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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Lungenschnecken.
und daß selbst durch dieselben Mittel die junge Brut derselben einen fernen Transport aushält.
Darwin sah, wie eine Ente sich aus dem Wasser erhob und an ihrem Fuß Wasserlinsen mit sich
führte, und beobachtete, wie eben ausgeschlüpfte Schneckchen sich zahlreich und sehr fest an einem
ins Wasser gehängten Entenfuß befestigten. Lyell, der berühmte englische Geolog, sah ferner an
einem Dytiscus jenen Ancylus fest ansitzen, der also durch den Käfer von einem Wasser ins
andere getragen werden konnte, und Darwin stellte überdieß durch Versuche fest, wie im Winter-
schlafe und durch den Deckel geschlossen die Pulmonate lange Tage den Transport in Seewasser
ertragen können. Alle diese Verhältnisse kommen ausschließlich oder doch besonders der Verbreitung
der Süßwasserbewohner zu gute, und es darf uns nicht Wunder nehmen, daß wir diese im
Allgemeinen über größere und selbst unzusammenhängende Gebiete verbreitet finden."

Jndem nun Keferstein durch diese und ähnliche Umstände die oft so ausgedehnte Verbreitung
der Thiere im Allgemeinen und der Lungenschnecken insbesondere erklärt, findet er den letzten
Grund des Daseins der einzelnen Arten in der Annahme oder Hypothese der Schöpfungs-
mittelpunkte.
Diese Annahme, welche unter den heutigen Naturforschern, in Deutschland
wenigstens, nicht zahlreiche Anhänger hat, läßt jede Art, wie sie ist, d. h. mit allen Merkmalen
innerhalb einer gewissen Dehnsamkeit, aber im Ganzen doch konstant einmal an einem bestimmten
Orte geschaffen sein, verzichtet auf die klare, begreifliche, wissenschaftlich zu behandelnde Vorstellung,
auf welche Weise diese Schöpfung vor sich gegangen sei, und nimmt ferner an, daß eine jede Art
von ihrem ursprünglichen Entstehungsorte aus sich strahlenförmig ihren Verbreitungsbezirk im
Laufe der Jahrtausende errungen. Diese Annahme geht zwar einen Schritt weiter, als der
ehrwürdige Linne, der sich vorstellte, die ganze Erdoberfläche sei einst von einem ungeheuern Ocean
bedeckt gewesen, mit Ausnahme von einer einzigen Jnsel, worauf hinlänglicher Raum für alle
Thiere gewesen und die Pflanzen freudig sproßten. Ein hoher, bis in die Schneeregion reichender
Berg, wie etwa der Ararat, würde in seinen übereinander liegenden Zonen den lebenden Wesen
für ihre verschiedenen klimatischen Bedürfnisse genügt haben. Von dort seien die Pflanzen durch
die Winde verstreut und durch die nach allen Richtungen auswandernden Thiere verschleppt,
während mit dem allmäligen Zurücktreten des Meeres mehr und mehr Festland entblößt worden
sei. Es ist, sage ich, mit der Annahme der Einzelschöpfungen auf den verschiedensten Punkten
der Erdoberfläche den handgreiflichen Unmöglichkeiten jener kindlichen Linneischen Vorstellung einiger-
maßen begegnet. Noch bequemer ist es aber offenbar, sich mit Agassiz die unbegreifliche
Schöpferkraft bei der Schaffung jeder einzelnen Art so ausgedehnt zu denken, daß dieselbe an
vielen gleich geeigneten Orten in vielen Jndividuen zugleich entstand. Alles Kopfzerbrechen hat
damit ein Ende, der Nachweis des ehemaligen Zusammenhanges jetzt getrennter Gewässer und
Länder, welche gleiche Arten beherbergen, ein Nachweis, in dem seit einigen Jahrzehnten über-
raschende Fortschritte gemacht sind, ist dabei ganz überflüssig; es braucht daher keiner Erklärung,
sondern des Glaubens.

Auf unsere Lungenschnecken angewendet sagt die Hypothese der Schöpfungsmittelpunkte, daß,
wenn z. B. von den 134 Arten der Madeira-Gruppe nur 21 Arten in Europa sich finden, jene übrig
bleibenden 113 Arten gerade so wie sie sind eigens in Madeira mit allen Differenzen, welche sie jetzt
zeigen, geschaffen wurden.

Nach unserem Standpunkt ist die Hypothese von der Erschaffung der heutigen Arten völlig
ungenügend, weil die Erklärung, welche sie gibt, eine unbegreifliche, daher unwissenschaftliche ist.
Wir legen das größte Gewicht, wie unter den Conchyliologen namentlich auch Roßmäßler schon
vor mehr als zwei Jahrzehnten gethan, auf die Erscheinungen der Akklimatisation und Anpassung.
Und wenn die Schnecken der Canaren und von Madeira so auffällig verschieden sind von denjenigen
des afrikanischen und des europäischen Continentes, so ist dieß nichts weniger als ein Beweis
verschiedener Schöpfungsakte, sondern nur dafür, daß der nordwestliche Theil von Afrika weit eher

Lungenſchnecken.
und daß ſelbſt durch dieſelben Mittel die junge Brut derſelben einen fernen Transport aushält.
Darwin ſah, wie eine Ente ſich aus dem Waſſer erhob und an ihrem Fuß Waſſerlinſen mit ſich
führte, und beobachtete, wie eben ausgeſchlüpfte Schneckchen ſich zahlreich und ſehr feſt an einem
ins Waſſer gehängten Entenfuß befeſtigten. Lyell, der berühmte engliſche Geolog, ſah ferner an
einem Dytiscus jenen Ancylus feſt anſitzen, der alſo durch den Käfer von einem Waſſer ins
andere getragen werden konnte, und Darwin ſtellte überdieß durch Verſuche feſt, wie im Winter-
ſchlafe und durch den Deckel geſchloſſen die Pulmonate lange Tage den Transport in Seewaſſer
ertragen können. Alle dieſe Verhältniſſe kommen ausſchließlich oder doch beſonders der Verbreitung
der Süßwaſſerbewohner zu gute, und es darf uns nicht Wunder nehmen, daß wir dieſe im
Allgemeinen über größere und ſelbſt unzuſammenhängende Gebiete verbreitet finden.“

Jndem nun Keferſtein durch dieſe und ähnliche Umſtände die oft ſo ausgedehnte Verbreitung
der Thiere im Allgemeinen und der Lungenſchnecken insbeſondere erklärt, findet er den letzten
Grund des Daſeins der einzelnen Arten in der Annahme oder Hypotheſe der Schöpfungs-
mittelpunkte.
Dieſe Annahme, welche unter den heutigen Naturforſchern, in Deutſchland
wenigſtens, nicht zahlreiche Anhänger hat, läßt jede Art, wie ſie iſt, d. h. mit allen Merkmalen
innerhalb einer gewiſſen Dehnſamkeit, aber im Ganzen doch konſtant einmal an einem beſtimmten
Orte geſchaffen ſein, verzichtet auf die klare, begreifliche, wiſſenſchaftlich zu behandelnde Vorſtellung,
auf welche Weiſe dieſe Schöpfung vor ſich gegangen ſei, und nimmt ferner an, daß eine jede Art
von ihrem urſprünglichen Entſtehungsorte aus ſich ſtrahlenförmig ihren Verbreitungsbezirk im
Laufe der Jahrtauſende errungen. Dieſe Annahme geht zwar einen Schritt weiter, als der
ehrwürdige Linné, der ſich vorſtellte, die ganze Erdoberfläche ſei einſt von einem ungeheuern Ocean
bedeckt geweſen, mit Ausnahme von einer einzigen Jnſel, worauf hinlänglicher Raum für alle
Thiere geweſen und die Pflanzen freudig ſproßten. Ein hoher, bis in die Schneeregion reichender
Berg, wie etwa der Ararat, würde in ſeinen übereinander liegenden Zonen den lebenden Weſen
für ihre verſchiedenen klimatiſchen Bedürfniſſe genügt haben. Von dort ſeien die Pflanzen durch
die Winde verſtreut und durch die nach allen Richtungen auswandernden Thiere verſchleppt,
während mit dem allmäligen Zurücktreten des Meeres mehr und mehr Feſtland entblößt worden
ſei. Es iſt, ſage ich, mit der Annahme der Einzelſchöpfungen auf den verſchiedenſten Punkten
der Erdoberfläche den handgreiflichen Unmöglichkeiten jener kindlichen Linnéiſchen Vorſtellung einiger-
maßen begegnet. Noch bequemer iſt es aber offenbar, ſich mit Agaſſiz die unbegreifliche
Schöpferkraft bei der Schaffung jeder einzelnen Art ſo ausgedehnt zu denken, daß dieſelbe an
vielen gleich geeigneten Orten in vielen Jndividuen zugleich entſtand. Alles Kopfzerbrechen hat
damit ein Ende, der Nachweis des ehemaligen Zuſammenhanges jetzt getrennter Gewäſſer und
Länder, welche gleiche Arten beherbergen, ein Nachweis, in dem ſeit einigen Jahrzehnten über-
raſchende Fortſchritte gemacht ſind, iſt dabei ganz überflüſſig; es braucht daher keiner Erklärung,
ſondern des Glaubens.

Auf unſere Lungenſchnecken angewendet ſagt die Hypotheſe der Schöpfungsmittelpunkte, daß,
wenn z. B. von den 134 Arten der Madeira-Gruppe nur 21 Arten in Europa ſich finden, jene übrig
bleibenden 113 Arten gerade ſo wie ſie ſind eigens in Madeira mit allen Differenzen, welche ſie jetzt
zeigen, geſchaffen wurden.

Nach unſerem Standpunkt iſt die Hypotheſe von der Erſchaffung der heutigen Arten völlig
ungenügend, weil die Erklärung, welche ſie gibt, eine unbegreifliche, daher unwiſſenſchaftliche iſt.
Wir legen das größte Gewicht, wie unter den Conchyliologen namentlich auch Roßmäßler ſchon
vor mehr als zwei Jahrzehnten gethan, auf die Erſcheinungen der Akklimatiſation und Anpaſſung.
Und wenn die Schnecken der Canaren und von Madeira ſo auffällig verſchieden ſind von denjenigen
des afrikaniſchen und des europäiſchen Continentes, ſo iſt dieß nichts weniger als ein Beweis
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[808/0856] Lungenſchnecken. und daß ſelbſt durch dieſelben Mittel die junge Brut derſelben einen fernen Transport aushält. Darwin ſah, wie eine Ente ſich aus dem Waſſer erhob und an ihrem Fuß Waſſerlinſen mit ſich führte, und beobachtete, wie eben ausgeſchlüpfte Schneckchen ſich zahlreich und ſehr feſt an einem ins Waſſer gehängten Entenfuß befeſtigten. Lyell, der berühmte engliſche Geolog, ſah ferner an einem Dytiscus jenen Ancylus feſt anſitzen, der alſo durch den Käfer von einem Waſſer ins andere getragen werden konnte, und Darwin ſtellte überdieß durch Verſuche feſt, wie im Winter- ſchlafe und durch den Deckel geſchloſſen die Pulmonate lange Tage den Transport in Seewaſſer ertragen können. Alle dieſe Verhältniſſe kommen ausſchließlich oder doch beſonders der Verbreitung der Süßwaſſerbewohner zu gute, und es darf uns nicht Wunder nehmen, daß wir dieſe im Allgemeinen über größere und ſelbſt unzuſammenhängende Gebiete verbreitet finden.“ Jndem nun Keferſtein durch dieſe und ähnliche Umſtände die oft ſo ausgedehnte Verbreitung der Thiere im Allgemeinen und der Lungenſchnecken insbeſondere erklärt, findet er den letzten Grund des Daſeins der einzelnen Arten in der Annahme oder Hypotheſe der Schöpfungs- mittelpunkte. Dieſe Annahme, welche unter den heutigen Naturforſchern, in Deutſchland wenigſtens, nicht zahlreiche Anhänger hat, läßt jede Art, wie ſie iſt, d. h. mit allen Merkmalen innerhalb einer gewiſſen Dehnſamkeit, aber im Ganzen doch konſtant einmal an einem beſtimmten Orte geſchaffen ſein, verzichtet auf die klare, begreifliche, wiſſenſchaftlich zu behandelnde Vorſtellung, auf welche Weiſe dieſe Schöpfung vor ſich gegangen ſei, und nimmt ferner an, daß eine jede Art von ihrem urſprünglichen Entſtehungsorte aus ſich ſtrahlenförmig ihren Verbreitungsbezirk im Laufe der Jahrtauſende errungen. Dieſe Annahme geht zwar einen Schritt weiter, als der ehrwürdige Linné, der ſich vorſtellte, die ganze Erdoberfläche ſei einſt von einem ungeheuern Ocean bedeckt geweſen, mit Ausnahme von einer einzigen Jnſel, worauf hinlänglicher Raum für alle Thiere geweſen und die Pflanzen freudig ſproßten. Ein hoher, bis in die Schneeregion reichender Berg, wie etwa der Ararat, würde in ſeinen übereinander liegenden Zonen den lebenden Weſen für ihre verſchiedenen klimatiſchen Bedürfniſſe genügt haben. Von dort ſeien die Pflanzen durch die Winde verſtreut und durch die nach allen Richtungen auswandernden Thiere verſchleppt, während mit dem allmäligen Zurücktreten des Meeres mehr und mehr Feſtland entblößt worden ſei. Es iſt, ſage ich, mit der Annahme der Einzelſchöpfungen auf den verſchiedenſten Punkten der Erdoberfläche den handgreiflichen Unmöglichkeiten jener kindlichen Linnéiſchen Vorſtellung einiger- maßen begegnet. Noch bequemer iſt es aber offenbar, ſich mit Agaſſiz die unbegreifliche Schöpferkraft bei der Schaffung jeder einzelnen Art ſo ausgedehnt zu denken, daß dieſelbe an vielen gleich geeigneten Orten in vielen Jndividuen zugleich entſtand. Alles Kopfzerbrechen hat damit ein Ende, der Nachweis des ehemaligen Zuſammenhanges jetzt getrennter Gewäſſer und Länder, welche gleiche Arten beherbergen, ein Nachweis, in dem ſeit einigen Jahrzehnten über- raſchende Fortſchritte gemacht ſind, iſt dabei ganz überflüſſig; es braucht daher keiner Erklärung, ſondern des Glaubens. Auf unſere Lungenſchnecken angewendet ſagt die Hypotheſe der Schöpfungsmittelpunkte, daß, wenn z. B. von den 134 Arten der Madeira-Gruppe nur 21 Arten in Europa ſich finden, jene übrig bleibenden 113 Arten gerade ſo wie ſie ſind eigens in Madeira mit allen Differenzen, welche ſie jetzt zeigen, geſchaffen wurden. Nach unſerem Standpunkt iſt die Hypotheſe von der Erſchaffung der heutigen Arten völlig ungenügend, weil die Erklärung, welche ſie gibt, eine unbegreifliche, daher unwiſſenſchaftliche iſt. Wir legen das größte Gewicht, wie unter den Conchyliologen namentlich auch Roßmäßler ſchon vor mehr als zwei Jahrzehnten gethan, auf die Erſcheinungen der Akklimatiſation und Anpaſſung. Und wenn die Schnecken der Canaren und von Madeira ſo auffällig verſchieden ſind von denjenigen des afrikaniſchen und des europäiſchen Continentes, ſo iſt dieß nichts weniger als ein Beweis verſchiedener Schöpfungsakte, ſondern nur dafür, daß der nordweſtliche Theil von Afrika weit eher

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 808. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/856>, abgerufen am 23.11.2024.