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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Die Geradflügler. Wasserjungfern.
ungeheurer Libellenschwarm in die Stadt zöge. Um die Mittagszeit verfügte ich mich dahin und
sah noch immerfort Libellen in dicht gedrängten Massen in die Stadt ziehen. Um das interessante
Schauspiel genauer zu betrachten, ging ich zum Thore hinaus und konnte hier auf einem freien
Platze den Zug genau beobachten. Denkt man sich von der Höhe des Thores aus nach Dewan
(etwa 1/4 Meile) hin -- denn dort nahm, wie ich später entdeckte, der Zug seinen Anfang -- eine
gerade Linie gezogen, so gibt sie die Richtung genau an; am Thore war er etwa dreißig Fuß
über dem Boden erhaben, da die Krone des dort befindlichen Walles den Zug zum Theil am
Hinüberfliegen hinderte. Gegen Dewau zu senkte er sich allmälig, wie man an nahe stehenden
Bäumen schätzen konnte, und wo er bei Dewau den Weg kreuzte, war er der Erde so nahe, daß
ich, auf einem Wagen sitzend, hindurchfuhr. Auffällig und sonst nicht beobachtet war mir die
große Regelmäßigkeit des Zuges. Die Libellen flogen dicht gedrängt hinter und über einander,
ohne von der vorgeschriebenen Richtung abzuweichen. Sie bildeten so ein etwa 60 Fuß breites
und 10 Fuß hohes lebendes Band, das sich um so deutlicher markirte, als rechts und links davon
die Luft rein, von Jnsekten leer erschien. Die Schnelligkeit des Zuges war ungefähr die eines
kurzen Pferdetrabes, also unbedeutend im Vergleich zu dem rapiden Fluge, der sonst diesen
Thieren eigenthümlich ist. Bei näherer Betrachtung fiel es mir auf, daß alle Wasserjungfern frisch
ausgeschlüpft zu sein schienen. Der eigenthümliche Glanz der Flügel bei Libellen, die noch nicht
lange die Nymphenhaut abgestreift haben, läßt dies nicht schwer erkennen. Je weiter ich dem Zuge
entgegenfuhr, desto jünger waren offenbar die Thiere, bis ich nach Dewau kam und in dem
dortigen Teiche die Quelle des Stromes entdeckte. Die Färbung des Körpers und die Consistenz
der Flügel bewiesen, daß sie erst an demselben Morgen ihre Verwandlung überstanden haben
konnten. Auf dem Teiche oder am jenseitigen Ufer war keine Libelle zu sehen. Der Zug nahm
zweifellos aus dem Teiche selbst und zwar am diesseitigen Ufer seinen Ursprung. Der Zug dauerte
in derselben Weise ununterbrochen bis zum Abend fort; eine Schätzung der Zahl der Thiere mag
ich mir nicht erlauben. Merkwürdig genug übernachtete ein Theil desselben, da die Libellen mit
Sonnenuntergang zu fliegen aufhören, in dem dem Thore zunächst gelegenen Stadttheile, bedeckte
dort die Häuser und Bäume der Gärten und zog am folgenden Morgen in der ursprünglichen
Richtung weiter. Auf eine Anfrage, die ich in den Zeitungen ergehen ließ, erfolgte die Antwort,
daß er am folgenden Tage in der Richtung über Karschau weggezogen und etwa drei Meilen von
Königsberg gesehen worden sei; sein weiteres Schicksal blieb mir unbekannt. -- Halten wir die
beobachteten Thatsachen zusammen, so liegt hier unzweifelhaft der instinktartige Trieb einer Orts-
veränderung vor, da die Thiere gegen ihre Gewohnheit und bevor an ihrer Geburtsstätte Mangel
an Nahrung ihnen fühlbar gewesen sein konnte, in geregeltem Zuge, gleichfalls sehr gegen ihre
Gewohnheit, dieselbe verließen. Wohl davon zu unterscheiden sind die ungeheuren Schwärme von
Libellen, die wir in manchen Jahren an den Gewässern beobachten, besonders wenn ein kaltes
Frühjahr ihre Entwickelung verzögert hat und einige warme Tage plötzlich die verspätete Ent-
wickelung zu Wege bringen. -- Der von mir beobachtete Zug folgte der Richtung des Windes,
doch scheint dies mehr zufällig gewesen zu sein, da bei den vierzig verschiedenen Beobachtungen ein
großer Theil nicht die herrschende Windrichtung einhielt. Die Ursache dieser Züge ist noch nicht
aufgeklärt. Die Regelmäßigkeit derselben, die dem Naturell jener rastlos umherschweifenden Thiere
widerspricht, bedingt allerdings einen bestimmten Zweck. Jm vorliegenden Falle läßt sich nur
annehmen, daß für die künftige Brut einer solchen Anzahl die dortigen Gewässer, die übrigens
im Sommer nicht austrocknen, nicht ausgereicht haben dürften .... Abbe Chappe, der 1761
den Durchgang der Venus in Sibirien beobachten sollte, sah einen ähnlichen Zug derselben Art,
500 Ellen breit und 5 Stunden lang in Tobolsk, und Herr Uhler aus Baltimore berichtet mir, daß
im nördlichen Amerika, namentlich in Wisconsin, derartige Züge nicht ungewöhnlich seien. Die
übersendeten Thiere stellen es außer Zweifel, daß jene Art mit der unseren genau übereinstimmt;
auch in Südamerika wurden diese Erscheinungen beobachtet. Wie kräftig übrigens das Flugver-

Die Geradflügler. Waſſerjungfern.
ungeheurer Libellenſchwarm in die Stadt zöge. Um die Mittagszeit verfügte ich mich dahin und
ſah noch immerfort Libellen in dicht gedrängten Maſſen in die Stadt ziehen. Um das intereſſante
Schauſpiel genauer zu betrachten, ging ich zum Thore hinaus und konnte hier auf einem freien
Platze den Zug genau beobachten. Denkt man ſich von der Höhe des Thores aus nach Dewan
(etwa ¼ Meile) hin — denn dort nahm, wie ich ſpäter entdeckte, der Zug ſeinen Anfang — eine
gerade Linie gezogen, ſo gibt ſie die Richtung genau an; am Thore war er etwa dreißig Fuß
über dem Boden erhaben, da die Krone des dort befindlichen Walles den Zug zum Theil am
Hinüberfliegen hinderte. Gegen Dewau zu ſenkte er ſich allmälig, wie man an nahe ſtehenden
Bäumen ſchätzen konnte, und wo er bei Dewau den Weg kreuzte, war er der Erde ſo nahe, daß
ich, auf einem Wagen ſitzend, hindurchfuhr. Auffällig und ſonſt nicht beobachtet war mir die
große Regelmäßigkeit des Zuges. Die Libellen flogen dicht gedrängt hinter und über einander,
ohne von der vorgeſchriebenen Richtung abzuweichen. Sie bildeten ſo ein etwa 60 Fuß breites
und 10 Fuß hohes lebendes Band, das ſich um ſo deutlicher markirte, als rechts und links davon
die Luft rein, von Jnſekten leer erſchien. Die Schnelligkeit des Zuges war ungefähr die eines
kurzen Pferdetrabes, alſo unbedeutend im Vergleich zu dem rapiden Fluge, der ſonſt dieſen
Thieren eigenthümlich iſt. Bei näherer Betrachtung fiel es mir auf, daß alle Waſſerjungfern friſch
ausgeſchlüpft zu ſein ſchienen. Der eigenthümliche Glanz der Flügel bei Libellen, die noch nicht
lange die Nymphenhaut abgeſtreift haben, läßt dies nicht ſchwer erkennen. Je weiter ich dem Zuge
entgegenfuhr, deſto jünger waren offenbar die Thiere, bis ich nach Dewau kam und in dem
dortigen Teiche die Quelle des Stromes entdeckte. Die Färbung des Körpers und die Conſiſtenz
der Flügel bewieſen, daß ſie erſt an demſelben Morgen ihre Verwandlung überſtanden haben
konnten. Auf dem Teiche oder am jenſeitigen Ufer war keine Libelle zu ſehen. Der Zug nahm
zweifellos aus dem Teiche ſelbſt und zwar am dieſſeitigen Ufer ſeinen Urſprung. Der Zug dauerte
in derſelben Weiſe ununterbrochen bis zum Abend fort; eine Schätzung der Zahl der Thiere mag
ich mir nicht erlauben. Merkwürdig genug übernachtete ein Theil deſſelben, da die Libellen mit
Sonnenuntergang zu fliegen aufhören, in dem dem Thore zunächſt gelegenen Stadttheile, bedeckte
dort die Häuſer und Bäume der Gärten und zog am folgenden Morgen in der urſprünglichen
Richtung weiter. Auf eine Anfrage, die ich in den Zeitungen ergehen ließ, erfolgte die Antwort,
daß er am folgenden Tage in der Richtung über Karſchau weggezogen und etwa drei Meilen von
Königsberg geſehen worden ſei; ſein weiteres Schickſal blieb mir unbekannt. — Halten wir die
beobachteten Thatſachen zuſammen, ſo liegt hier unzweifelhaft der inſtinktartige Trieb einer Orts-
veränderung vor, da die Thiere gegen ihre Gewohnheit und bevor an ihrer Geburtsſtätte Mangel
an Nahrung ihnen fühlbar geweſen ſein konnte, in geregeltem Zuge, gleichfalls ſehr gegen ihre
Gewohnheit, dieſelbe verließen. Wohl davon zu unterſcheiden ſind die ungeheuren Schwärme von
Libellen, die wir in manchen Jahren an den Gewäſſern beobachten, beſonders wenn ein kaltes
Frühjahr ihre Entwickelung verzögert hat und einige warme Tage plötzlich die verſpätete Ent-
wickelung zu Wege bringen. — Der von mir beobachtete Zug folgte der Richtung des Windes,
doch ſcheint dies mehr zufällig geweſen zu ſein, da bei den vierzig verſchiedenen Beobachtungen ein
großer Theil nicht die herrſchende Windrichtung einhielt. Die Urſache dieſer Züge iſt noch nicht
aufgeklärt. Die Regelmäßigkeit derſelben, die dem Naturell jener raſtlos umherſchweifenden Thiere
widerſpricht, bedingt allerdings einen beſtimmten Zweck. Jm vorliegenden Falle läßt ſich nur
annehmen, daß für die künftige Brut einer ſolchen Anzahl die dortigen Gewäſſer, die übrigens
im Sommer nicht austrocknen, nicht ausgereicht haben dürften .... Abbé Chappe, der 1761
den Durchgang der Venus in Sibirien beobachten ſollte, ſah einen ähnlichen Zug derſelben Art,
500 Ellen breit und 5 Stunden lang in Tobolsk, und Herr Uhler aus Baltimore berichtet mir, daß
im nördlichen Amerika, namentlich in Wisconſin, derartige Züge nicht ungewöhnlich ſeien. Die
überſendeten Thiere ſtellen es außer Zweifel, daß jene Art mit der unſeren genau übereinſtimmt;
auch in Südamerika wurden dieſe Erſcheinungen beobachtet. Wie kräftig übrigens das Flugver-

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[452/0482] Die Geradflügler. Waſſerjungfern. ungeheurer Libellenſchwarm in die Stadt zöge. Um die Mittagszeit verfügte ich mich dahin und ſah noch immerfort Libellen in dicht gedrängten Maſſen in die Stadt ziehen. Um das intereſſante Schauſpiel genauer zu betrachten, ging ich zum Thore hinaus und konnte hier auf einem freien Platze den Zug genau beobachten. Denkt man ſich von der Höhe des Thores aus nach Dewan (etwa ¼ Meile) hin — denn dort nahm, wie ich ſpäter entdeckte, der Zug ſeinen Anfang — eine gerade Linie gezogen, ſo gibt ſie die Richtung genau an; am Thore war er etwa dreißig Fuß über dem Boden erhaben, da die Krone des dort befindlichen Walles den Zug zum Theil am Hinüberfliegen hinderte. Gegen Dewau zu ſenkte er ſich allmälig, wie man an nahe ſtehenden Bäumen ſchätzen konnte, und wo er bei Dewau den Weg kreuzte, war er der Erde ſo nahe, daß ich, auf einem Wagen ſitzend, hindurchfuhr. Auffällig und ſonſt nicht beobachtet war mir die große Regelmäßigkeit des Zuges. Die Libellen flogen dicht gedrängt hinter und über einander, ohne von der vorgeſchriebenen Richtung abzuweichen. Sie bildeten ſo ein etwa 60 Fuß breites und 10 Fuß hohes lebendes Band, das ſich um ſo deutlicher markirte, als rechts und links davon die Luft rein, von Jnſekten leer erſchien. Die Schnelligkeit des Zuges war ungefähr die eines kurzen Pferdetrabes, alſo unbedeutend im Vergleich zu dem rapiden Fluge, der ſonſt dieſen Thieren eigenthümlich iſt. Bei näherer Betrachtung fiel es mir auf, daß alle Waſſerjungfern friſch ausgeſchlüpft zu ſein ſchienen. Der eigenthümliche Glanz der Flügel bei Libellen, die noch nicht lange die Nymphenhaut abgeſtreift haben, läßt dies nicht ſchwer erkennen. Je weiter ich dem Zuge entgegenfuhr, deſto jünger waren offenbar die Thiere, bis ich nach Dewau kam und in dem dortigen Teiche die Quelle des Stromes entdeckte. Die Färbung des Körpers und die Conſiſtenz der Flügel bewieſen, daß ſie erſt an demſelben Morgen ihre Verwandlung überſtanden haben konnten. Auf dem Teiche oder am jenſeitigen Ufer war keine Libelle zu ſehen. Der Zug nahm zweifellos aus dem Teiche ſelbſt und zwar am dieſſeitigen Ufer ſeinen Urſprung. Der Zug dauerte in derſelben Weiſe ununterbrochen bis zum Abend fort; eine Schätzung der Zahl der Thiere mag ich mir nicht erlauben. Merkwürdig genug übernachtete ein Theil deſſelben, da die Libellen mit Sonnenuntergang zu fliegen aufhören, in dem dem Thore zunächſt gelegenen Stadttheile, bedeckte dort die Häuſer und Bäume der Gärten und zog am folgenden Morgen in der urſprünglichen Richtung weiter. Auf eine Anfrage, die ich in den Zeitungen ergehen ließ, erfolgte die Antwort, daß er am folgenden Tage in der Richtung über Karſchau weggezogen und etwa drei Meilen von Königsberg geſehen worden ſei; ſein weiteres Schickſal blieb mir unbekannt. — Halten wir die beobachteten Thatſachen zuſammen, ſo liegt hier unzweifelhaft der inſtinktartige Trieb einer Orts- veränderung vor, da die Thiere gegen ihre Gewohnheit und bevor an ihrer Geburtsſtätte Mangel an Nahrung ihnen fühlbar geweſen ſein konnte, in geregeltem Zuge, gleichfalls ſehr gegen ihre Gewohnheit, dieſelbe verließen. Wohl davon zu unterſcheiden ſind die ungeheuren Schwärme von Libellen, die wir in manchen Jahren an den Gewäſſern beobachten, beſonders wenn ein kaltes Frühjahr ihre Entwickelung verzögert hat und einige warme Tage plötzlich die verſpätete Ent- wickelung zu Wege bringen. — Der von mir beobachtete Zug folgte der Richtung des Windes, doch ſcheint dies mehr zufällig geweſen zu ſein, da bei den vierzig verſchiedenen Beobachtungen ein großer Theil nicht die herrſchende Windrichtung einhielt. Die Urſache dieſer Züge iſt noch nicht aufgeklärt. Die Regelmäßigkeit derſelben, die dem Naturell jener raſtlos umherſchweifenden Thiere widerſpricht, bedingt allerdings einen beſtimmten Zweck. Jm vorliegenden Falle läßt ſich nur annehmen, daß für die künftige Brut einer ſolchen Anzahl die dortigen Gewäſſer, die übrigens im Sommer nicht austrocknen, nicht ausgereicht haben dürften .... Abbé Chappe, der 1761 den Durchgang der Venus in Sibirien beobachten ſollte, ſah einen ähnlichen Zug derſelben Art, 500 Ellen breit und 5 Stunden lang in Tobolsk, und Herr Uhler aus Baltimore berichtet mir, daß im nördlichen Amerika, namentlich in Wisconſin, derartige Züge nicht ungewöhnlich ſeien. Die überſendeten Thiere ſtellen es außer Zweifel, daß jene Art mit der unſeren genau übereinſtimmt; auch in Südamerika wurden dieſe Erſcheinungen beobachtet. Wie kräftig übrigens das Flugver-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 452. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/482>, abgerufen am 28.09.2024.