Weise zu Markte bringen. Große Scheite werden in den Fluß geworfen und treiben mit der Strömung fort, und der Eigenthümer mit seinem ältesten Sohne schwimmt bald hier, bald dorthin, um die Stücke, welche in den Flußkrümmungen stecken bleiben, wieder flott zu machen. Jn den meisten Flüssen, in denen Krokodile vorkommen, verbietet sich ein solches Verfahren von selbst....
"Jm Magen eines elf Fuß langen Krokodils, welches Bonpland und ich zergliederten, fanden wir halbverdaute Fische und drei bis vier Zoll starke, runde Granitstücke. Es ist nicht anzunehmen, daß die Krokodile diese Steine zufällig verschlucken; denn wenn sie die Fische auf dem Grunde des Flusses packen, ruht ihre untere Kinnlade nicht auf dem Boden. Die Jndianer haben die abgeschmackte Jdee ausgeheckt, diese trägen Thiere machten sich gern schwer, um leichter tauchen zu können. Jch glaube, daß sie große Kiesel in ihrem Magen aufnehmen, um dadurch eine reichliche Absonderung des Magensaftes herbei zu führen; Magenti's Versuche sprechen für diese Auffassung.... Jm Apure finden sie reichlich Nahrung in den Wasserschweinen, welche in Rudeln von funfzig bis sechzig Stück an den Flußufern leben. Diese unglücklichen Thiere besitzen keinerlei Waffen, sich zu wehren; sie schwimmen etwas besser als sie laufen, aber auf dem Wasser werden sie eine Beute der Krokodile und auf dem Lande von den Jaguaren gefressen. Man begreift kaum, wie sie bei den Nachstellungen zweier so gewaltigen Feinde so zahlreich sein können.... Zu unserer Ueberraschung sahen wir ein mächtiges Krokodil mitten unter diesen Nagethieren regungslos daliegen und schlafen; es erwachte, als wir mit unserer Pirogue näher kamen und ging langsam dem Wasser zu, ohne daß die Wasserschweine unruhig wurden. Unsere Jndianer sahen den Grund dieser Gleichgültigkeit in der Dummheit der Thiere; wahrscheinlich aber wissen die Wasserschweine aus langer Erfahrung, daß das Krokodil des Apure und Orinoko auf dem Lande nicht angreift; der Gegenstand, den es packen will, müßte ihm denn im augenblicke, an welchem es sich ins Wasser wirft, in den Weg kommen....
"Weit mehr Menschen, als man in Europa glaubt, werden alljährlich Opfer ihrer Unvorsichtigkeit und der Gier der Krokodile, besonders in denjenigen Dörfern, deren Umgegend öfter Ueberschwemmungen ausgesetzt ist. Dieselben Krokodile halten sich lange an dem nämlichen Orte auf und werden von Jahr zu Jahr kecker, nach Behauptung der Jndianer zumal dann, wenn sie einmal Menschenfleisch gekostet haben.... Die Jndianer sagten uns, in San Fernando vergehe nicht leicht ein Jahr, in welchem nicht zwei, drei erwachsene Menschen, namentlich Weiber beim Wasserschöpfen am Flusse, von diesen fleischfressenden Echsen zerrissen würden. Man erzählte uns die Geschichte eines jungen Mädchens aus Urituku, welches sich durch unerhörte Unerschrockenheit und Geistesgegenwart aus dem Rachen eines Krokodils gerettet. Sobald es sich gepackt fühlte, griff es nach dem Auge des Thieres und stieß die Finger mit solcher Gewalt in dasselbe, daß das Krokodil es fahren ließ, nachdem es ihm den linken Vorderarm abgerissen. Trotz des ungeheuern Blutverlustes gelangte die Jndianerin, mit der übrig gebliebenen Hand schwimmend, glücklich aus Ufer.... Ein Guayqueri-Jndianer von der Jnsel Margarita wollte seine Pirogue in einer Bucht anbinden, welche nicht drei Fuß tief war. Ein sehr wildes Krokodil, welches immer in der Gegend umherstrich, packte ihn am Beine und schwamm, auf der Oberfläche bleibend, vom Ufer weg. Das Geschrei des Jndianers zog eine Menge Zuschauer herbei. Man sah, wie der Unglückliche mit unerhörter Entschlossenheit zuerst ein Messer in der Tasche seines Beinkleides suchte und hierauf, als er dasselbe nicht gefunden, den Kopf des Krokodils packte und ihm die Finger in die Augen stieß. Der Guayqueri war aber nicht so glücklich wie das Mädchen in Urituku: das Krokodil öffnete den Rachen nicht, um seine Beute fahren zu lassen. Jm Schmerz tauchte es zwar unter, und ertränkte den Jndianer, erschien aber wieder auf der Wasserfläche und schleppte den Leichnam auf eine Jnsel dem Hafen gegenüber. -- Man erzählt rührende Fälle, in denen afrikanische Sklaven sich aufopferten, um ihren Herren, welche in den Rachen eines Krokodils gerathen waren, das Leben zu retten. Vor einigen Jahren ergriff in den Llanos von Calobozos ein Neger auf das Geschrei seines Herrn ein langes Messer und sprang in den Fluß, stach dem Thiere die Augen aus und zwang es so, seine Beute fahren zu lassen. Der Sklave trug den sterbenden Herrn aus Ufer, aber alle Versuche, ihn wieder zum Leben zu bringen, blieben fruchtlos: er war ertrunken.
Die Panzerechſen. Krokodile.
Weiſe zu Markte bringen. Große Scheite werden in den Fluß geworfen und treiben mit der Strömung fort, und der Eigenthümer mit ſeinem älteſten Sohne ſchwimmt bald hier, bald dorthin, um die Stücke, welche in den Flußkrümmungen ſtecken bleiben, wieder flott zu machen. Jn den meiſten Flüſſen, in denen Krokodile vorkommen, verbietet ſich ein ſolches Verfahren von ſelbſt....
„Jm Magen eines elf Fuß langen Krokodils, welches Bonpland und ich zergliederten, fanden wir halbverdaute Fiſche und drei bis vier Zoll ſtarke, runde Granitſtücke. Es iſt nicht anzunehmen, daß die Krokodile dieſe Steine zufällig verſchlucken; denn wenn ſie die Fiſche auf dem Grunde des Fluſſes packen, ruht ihre untere Kinnlade nicht auf dem Boden. Die Jndianer haben die abgeſchmackte Jdee ausgeheckt, dieſe trägen Thiere machten ſich gern ſchwer, um leichter tauchen zu können. Jch glaube, daß ſie große Kieſel in ihrem Magen aufnehmen, um dadurch eine reichliche Abſonderung des Magenſaftes herbei zu führen; Magenti’s Verſuche ſprechen für dieſe Auffaſſung.... Jm Apure finden ſie reichlich Nahrung in den Waſſerſchweinen, welche in Rudeln von funfzig bis ſechzig Stück an den Flußufern leben. Dieſe unglücklichen Thiere beſitzen keinerlei Waffen, ſich zu wehren; ſie ſchwimmen etwas beſſer als ſie laufen, aber auf dem Waſſer werden ſie eine Beute der Krokodile und auf dem Lande von den Jaguaren gefreſſen. Man begreift kaum, wie ſie bei den Nachſtellungen zweier ſo gewaltigen Feinde ſo zahlreich ſein können.... Zu unſerer Ueberraſchung ſahen wir ein mächtiges Krokodil mitten unter dieſen Nagethieren regungslos daliegen und ſchlafen; es erwachte, als wir mit unſerer Pirogue näher kamen und ging langſam dem Waſſer zu, ohne daß die Waſſerſchweine unruhig wurden. Unſere Jndianer ſahen den Grund dieſer Gleichgültigkeit in der Dummheit der Thiere; wahrſcheinlich aber wiſſen die Waſſerſchweine aus langer Erfahrung, daß das Krokodil des Apure und Orinoko auf dem Lande nicht angreift; der Gegenſtand, den es packen will, müßte ihm denn im augenblicke, an welchem es ſich ins Waſſer wirft, in den Weg kommen....
„Weit mehr Menſchen, als man in Europa glaubt, werden alljährlich Opfer ihrer Unvorſichtigkeit und der Gier der Krokodile, beſonders in denjenigen Dörfern, deren Umgegend öfter Ueberſchwemmungen ausgeſetzt iſt. Dieſelben Krokodile halten ſich lange an dem nämlichen Orte auf und werden von Jahr zu Jahr kecker, nach Behauptung der Jndianer zumal dann, wenn ſie einmal Menſchenfleiſch gekoſtet haben.... Die Jndianer ſagten uns, in San Fernando vergehe nicht leicht ein Jahr, in welchem nicht zwei, drei erwachſene Menſchen, namentlich Weiber beim Waſſerſchöpfen am Fluſſe, von dieſen fleiſchfreſſenden Echſen zerriſſen würden. Man erzählte uns die Geſchichte eines jungen Mädchens aus Urituku, welches ſich durch unerhörte Unerſchrockenheit und Geiſtesgegenwart aus dem Rachen eines Krokodils gerettet. Sobald es ſich gepackt fühlte, griff es nach dem Auge des Thieres und ſtieß die Finger mit ſolcher Gewalt in daſſelbe, daß das Krokodil es fahren ließ, nachdem es ihm den linken Vorderarm abgeriſſen. Trotz des ungeheuern Blutverluſtes gelangte die Jndianerin, mit der übrig gebliebenen Hand ſchwimmend, glücklich aus Ufer.... Ein Guayqueri-Jndianer von der Jnſel Margarita wollte ſeine Pirogue in einer Bucht anbinden, welche nicht drei Fuß tief war. Ein ſehr wildes Krokodil, welches immer in der Gegend umherſtrich, packte ihn am Beine und ſchwamm, auf der Oberfläche bleibend, vom Ufer weg. Das Geſchrei des Jndianers zog eine Menge Zuſchauer herbei. Man ſah, wie der Unglückliche mit unerhörter Entſchloſſenheit zuerſt ein Meſſer in der Taſche ſeines Beinkleides ſuchte und hierauf, als er daſſelbe nicht gefunden, den Kopf des Krokodils packte und ihm die Finger in die Augen ſtieß. Der Guayqueri war aber nicht ſo glücklich wie das Mädchen in Urituku: das Krokodil öffnete den Rachen nicht, um ſeine Beute fahren zu laſſen. Jm Schmerz tauchte es zwar unter, und ertränkte den Jndianer, erſchien aber wieder auf der Waſſerfläche und ſchleppte den Leichnam auf eine Jnſel dem Hafen gegenüber. — Man erzählt rührende Fälle, in denen afrikaniſche Sklaven ſich aufopferten, um ihren Herren, welche in den Rachen eines Krokodils gerathen waren, das Leben zu retten. Vor einigen Jahren ergriff in den Llanos von Calobozos ein Neger auf das Geſchrei ſeines Herrn ein langes Meſſer und ſprang in den Fluß, ſtach dem Thiere die Augen aus und zwang es ſo, ſeine Beute fahren zu laſſen. Der Sklave trug den ſterbenden Herrn aus Ufer, aber alle Verſuche, ihn wieder zum Leben zu bringen, blieben fruchtlos: er war ertrunken.
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[80/0096]
Die Panzerechſen. Krokodile.
Weiſe zu Markte bringen. Große Scheite werden in den Fluß geworfen und treiben mit der Strömung
fort, und der Eigenthümer mit ſeinem älteſten Sohne ſchwimmt bald hier, bald dorthin, um die
Stücke, welche in den Flußkrümmungen ſtecken bleiben, wieder flott zu machen. Jn den meiſten
Flüſſen, in denen Krokodile vorkommen, verbietet ſich ein ſolches Verfahren von ſelbſt....
„Jm Magen eines elf Fuß langen Krokodils, welches Bonpland und ich zergliederten, fanden
wir halbverdaute Fiſche und drei bis vier Zoll ſtarke, runde Granitſtücke. Es iſt nicht anzunehmen,
daß die Krokodile dieſe Steine zufällig verſchlucken; denn wenn ſie die Fiſche auf dem Grunde des
Fluſſes packen, ruht ihre untere Kinnlade nicht auf dem Boden. Die Jndianer haben die abgeſchmackte
Jdee ausgeheckt, dieſe trägen Thiere machten ſich gern ſchwer, um leichter tauchen zu können. Jch
glaube, daß ſie große Kieſel in ihrem Magen aufnehmen, um dadurch eine reichliche Abſonderung des
Magenſaftes herbei zu führen; Magenti’s Verſuche ſprechen für dieſe Auffaſſung.... Jm Apure
finden ſie reichlich Nahrung in den Waſſerſchweinen, welche in Rudeln von funfzig bis ſechzig Stück
an den Flußufern leben. Dieſe unglücklichen Thiere beſitzen keinerlei Waffen, ſich zu wehren; ſie
ſchwimmen etwas beſſer als ſie laufen, aber auf dem Waſſer werden ſie eine Beute der Krokodile und
auf dem Lande von den Jaguaren gefreſſen. Man begreift kaum, wie ſie bei den Nachſtellungen zweier
ſo gewaltigen Feinde ſo zahlreich ſein können.... Zu unſerer Ueberraſchung ſahen wir ein mächtiges
Krokodil mitten unter dieſen Nagethieren regungslos daliegen und ſchlafen; es erwachte, als wir mit
unſerer Pirogue näher kamen und ging langſam dem Waſſer zu, ohne daß die Waſſerſchweine unruhig
wurden. Unſere Jndianer ſahen den Grund dieſer Gleichgültigkeit in der Dummheit der Thiere;
wahrſcheinlich aber wiſſen die Waſſerſchweine aus langer Erfahrung, daß das Krokodil des Apure
und Orinoko auf dem Lande nicht angreift; der Gegenſtand, den es packen will, müßte ihm denn im
augenblicke, an welchem es ſich ins Waſſer wirft, in den Weg kommen....
„Weit mehr Menſchen, als man in Europa glaubt, werden alljährlich Opfer ihrer Unvorſichtigkeit
und der Gier der Krokodile, beſonders in denjenigen Dörfern, deren Umgegend öfter Ueberſchwemmungen
ausgeſetzt iſt. Dieſelben Krokodile halten ſich lange an dem nämlichen Orte auf und werden von
Jahr zu Jahr kecker, nach Behauptung der Jndianer zumal dann, wenn ſie einmal Menſchenfleiſch
gekoſtet haben.... Die Jndianer ſagten uns, in San Fernando vergehe nicht leicht ein Jahr, in
welchem nicht zwei, drei erwachſene Menſchen, namentlich Weiber beim Waſſerſchöpfen am Fluſſe, von
dieſen fleiſchfreſſenden Echſen zerriſſen würden. Man erzählte uns die Geſchichte eines jungen
Mädchens aus Urituku, welches ſich durch unerhörte Unerſchrockenheit und Geiſtesgegenwart aus dem
Rachen eines Krokodils gerettet. Sobald es ſich gepackt fühlte, griff es nach dem Auge des Thieres
und ſtieß die Finger mit ſolcher Gewalt in daſſelbe, daß das Krokodil es fahren ließ, nachdem es ihm
den linken Vorderarm abgeriſſen. Trotz des ungeheuern Blutverluſtes gelangte die Jndianerin, mit
der übrig gebliebenen Hand ſchwimmend, glücklich aus Ufer.... Ein Guayqueri-Jndianer von der
Jnſel Margarita wollte ſeine Pirogue in einer Bucht anbinden, welche nicht drei Fuß tief war. Ein
ſehr wildes Krokodil, welches immer in der Gegend umherſtrich, packte ihn am Beine und ſchwamm,
auf der Oberfläche bleibend, vom Ufer weg. Das Geſchrei des Jndianers zog eine Menge Zuſchauer
herbei. Man ſah, wie der Unglückliche mit unerhörter Entſchloſſenheit zuerſt ein Meſſer in der Taſche
ſeines Beinkleides ſuchte und hierauf, als er daſſelbe nicht gefunden, den Kopf des Krokodils packte
und ihm die Finger in die Augen ſtieß. Der Guayqueri war aber nicht ſo glücklich wie das Mädchen
in Urituku: das Krokodil öffnete den Rachen nicht, um ſeine Beute fahren zu laſſen. Jm Schmerz
tauchte es zwar unter, und ertränkte den Jndianer, erſchien aber wieder auf der Waſſerfläche und
ſchleppte den Leichnam auf eine Jnſel dem Hafen gegenüber. — Man erzählt rührende Fälle, in denen
afrikaniſche Sklaven ſich aufopferten, um ihren Herren, welche in den Rachen eines Krokodils gerathen
waren, das Leben zu retten. Vor einigen Jahren ergriff in den Llanos von Calobozos ein Neger auf
das Geſchrei ſeines Herrn ein langes Meſſer und ſprang in den Fluß, ſtach dem Thiere die Augen
aus und zwang es ſo, ſeine Beute fahren zu laſſen. Der Sklave trug den ſterbenden Herrn aus
Ufer, aber alle Verſuche, ihn wieder zum Leben zu bringen, blieben fruchtlos: er war ertrunken.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/96>, abgerufen am 22.12.2024.
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