Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

Bild:
<< vorherige Seite
Spitzkrokodil.

"Für die Anwohner des Orinoko bilden die Gefahren, denen sie ausgesetzt sind, einen Gegenstand
der täglichen Unterhaltung. Sie haben die Sitten des Krokodils beobachtet, wie der Stierfechter die
Sitten des Stieres; sie wissen die Bewegungen der Echse, ihre Angriffsmittel, den Grad ihrer Keckheit
gleichsam voraus zu berechnen. Sehen sie sich bedroht, so greifen sie mit der Geistesgegenwart und
Entschlossenheit, welche den Jndianern und Zambos, überhaupt den Farbigen eigen sind, zu allen
den Mitteln, welche man sie von Kindheit auf kennen gelehrt. Jn Ländern, wo die Natur so gewaltig
und furchtbar erscheint, ist der Mensch beständig gegen die Gefahr gerüstet. Das junge indianische
Mädchen, welches sich selbst aus dem Rachen des Krokodils losgemacht, sagte: "ich wußte, daß mich
der Kaiman fahren ließ, wenn ich ihm die Finger in die Augen drückte." Dieses Mädchen gehörte
der dürftigen Volksklasse an, in welcher Gewöhnung an leibliche Noth die geistige Kraft steigert. Aber
wahrhaft überraschend ist es, wenn man in den von Erdbeben zerrütteten Ländern Frauen aus den
höchsten Gesellschaftsklassen in den Augenblicken der Gefahr dieselbe Ueberlegtheit und Entschlossenheit
entwickeln sieht.

"Da das Krokodil vermöge des Baues seines Kehlkopfes, des Zungenbeines und der Faltung
der Zunge die Beute unter Wasser wohl packen, aber nicht verschlingen kann, so verschwindet selten ein
Mensch, als daß man es nicht ganz nah der Stelle, wo das Unglück geschehen, nach ein paar Stunden
zum Vorschein kommen und seine Beute verschlingen sieht. Gleichwohl macht man selten Jagd auf
diese gefährlichen Raubthiere. Sie sind sehr schlau, daher nicht leicht zu erlegen. Ein Kugelschuß ist
nur dann tödtlich, wenn er in den Rachen oder in die Achselhöhle trifft (?). Die Jndianer, welche
sich selten der Feuerwaffe bedienen, greifen sie mit Lanzen an, sobald sie an starke, spitze, eiserne, mit
Fleisch geköderte und mittels einer Kette an Baumstämme befestigte Haken angebissen haben, gehen
ihnen aber erst dann zu Leibe, wenn sie sich lange abgemüht haben, um von dem Eisen loszukommen. --
Es ist nicht wahrscheinlich, daß man es je dahin bringt, das Land von Krokodilen zu säubern, da in
einem Wirrsale zahlloser Flüsse Tag für Tag neue Schwärme vom Ostabhange der Anden über den
Meta und den Apure an den Küsten von spanisch Guyana herabkommen. Der Fortschritt der
Gesittung wird blos das Eine bewirken, daß die Thiere scheuer und leichter zu verscheuchen
sein werden."

Aus den erlegten Krokodilen scheint man in Südamerika wenig Vortheil ziehen zu können;
Humboldt erwähnt nur, daß man Kaimansfett für ein vortreffliches Abführmittel hält und das
weiße Fleisch wenigstens hier und da gern ißt.

Außer dem Menschen haben die Spitzkrokodile wenig Feinde, welche ihnen gefährlich werden
können. Es wird Mancherlei erzählt von Kämpfen zwischen ihnen und den großen Wasserschlangen;
die Berichte verdienen jedoch, meiner Ansicht nach, nicht den geringsten Glauben. Jm allgemeinen
bekümmern sich auch diese Krokodile nur um diejenigen Thiere, welche ihnen Beute versprechen,
während die übrigen sie vollständig gleichgültig lassen. Humboldt erzählt, daß er kleine, schnee-
weiße Reiher auf ihrem Rücken, ja sogar auf ihrem Kopfe umherlaufen sah, ohne daß sie denselben
Beachtung schenken, lehrt uns also ein ganz ähnliches Verhältniß kennen, wie es zwischen dem
Nilkrokodile und seinem Wächter besteht. Lärmende Mitbewohner ihres Gewässers scheinen ihnen
dagegen nicht zu behagen: Humboldt sah sie untertauchen, wenn Seedelfine in ihre Nähe kamen.
Alte Krokodile sind, wie leicht erklärlich, gegen die Angriffe anderer Thiere hinlänglich geschützt; den
Jungen aber stellen verschiedene Sumpfvögel und, wie wir oben (B. III, S. 583) gesehen haben,
auch die Rabengeier mit Eifer und Geschick nach.

Ueber die Fortpflanzung gibt schon der alte Ulloa Auskunft. Sie legen, erzählt er, binnen
zwei Tagen wenigstens hundert Eier in ein Loch im Sande, decken es zu und wälzen sich darüber, um
die Spuren zu verbergen. Hierauf entfernen sie sich einige Tage, kommen sodann in Begleitung des
Männchens zurück, scharren den. Sand auf und zerbrechen die Schalen. Die Mutter setzt die Jungen
auf den Rücken und trägt sie ins Wasser. Unterwegs holt der Rabengeier einige weg, und auch das
Männchen frißt soviel als es kann; ja sogar die Mutter verzehrt diejenigen, welche herunterfallen

Brehm, Thierleben. V. 6
Spitzkrokodil.

„Für die Anwohner des Orinoko bilden die Gefahren, denen ſie ausgeſetzt ſind, einen Gegenſtand
der täglichen Unterhaltung. Sie haben die Sitten des Krokodils beobachtet, wie der Stierfechter die
Sitten des Stieres; ſie wiſſen die Bewegungen der Echſe, ihre Angriffsmittel, den Grad ihrer Keckheit
gleichſam voraus zu berechnen. Sehen ſie ſich bedroht, ſo greifen ſie mit der Geiſtesgegenwart und
Entſchloſſenheit, welche den Jndianern und Zambos, überhaupt den Farbigen eigen ſind, zu allen
den Mitteln, welche man ſie von Kindheit auf kennen gelehrt. Jn Ländern, wo die Natur ſo gewaltig
und furchtbar erſcheint, iſt der Menſch beſtändig gegen die Gefahr gerüſtet. Das junge indianiſche
Mädchen, welches ſich ſelbſt aus dem Rachen des Krokodils losgemacht, ſagte: „ich wußte, daß mich
der Kaiman fahren ließ, wenn ich ihm die Finger in die Augen drückte.“ Dieſes Mädchen gehörte
der dürftigen Volksklaſſe an, in welcher Gewöhnung an leibliche Noth die geiſtige Kraft ſteigert. Aber
wahrhaft überraſchend iſt es, wenn man in den von Erdbeben zerrütteten Ländern Frauen aus den
höchſten Geſellſchaftsklaſſen in den Augenblicken der Gefahr dieſelbe Ueberlegtheit und Entſchloſſenheit
entwickeln ſieht.

„Da das Krokodil vermöge des Baues ſeines Kehlkopfes, des Zungenbeines und der Faltung
der Zunge die Beute unter Waſſer wohl packen, aber nicht verſchlingen kann, ſo verſchwindet ſelten ein
Menſch, als daß man es nicht ganz nah der Stelle, wo das Unglück geſchehen, nach ein paar Stunden
zum Vorſchein kommen und ſeine Beute verſchlingen ſieht. Gleichwohl macht man ſelten Jagd auf
dieſe gefährlichen Raubthiere. Sie ſind ſehr ſchlau, daher nicht leicht zu erlegen. Ein Kugelſchuß iſt
nur dann tödtlich, wenn er in den Rachen oder in die Achſelhöhle trifft (?). Die Jndianer, welche
ſich ſelten der Feuerwaffe bedienen, greifen ſie mit Lanzen an, ſobald ſie an ſtarke, ſpitze, eiſerne, mit
Fleiſch geköderte und mittels einer Kette an Baumſtämme befeſtigte Haken angebiſſen haben, gehen
ihnen aber erſt dann zu Leibe, wenn ſie ſich lange abgemüht haben, um von dem Eiſen loszukommen. —
Es iſt nicht wahrſcheinlich, daß man es je dahin bringt, das Land von Krokodilen zu ſäubern, da in
einem Wirrſale zahlloſer Flüſſe Tag für Tag neue Schwärme vom Oſtabhange der Anden über den
Meta und den Apure an den Küſten von ſpaniſch Guyana herabkommen. Der Fortſchritt der
Geſittung wird blos das Eine bewirken, daß die Thiere ſcheuer und leichter zu verſcheuchen
ſein werden.“

Aus den erlegten Krokodilen ſcheint man in Südamerika wenig Vortheil ziehen zu können;
Humboldt erwähnt nur, daß man Kaimansfett für ein vortreffliches Abführmittel hält und das
weiße Fleiſch wenigſtens hier und da gern ißt.

Außer dem Menſchen haben die Spitzkrokodile wenig Feinde, welche ihnen gefährlich werden
können. Es wird Mancherlei erzählt von Kämpfen zwiſchen ihnen und den großen Waſſerſchlangen;
die Berichte verdienen jedoch, meiner Anſicht nach, nicht den geringſten Glauben. Jm allgemeinen
bekümmern ſich auch dieſe Krokodile nur um diejenigen Thiere, welche ihnen Beute verſprechen,
während die übrigen ſie vollſtändig gleichgültig laſſen. Humboldt erzählt, daß er kleine, ſchnee-
weiße Reiher auf ihrem Rücken, ja ſogar auf ihrem Kopfe umherlaufen ſah, ohne daß ſie denſelben
Beachtung ſchenken, lehrt uns alſo ein ganz ähnliches Verhältniß kennen, wie es zwiſchen dem
Nilkrokodile und ſeinem Wächter beſteht. Lärmende Mitbewohner ihres Gewäſſers ſcheinen ihnen
dagegen nicht zu behagen: Humboldt ſah ſie untertauchen, wenn Seedelfine in ihre Nähe kamen.
Alte Krokodile ſind, wie leicht erklärlich, gegen die Angriffe anderer Thiere hinlänglich geſchützt; den
Jungen aber ſtellen verſchiedene Sumpfvögel und, wie wir oben (B. III, S. 583) geſehen haben,
auch die Rabengeier mit Eifer und Geſchick nach.

Ueber die Fortpflanzung gibt ſchon der alte Ulloa Auskunft. Sie legen, erzählt er, binnen
zwei Tagen wenigſtens hundert Eier in ein Loch im Sande, decken es zu und wälzen ſich darüber, um
die Spuren zu verbergen. Hierauf entfernen ſie ſich einige Tage, kommen ſodann in Begleitung des
Männchens zurück, ſcharren den. Sand auf und zerbrechen die Schalen. Die Mutter ſetzt die Jungen
auf den Rücken und trägt ſie ins Waſſer. Unterwegs holt der Rabengeier einige weg, und auch das
Männchen frißt ſoviel als es kann; ja ſogar die Mutter verzehrt diejenigen, welche herunterfallen

Brehm, Thierleben. V. 6
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0097" n="81"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Spitzkrokodil.</hi> </fw><lb/>
            <p>&#x201E;Für die Anwohner des Orinoko bilden die Gefahren, denen &#x017F;ie ausge&#x017F;etzt &#x017F;ind, einen Gegen&#x017F;tand<lb/>
der täglichen Unterhaltung. Sie haben die Sitten des Krokodils beobachtet, wie der Stierfechter die<lb/>
Sitten des Stieres; &#x017F;ie wi&#x017F;&#x017F;en die Bewegungen der Ech&#x017F;e, ihre Angriffsmittel, den Grad ihrer Keckheit<lb/>
gleich&#x017F;am voraus zu berechnen. Sehen &#x017F;ie &#x017F;ich bedroht, &#x017F;o greifen &#x017F;ie mit der Gei&#x017F;tesgegenwart und<lb/>
Ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enheit, welche den Jndianern und Zambos, überhaupt den Farbigen eigen &#x017F;ind, zu allen<lb/>
den Mitteln, welche man &#x017F;ie von Kindheit auf kennen gelehrt. Jn Ländern, wo die Natur &#x017F;o gewaltig<lb/>
und furchtbar er&#x017F;cheint, i&#x017F;t der Men&#x017F;ch be&#x017F;tändig gegen die Gefahr gerü&#x017F;tet. Das junge indiani&#x017F;che<lb/>
Mädchen, welches &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t aus dem Rachen des Krokodils losgemacht, &#x017F;agte: &#x201E;ich wußte, daß mich<lb/>
der Kaiman fahren ließ, wenn ich ihm die Finger in die Augen drückte.&#x201C; Die&#x017F;es Mädchen gehörte<lb/>
der dürftigen Volkskla&#x017F;&#x017F;e an, in welcher Gewöhnung an leibliche Noth die gei&#x017F;tige Kraft &#x017F;teigert. Aber<lb/>
wahrhaft überra&#x017F;chend i&#x017F;t es, wenn man in den von Erdbeben zerrütteten Ländern Frauen aus den<lb/>
höch&#x017F;ten Ge&#x017F;ell&#x017F;chaftskla&#x017F;&#x017F;en in den Augenblicken der Gefahr die&#x017F;elbe Ueberlegtheit und Ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enheit<lb/>
entwickeln &#x017F;ieht.</p><lb/>
            <p>&#x201E;Da das Krokodil vermöge des Baues &#x017F;eines Kehlkopfes, des Zungenbeines und der Faltung<lb/>
der Zunge die Beute unter Wa&#x017F;&#x017F;er wohl packen, aber nicht ver&#x017F;chlingen kann, &#x017F;o ver&#x017F;chwindet &#x017F;elten ein<lb/>
Men&#x017F;ch, als daß man es nicht ganz nah der Stelle, wo das Unglück ge&#x017F;chehen, nach ein paar Stunden<lb/>
zum Vor&#x017F;chein kommen und &#x017F;eine Beute ver&#x017F;chlingen &#x017F;ieht. Gleichwohl macht man &#x017F;elten Jagd auf<lb/>
die&#x017F;e gefährlichen Raubthiere. Sie &#x017F;ind &#x017F;ehr &#x017F;chlau, daher nicht leicht zu erlegen. Ein Kugel&#x017F;chuß i&#x017F;t<lb/>
nur dann tödtlich, wenn er in den Rachen oder in die Ach&#x017F;elhöhle trifft (?). Die Jndianer, welche<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elten der Feuerwaffe bedienen, greifen &#x017F;ie mit Lanzen an, &#x017F;obald &#x017F;ie an &#x017F;tarke, &#x017F;pitze, ei&#x017F;erne, mit<lb/>
Flei&#x017F;ch geköderte und mittels einer Kette an Baum&#x017F;tämme befe&#x017F;tigte Haken angebi&#x017F;&#x017F;en haben, gehen<lb/>
ihnen aber er&#x017F;t dann zu Leibe, wenn &#x017F;ie &#x017F;ich lange abgemüht haben, um von dem Ei&#x017F;en loszukommen. &#x2014;<lb/>
Es i&#x017F;t nicht wahr&#x017F;cheinlich, daß man es je dahin bringt, das Land von Krokodilen zu &#x017F;äubern, da in<lb/>
einem Wirr&#x017F;ale zahllo&#x017F;er Flü&#x017F;&#x017F;e Tag für Tag neue Schwärme vom O&#x017F;tabhange der Anden über den<lb/>
Meta und den Apure an den Kü&#x017F;ten von &#x017F;pani&#x017F;ch Guyana herabkommen. Der Fort&#x017F;chritt der<lb/>
Ge&#x017F;ittung wird blos das Eine bewirken, daß die Thiere &#x017F;cheuer und leichter zu ver&#x017F;cheuchen<lb/>
&#x017F;ein werden.&#x201C;</p><lb/>
            <p>Aus den erlegten Krokodilen &#x017F;cheint man in Südamerika wenig Vortheil ziehen zu können;<lb/><hi rendition="#g">Humboldt</hi> erwähnt nur, daß man Kaimansfett für ein vortreffliches Abführmittel hält und das<lb/>
weiße Flei&#x017F;ch wenig&#x017F;tens hier und da gern ißt.</p><lb/>
            <p>Außer dem Men&#x017F;chen haben die Spitzkrokodile wenig Feinde, welche ihnen gefährlich werden<lb/>
können. Es wird Mancherlei erzählt von Kämpfen zwi&#x017F;chen ihnen und den großen Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;chlangen;<lb/>
die Berichte verdienen jedoch, meiner An&#x017F;icht nach, nicht den gering&#x017F;ten Glauben. Jm allgemeinen<lb/>
bekümmern &#x017F;ich auch die&#x017F;e Krokodile nur um diejenigen Thiere, welche ihnen Beute ver&#x017F;prechen,<lb/>
während die übrigen &#x017F;ie voll&#x017F;tändig gleichgültig la&#x017F;&#x017F;en. <hi rendition="#g">Humboldt</hi> erzählt, daß er kleine, &#x017F;chnee-<lb/>
weiße Reiher auf ihrem Rücken, ja &#x017F;ogar auf ihrem Kopfe umherlaufen &#x017F;ah, ohne daß &#x017F;ie den&#x017F;elben<lb/>
Beachtung &#x017F;chenken, lehrt uns al&#x017F;o ein ganz ähnliches Verhältniß kennen, wie es zwi&#x017F;chen dem<lb/>
Nilkrokodile und &#x017F;einem Wächter be&#x017F;teht. Lärmende Mitbewohner ihres Gewä&#x017F;&#x017F;ers &#x017F;cheinen ihnen<lb/>
dagegen nicht zu behagen: <hi rendition="#g">Humboldt</hi> &#x017F;ah &#x017F;ie untertauchen, wenn Seedelfine in ihre Nähe kamen.<lb/>
Alte Krokodile &#x017F;ind, wie leicht erklärlich, gegen die Angriffe anderer Thiere hinlänglich ge&#x017F;chützt; den<lb/>
Jungen aber &#x017F;tellen ver&#x017F;chiedene Sumpfvögel und, wie wir oben (B. <hi rendition="#aq">III,</hi> S. 583) ge&#x017F;ehen haben,<lb/>
auch die Rabengeier mit Eifer und Ge&#x017F;chick nach.</p><lb/>
            <p>Ueber die Fortpflanzung gibt &#x017F;chon der alte <hi rendition="#g">Ulloa</hi> Auskunft. Sie legen, erzählt er, binnen<lb/>
zwei Tagen wenig&#x017F;tens hundert Eier in ein Loch im Sande, decken es zu und wälzen &#x017F;ich darüber, um<lb/>
die Spuren zu verbergen. Hierauf entfernen &#x017F;ie &#x017F;ich einige Tage, kommen &#x017F;odann in Begleitung des<lb/>
Männchens zurück, &#x017F;charren den. Sand auf und zerbrechen die Schalen. Die Mutter &#x017F;etzt die Jungen<lb/>
auf den Rücken und trägt &#x017F;ie ins Wa&#x017F;&#x017F;er. Unterwegs holt der Rabengeier einige weg, und auch das<lb/>
Männchen frißt &#x017F;oviel als es kann; ja &#x017F;ogar die Mutter verzehrt diejenigen, welche herunterfallen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Brehm,</hi> Thierleben. <hi rendition="#aq">V.</hi> 6</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[81/0097] Spitzkrokodil. „Für die Anwohner des Orinoko bilden die Gefahren, denen ſie ausgeſetzt ſind, einen Gegenſtand der täglichen Unterhaltung. Sie haben die Sitten des Krokodils beobachtet, wie der Stierfechter die Sitten des Stieres; ſie wiſſen die Bewegungen der Echſe, ihre Angriffsmittel, den Grad ihrer Keckheit gleichſam voraus zu berechnen. Sehen ſie ſich bedroht, ſo greifen ſie mit der Geiſtesgegenwart und Entſchloſſenheit, welche den Jndianern und Zambos, überhaupt den Farbigen eigen ſind, zu allen den Mitteln, welche man ſie von Kindheit auf kennen gelehrt. Jn Ländern, wo die Natur ſo gewaltig und furchtbar erſcheint, iſt der Menſch beſtändig gegen die Gefahr gerüſtet. Das junge indianiſche Mädchen, welches ſich ſelbſt aus dem Rachen des Krokodils losgemacht, ſagte: „ich wußte, daß mich der Kaiman fahren ließ, wenn ich ihm die Finger in die Augen drückte.“ Dieſes Mädchen gehörte der dürftigen Volksklaſſe an, in welcher Gewöhnung an leibliche Noth die geiſtige Kraft ſteigert. Aber wahrhaft überraſchend iſt es, wenn man in den von Erdbeben zerrütteten Ländern Frauen aus den höchſten Geſellſchaftsklaſſen in den Augenblicken der Gefahr dieſelbe Ueberlegtheit und Entſchloſſenheit entwickeln ſieht. „Da das Krokodil vermöge des Baues ſeines Kehlkopfes, des Zungenbeines und der Faltung der Zunge die Beute unter Waſſer wohl packen, aber nicht verſchlingen kann, ſo verſchwindet ſelten ein Menſch, als daß man es nicht ganz nah der Stelle, wo das Unglück geſchehen, nach ein paar Stunden zum Vorſchein kommen und ſeine Beute verſchlingen ſieht. Gleichwohl macht man ſelten Jagd auf dieſe gefährlichen Raubthiere. Sie ſind ſehr ſchlau, daher nicht leicht zu erlegen. Ein Kugelſchuß iſt nur dann tödtlich, wenn er in den Rachen oder in die Achſelhöhle trifft (?). Die Jndianer, welche ſich ſelten der Feuerwaffe bedienen, greifen ſie mit Lanzen an, ſobald ſie an ſtarke, ſpitze, eiſerne, mit Fleiſch geköderte und mittels einer Kette an Baumſtämme befeſtigte Haken angebiſſen haben, gehen ihnen aber erſt dann zu Leibe, wenn ſie ſich lange abgemüht haben, um von dem Eiſen loszukommen. — Es iſt nicht wahrſcheinlich, daß man es je dahin bringt, das Land von Krokodilen zu ſäubern, da in einem Wirrſale zahlloſer Flüſſe Tag für Tag neue Schwärme vom Oſtabhange der Anden über den Meta und den Apure an den Küſten von ſpaniſch Guyana herabkommen. Der Fortſchritt der Geſittung wird blos das Eine bewirken, daß die Thiere ſcheuer und leichter zu verſcheuchen ſein werden.“ Aus den erlegten Krokodilen ſcheint man in Südamerika wenig Vortheil ziehen zu können; Humboldt erwähnt nur, daß man Kaimansfett für ein vortreffliches Abführmittel hält und das weiße Fleiſch wenigſtens hier und da gern ißt. Außer dem Menſchen haben die Spitzkrokodile wenig Feinde, welche ihnen gefährlich werden können. Es wird Mancherlei erzählt von Kämpfen zwiſchen ihnen und den großen Waſſerſchlangen; die Berichte verdienen jedoch, meiner Anſicht nach, nicht den geringſten Glauben. Jm allgemeinen bekümmern ſich auch dieſe Krokodile nur um diejenigen Thiere, welche ihnen Beute verſprechen, während die übrigen ſie vollſtändig gleichgültig laſſen. Humboldt erzählt, daß er kleine, ſchnee- weiße Reiher auf ihrem Rücken, ja ſogar auf ihrem Kopfe umherlaufen ſah, ohne daß ſie denſelben Beachtung ſchenken, lehrt uns alſo ein ganz ähnliches Verhältniß kennen, wie es zwiſchen dem Nilkrokodile und ſeinem Wächter beſteht. Lärmende Mitbewohner ihres Gewäſſers ſcheinen ihnen dagegen nicht zu behagen: Humboldt ſah ſie untertauchen, wenn Seedelfine in ihre Nähe kamen. Alte Krokodile ſind, wie leicht erklärlich, gegen die Angriffe anderer Thiere hinlänglich geſchützt; den Jungen aber ſtellen verſchiedene Sumpfvögel und, wie wir oben (B. III, S. 583) geſehen haben, auch die Rabengeier mit Eifer und Geſchick nach. Ueber die Fortpflanzung gibt ſchon der alte Ulloa Auskunft. Sie legen, erzählt er, binnen zwei Tagen wenigſtens hundert Eier in ein Loch im Sande, decken es zu und wälzen ſich darüber, um die Spuren zu verbergen. Hierauf entfernen ſie ſich einige Tage, kommen ſodann in Begleitung des Männchens zurück, ſcharren den. Sand auf und zerbrechen die Schalen. Die Mutter ſetzt die Jungen auf den Rücken und trägt ſie ins Waſſer. Unterwegs holt der Rabengeier einige weg, und auch das Männchen frißt ſoviel als es kann; ja ſogar die Mutter verzehrt diejenigen, welche herunterfallen Brehm, Thierleben. V. 6

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/97
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/97>, abgerufen am 22.12.2024.