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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Die Netzflügler.
Fürsorge einer Spinne für ihre Eier bekundet. Eine Art (Pardosa saccata) dieser so mörderischen
Gesellschaft lebt unter dürrem Laube und zwischen Gras und ist leicht an dem weißen, fast erbsen-
großen Eiersacke zu erkennen, den sie an dem Bauche angeklebt mit sich herum trägt und mit
mehr Aengstlichkeit überwacht, als der größte Geizhals seinen Geldhaufen. Ein solches Spinnen-
weibchen trieb Bonnet in die Grube eines erwachsenen Ameisenlöwen. Dieser ergriff den Eier-
sack schneller, als die Spinne dem gefährlichen Winkel entrinnen konnte. Er zog nach unten, sie
nach oben und nach heftigem Kampfe riß zuletzt der Sack ab. Die Spinne war indeß keineswegs
gesonnen, ihren Schatz im Stiche zu lassen. Sie faßte ihn mit den kräftigen Kiefern und verdoppelte
die Anstrengungen, ihn dem Gegner zu entwinden. Aber trotz aller Gegenwehr und allen
Strampelns ließ ihn zuletzt der überlegene Feind unter dem Sande verschwinden. Mit Gewalt
mußte sich jetzt Bonnet in das Mittel schlagen, damit die unglückliche Mutter nicht ihrer
zukünftigen Brut zuliebe auch noch ein Opfer des Siegers werde; denn freiwillig ging sie
nicht von der Stelle, wo sie ihr Theuerstes begraben wußte, und wäre jedenfalls später auch noch
verspeist worden. Mit einer Biene, welcher man die Flügel ausgerissen hat, balgt sich der
Ameisenlöwe eine Viertelstunde umher und wirft man ihm seinen Bruder vor, so gilt ihm das
auch gleich, er, fest im Sande sitzend, befindet sich stets im Vortheile. Die ausgesogenen Thier-
leichen werden herausgeschleudert, damit sie ihm nicht im Wege sind. So müssen Ausdauer und
Schlauheit ersetzen, was dem Ameisenlöwen durch den Mangel anderer Naturanlagen versagt
wurde. Mit Anfang Juni beginnen die erwachsenen Larven sich zu verpuppen. Zu dem Ende
graben sie sich etwas tiefer unter die Spitze ihres Trichters ein, ziehen das Ende ihres Hinter-
leibes wie ein Ferurohr in eine weiche, bewegliche Röhre aus und spinnen damit weißseidene
Fäden, welche die benachbarten Sandschichten in Form einer lockern Kugel zusammenhalten. Die
Jnnenwand ist zart und dichter austapezirt. Nun reißt die Larvenhaut im Nacken und die Puppe
drängt sich daraus hervor. Sie ist schlanker, als die Larve, gelblich von Farbe und braungefleckt,
die Scheiden der Flügel, Füße und Fühler hängen frei an ihr herab, wie bei jeder gemeiselten
Puppe, und der ganze Körper ruht in gekrümmter Lage, damit ihm der Platz in der hohlen
Kugel nicht mangele. Ausgebrütet durch den oft glühend heißen Sand sprengt nach vier Wochen
das fliegende Jnsekt seine Puppenhülse, und nimmt sie beim Ausschlüpfen zur Hälfte aus dem
vorher durchbohrten Cocon mit heraus. Die schlanke "Ameisenjungfer" erblickt das Licht der Welt
nur in den Abendstunden, zum sichern Belege für ihre nächtliche Lebensweise. Jch hatte im ver-
floßnen Sommer zahlreiche Kugeln eingetragen und fand allabendlich bis acht Stück Neugeborne
in der Schachtel, konnte aber sicher darauf rechnen, daß am andern Morgen einige davon verstümmelt
waren, wenn ich sie über Nacht beisammenließ. Die wenigen ihnen vergönnten Lebenstage fallen
dem Fortpflanzungsgeschäft anheim. Das befruchtete Weibchen legt eine geringe Anzahl von
ungefähr 11/2 Linie langen, 1/2 Linie breiten, hartschaligen Eiern. Dieselben sind etwas gebogen,
gelblich von Farbe, am dickeren Ende roth. Vor Winters noch kriechen die Lärvchen aus, richten
sich in der angegebenen Weise häuslich ein und verfallen in der futterlosen Zeit tief unten im
Trichter in den Winterschlaf. Sie sind wahrscheinlich im nächsten Juni noch nicht erwachsen, da
sich gleichzeitig Larven verschiedener Größe und Puppen vorfinden. Häutungen der Larve wurden,
meines Wissens, nicht beobachtet. -- Ganz in derselben Weise lebt die sehr ähnliche, nur am
Kopfe unmerklich abweichende Larve der ungefleckten Ameisenjungfer (Myrmeleon formicalynx),
welche mit der vorigen Art in Deutschland vorkommt und sich leicht an den ungefleckten Flügeln
von ihr unterscheiden läßt. Dagegen kommen in südlicheren Theilen Europas auch Arten vor, deren
Larven keinen Trichter aufertigen, sondern sich einfach im Sandboden verbergen. Dahin gehört
z. B. der langfühlerige Ameisenlöwe (M. tetragrammicus), bei welchem die Fühler mindestens
die Gesammtlänge von Kopf und Thorax erreichen und die Sporen der Vorderschienen sich krümmen.
Die Larve unterscheidet sich äußerlich insofern von der vorigen, als die Augen auf einem kleinen
Hügel stehen und das kugelige Endglied des Leibes unten am Hinterrande mit zwei hornigen,

Die Netzflügler.
Fürſorge einer Spinne für ihre Eier bekundet. Eine Art (Pardosa saccata) dieſer ſo mörderiſchen
Geſellſchaft lebt unter dürrem Laube und zwiſchen Gras und iſt leicht an dem weißen, faſt erbſen-
großen Eierſacke zu erkennen, den ſie an dem Bauche angeklebt mit ſich herum trägt und mit
mehr Aengſtlichkeit überwacht, als der größte Geizhals ſeinen Geldhaufen. Ein ſolches Spinnen-
weibchen trieb Bonnet in die Grube eines erwachſenen Ameiſenlöwen. Dieſer ergriff den Eier-
ſack ſchneller, als die Spinne dem gefährlichen Winkel entrinnen konnte. Er zog nach unten, ſie
nach oben und nach heftigem Kampfe riß zuletzt der Sack ab. Die Spinne war indeß keineswegs
geſonnen, ihren Schatz im Stiche zu laſſen. Sie faßte ihn mit den kräftigen Kiefern und verdoppelte
die Anſtrengungen, ihn dem Gegner zu entwinden. Aber trotz aller Gegenwehr und allen
Strampelns ließ ihn zuletzt der überlegene Feind unter dem Sande verſchwinden. Mit Gewalt
mußte ſich jetzt Bonnet in das Mittel ſchlagen, damit die unglückliche Mutter nicht ihrer
zukünftigen Brut zuliebe auch noch ein Opfer des Siegers werde; denn freiwillig ging ſie
nicht von der Stelle, wo ſie ihr Theuerſtes begraben wußte, und wäre jedenfalls ſpäter auch noch
verſpeiſt worden. Mit einer Biene, welcher man die Flügel ausgeriſſen hat, balgt ſich der
Ameiſenlöwe eine Viertelſtunde umher und wirft man ihm ſeinen Bruder vor, ſo gilt ihm das
auch gleich, er, feſt im Sande ſitzend, befindet ſich ſtets im Vortheile. Die ausgeſogenen Thier-
leichen werden herausgeſchleudert, damit ſie ihm nicht im Wege ſind. So müſſen Ausdauer und
Schlauheit erſetzen, was dem Ameiſenlöwen durch den Mangel anderer Naturanlagen verſagt
wurde. Mit Anfang Juni beginnen die erwachſenen Larven ſich zu verpuppen. Zu dem Ende
graben ſie ſich etwas tiefer unter die Spitze ihres Trichters ein, ziehen das Ende ihres Hinter-
leibes wie ein Ferurohr in eine weiche, bewegliche Röhre aus und ſpinnen damit weißſeidene
Fäden, welche die benachbarten Sandſchichten in Form einer lockern Kugel zuſammenhalten. Die
Jnnenwand iſt zart und dichter austapezirt. Nun reißt die Larvenhaut im Nacken und die Puppe
drängt ſich daraus hervor. Sie iſt ſchlanker, als die Larve, gelblich von Farbe und braungefleckt,
die Scheiden der Flügel, Füße und Fühler hängen frei an ihr herab, wie bei jeder gemeiſelten
Puppe, und der ganze Körper ruht in gekrümmter Lage, damit ihm der Platz in der hohlen
Kugel nicht mangele. Ausgebrütet durch den oft glühend heißen Sand ſprengt nach vier Wochen
das fliegende Jnſekt ſeine Puppenhülſe, und nimmt ſie beim Ausſchlüpfen zur Hälfte aus dem
vorher durchbohrten Cocon mit heraus. Die ſchlanke „Ameiſenjungfer“ erblickt das Licht der Welt
nur in den Abendſtunden, zum ſichern Belege für ihre nächtliche Lebensweiſe. Jch hatte im ver-
floßnen Sommer zahlreiche Kugeln eingetragen und fand allabendlich bis acht Stück Neugeborne
in der Schachtel, konnte aber ſicher darauf rechnen, daß am andern Morgen einige davon verſtümmelt
waren, wenn ich ſie über Nacht beiſammenließ. Die wenigen ihnen vergönnten Lebenstage fallen
dem Fortpflanzungsgeſchäft anheim. Das befruchtete Weibchen legt eine geringe Anzahl von
ungefähr 1½ Linie langen, ½ Linie breiten, hartſchaligen Eiern. Dieſelben ſind etwas gebogen,
gelblich von Farbe, am dickeren Ende roth. Vor Winters noch kriechen die Lärvchen aus, richten
ſich in der angegebenen Weiſe häuslich ein und verfallen in der futterloſen Zeit tief unten im
Trichter in den Winterſchlaf. Sie ſind wahrſcheinlich im nächſten Juni noch nicht erwachſen, da
ſich gleichzeitig Larven verſchiedener Größe und Puppen vorfinden. Häutungen der Larve wurden,
meines Wiſſens, nicht beobachtet. — Ganz in derſelben Weiſe lebt die ſehr ähnliche, nur am
Kopfe unmerklich abweichende Larve der ungefleckten Ameiſenjungfer (Myrmeleon formicalynx),
welche mit der vorigen Art in Deutſchland vorkommt und ſich leicht an den ungefleckten Flügeln
von ihr unterſcheiden läßt. Dagegen kommen in ſüdlicheren Theilen Europas auch Arten vor, deren
Larven keinen Trichter aufertigen, ſondern ſich einfach im Sandboden verbergen. Dahin gehört
z. B. der langfühlerige Ameiſenlöwe (M. tetragrammicus), bei welchem die Fühler mindeſtens
die Geſammtlänge von Kopf und Thorax erreichen und die Sporen der Vorderſchienen ſich krümmen.
Die Larve unterſcheidet ſich äußerlich inſofern von der vorigen, als die Augen auf einem kleinen
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[424/0450] Die Netzflügler. Fürſorge einer Spinne für ihre Eier bekundet. Eine Art (Pardosa saccata) dieſer ſo mörderiſchen Geſellſchaft lebt unter dürrem Laube und zwiſchen Gras und iſt leicht an dem weißen, faſt erbſen- großen Eierſacke zu erkennen, den ſie an dem Bauche angeklebt mit ſich herum trägt und mit mehr Aengſtlichkeit überwacht, als der größte Geizhals ſeinen Geldhaufen. Ein ſolches Spinnen- weibchen trieb Bonnet in die Grube eines erwachſenen Ameiſenlöwen. Dieſer ergriff den Eier- ſack ſchneller, als die Spinne dem gefährlichen Winkel entrinnen konnte. Er zog nach unten, ſie nach oben und nach heftigem Kampfe riß zuletzt der Sack ab. Die Spinne war indeß keineswegs geſonnen, ihren Schatz im Stiche zu laſſen. Sie faßte ihn mit den kräftigen Kiefern und verdoppelte die Anſtrengungen, ihn dem Gegner zu entwinden. Aber trotz aller Gegenwehr und allen Strampelns ließ ihn zuletzt der überlegene Feind unter dem Sande verſchwinden. Mit Gewalt mußte ſich jetzt Bonnet in das Mittel ſchlagen, damit die unglückliche Mutter nicht ihrer zukünftigen Brut zuliebe auch noch ein Opfer des Siegers werde; denn freiwillig ging ſie nicht von der Stelle, wo ſie ihr Theuerſtes begraben wußte, und wäre jedenfalls ſpäter auch noch verſpeiſt worden. Mit einer Biene, welcher man die Flügel ausgeriſſen hat, balgt ſich der Ameiſenlöwe eine Viertelſtunde umher und wirft man ihm ſeinen Bruder vor, ſo gilt ihm das auch gleich, er, feſt im Sande ſitzend, befindet ſich ſtets im Vortheile. Die ausgeſogenen Thier- leichen werden herausgeſchleudert, damit ſie ihm nicht im Wege ſind. So müſſen Ausdauer und Schlauheit erſetzen, was dem Ameiſenlöwen durch den Mangel anderer Naturanlagen verſagt wurde. Mit Anfang Juni beginnen die erwachſenen Larven ſich zu verpuppen. Zu dem Ende graben ſie ſich etwas tiefer unter die Spitze ihres Trichters ein, ziehen das Ende ihres Hinter- leibes wie ein Ferurohr in eine weiche, bewegliche Röhre aus und ſpinnen damit weißſeidene Fäden, welche die benachbarten Sandſchichten in Form einer lockern Kugel zuſammenhalten. Die Jnnenwand iſt zart und dichter austapezirt. Nun reißt die Larvenhaut im Nacken und die Puppe drängt ſich daraus hervor. Sie iſt ſchlanker, als die Larve, gelblich von Farbe und braungefleckt, die Scheiden der Flügel, Füße und Fühler hängen frei an ihr herab, wie bei jeder gemeiſelten Puppe, und der ganze Körper ruht in gekrümmter Lage, damit ihm der Platz in der hohlen Kugel nicht mangele. Ausgebrütet durch den oft glühend heißen Sand ſprengt nach vier Wochen das fliegende Jnſekt ſeine Puppenhülſe, und nimmt ſie beim Ausſchlüpfen zur Hälfte aus dem vorher durchbohrten Cocon mit heraus. Die ſchlanke „Ameiſenjungfer“ erblickt das Licht der Welt nur in den Abendſtunden, zum ſichern Belege für ihre nächtliche Lebensweiſe. Jch hatte im ver- floßnen Sommer zahlreiche Kugeln eingetragen und fand allabendlich bis acht Stück Neugeborne in der Schachtel, konnte aber ſicher darauf rechnen, daß am andern Morgen einige davon verſtümmelt waren, wenn ich ſie über Nacht beiſammenließ. Die wenigen ihnen vergönnten Lebenstage fallen dem Fortpflanzungsgeſchäft anheim. Das befruchtete Weibchen legt eine geringe Anzahl von ungefähr 1½ Linie langen, ½ Linie breiten, hartſchaligen Eiern. Dieſelben ſind etwas gebogen, gelblich von Farbe, am dickeren Ende roth. Vor Winters noch kriechen die Lärvchen aus, richten ſich in der angegebenen Weiſe häuslich ein und verfallen in der futterloſen Zeit tief unten im Trichter in den Winterſchlaf. Sie ſind wahrſcheinlich im nächſten Juni noch nicht erwachſen, da ſich gleichzeitig Larven verſchiedener Größe und Puppen vorfinden. Häutungen der Larve wurden, meines Wiſſens, nicht beobachtet. — Ganz in derſelben Weiſe lebt die ſehr ähnliche, nur am Kopfe unmerklich abweichende Larve der ungefleckten Ameiſenjungfer (Myrmeleon formicalynx), welche mit der vorigen Art in Deutſchland vorkommt und ſich leicht an den ungefleckten Flügeln von ihr unterſcheiden läßt. Dagegen kommen in ſüdlicheren Theilen Europas auch Arten vor, deren Larven keinen Trichter aufertigen, ſondern ſich einfach im Sandboden verbergen. Dahin gehört z. B. der langfühlerige Ameiſenlöwe (M. tetragrammicus), bei welchem die Fühler mindeſtens die Geſammtlänge von Kopf und Thorax erreichen und die Sporen der Vorderſchienen ſich krümmen. Die Larve unterſcheidet ſich äußerlich inſofern von der vorigen, als die Augen auf einem kleinen Hügel ſtehen und das kugelige Endglied des Leibes unten am Hinterrande mit zwei hornigen,

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/450>, abgerufen am 23.11.2024.