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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Ackerbautreibende Ameise. Europäische Spinnenameise.
November jedes Jahres aufschießen sehen. Jn den letzteren Jahren jedoch, seitdem die Zahl der
Landwirthschaften und des Viehes sich sehr vergrößert hat, und das letztere das Gras viel genauer
abfrißt wie früher und so das Reifen der Saat verhindert: bemerke ich, daß die ackerbautreibenden
Ameisen ihre Städte längs den Zwischenwegen auf den Feldern, den Spazierwegen in Gärten,
inwendig in der Nähe der Thore u. dgl. anlegen, wo sie ihre Felder bebauen können, ohne vom
Vieh belästigt zu werden. Es kann nicht bezweifelt werden, daß die eigenthümliche Art des oben
erwähnten Grases absichtlich gepflanzt wird. Jn landwirthschaftlicher Weise wird der Boden, auf
dem es steht, sorgfältig von allen anderen Kräutern während der Zeit seines Wachsthumes gereinigt.
Wenn das Korn reif ist, wird dafür Sorge getragen, die trockne Stoppel abgeschnitten und fortge-
schafft und der gepflasterte Hof unbehelligt gelassen bis zum folgenden Herbste, wo derselbe "Ameisen-
reis" in demselben Kreise wieder erscheint und dieselbe wirthschaftliche Fürsorge erhält, welche auf
die vorhergehende Saat verwandt wurde und so fort, Jahr auf Jahr, wie ich weiß, daß es der
Fall ist unter allen Verhältnissen, unter denen die Ansiedelungen der Ameisen vor grasfressenden
Thieren geschützt sind."

Die Ameisen, von denen bis jetzt ungefähr 1250 Arten beschrieben sind, welche sich jährlich
noch mehren, seitdem die oben erwähnten Entomologen und einige andere sich besonders für ihr
Studium interessirt haben, spielen entschieden eine wichtige Rolle im Haushalt der Natur. Jn
den Tropen, wo Moder und Verwesung einer üppigen Vegetation schneller auf dem Fuße nach-
folgen, als in den gemäßigten Zonen, sind sie es hauptsächlich, welche den Zersetzungsprozeß
beschleunigen und dem thierischen Körper nachtheilige Gase nicht aufkommen lassen. Sie sind es,
welche unter dem andern Geziefer mächtig aufräumen und für natürliches Gleichgewicht Sorge
tragen, was in unseren Gegenden mehr den Schlupfwespen überlassen zu sein scheint. Sie sind
es, die wieder von vielen Vögeln, den Ameisenfressern, Gürtel- und anderen Thieren vorzugsweise
als Nahrungsmittel aufgesucht werden, um nicht ihre Vernichtungen über gewisse Grenzen hinaus
ausdehnen zu können. Wie lästig, ja wie schädlich sie dem Menschen werden, geht aus einzelnen
Mittheilungen zur Genüge hervor, die von ihnen gegeben wurden und die leicht noch hätten ver-
mehrt werden können; denn es gibt wohl keinen unter den in jenen Gegenden gereisten Natur-
forschern, welcher nicht über Ameisen zu klagen hätte, welcher nicht alle möglichen Kunstgriffe
anwenden mußte, um seine Lebensmittel, seine erbeuteten Naturalien gegen die scharfen Zähne
dieser zwar kleinen, aber durch Ausdauer und Menge sehr mächtigen Thiere zu schützen.



Unter dem Namen der Heterogynen (Heterogyna), welche unsere vierte Familie bilden,
hatte Latreille Ameisen und Mutillen vereinigt und den Mangel der Flügel bei den Weibchen
als wesentlichen Charakter hingestellt. Die ersteren wurden wieder davon getrennt und von Klug
durch die Gattung Thynnis ersetzt, deren Weibchen gleichfalls ungeflügelt sind. Nun mußten aber
auch einmal die Männer den Ausschlag geben, die Gattung Scolia die dritte im Bunde werden,
weil die verwandtschaftlichen Verhältnisse ihrer und der Thynnen-Männchen unmöglich unberück-
sichtigt bleiben konnten. Der auf solche Weise entstandenen kleinen Familie von 12 bis 13 hundert
Arten beließ man den Latreille'schen Namen, vermag aber von ihr im Allgemeinen nur auszu-
sagen, daß der Vorderrücken mit seinem Hinterrande bis zur Flügelwurzel reicht, daß die Weibchen
sich durch einen kräftigen Giftstachel zu wehren wissen, und daß endlich geschlechtlich verkümmerte
Neutra nicht vorkommen.

Jenes interessante Thier, welches unsere Abbildung in beiden Geschlechtern vorführt, ist die
europäische Spinnenameise (Mutilla europaea). Das ungeflügelte Weibchen hat einen flachen,
durch unregelmäßige Punktirung sehr unebenen Kopf ohne Nebenaugen, einen gleich rauhen

Ackerbautreibende Ameiſe. Europäiſche Spinnenameiſe.
November jedes Jahres aufſchießen ſehen. Jn den letzteren Jahren jedoch, ſeitdem die Zahl der
Landwirthſchaften und des Viehes ſich ſehr vergrößert hat, und das letztere das Gras viel genauer
abfrißt wie früher und ſo das Reifen der Saat verhindert: bemerke ich, daß die ackerbautreibenden
Ameiſen ihre Städte längs den Zwiſchenwegen auf den Feldern, den Spazierwegen in Gärten,
inwendig in der Nähe der Thore u. dgl. anlegen, wo ſie ihre Felder bebauen können, ohne vom
Vieh beläſtigt zu werden. Es kann nicht bezweifelt werden, daß die eigenthümliche Art des oben
erwähnten Graſes abſichtlich gepflanzt wird. Jn landwirthſchaftlicher Weiſe wird der Boden, auf
dem es ſteht, ſorgfältig von allen anderen Kräutern während der Zeit ſeines Wachsthumes gereinigt.
Wenn das Korn reif iſt, wird dafür Sorge getragen, die trockne Stoppel abgeſchnitten und fortge-
ſchafft und der gepflaſterte Hof unbehelligt gelaſſen bis zum folgenden Herbſte, wo derſelbe „Ameiſen-
reis“ in demſelben Kreiſe wieder erſcheint und dieſelbe wirthſchaftliche Fürſorge erhält, welche auf
die vorhergehende Saat verwandt wurde und ſo fort, Jahr auf Jahr, wie ich weiß, daß es der
Fall iſt unter allen Verhältniſſen, unter denen die Anſiedelungen der Ameiſen vor grasfreſſenden
Thieren geſchützt ſind.“

Die Ameiſen, von denen bis jetzt ungefähr 1250 Arten beſchrieben ſind, welche ſich jährlich
noch mehren, ſeitdem die oben erwähnten Entomologen und einige andere ſich beſonders für ihr
Studium intereſſirt haben, ſpielen entſchieden eine wichtige Rolle im Haushalt der Natur. Jn
den Tropen, wo Moder und Verweſung einer üppigen Vegetation ſchneller auf dem Fuße nach-
folgen, als in den gemäßigten Zonen, ſind ſie es hauptſächlich, welche den Zerſetzungsprozeß
beſchleunigen und dem thieriſchen Körper nachtheilige Gaſe nicht aufkommen laſſen. Sie ſind es,
welche unter dem andern Geziefer mächtig aufräumen und für natürliches Gleichgewicht Sorge
tragen, was in unſeren Gegenden mehr den Schlupfwespen überlaſſen zu ſein ſcheint. Sie ſind
es, die wieder von vielen Vögeln, den Ameiſenfreſſern, Gürtel- und anderen Thieren vorzugsweiſe
als Nahrungsmittel aufgeſucht werden, um nicht ihre Vernichtungen über gewiſſe Grenzen hinaus
ausdehnen zu können. Wie läſtig, ja wie ſchädlich ſie dem Menſchen werden, geht aus einzelnen
Mittheilungen zur Genüge hervor, die von ihnen gegeben wurden und die leicht noch hätten ver-
mehrt werden können; denn es gibt wohl keinen unter den in jenen Gegenden gereiſten Natur-
forſchern, welcher nicht über Ameiſen zu klagen hätte, welcher nicht alle möglichen Kunſtgriffe
anwenden mußte, um ſeine Lebensmittel, ſeine erbeuteten Naturalien gegen die ſcharfen Zähne
dieſer zwar kleinen, aber durch Ausdauer und Menge ſehr mächtigen Thiere zu ſchützen.



Unter dem Namen der Heterogynen (Heterogyna), welche unſere vierte Familie bilden,
hatte Latreille Ameiſen und Mutillen vereinigt und den Mangel der Flügel bei den Weibchen
als weſentlichen Charakter hingeſtellt. Die erſteren wurden wieder davon getrennt und von Klug
durch die Gattung Thynnis erſetzt, deren Weibchen gleichfalls ungeflügelt ſind. Nun mußten aber
auch einmal die Männer den Ausſchlag geben, die Gattung Scolia die dritte im Bunde werden,
weil die verwandtſchaftlichen Verhältniſſe ihrer und der Thynnen-Männchen unmöglich unberück-
ſichtigt bleiben konnten. Der auf ſolche Weiſe entſtandenen kleinen Familie von 12 bis 13 hundert
Arten beließ man den Latreille’ſchen Namen, vermag aber von ihr im Allgemeinen nur auszu-
ſagen, daß der Vorderrücken mit ſeinem Hinterrande bis zur Flügelwurzel reicht, daß die Weibchen
ſich durch einen kräftigen Giftſtachel zu wehren wiſſen, und daß endlich geſchlechtlich verkümmerte
Neutra nicht vorkommen.

Jenes intereſſante Thier, welches unſere Abbildung in beiden Geſchlechtern vorführt, iſt die
europäiſche Spinnenameiſe (Mutilla europaea). Das ungeflügelte Weibchen hat einen flachen,
durch unregelmäßige Punktirung ſehr unebenen Kopf ohne Nebenaugen, einen gleich rauhen

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[223/0245] Ackerbautreibende Ameiſe. Europäiſche Spinnenameiſe. November jedes Jahres aufſchießen ſehen. Jn den letzteren Jahren jedoch, ſeitdem die Zahl der Landwirthſchaften und des Viehes ſich ſehr vergrößert hat, und das letztere das Gras viel genauer abfrißt wie früher und ſo das Reifen der Saat verhindert: bemerke ich, daß die ackerbautreibenden Ameiſen ihre Städte längs den Zwiſchenwegen auf den Feldern, den Spazierwegen in Gärten, inwendig in der Nähe der Thore u. dgl. anlegen, wo ſie ihre Felder bebauen können, ohne vom Vieh beläſtigt zu werden. Es kann nicht bezweifelt werden, daß die eigenthümliche Art des oben erwähnten Graſes abſichtlich gepflanzt wird. Jn landwirthſchaftlicher Weiſe wird der Boden, auf dem es ſteht, ſorgfältig von allen anderen Kräutern während der Zeit ſeines Wachsthumes gereinigt. Wenn das Korn reif iſt, wird dafür Sorge getragen, die trockne Stoppel abgeſchnitten und fortge- ſchafft und der gepflaſterte Hof unbehelligt gelaſſen bis zum folgenden Herbſte, wo derſelbe „Ameiſen- reis“ in demſelben Kreiſe wieder erſcheint und dieſelbe wirthſchaftliche Fürſorge erhält, welche auf die vorhergehende Saat verwandt wurde und ſo fort, Jahr auf Jahr, wie ich weiß, daß es der Fall iſt unter allen Verhältniſſen, unter denen die Anſiedelungen der Ameiſen vor grasfreſſenden Thieren geſchützt ſind.“ Die Ameiſen, von denen bis jetzt ungefähr 1250 Arten beſchrieben ſind, welche ſich jährlich noch mehren, ſeitdem die oben erwähnten Entomologen und einige andere ſich beſonders für ihr Studium intereſſirt haben, ſpielen entſchieden eine wichtige Rolle im Haushalt der Natur. Jn den Tropen, wo Moder und Verweſung einer üppigen Vegetation ſchneller auf dem Fuße nach- folgen, als in den gemäßigten Zonen, ſind ſie es hauptſächlich, welche den Zerſetzungsprozeß beſchleunigen und dem thieriſchen Körper nachtheilige Gaſe nicht aufkommen laſſen. Sie ſind es, welche unter dem andern Geziefer mächtig aufräumen und für natürliches Gleichgewicht Sorge tragen, was in unſeren Gegenden mehr den Schlupfwespen überlaſſen zu ſein ſcheint. Sie ſind es, die wieder von vielen Vögeln, den Ameiſenfreſſern, Gürtel- und anderen Thieren vorzugsweiſe als Nahrungsmittel aufgeſucht werden, um nicht ihre Vernichtungen über gewiſſe Grenzen hinaus ausdehnen zu können. Wie läſtig, ja wie ſchädlich ſie dem Menſchen werden, geht aus einzelnen Mittheilungen zur Genüge hervor, die von ihnen gegeben wurden und die leicht noch hätten ver- mehrt werden können; denn es gibt wohl keinen unter den in jenen Gegenden gereiſten Natur- forſchern, welcher nicht über Ameiſen zu klagen hätte, welcher nicht alle möglichen Kunſtgriffe anwenden mußte, um ſeine Lebensmittel, ſeine erbeuteten Naturalien gegen die ſcharfen Zähne dieſer zwar kleinen, aber durch Ausdauer und Menge ſehr mächtigen Thiere zu ſchützen. Unter dem Namen der Heterogynen (Heterogyna), welche unſere vierte Familie bilden, hatte Latreille Ameiſen und Mutillen vereinigt und den Mangel der Flügel bei den Weibchen als weſentlichen Charakter hingeſtellt. Die erſteren wurden wieder davon getrennt und von Klug durch die Gattung Thynnis erſetzt, deren Weibchen gleichfalls ungeflügelt ſind. Nun mußten aber auch einmal die Männer den Ausſchlag geben, die Gattung Scolia die dritte im Bunde werden, weil die verwandtſchaftlichen Verhältniſſe ihrer und der Thynnen-Männchen unmöglich unberück- ſichtigt bleiben konnten. Der auf ſolche Weiſe entſtandenen kleinen Familie von 12 bis 13 hundert Arten beließ man den Latreille’ſchen Namen, vermag aber von ihr im Allgemeinen nur auszu- ſagen, daß der Vorderrücken mit ſeinem Hinterrande bis zur Flügelwurzel reicht, daß die Weibchen ſich durch einen kräftigen Giftſtachel zu wehren wiſſen, und daß endlich geſchlechtlich verkümmerte Neutra nicht vorkommen. Jenes intereſſante Thier, welches unſere Abbildung in beiden Geſchlechtern vorführt, iſt die europäiſche Spinnenameiſe (Mutilla europaea). Das ungeflügelte Weibchen hat einen flachen, durch unregelmäßige Punktirung ſehr unebenen Kopf ohne Nebenaugen, einen gleich rauhen

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/245>, abgerufen am 24.11.2024.