reich gefundene Thierchen ist merkwürdig klein im Verhältniß zur Schale, welches Mißverhältniß aber wieder ausgeglichen wird durch die größere Stärke der Fußmuskeln und des Stieles, welcher zwischen der Einlenkung des Fußes und dem Körper sich befindet. Bei der Wanderung des Thieres steht die Mündung der Schale senkrecht auf dessen Rücken, während das Gewinde wag- recht, etwas schief nach rechts und gerade hoch genug liegt, um den Boden nicht zu berühren. Diese Haltung der Schale ist eigenthümlich genug, aber die Thätigkeit des Fußes ist es noch mehr. Denn bei jeder Anstrengung zur Voranbewegung wird das Schwanzende etwas in die Höhe gehoben und dann gegen die Bewegungsebene umgeschlagen, um dem Fuße einen stärkeren Antrieb oder dem Körper einen Stoß zu geben, während nur zwei weite Wellenbewegungen sich rasch vom Schwanzende gegen den Kopf hin fortpflanzen.
Mit der eben genannten theilen die Wasser-Lungenschnecken (Limnaeacea) die Eigen- thümlichkeit, daß die Fühler, nur zwei, nicht hohl und einstülpbar sind und die Augen nicht auf der Spitze sondern innen am Grunde derselben stehn. Die Gattung, nach welcher die ganze Abtheilung benannt, ist die Schlammschnecke (Limnaeus oder Limnaea). Am Thier, welches meist gelb punktirt ist, fallen die platt gedrückten dreieckigen Fühler auf. Das rechts gewundene Gehäus ist meist dünn und durchscheinend; seine Umgänge erweitern sich sehr schnell, und der letzte -- der Bauch -- ist meist der bedeutendste Theil des ganzen Gehäuses, das er zuweilen
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Große Schlammschnecke (Limnaeus stagnalis).
fast allein bildet. Sie leben am liebsten und häufigsten in recht weichem Wasser mit schlammigem Boden, in welchem Wassergewächse aller Arten wuchern. Man sieht sie theils am Boden, theils an den Stengeln und Blättern der Pflanzen kriechen, häufig auch mit der Sohle unmittelbar an der Wasseroberfläche hängen, das Gehäus nach unten gekehrt, und daran hingleiten. Sie haben diese Fähigkeit mit manchen anderen Bauchfüßern gemein. "Manche Bauchfüßer", sagt Johnston, "können an die Oberfläche emporsteigen, wo sie in umgekehrter Haltung, mit Leib und Schale nach unten und mit dem Fuße nach oben gewendet, sich der Luft wie eines festen Pfades bedienen und darauf in derselben Art, wie auf der Erde kriechen. Man kann die Aplysien und andere nacktkiemige Weichthiere oft abgesperrte Lachen an der Küste so durchwandern sehen. Jedoch sind es die Lungenschnecken unserer Süßwasser, welche diese merkwürdige Bewegungsweise im vollkommensten Grade besitzen. Leicht kann man an einem Sommertage die Limnäen und Planorben so an der Oberfläche der Sümpfe und Teiche in leicht gebogenen Wellenlinien dahin- kriechen oder hängen sehen. Während sie so hängen, geben sie jedoch diese Stelle oft plötzlich auf;
Lungenſchnecken. Limnäaceen.
reich gefundene Thierchen iſt merkwürdig klein im Verhältniß zur Schale, welches Mißverhältniß aber wieder ausgeglichen wird durch die größere Stärke der Fußmuskeln und des Stieles, welcher zwiſchen der Einlenkung des Fußes und dem Körper ſich befindet. Bei der Wanderung des Thieres ſteht die Mündung der Schale ſenkrecht auf deſſen Rücken, während das Gewinde wag- recht, etwas ſchief nach rechts und gerade hoch genug liegt, um den Boden nicht zu berühren. Dieſe Haltung der Schale iſt eigenthümlich genug, aber die Thätigkeit des Fußes iſt es noch mehr. Denn bei jeder Anſtrengung zur Voranbewegung wird das Schwanzende etwas in die Höhe gehoben und dann gegen die Bewegungsebene umgeſchlagen, um dem Fuße einen ſtärkeren Antrieb oder dem Körper einen Stoß zu geben, während nur zwei weite Wellenbewegungen ſich raſch vom Schwanzende gegen den Kopf hin fortpflanzen.
Mit der eben genannten theilen die Waſſer-Lungenſchnecken (Limnaeacea) die Eigen- thümlichkeit, daß die Fühler, nur zwei, nicht hohl und einſtülpbar ſind und die Augen nicht auf der Spitze ſondern innen am Grunde derſelben ſtehn. Die Gattung, nach welcher die ganze Abtheilung benannt, iſt die Schlammſchnecke (Limnaeus oder Limnaea). Am Thier, welches meiſt gelb punktirt iſt, fallen die platt gedrückten dreieckigen Fühler auf. Das rechts gewundene Gehäus iſt meiſt dünn und durchſcheinend; ſeine Umgänge erweitern ſich ſehr ſchnell, und der letzte — der Bauch — iſt meiſt der bedeutendſte Theil des ganzen Gehäuſes, das er zuweilen
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Große Schlammſchnecke (Limnaeus stagnalis).
faſt allein bildet. Sie leben am liebſten und häufigſten in recht weichem Waſſer mit ſchlammigem Boden, in welchem Waſſergewächſe aller Arten wuchern. Man ſieht ſie theils am Boden, theils an den Stengeln und Blättern der Pflanzen kriechen, häufig auch mit der Sohle unmittelbar an der Waſſeroberfläche hängen, das Gehäus nach unten gekehrt, und daran hingleiten. Sie haben dieſe Fähigkeit mit manchen anderen Bauchfüßern gemein. „Manche Bauchfüßer“, ſagt Johnſton, „können an die Oberfläche emporſteigen, wo ſie in umgekehrter Haltung, mit Leib und Schale nach unten und mit dem Fuße nach oben gewendet, ſich der Luft wie eines feſten Pfades bedienen und darauf in derſelben Art, wie auf der Erde kriechen. Man kann die Aplyſien und andere nacktkiemige Weichthiere oft abgeſperrte Lachen an der Küſte ſo durchwandern ſehen. Jedoch ſind es die Lungenſchnecken unſerer Süßwaſſer, welche dieſe merkwürdige Bewegungsweiſe im vollkommenſten Grade beſitzen. Leicht kann man an einem Sommertage die Limnäen und Planorben ſo an der Oberfläche der Sümpfe und Teiche in leicht gebogenen Wellenlinien dahin- kriechen oder hängen ſehen. Während ſie ſo hängen, geben ſie jedoch dieſe Stelle oft plötzlich auf;
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Lungenſchnecken. Limnäaceen.
reich gefundene Thierchen iſt merkwürdig klein im Verhältniß zur Schale, welches Mißverhältniß
aber wieder ausgeglichen wird durch die größere Stärke der Fußmuskeln und des Stieles, welcher
zwiſchen der Einlenkung des Fußes und dem Körper ſich befindet. Bei der Wanderung des
Thieres ſteht die Mündung der Schale ſenkrecht auf deſſen Rücken, während das Gewinde wag-
recht, etwas ſchief nach rechts und gerade hoch genug liegt, um den Boden nicht zu berühren.
Dieſe Haltung der Schale iſt eigenthümlich genug, aber die Thätigkeit des Fußes iſt es noch
mehr. Denn bei jeder Anſtrengung zur Voranbewegung wird das Schwanzende etwas in die
Höhe gehoben und dann gegen die Bewegungsebene umgeſchlagen, um dem Fuße einen ſtärkeren
Antrieb oder dem Körper einen Stoß zu geben, während nur zwei weite Wellenbewegungen
ſich raſch vom Schwanzende gegen den Kopf hin fortpflanzen.
Mit der eben genannten theilen die Waſſer-Lungenſchnecken (Limnaeacea) die Eigen-
thümlichkeit, daß die Fühler, nur zwei, nicht hohl und einſtülpbar ſind und die Augen nicht auf
der Spitze ſondern innen am Grunde derſelben ſtehn. Die Gattung, nach welcher die ganze
Abtheilung benannt, iſt die Schlammſchnecke (Limnaeus oder Limnaea). Am Thier, welches
meiſt gelb punktirt iſt, fallen die platt gedrückten dreieckigen Fühler auf. Das rechts gewundene
Gehäus iſt meiſt dünn und durchſcheinend; ſeine Umgänge erweitern ſich ſehr ſchnell, und der
letzte — der Bauch — iſt meiſt der bedeutendſte Theil des ganzen Gehäuſes, das er zuweilen
[Abbildung Große Schlammſchnecke (Limnaeus stagnalis).]
faſt allein bildet. Sie leben am liebſten und häufigſten in recht weichem Waſſer mit ſchlammigem
Boden, in welchem Waſſergewächſe aller Arten wuchern. Man ſieht ſie theils am Boden, theils
an den Stengeln und Blättern der Pflanzen kriechen, häufig auch mit der Sohle unmittelbar
an der Waſſeroberfläche hängen, das Gehäus nach unten gekehrt, und daran hingleiten. Sie
haben dieſe Fähigkeit mit manchen anderen Bauchfüßern gemein. „Manche Bauchfüßer“, ſagt
Johnſton, „können an die Oberfläche emporſteigen, wo ſie in umgekehrter Haltung, mit Leib
und Schale nach unten und mit dem Fuße nach oben gewendet, ſich der Luft wie eines feſten
Pfades bedienen und darauf in derſelben Art, wie auf der Erde kriechen. Man kann die Aplyſien
und andere nacktkiemige Weichthiere oft abgeſperrte Lachen an der Küſte ſo durchwandern ſehen.
Jedoch ſind es die Lungenſchnecken unſerer Süßwaſſer, welche dieſe merkwürdige Bewegungsweiſe
im vollkommenſten Grade beſitzen. Leicht kann man an einem Sommertage die Limnäen und
Planorben ſo an der Oberfläche der Sümpfe und Teiche in leicht gebogenen Wellenlinien dahin-
kriechen oder hängen ſehen. Während ſie ſo hängen, geben ſie jedoch dieſe Stelle oft plötzlich auf;
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 804. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/852>, abgerufen am 23.11.2024.
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