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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Gemeine Krenzspinne.
breites Band von Fäden um die Fliege und läßt sie, gleich einem Püppchen zunächst hängen, oder
sie beißt diesen eingewickelten Leckerbissen ab, trägt ihn in ihren Winkel, um ihn daselbst in aller
Muße zu verspeisen, d. h. zusammenzukauen und mit Speichel vermischt aufzusaugen. Daher finden
sich Chitinstückchen in den Excrementen von einer Größe, welche der Durchgang durch den Schlund
gestattet. Man hat auch beobachtet, daß die Spinne, wenn sie eine Wespe oder ein anderes ihr
nicht zusagendes Wesen in ihrem Netze gewahr wird, diesem durch Abbeißen einiger Fäden selbst
zum Entkommen verhilft. Sehr kleine Mückchen, welche manchmal in großen Mengen das Netz
über und über dunkel färben und die klebende Kraft desselben bedeutend verringern, liefern ihr
nicht nur zu wenig Nährstoff, um sie zu verwerthen, sondern nöthigen sie sogar, den Bau zu ver-
lassen und einen andern anzulegen. Sie hat keine dienstbaren Geister wie einige westindische
Kreuzspinnen, in deren Nestern Darwin häufig kleinere Spinnchen antraf, von denen er ver-
muthet, daß sie sich von denjenigen Gefangenen ernähren, welche der Eigenthümerin des Baues
zu unansehnlich erscheinen. Daß die Kreuzspinne ein zerrissenes Netz ausbessere, wird von dem
einen Beobachter behauptet, vom anderen geleugnet. Da der Vorrath des Spinnstosses von der
Nahrung abhängt, man aber den Reichthum an solchem einer Spinne äußerlich nicht ansehen
kann, und weil die Zweckmäßigkeit des Anlageorts der Spinne selbst klarer ist, als dem menschlichen
Beobachter, so meine ich, daß in dem einen Falle die Ausbesserung, in einem andern, uns völlig
gleich erscheinenden die Anlage eines neuen Nestes von ihr vorgezogen wird.

Die Verschiedenheit im Betragen der Kreuzspinne bei der Anlage des Nestrahmens, bei der
Behandlung der Beute und deren Genuß, erstreckt sich auch auf die Art, wie sie einer Gefahr
begegnet. Das gewöhnliche Mittel, derselben zu entgehen, besteht im Herablassen an einem Faden,
an welchem sie in der Luft hängen bleibt, wenn sie dies für ausreichend hält, oder auf die Erde
fällt, und sich hier todt stellt, um nachher wieder ruhig hinauf zu klettern. Jch habe auch
schon bemerkt, daß sie an einem breiten Bande zur Erde fällt und schleunigst davon läuft. Dieses
letztere Mittel scheint sie besonders dann anzuwenden, wenn die Störung vollkommen unerwartet
kam, wenn beispielsweise ein kräftiger Stoß an den Ast erfolgt, auf welchem sie sorglos in ihrem
Hinterhalte ruhete. Höchst wahrscheinlich gehört auch zu ihren Sicherungsmitteln das sonderbare
Benehmen, wenn sie mitten im Neste sitzt. Was Darwin bei einer brasilianischen Spinne
beobachtete, können wir auch bei unserer Kreuzspinne sehen: fest sitzen bleibend, fängt sie an zu
schwingen und versetzt dadurch das ganze Gewebe in eine so heftig zitternde Bewegung von vorn
nach hinten, daß ihr Körper dem Auge des Beobachters fast verschwindet. Auch Dr. Fritsch
erzählt von einer südafrikanischen Radspinne, die sich ebenso durch Körpermaß wie Farbenpracht
auszeichnet. Sie hat ungefähr die dreifache Größe unserer Kreuzspinne und trägt auf dem flachen
an den Rändern eingekerbten Hinterleibe schräge orangengelbe und schwarze Streifen, welche dem
Thiere, wenn es sich auf seinem weitläufigen Netze schaukelt, die langen röthlich und
schwarz geringelten Beine regelmäßig ausgestreckt, ein prächtiges Ansehen verleihen.

Jm Herbst sind die Kreuzspinnen, unter denen in einer spinnenreichen Gegend auf zehn bis
fünfzehn Weibchen ein Männchen gerechnet werden kann, erwachsen und zur Begattung geneigt.
Ratzeburg war am 15. September Zeuge dieses Hergauges und berichtet darüber im Wesent-
lichen Folgendes. Es war bei schönem Wetter um die Mittagsstunde, als auf einem Holzplatze
im Walde ein Spinnenpärchen sein Spiel begann; das Weibchen kam von Zeit zu Zeit aus der
Mitte seines Gewebes langsam herab, dem Männchen entgegen, welches ehrerbietig an dem einen
Ende des Netzes wartete und sich nie nach dem Mittelpunkte hinwagte. Dann hing sich das
Weibchen mit dem Rücken nach unten, den Kopf nach vorn gerichtet und zog die Beine an den
Leib, als wenn es todt wäre. Das Männchen that sogleich einige Schritte vorwärts, und zwar
mit herabhängendem Rücken, also in der Lage, in welcher sich auch das Weibchen befand, und
betastete und umfaßte dieses von unten her mit seinen langen Beinen. Nachdem dieses Spiel,
offenbar eine Liebkosung, etwa eine Viertelstunde gedauert hatte, sprang das Männchen dem

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Gemeine Krenzſpinne.
breites Band von Fäden um die Fliege und läßt ſie, gleich einem Püppchen zunächſt hängen, oder
ſie beißt dieſen eingewickelten Leckerbiſſen ab, trägt ihn in ihren Winkel, um ihn daſelbſt in aller
Muße zu verſpeiſen, d. h. zuſammenzukauen und mit Speichel vermiſcht aufzuſaugen. Daher finden
ſich Chitinſtückchen in den Excrementen von einer Größe, welche der Durchgang durch den Schlund
geſtattet. Man hat auch beobachtet, daß die Spinne, wenn ſie eine Wespe oder ein anderes ihr
nicht zuſagendes Weſen in ihrem Netze gewahr wird, dieſem durch Abbeißen einiger Fäden ſelbſt
zum Entkommen verhilft. Sehr kleine Mückchen, welche manchmal in großen Mengen das Netz
über und über dunkel färben und die klebende Kraft deſſelben bedeutend verringern, liefern ihr
nicht nur zu wenig Nährſtoff, um ſie zu verwerthen, ſondern nöthigen ſie ſogar, den Bau zu ver-
laſſen und einen andern anzulegen. Sie hat keine dienſtbaren Geiſter wie einige weſtindiſche
Kreuzſpinnen, in deren Neſtern Darwin häufig kleinere Spinnchen antraf, von denen er ver-
muthet, daß ſie ſich von denjenigen Gefangenen ernähren, welche der Eigenthümerin des Baues
zu unanſehnlich erſcheinen. Daß die Kreuzſpinne ein zerriſſenes Netz ausbeſſere, wird von dem
einen Beobachter behauptet, vom anderen geleugnet. Da der Vorrath des Spinnſtoſſes von der
Nahrung abhängt, man aber den Reichthum an ſolchem einer Spinne äußerlich nicht anſehen
kann, und weil die Zweckmäßigkeit des Anlageorts der Spinne ſelbſt klarer iſt, als dem menſchlichen
Beobachter, ſo meine ich, daß in dem einen Falle die Ausbeſſerung, in einem andern, uns völlig
gleich erſcheinenden die Anlage eines neuen Neſtes von ihr vorgezogen wird.

Die Verſchiedenheit im Betragen der Kreuzſpinne bei der Anlage des Neſtrahmens, bei der
Behandlung der Beute und deren Genuß, erſtreckt ſich auch auf die Art, wie ſie einer Gefahr
begegnet. Das gewöhnliche Mittel, derſelben zu entgehen, beſteht im Herablaſſen an einem Faden,
an welchem ſie in der Luft hängen bleibt, wenn ſie dies für ausreichend hält, oder auf die Erde
fällt, und ſich hier todt ſtellt, um nachher wieder ruhig hinauf zu klettern. Jch habe auch
ſchon bemerkt, daß ſie an einem breiten Bande zur Erde fällt und ſchleunigſt davon läuft. Dieſes
letztere Mittel ſcheint ſie beſonders dann anzuwenden, wenn die Störung vollkommen unerwartet
kam, wenn beiſpielsweiſe ein kräftiger Stoß an den Aſt erfolgt, auf welchem ſie ſorglos in ihrem
Hinterhalte ruhete. Höchſt wahrſcheinlich gehört auch zu ihren Sicherungsmitteln das ſonderbare
Benehmen, wenn ſie mitten im Neſte ſitzt. Was Darwin bei einer braſilianiſchen Spinne
beobachtete, können wir auch bei unſerer Kreuzſpinne ſehen: feſt ſitzen bleibend, fängt ſie an zu
ſchwingen und verſetzt dadurch das ganze Gewebe in eine ſo heftig zitternde Bewegung von vorn
nach hinten, daß ihr Körper dem Auge des Beobachters faſt verſchwindet. Auch Dr. Fritſch
erzählt von einer ſüdafrikaniſchen Radſpinne, die ſich ebenſo durch Körpermaß wie Farbenpracht
auszeichnet. Sie hat ungefähr die dreifache Größe unſerer Kreuzſpinne und trägt auf dem flachen
an den Rändern eingekerbten Hinterleibe ſchräge orangengelbe und ſchwarze Streifen, welche dem
Thiere, wenn es ſich auf ſeinem weitläufigen Netze ſchaukelt, die langen röthlich und
ſchwarz geringelten Beine regelmäßig ausgeſtreckt, ein prächtiges Anſehen verleihen.

Jm Herbſt ſind die Kreuzſpinnen, unter denen in einer ſpinnenreichen Gegend auf zehn bis
fünfzehn Weibchen ein Männchen gerechnet werden kann, erwachſen und zur Begattung geneigt.
Ratzeburg war am 15. September Zeuge dieſes Hergauges und berichtet darüber im Weſent-
lichen Folgendes. Es war bei ſchönem Wetter um die Mittagsſtunde, als auf einem Holzplatze
im Walde ein Spinnenpärchen ſein Spiel begann; das Weibchen kam von Zeit zu Zeit aus der
Mitte ſeines Gewebes langſam herab, dem Männchen entgegen, welches ehrerbietig an dem einen
Ende des Netzes wartete und ſich nie nach dem Mittelpunkte hinwagte. Dann hing ſich das
Weibchen mit dem Rücken nach unten, den Kopf nach vorn gerichtet und zog die Beine an den
Leib, als wenn es todt wäre. Das Männchen that ſogleich einige Schritte vorwärts, und zwar
mit herabhängendem Rücken, alſo in der Lage, in welcher ſich auch das Weibchen befand, und
betaſtete und umfaßte dieſes von unten her mit ſeinen langen Beinen. Nachdem dieſes Spiel,
offenbar eine Liebkoſung, etwa eine Viertelſtunde gedauert hatte, ſprang das Männchen dem

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[579/0617] Gemeine Krenzſpinne. breites Band von Fäden um die Fliege und läßt ſie, gleich einem Püppchen zunächſt hängen, oder ſie beißt dieſen eingewickelten Leckerbiſſen ab, trägt ihn in ihren Winkel, um ihn daſelbſt in aller Muße zu verſpeiſen, d. h. zuſammenzukauen und mit Speichel vermiſcht aufzuſaugen. Daher finden ſich Chitinſtückchen in den Excrementen von einer Größe, welche der Durchgang durch den Schlund geſtattet. Man hat auch beobachtet, daß die Spinne, wenn ſie eine Wespe oder ein anderes ihr nicht zuſagendes Weſen in ihrem Netze gewahr wird, dieſem durch Abbeißen einiger Fäden ſelbſt zum Entkommen verhilft. Sehr kleine Mückchen, welche manchmal in großen Mengen das Netz über und über dunkel färben und die klebende Kraft deſſelben bedeutend verringern, liefern ihr nicht nur zu wenig Nährſtoff, um ſie zu verwerthen, ſondern nöthigen ſie ſogar, den Bau zu ver- laſſen und einen andern anzulegen. Sie hat keine dienſtbaren Geiſter wie einige weſtindiſche Kreuzſpinnen, in deren Neſtern Darwin häufig kleinere Spinnchen antraf, von denen er ver- muthet, daß ſie ſich von denjenigen Gefangenen ernähren, welche der Eigenthümerin des Baues zu unanſehnlich erſcheinen. Daß die Kreuzſpinne ein zerriſſenes Netz ausbeſſere, wird von dem einen Beobachter behauptet, vom anderen geleugnet. Da der Vorrath des Spinnſtoſſes von der Nahrung abhängt, man aber den Reichthum an ſolchem einer Spinne äußerlich nicht anſehen kann, und weil die Zweckmäßigkeit des Anlageorts der Spinne ſelbſt klarer iſt, als dem menſchlichen Beobachter, ſo meine ich, daß in dem einen Falle die Ausbeſſerung, in einem andern, uns völlig gleich erſcheinenden die Anlage eines neuen Neſtes von ihr vorgezogen wird. Die Verſchiedenheit im Betragen der Kreuzſpinne bei der Anlage des Neſtrahmens, bei der Behandlung der Beute und deren Genuß, erſtreckt ſich auch auf die Art, wie ſie einer Gefahr begegnet. Das gewöhnliche Mittel, derſelben zu entgehen, beſteht im Herablaſſen an einem Faden, an welchem ſie in der Luft hängen bleibt, wenn ſie dies für ausreichend hält, oder auf die Erde fällt, und ſich hier todt ſtellt, um nachher wieder ruhig hinauf zu klettern. Jch habe auch ſchon bemerkt, daß ſie an einem breiten Bande zur Erde fällt und ſchleunigſt davon läuft. Dieſes letztere Mittel ſcheint ſie beſonders dann anzuwenden, wenn die Störung vollkommen unerwartet kam, wenn beiſpielsweiſe ein kräftiger Stoß an den Aſt erfolgt, auf welchem ſie ſorglos in ihrem Hinterhalte ruhete. Höchſt wahrſcheinlich gehört auch zu ihren Sicherungsmitteln das ſonderbare Benehmen, wenn ſie mitten im Neſte ſitzt. Was Darwin bei einer braſilianiſchen Spinne beobachtete, können wir auch bei unſerer Kreuzſpinne ſehen: feſt ſitzen bleibend, fängt ſie an zu ſchwingen und verſetzt dadurch das ganze Gewebe in eine ſo heftig zitternde Bewegung von vorn nach hinten, daß ihr Körper dem Auge des Beobachters faſt verſchwindet. Auch Dr. Fritſch erzählt von einer ſüdafrikaniſchen Radſpinne, die ſich ebenſo durch Körpermaß wie Farbenpracht auszeichnet. Sie hat ungefähr die dreifache Größe unſerer Kreuzſpinne und trägt auf dem flachen an den Rändern eingekerbten Hinterleibe ſchräge orangengelbe und ſchwarze Streifen, welche dem Thiere, wenn es ſich auf ſeinem weitläufigen Netze ſchaukelt, die langen röthlich und ſchwarz geringelten Beine regelmäßig ausgeſtreckt, ein prächtiges Anſehen verleihen. Jm Herbſt ſind die Kreuzſpinnen, unter denen in einer ſpinnenreichen Gegend auf zehn bis fünfzehn Weibchen ein Männchen gerechnet werden kann, erwachſen und zur Begattung geneigt. Ratzeburg war am 15. September Zeuge dieſes Hergauges und berichtet darüber im Weſent- lichen Folgendes. Es war bei ſchönem Wetter um die Mittagsſtunde, als auf einem Holzplatze im Walde ein Spinnenpärchen ſein Spiel begann; das Weibchen kam von Zeit zu Zeit aus der Mitte ſeines Gewebes langſam herab, dem Männchen entgegen, welches ehrerbietig an dem einen Ende des Netzes wartete und ſich nie nach dem Mittelpunkte hinwagte. Dann hing ſich das Weibchen mit dem Rücken nach unten, den Kopf nach vorn gerichtet und zog die Beine an den Leib, als wenn es todt wäre. Das Männchen that ſogleich einige Schritte vorwärts, und zwar mit herabhängendem Rücken, alſo in der Lage, in welcher ſich auch das Weibchen befand, und betaſtete und umfaßte dieſes von unten her mit ſeinen langen Beinen. Nachdem dieſes Spiel, offenbar eine Liebkoſung, etwa eine Viertelſtunde gedauert hatte, ſprang das Männchen dem 37 *

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 579. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/617>, abgerufen am 23.11.2024.