnnere ihres Geiſtes“ — woraus zu erkennen, daß
es ebenſowohl in der Hütte als im Jnnern des Geiſtes ſehr dunkel ſein muß. Zu beiden Seiten
der Thüre hängen beſtändig gefüllte Waſſergefäße. Draußen haben ſie einen Herd in die Erde
gegraben und ein alter dienender Geiſt, welcher nicht mit aufs Waſſer geht, iſt beſtändig mit Kochen,
Waſſerzutragen, Salzmahlen ꝛc. beſchäftigt. Gehen die Fiſche flott und zahlreich ins Netz, ſo ſchaffen
ſie ſich auch andere Dinge an, kaufen ſich Hunde zur Bewachung ihrer Schätze, ein Volk Hühner,
welches in die Wogen hineingackelt, Schafe zum Sonntagsbraten; gewöhnlich aber iſt das Meer ihre
Speiſekammer, aus welchem Alles hervorgeht, was ihren Keſſel füllt.
Dicht am Rande der Brandung errichten ſie einen hohen Maſtbaum, welcher in etwas ſchiefer
Richtung über das Meer ſich hinneigt; er iſt oben mit einer Art von Maſtkorb verſehen, und auf
dieſer Warte ſitzt nun Einer von ihnen, welcher nach den heranziehenden Fiſchen blickt und ſogleich die
nahenden Schaaren verkündet, damit der Fiſcher ihnen entgegen gehen kann. Es iſt ein reizender
Sitz: wenn man nicht hinter ſich ſchaut, meint man gerade wie ein Vogel mitten über dem
Meere zu ſchweben. Die Fiſcher finden auf der für einen unwiſſenden Nichtfiſcher durchaus ein-
förmigen Meeresfläche unglaublich Viel zu beobachten und verkünden von ihrem hohen Maſtkorbe
viele Dinge, von denen ein Anderer Nichts ſieht. Sie entdecken die nahenden Fiſchſchaaren ſchon aus
großer Ferne und wiſſen jedesmal zu unterſcheiden, um welche Art von Fiſchen es ſich handelt. Jhre
Haupteintheilung begreift rothe und weiße Fiſche, und unter erſteren verſtehen ſie die Störarten.
An ſolchen Orten wendet man zum Fange hauptſächlich Netze an. Ganz anders dagegen betreibt
man den Fang der Störe zu anderen Zeiten und namentlich im Winter, wenn Eis die Flüſſe bedeckt,
und die Störe, wie Lepechin ſagt, die Köpfe in den Schlamm eingebohrt, die Schwänze, wie ein
dichter Wald von Palliſaden, in die Höhe gerichtet, Winterſchlaf halten. Die Fiſcher merken ſich
laut Pallas, die tieferen Stellen des Fluſſes, auf denen ſich die Störe im Herbſte reihenweiſe
zuſammenlegen, verſammeln ſich ſodann im Januar und berathſchlagen, nachdem ſie ſich einen
Erlaubnißſchein zum Fiſchen erworben, über Tag, Ort und Art des Fiſchfanges. Auf das Zeichen
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 771. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/813>, abgerufen am 22.12.2024.
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