Dolerus heißt ein anderes Geschlecht, dessen grob punktirte, meist ganz schwarze, zur Abwechselung auch stellenweise roth gefärbte, zahlreiche Arten uns im ersten Frühjahre begegnen und mit angezogenen Beinen und Fühlern wie todt von den Grasstengeln oder Weidenblüthen sich zur Erde fallen lassen, wenn sie merken, daß sie ergriffen werden sollen. Zwei Rand- und drei Unterrandzellen durch Verschmelzung der sonst zweiten und dritten, bilden neben den fädlichen, plumpen, neungliederigen Fühlern die Erkennungszeichen. Die beiden rücklaufenden Adern münden in die mittelste Unterrandzelle.
Ein Heer kurz eiförmiger Gestalten, zu denen die kleinsten der ganzen Familie gehören, vereinte man unter dem gemeinsamen Merkmale von zwei Rand- und vier Unterrandzellen, deren zweite und dritte die rücklaufenden Adern aufnehmen, von neungliederigen, meist faden- förmigen Fühlern, welche nur die Länge von Kopf und Thorax zusammengenommen erreichen, und nannte die Gattung Selandria. Je nach Beschaffenheit der lanzettförmigen Zelle, der Anzahl der geschlossenen Zellen in dem Hinterflügel, dem Größenverhältnisse der Fühlerglieder hat man die zahlreichen Arten auf eine Reihe von Untergattungen vertheilt und dabei noch manchmal seine liebe Noth, die unansehnlichen Wesen nach den vorhandenen Beschreibungen richtig zu benennen. Man trifft sie vom Frühlinge an bis in den Sommer hinein meist auf Gebüsch, an unfreundlichen und rauhen Tagen ruhig und theilnahmlos dasitzend, aber immer bereit, sich todt zu stellen, wenn man ihnen zu nahe kommt, sehr beweglich und lustig umherfliegend, wenn ihnen die Sonne warm auf den Leib scheint. Statt aller sei hier noch der Selandria aethiops oder der Tenthredo cerasi (Kirsch-Blattwespe) gedacht, wie sie Linne nannte, wegen der eigenthümlichen Larve, welcher sie ihr Leben verdankt. Jm Juli und zum zweiten Male im September sitzt auf der Oberseite der Blätter an verschiedenen Sträuchern und Obstbäumen ein ganz absonderliches Thier, welches wegen seines schleimigen, gewöhnlich braunen bis schwarzen Ueber- zuges unwillkürlich an eine nackte Schnecke erinnert. Auf Schlehdorn, Pflaumen, Sauerkirschen, Biruen- und Aepfelbäumen kommt es vor und im Herbst dann und wann so massenhaft, daß die genannten Sträucher und Bäume schon aus der Entfernung wie krank aussehen. Jch ging vor wenigen Tagen (10. September) an einer Reihe Sauerkirschbäume vorüber, deren Wipfel ent- blättert waren und deren untere Kronentheile fast ohne Ausnahme Blätter trugen, welche, des Fleisches beraubt, nur aus durchsichtigem Adernetz bestanden, als wenn sie einen Winter hindurch im Wasser gelegen hätten. Die kleinen schwarzen "Schnecken" saßen aber noch zahlreich darauf. Vor mehreren Jahren brachte ich im Herbst eine Anzahl dieser Thiere mit nach Hause. Ohne Bewegung des vorn angeschwollenen, nach hinten spitz verlaufenden Körpers saß jedes auf ein und derselben Stelle und sah spiegelblank, aber schwarz aus. Auch gab keins ein Lebenszeichen von sich, als ich die Schwarzdornreiser, deren Blätter sie bewohnten, in eine Schachtel einpackte. Hierbei kamen einzelne zur Seitenansicht und ließen ihre zwanzig kurzen Beinchen erkennen. Als ich am andern Tage die Schachtel össnete, traute ich anfangs kaum meinen Augen, denn statt der gestern eingesperrten schwarzen Thiere saßen heut grüne darin, ohne merkliche Anschwellung des Vorder- leibes. Ein kleiner, schwarzer Strich hinter jedem belehrte mich bald, daß hier eine Verwandlung vorgegangen sei, und es wurde mir nun auch die Theilnahmlosigkeit und Trägheit vom vorigen Tage klar; denn allen Larven sind vor einer jedesmaligen Häutung dergleichen apathische Zustände eigen. Nach einiger Zeit stellte sich auch der dunkle, schleimartige Ueberzug wieder ein. Fressen sah ich die Afterraupen nie, daß sie es aber gethan haben mußten, bewiesen die ihrer Oberhaut und ihres Fleisches beraubten inselartigen Flecken auf den Blättern. Die im Oktober erwachsene Larve geht in die Erde, spinnt einen schwarzseidenen Cocon, und Ende Mai des nächsten Jahres kommt eine kleine, glänzend schwarze Fliege daraus hervor, deren Vorderbeine von den Knieen an rothbraun gefärbt sind. Die ihr entsprossenden Nachkommen sind bis Anfangs August fort- pflanzungsfähig und in größeren Mengen vorhanden, als ihre Stammältern. Denselben Namen führt ein Thier, welches in Michigan zuerst 1859 und dann wieder 1862 große Verwüstungen
Die Hautflügler. Blattwespen.
Dolerus heißt ein anderes Geſchlecht, deſſen grob punktirte, meiſt ganz ſchwarze, zur Abwechſelung auch ſtellenweiſe roth gefärbte, zahlreiche Arten uns im erſten Frühjahre begegnen und mit angezogenen Beinen und Fühlern wie todt von den Grasſtengeln oder Weidenblüthen ſich zur Erde fallen laſſen, wenn ſie merken, daß ſie ergriffen werden ſollen. Zwei Rand- und drei Unterrandzellen durch Verſchmelzung der ſonſt zweiten und dritten, bilden neben den fädlichen, plumpen, neungliederigen Fühlern die Erkennungszeichen. Die beiden rücklaufenden Adern münden in die mittelſte Unterrandzelle.
Ein Heer kurz eiförmiger Geſtalten, zu denen die kleinſten der ganzen Familie gehören, vereinte man unter dem gemeinſamen Merkmale von zwei Rand- und vier Unterrandzellen, deren zweite und dritte die rücklaufenden Adern aufnehmen, von neungliederigen, meiſt faden- förmigen Fühlern, welche nur die Länge von Kopf und Thorax zuſammengenommen erreichen, und nannte die Gattung Selandria. Je nach Beſchaffenheit der lanzettförmigen Zelle, der Anzahl der geſchloſſenen Zellen in dem Hinterflügel, dem Größenverhältniſſe der Fühlerglieder hat man die zahlreichen Arten auf eine Reihe von Untergattungen vertheilt und dabei noch manchmal ſeine liebe Noth, die unanſehnlichen Weſen nach den vorhandenen Beſchreibungen richtig zu benennen. Man trifft ſie vom Frühlinge an bis in den Sommer hinein meiſt auf Gebüſch, an unfreundlichen und rauhen Tagen ruhig und theilnahmlos daſitzend, aber immer bereit, ſich todt zu ſtellen, wenn man ihnen zu nahe kommt, ſehr beweglich und luſtig umherfliegend, wenn ihnen die Sonne warm auf den Leib ſcheint. Statt aller ſei hier noch der Selandria aethiops oder der Tenthredo cerasi (Kirſch-Blattwespe) gedacht, wie ſie Linné nannte, wegen der eigenthümlichen Larve, welcher ſie ihr Leben verdankt. Jm Juli und zum zweiten Male im September ſitzt auf der Oberſeite der Blätter an verſchiedenen Sträuchern und Obſtbäumen ein ganz abſonderliches Thier, welches wegen ſeines ſchleimigen, gewöhnlich braunen bis ſchwarzen Ueber- zuges unwillkürlich an eine nackte Schnecke erinnert. Auf Schlehdorn, Pflaumen, Sauerkirſchen, Biruen- und Aepfelbäumen kommt es vor und im Herbſt dann und wann ſo maſſenhaft, daß die genannten Sträucher und Bäume ſchon aus der Entfernung wie krank ausſehen. Jch ging vor wenigen Tagen (10. September) an einer Reihe Sauerkirſchbäume vorüber, deren Wipfel ent- blättert waren und deren untere Kronentheile faſt ohne Ausnahme Blätter trugen, welche, des Fleiſches beraubt, nur aus durchſichtigem Adernetz beſtanden, als wenn ſie einen Winter hindurch im Waſſer gelegen hätten. Die kleinen ſchwarzen „Schnecken“ ſaßen aber noch zahlreich darauf. Vor mehreren Jahren brachte ich im Herbſt eine Anzahl dieſer Thiere mit nach Hauſe. Ohne Bewegung des vorn angeſchwollenen, nach hinten ſpitz verlaufenden Körpers ſaß jedes auf ein und derſelben Stelle und ſah ſpiegelblank, aber ſchwarz aus. Auch gab keins ein Lebenszeichen von ſich, als ich die Schwarzdornreiſer, deren Blätter ſie bewohnten, in eine Schachtel einpackte. Hierbei kamen einzelne zur Seitenanſicht und ließen ihre zwanzig kurzen Beinchen erkennen. Als ich am andern Tage die Schachtel öſſnete, traute ich anfangs kaum meinen Augen, denn ſtatt der geſtern eingeſperrten ſchwarzen Thiere ſaßen heut grüne darin, ohne merkliche Anſchwellung des Vorder- leibes. Ein kleiner, ſchwarzer Strich hinter jedem belehrte mich bald, daß hier eine Verwandlung vorgegangen ſei, und es wurde mir nun auch die Theilnahmloſigkeit und Trägheit vom vorigen Tage klar; denn allen Larven ſind vor einer jedesmaligen Häutung dergleichen apathiſche Zuſtände eigen. Nach einiger Zeit ſtellte ſich auch der dunkle, ſchleimartige Ueberzug wieder ein. Freſſen ſah ich die Afterraupen nie, daß ſie es aber gethan haben mußten, bewieſen die ihrer Oberhaut und ihres Fleiſches beraubten inſelartigen Flecken auf den Blättern. Die im Oktober erwachſene Larve geht in die Erde, ſpinnt einen ſchwarzſeidenen Cocon, und Ende Mai des nächſten Jahres kommt eine kleine, glänzend ſchwarze Fliege daraus hervor, deren Vorderbeine von den Knieen an rothbraun gefärbt ſind. Die ihr entſproſſenden Nachkommen ſind bis Anfangs Auguſt fort- pflanzungsfähig und in größeren Mengen vorhanden, als ihre Stammältern. Denſelben Namen führt ein Thier, welches in Michigan zuerſt 1859 und dann wieder 1862 große Verwüſtungen
<TEI><text><body><floatingText><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0306"n="284"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Die Hautflügler. Blattwespen.</hi></fw><lb/><p><hirendition="#aq">Dolerus</hi> heißt ein anderes Geſchlecht, deſſen grob punktirte, meiſt ganz ſchwarze, zur<lb/>
Abwechſelung auch ſtellenweiſe roth gefärbte, zahlreiche Arten uns im erſten Frühjahre begegnen<lb/>
und mit angezogenen Beinen und Fühlern wie todt von den Grasſtengeln oder Weidenblüthen<lb/>ſich zur Erde fallen laſſen, wenn ſie merken, daß ſie ergriffen werden ſollen. <hirendition="#g">Zwei</hi> Rand- und<lb/><hirendition="#g">drei</hi> Unterrandzellen durch Verſchmelzung der ſonſt zweiten und dritten, bilden neben den fädlichen,<lb/>
plumpen, neungliederigen Fühlern die Erkennungszeichen. Die beiden rücklaufenden Adern münden<lb/>
in die mittelſte Unterrandzelle.</p><lb/><p>Ein Heer kurz eiförmiger Geſtalten, zu denen die kleinſten der ganzen Familie gehören,<lb/>
vereinte man unter dem gemeinſamen Merkmale von zwei Rand- und vier Unterrandzellen,<lb/>
deren zweite und dritte die rücklaufenden Adern aufnehmen, von neungliederigen, meiſt faden-<lb/>
förmigen Fühlern, welche nur die Länge von Kopf und Thorax zuſammengenommen erreichen,<lb/>
und nannte die Gattung <hirendition="#aq">Selandria.</hi> Je nach Beſchaffenheit der lanzettförmigen Zelle,<lb/>
der Anzahl der geſchloſſenen Zellen in dem Hinterflügel, dem Größenverhältniſſe der<lb/>
Fühlerglieder hat man die zahlreichen Arten auf eine Reihe von Untergattungen vertheilt<lb/>
und dabei noch manchmal ſeine liebe Noth, die unanſehnlichen Weſen nach den vorhandenen<lb/>
Beſchreibungen richtig zu benennen. Man trifft ſie vom Frühlinge an bis in den Sommer<lb/>
hinein meiſt auf Gebüſch, an unfreundlichen und rauhen Tagen ruhig und theilnahmlos daſitzend,<lb/>
aber immer bereit, ſich todt zu ſtellen, wenn man ihnen zu nahe kommt, ſehr beweglich und luſtig<lb/>
umherfliegend, wenn ihnen die Sonne warm auf den Leib ſcheint. Statt aller ſei hier noch der<lb/><hirendition="#aq">Selandria aethiops</hi> oder der <hirendition="#aq">Tenthredo cerasi</hi> (Kirſch-Blattwespe) gedacht, wie ſie <hirendition="#g">Linn<hirendition="#aq">é</hi></hi> nannte,<lb/>
wegen der eigenthümlichen Larve, welcher ſie ihr Leben verdankt. Jm Juli und zum zweiten Male im<lb/>
September ſitzt auf der Oberſeite der Blätter an verſchiedenen Sträuchern und Obſtbäumen ein<lb/>
ganz abſonderliches Thier, welches wegen ſeines ſchleimigen, gewöhnlich braunen bis ſchwarzen Ueber-<lb/>
zuges unwillkürlich an eine nackte Schnecke erinnert. Auf Schlehdorn, Pflaumen, Sauerkirſchen,<lb/>
Biruen- und Aepfelbäumen kommt es vor und im Herbſt dann und wann ſo maſſenhaft, daß die<lb/>
genannten Sträucher und Bäume ſchon aus der Entfernung wie krank ausſehen. Jch ging vor<lb/>
wenigen Tagen (10. September) an einer Reihe Sauerkirſchbäume vorüber, deren Wipfel ent-<lb/>
blättert waren und deren untere Kronentheile faſt ohne Ausnahme Blätter trugen, welche, des<lb/>
Fleiſches beraubt, nur aus durchſichtigem Adernetz beſtanden, als wenn ſie einen Winter hindurch im<lb/>
Waſſer gelegen hätten. Die kleinen ſchwarzen „Schnecken“ſaßen aber noch zahlreich darauf. Vor<lb/>
mehreren Jahren brachte ich im Herbſt eine Anzahl dieſer Thiere mit nach Hauſe. Ohne<lb/>
Bewegung des vorn angeſchwollenen, nach hinten ſpitz verlaufenden Körpers ſaß jedes auf ein und<lb/>
derſelben Stelle und ſah ſpiegelblank, aber ſchwarz aus. Auch gab keins ein Lebenszeichen von<lb/>ſich, als ich die Schwarzdornreiſer, deren Blätter ſie bewohnten, in eine Schachtel einpackte. Hierbei<lb/>
kamen einzelne zur Seitenanſicht und ließen ihre zwanzig kurzen Beinchen erkennen. Als ich am<lb/>
andern Tage die Schachtel öſſnete, traute ich anfangs kaum meinen Augen, denn ſtatt der geſtern<lb/>
eingeſperrten <hirendition="#g">ſchwarzen</hi> Thiere ſaßen heut grüne darin, ohne merkliche Anſchwellung des Vorder-<lb/>
leibes. Ein kleiner, ſchwarzer Strich hinter jedem belehrte mich bald, daß hier eine Verwandlung<lb/>
vorgegangen ſei, und es wurde mir nun auch die Theilnahmloſigkeit und Trägheit vom vorigen<lb/>
Tage klar; denn allen Larven ſind vor einer jedesmaligen Häutung dergleichen apathiſche Zuſtände<lb/>
eigen. Nach einiger Zeit ſtellte ſich auch der dunkle, ſchleimartige Ueberzug wieder ein. Freſſen<lb/>ſah ich die Afterraupen nie, daß ſie es aber gethan haben mußten, bewieſen die ihrer Oberhaut<lb/>
und ihres Fleiſches beraubten inſelartigen Flecken auf den Blättern. Die im Oktober erwachſene<lb/>
Larve geht in die Erde, ſpinnt einen ſchwarzſeidenen Cocon, und Ende Mai des nächſten Jahres<lb/>
kommt eine kleine, glänzend ſchwarze Fliege daraus hervor, deren Vorderbeine von den Knieen an<lb/>
rothbraun gefärbt ſind. Die ihr entſproſſenden Nachkommen ſind bis Anfangs Auguſt fort-<lb/>
pflanzungsfähig und in größeren Mengen vorhanden, als ihre Stammältern. Denſelben Namen<lb/>
führt ein Thier, welches in <hirendition="#g">Michigan</hi> zuerſt 1859 und dann wieder 1862 große Verwüſtungen<lb/></p></div></div></body></floatingText></body></text></TEI>
[284/0306]
Die Hautflügler. Blattwespen.
Dolerus heißt ein anderes Geſchlecht, deſſen grob punktirte, meiſt ganz ſchwarze, zur
Abwechſelung auch ſtellenweiſe roth gefärbte, zahlreiche Arten uns im erſten Frühjahre begegnen
und mit angezogenen Beinen und Fühlern wie todt von den Grasſtengeln oder Weidenblüthen
ſich zur Erde fallen laſſen, wenn ſie merken, daß ſie ergriffen werden ſollen. Zwei Rand- und
drei Unterrandzellen durch Verſchmelzung der ſonſt zweiten und dritten, bilden neben den fädlichen,
plumpen, neungliederigen Fühlern die Erkennungszeichen. Die beiden rücklaufenden Adern münden
in die mittelſte Unterrandzelle.
Ein Heer kurz eiförmiger Geſtalten, zu denen die kleinſten der ganzen Familie gehören,
vereinte man unter dem gemeinſamen Merkmale von zwei Rand- und vier Unterrandzellen,
deren zweite und dritte die rücklaufenden Adern aufnehmen, von neungliederigen, meiſt faden-
förmigen Fühlern, welche nur die Länge von Kopf und Thorax zuſammengenommen erreichen,
und nannte die Gattung Selandria. Je nach Beſchaffenheit der lanzettförmigen Zelle,
der Anzahl der geſchloſſenen Zellen in dem Hinterflügel, dem Größenverhältniſſe der
Fühlerglieder hat man die zahlreichen Arten auf eine Reihe von Untergattungen vertheilt
und dabei noch manchmal ſeine liebe Noth, die unanſehnlichen Weſen nach den vorhandenen
Beſchreibungen richtig zu benennen. Man trifft ſie vom Frühlinge an bis in den Sommer
hinein meiſt auf Gebüſch, an unfreundlichen und rauhen Tagen ruhig und theilnahmlos daſitzend,
aber immer bereit, ſich todt zu ſtellen, wenn man ihnen zu nahe kommt, ſehr beweglich und luſtig
umherfliegend, wenn ihnen die Sonne warm auf den Leib ſcheint. Statt aller ſei hier noch der
Selandria aethiops oder der Tenthredo cerasi (Kirſch-Blattwespe) gedacht, wie ſie Linné nannte,
wegen der eigenthümlichen Larve, welcher ſie ihr Leben verdankt. Jm Juli und zum zweiten Male im
September ſitzt auf der Oberſeite der Blätter an verſchiedenen Sträuchern und Obſtbäumen ein
ganz abſonderliches Thier, welches wegen ſeines ſchleimigen, gewöhnlich braunen bis ſchwarzen Ueber-
zuges unwillkürlich an eine nackte Schnecke erinnert. Auf Schlehdorn, Pflaumen, Sauerkirſchen,
Biruen- und Aepfelbäumen kommt es vor und im Herbſt dann und wann ſo maſſenhaft, daß die
genannten Sträucher und Bäume ſchon aus der Entfernung wie krank ausſehen. Jch ging vor
wenigen Tagen (10. September) an einer Reihe Sauerkirſchbäume vorüber, deren Wipfel ent-
blättert waren und deren untere Kronentheile faſt ohne Ausnahme Blätter trugen, welche, des
Fleiſches beraubt, nur aus durchſichtigem Adernetz beſtanden, als wenn ſie einen Winter hindurch im
Waſſer gelegen hätten. Die kleinen ſchwarzen „Schnecken“ ſaßen aber noch zahlreich darauf. Vor
mehreren Jahren brachte ich im Herbſt eine Anzahl dieſer Thiere mit nach Hauſe. Ohne
Bewegung des vorn angeſchwollenen, nach hinten ſpitz verlaufenden Körpers ſaß jedes auf ein und
derſelben Stelle und ſah ſpiegelblank, aber ſchwarz aus. Auch gab keins ein Lebenszeichen von
ſich, als ich die Schwarzdornreiſer, deren Blätter ſie bewohnten, in eine Schachtel einpackte. Hierbei
kamen einzelne zur Seitenanſicht und ließen ihre zwanzig kurzen Beinchen erkennen. Als ich am
andern Tage die Schachtel öſſnete, traute ich anfangs kaum meinen Augen, denn ſtatt der geſtern
eingeſperrten ſchwarzen Thiere ſaßen heut grüne darin, ohne merkliche Anſchwellung des Vorder-
leibes. Ein kleiner, ſchwarzer Strich hinter jedem belehrte mich bald, daß hier eine Verwandlung
vorgegangen ſei, und es wurde mir nun auch die Theilnahmloſigkeit und Trägheit vom vorigen
Tage klar; denn allen Larven ſind vor einer jedesmaligen Häutung dergleichen apathiſche Zuſtände
eigen. Nach einiger Zeit ſtellte ſich auch der dunkle, ſchleimartige Ueberzug wieder ein. Freſſen
ſah ich die Afterraupen nie, daß ſie es aber gethan haben mußten, bewieſen die ihrer Oberhaut
und ihres Fleiſches beraubten inſelartigen Flecken auf den Blättern. Die im Oktober erwachſene
Larve geht in die Erde, ſpinnt einen ſchwarzſeidenen Cocon, und Ende Mai des nächſten Jahres
kommt eine kleine, glänzend ſchwarze Fliege daraus hervor, deren Vorderbeine von den Knieen an
rothbraun gefärbt ſind. Die ihr entſproſſenden Nachkommen ſind bis Anfangs Auguſt fort-
pflanzungsfähig und in größeren Mengen vorhanden, als ihre Stammältern. Denſelben Namen
führt ein Thier, welches in Michigan zuerſt 1859 und dann wieder 1862 große Verwüſtungen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/306>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.