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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Wasserjungfern.

Die Wellen eines sanft dahin gleitenden Baches spielen mit den Stengeln der ihn umzäu-
nenden Wassergräser und schlanker, über alle andern hervorragender Schilfshalme, daß sie leise
flüstern, auch ohne den geringsten Windhauch. Ein steinernes Thor läßt jenem den Weg unter
dem Eisenbahndamme offen, welcher wie eine Mauer die Gegend durchschneidet; Kühlung ver-
breitend, tritt er heraus und verfolgt geräuschlos seine Bahn, abwechselnd zwischen bunten Wiesen-
streifen und gesegneten Fluren dahinfließend. Ein vereinzeltes Weidenbüschchen, kräftiger Graswuchs,
hie und da ein rother Teppich der gedrängt blühenden Wasserminze, oder ein Strauß des schlanken
Blutkrauts bezeichnen die Schlangenwindungen seines schmalen Pfades. Lustiges Jnsektenvolk zieht ihm
nach und umschwirrt seine blumenreichen Ufer. Das Schilf, der Weidenbusch, das Gemäuer des Brücken-
bogens hier an diesem Bache, oder eine stehende Lache mitten in einer Wiese, das sind die trau-
lichen Plätzchen, wo sich die schlanken blauen oder grünen, metallisch glänzenden Seejungfern
vom Juli ab gern aufhalten. Schwankenden Fluges, mehr flatternd, schweben sie von Stengel
zu Stengel, wiegen sich auf diesem Blatte oder klammern sich an jenem fest, wenn ihnen das
erste nicht gefiel, immer die Flügel, gleich den Tagschmetterlingen, hoch haltend. Sie scheinen nur
zur Kurzweil ihre trägen Umflüge zu halten, ohne Nebenzweck, versäumen indeß nicht, verstohlener-
weise hier ein Mückchen, dort eine Fliege wegzuschnappen und ungesäumt zu verspeisen. So treibt
es die eine Sippe der gleich näher zu betrachtenden Thiere, andere, durchschnittlich größere, können
wir in ihrer vollen Wildheit an offenen Stellen des Waldes beobachten, wenn die Gewitterschwüle
in der Atmosphäre unserer beklommenen Brust das Athmen fast verbietet. Je mehr wir uns gedrückt
fühlen, desto ungebundener und freier schwirrt an unsern Ohren jeden Augenblick ein schlankes
Jnsekt in wildem Fluge vorbei: die allbekannten Wasserjungfern, welchen Namen wir Deutsche
den Franzosen nachgebildet haben mögen, welche, immer galant, die Thiere "Demoiselles" nennen.
Jhre Bewegungen sind leicht und gewandt, ihre Kleidung ist seidenarlig glänzend, bunt und mit
den feinsten Spitzen besetzt; denn als solche erscheinen ihre Flügel. Aber im Charakter haben
sie mit Niemand weniger als den Jungfrauen Aehnlichkeit. Wer Okens Naturgeschichte studirt
hat, lernte sie unter dem Namen Schillebolde (schillernde Bolde) oder Teufelsnadeln
kennen. Der stets praktische Engländer gab den Thieren den bezeichnendsten Namen, indem er sie
"Drachenfliegen" (Dragon-flies) nannte. Brettschneider heißen sie provinziell in der einen Gegend
von Deutschland, Augenstößer oder Himmelspferde in anderen. Man möchte fast glauben,
es ginge besagten Wesen jetzt wie den Katzen mit ihrem elektrischen Felle, die Nähe eines zur
Entladung kommenden, oder mindestens drohenden Gewitters rufe in ihrem Organismus eine
nicht bezwingbare Unruhe hervor. Hier läßt sich eine an einem Baumstamme, oder auf dem
Wege vor uns nieder; herrlich schillern ihre feinmaschigen, langen Flügel in allen Farben. Jm
nämlichen Augenblick fährt sie ebenso wild auf, wie sie sich niedergelassen. Dort stürzt eine, wie
ein Raubvogel in jähem Schuß auf eine unglückliche Fliege, gönnt sich aber nicht die Ruhe, sie
sitzend zu verzehren, sondern verschlingt ihre Mahlzeit im Fluge, zugleich mit den übermäßig
großen Augen nach einem neuen Leckerbissen ausschanend. Mehr als einmal ist es mir begegnet,
daß eine Wasserjungfer flinker war, als ich und den Spanner, oder ein anderes Jnsekt, welches
ich auf dem Zuge hatte, mir vor der Nase wegschnappte und mir nur das -- -- Nachsehen ließ.
Manche lieben es, fortwährend im Kreise herum zu fliegen, besonders über Wasser, wobei sie
fangen und wegschnappen, was in ihren Bereich kommt und ihres Gleichen wohl auch durch einige
Bisse aus dem Jagdrevier verdrängen. Durch solches und ähnliches Treiben und unermüdliche
Flugfertigkeit unterhalten die Libellen fast allerwärts vom Mai bis zum Herbste an warmen Tagen
den Spaziergänger, wenn er ihnen anders einige Aufmerksamkeit schenken will, und zwar im kalten
Lappland nicht minder, wie im heißen Neuholland. Jst es rauh und windig, so sitzen sie fest
und lassen sich viel leichter mit den Fingern wegnehmen, als sonst mit den besten, noch so geschickt
gehandhabten Fangwerkzeugen erhaschen. Jn Farbe, Größe, Art des Fluges und dem Bau der
einzelnen Glieder finden sich bei den verschiedenen Arten mancherlei Abwechselungen, auf die wir

Waſſerjungfern.

Die Wellen eines ſanft dahin gleitenden Baches ſpielen mit den Stengeln der ihn umzäu-
nenden Waſſergräſer und ſchlanker, über alle andern hervorragender Schilfshalme, daß ſie leiſe
flüſtern, auch ohne den geringſten Windhauch. Ein ſteinernes Thor läßt jenem den Weg unter
dem Eiſenbahndamme offen, welcher wie eine Mauer die Gegend durchſchneidet; Kühlung ver-
breitend, tritt er heraus und verfolgt geräuſchlos ſeine Bahn, abwechſelnd zwiſchen bunten Wieſen-
ſtreifen und geſegneten Fluren dahinfließend. Ein vereinzeltes Weidenbüſchchen, kräftiger Graswuchs,
hie und da ein rother Teppich der gedrängt blühenden Waſſerminze, oder ein Strauß des ſchlanken
Blutkrauts bezeichnen die Schlangenwindungen ſeines ſchmalen Pfades. Luſtiges Jnſektenvolk zieht ihm
nach und umſchwirrt ſeine blumenreichen Ufer. Das Schilf, der Weidenbuſch, das Gemäuer des Brücken-
bogens hier an dieſem Bache, oder eine ſtehende Lache mitten in einer Wieſe, das ſind die trau-
lichen Plätzchen, wo ſich die ſchlanken blauen oder grünen, metalliſch glänzenden Seejungfern
vom Juli ab gern aufhalten. Schwankenden Fluges, mehr flatternd, ſchweben ſie von Stengel
zu Stengel, wiegen ſich auf dieſem Blatte oder klammern ſich an jenem feſt, wenn ihnen das
erſte nicht gefiel, immer die Flügel, gleich den Tagſchmetterlingen, hoch haltend. Sie ſcheinen nur
zur Kurzweil ihre trägen Umflüge zu halten, ohne Nebenzweck, verſäumen indeß nicht, verſtohlener-
weiſe hier ein Mückchen, dort eine Fliege wegzuſchnappen und ungeſäumt zu verſpeiſen. So treibt
es die eine Sippe der gleich näher zu betrachtenden Thiere, andere, durchſchnittlich größere, können
wir in ihrer vollen Wildheit an offenen Stellen des Waldes beobachten, wenn die Gewitterſchwüle
in der Atmosphäre unſerer beklommenen Bruſt das Athmen faſt verbietet. Je mehr wir uns gedrückt
fühlen, deſto ungebundener und freier ſchwirrt an unſern Ohren jeden Augenblick ein ſchlankes
Jnſekt in wildem Fluge vorbei: die allbekannten Waſſerjungfern, welchen Namen wir Deutſche
den Franzoſen nachgebildet haben mögen, welche, immer galant, die Thiere „Demoiselles“ nennen.
Jhre Bewegungen ſind leicht und gewandt, ihre Kleidung iſt ſeidenarlig glänzend, bunt und mit
den feinſten Spitzen beſetzt; denn als ſolche erſcheinen ihre Flügel. Aber im Charakter haben
ſie mit Niemand weniger als den Jungfrauen Aehnlichkeit. Wer Okens Naturgeſchichte ſtudirt
hat, lernte ſie unter dem Namen Schillebolde (ſchillernde Bolde) oder Teufelsnadeln
kennen. Der ſtets praktiſche Engländer gab den Thieren den bezeichnendſten Namen, indem er ſie
„Drachenfliegen“ (Dragon-flies) nannte. Brettſchneider heißen ſie provinziell in der einen Gegend
von Deutſchland, Augenſtößer oder Himmelspferde in anderen. Man möchte faſt glauben,
es ginge beſagten Weſen jetzt wie den Katzen mit ihrem elektriſchen Felle, die Nähe eines zur
Entladung kommenden, oder mindeſtens drohenden Gewitters rufe in ihrem Organismus eine
nicht bezwingbare Unruhe hervor. Hier läßt ſich eine an einem Baumſtamme, oder auf dem
Wege vor uns nieder; herrlich ſchillern ihre feinmaſchigen, langen Flügel in allen Farben. Jm
nämlichen Augenblick fährt ſie ebenſo wild auf, wie ſie ſich niedergelaſſen. Dort ſtürzt eine, wie
ein Raubvogel in jähem Schuß auf eine unglückliche Fliege, gönnt ſich aber nicht die Ruhe, ſie
ſitzend zu verzehren, ſondern verſchlingt ihre Mahlzeit im Fluge, zugleich mit den übermäßig
großen Augen nach einem neuen Leckerbiſſen ausſchanend. Mehr als einmal iſt es mir begegnet,
daß eine Waſſerjungfer flinker war, als ich und den Spanner, oder ein anderes Jnſekt, welches
ich auf dem Zuge hatte, mir vor der Naſe wegſchnappte und mir nur das — — Nachſehen ließ.
Manche lieben es, fortwährend im Kreiſe herum zu fliegen, beſonders über Waſſer, wobei ſie
fangen und wegſchnappen, was in ihren Bereich kommt und ihres Gleichen wohl auch durch einige
Biſſe aus dem Jagdrevier verdrängen. Durch ſolches und ähnliches Treiben und unermüdliche
Flugfertigkeit unterhalten die Libellen faſt allerwärts vom Mai bis zum Herbſte an warmen Tagen
den Spaziergänger, wenn er ihnen anders einige Aufmerkſamkeit ſchenken will, und zwar im kalten
Lappland nicht minder, wie im heißen Neuholland. Jſt es rauh und windig, ſo ſitzen ſie feſt
und laſſen ſich viel leichter mit den Fingern wegnehmen, als ſonſt mit den beſten, noch ſo geſchickt
gehandhabten Fangwerkzeugen erhaſchen. Jn Farbe, Größe, Art des Fluges und dem Bau der
einzelnen Glieder finden ſich bei den verſchiedenen Arten mancherlei Abwechſelungen, auf die wir

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[445/0473] Waſſerjungfern. Die Wellen eines ſanft dahin gleitenden Baches ſpielen mit den Stengeln der ihn umzäu- nenden Waſſergräſer und ſchlanker, über alle andern hervorragender Schilfshalme, daß ſie leiſe flüſtern, auch ohne den geringſten Windhauch. Ein ſteinernes Thor läßt jenem den Weg unter dem Eiſenbahndamme offen, welcher wie eine Mauer die Gegend durchſchneidet; Kühlung ver- breitend, tritt er heraus und verfolgt geräuſchlos ſeine Bahn, abwechſelnd zwiſchen bunten Wieſen- ſtreifen und geſegneten Fluren dahinfließend. Ein vereinzeltes Weidenbüſchchen, kräftiger Graswuchs, hie und da ein rother Teppich der gedrängt blühenden Waſſerminze, oder ein Strauß des ſchlanken Blutkrauts bezeichnen die Schlangenwindungen ſeines ſchmalen Pfades. Luſtiges Jnſektenvolk zieht ihm nach und umſchwirrt ſeine blumenreichen Ufer. Das Schilf, der Weidenbuſch, das Gemäuer des Brücken- bogens hier an dieſem Bache, oder eine ſtehende Lache mitten in einer Wieſe, das ſind die trau- lichen Plätzchen, wo ſich die ſchlanken blauen oder grünen, metalliſch glänzenden Seejungfern vom Juli ab gern aufhalten. Schwankenden Fluges, mehr flatternd, ſchweben ſie von Stengel zu Stengel, wiegen ſich auf dieſem Blatte oder klammern ſich an jenem feſt, wenn ihnen das erſte nicht gefiel, immer die Flügel, gleich den Tagſchmetterlingen, hoch haltend. Sie ſcheinen nur zur Kurzweil ihre trägen Umflüge zu halten, ohne Nebenzweck, verſäumen indeß nicht, verſtohlener- weiſe hier ein Mückchen, dort eine Fliege wegzuſchnappen und ungeſäumt zu verſpeiſen. So treibt es die eine Sippe der gleich näher zu betrachtenden Thiere, andere, durchſchnittlich größere, können wir in ihrer vollen Wildheit an offenen Stellen des Waldes beobachten, wenn die Gewitterſchwüle in der Atmosphäre unſerer beklommenen Bruſt das Athmen faſt verbietet. Je mehr wir uns gedrückt fühlen, deſto ungebundener und freier ſchwirrt an unſern Ohren jeden Augenblick ein ſchlankes Jnſekt in wildem Fluge vorbei: die allbekannten Waſſerjungfern, welchen Namen wir Deutſche den Franzoſen nachgebildet haben mögen, welche, immer galant, die Thiere „Demoiselles“ nennen. Jhre Bewegungen ſind leicht und gewandt, ihre Kleidung iſt ſeidenarlig glänzend, bunt und mit den feinſten Spitzen beſetzt; denn als ſolche erſcheinen ihre Flügel. Aber im Charakter haben ſie mit Niemand weniger als den Jungfrauen Aehnlichkeit. Wer Okens Naturgeſchichte ſtudirt hat, lernte ſie unter dem Namen Schillebolde (ſchillernde Bolde) oder Teufelsnadeln kennen. Der ſtets praktiſche Engländer gab den Thieren den bezeichnendſten Namen, indem er ſie „Drachenfliegen“ (Dragon-flies) nannte. Brettſchneider heißen ſie provinziell in der einen Gegend von Deutſchland, Augenſtößer oder Himmelspferde in anderen. Man möchte faſt glauben, es ginge beſagten Weſen jetzt wie den Katzen mit ihrem elektriſchen Felle, die Nähe eines zur Entladung kommenden, oder mindeſtens drohenden Gewitters rufe in ihrem Organismus eine nicht bezwingbare Unruhe hervor. Hier läßt ſich eine an einem Baumſtamme, oder auf dem Wege vor uns nieder; herrlich ſchillern ihre feinmaſchigen, langen Flügel in allen Farben. Jm nämlichen Augenblick fährt ſie ebenſo wild auf, wie ſie ſich niedergelaſſen. Dort ſtürzt eine, wie ein Raubvogel in jähem Schuß auf eine unglückliche Fliege, gönnt ſich aber nicht die Ruhe, ſie ſitzend zu verzehren, ſondern verſchlingt ihre Mahlzeit im Fluge, zugleich mit den übermäßig großen Augen nach einem neuen Leckerbiſſen ausſchanend. Mehr als einmal iſt es mir begegnet, daß eine Waſſerjungfer flinker war, als ich und den Spanner, oder ein anderes Jnſekt, welches ich auf dem Zuge hatte, mir vor der Naſe wegſchnappte und mir nur das — — Nachſehen ließ. Manche lieben es, fortwährend im Kreiſe herum zu fliegen, beſonders über Waſſer, wobei ſie fangen und wegſchnappen, was in ihren Bereich kommt und ihres Gleichen wohl auch durch einige Biſſe aus dem Jagdrevier verdrängen. Durch ſolches und ähnliches Treiben und unermüdliche Flugfertigkeit unterhalten die Libellen faſt allerwärts vom Mai bis zum Herbſte an warmen Tagen den Spaziergänger, wenn er ihnen anders einige Aufmerkſamkeit ſchenken will, und zwar im kalten Lappland nicht minder, wie im heißen Neuholland. Jſt es rauh und windig, ſo ſitzen ſie feſt und laſſen ſich viel leichter mit den Fingern wegnehmen, als ſonſt mit den beſten, noch ſo geſchickt gehandhabten Fangwerkzeugen erhaſchen. Jn Farbe, Größe, Art des Fluges und dem Bau der einzelnen Glieder finden ſich bei den verſchiedenen Arten mancherlei Abwechſelungen, auf die wir

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/473>, abgerufen am 28.09.2024.