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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Tellerschnecke. Lungen-Napfschnecken. Verbreitung der Lungenschnecken.

Wir haben im Obigen bei weitem nicht alle Familien oder gar Gattungen der Lungen-
schnecken berücksichtigen können, knüpfen aber nun an die mitgetheilten Einzelheiten noch einige
allgemeine Betrachtungen, die zum Theil nicht bloß diese Schnecken, sondern die ganze Thierwelt
angehen, zu welchen man aber durch diese Gruppe der Weichthiere ganz besonders angeregt wird.
Sieht man ab von einigen Würmern, z. B. den Regenwürmern, so gibt es kaum eine andere
Abtheilung der höher entwickelten Thierwelt, deren Mitglieder so eng an den Boden und die
Lokalität gebunden wären und dabei in so außerordentlicher Art und Manchfaltigkeit vorkämen,
als die Lungenschnecken. Wegen der geringen Hilfsmittel, sich fortzubewegen, sind sie den geringsten
Versuchungen, ihr Verbreitungsbezirk zu erweitern, ausgesetzt, und man darf daher hoffen, die
ihrer Verbreitung zu Grunde liegenden allgemeinen Gesetze einfacher und klarer ausgedrückt zu
sehen, als bei denjenigen Thieren, welche bei ähnlich hoher Organisation mit viel reicheren Mitteln,
ihren Wohnsitz zu wechseln, ausgestattet sind. Wir finden von Keferstein die hier in Betracht
kommenden Thatsachen äußerst umsichtig und vollständig gesammelt, nehmen aber in der Erklärung
der Thatsachen den entgegengesetzten Standpunkt ein.

Den Einfluß des Klimas und Bodens auf die Verbreitung der Lungenschnecken haben
wir schon oben berührt. Es wurde hervorgehoben, wie denselben besonders ein Kalkboden günstig
sei; derselbe äußert seinen Einfluß weniger auf die Helix- und Limax-Arten, als auf Clausilia
und Pupa. Die Fülle der Clausilien in Dalmatien mag dafür zeugen. Daß die Wärme, die
mächtigste Freundin des Lebens, der Verbreitung nach den Höhen der Gebirge und nach den Polen
ihre Ziele setzt, wird natürlich auch in der Abnahme der Lungenschnecken in diesen Richtungen ihre
Beglaubigung finden. Am strengsten ist dieß bei den Landpulmonaten ausgedrückt. Doch dieß ist
ein ganz allgemein geltendes Gesetz. Jm höchsten Grade überraschend ist es aber, daß wir gerade
auf den Jnseln den größten Reichthum an Lungenschnecken finden, indem auf die Madeira-Gruppe
134 Arten kommen, auf Cuba 300, Jamaika 250, Sandwich-Jnseln 250, Philippinen über 350.
Aus der Vergleichung dieser Arten mit denen der benachbarten Festländer geht dann hervor, daß
der gemeinsamen Arten höchst wenige oder keine oder solche sind, welche wegen ihrer großen
Verbreitung den Namen von Cosmopoliten verdienen, daß also das Meer für die heutige Verbrei-
tungsweise der Lungenschnecken eine fast absolute Grenze ist, ganz besonders für die Jsolirung auf
Jnseln und Jnsel-Gruppen. Jn ähnlicher Weise finden wir durch hohe Gebirgszüge eine Scheidung
hervorgebracht. So sind in Nordamerika östlich vom Felsengebirge 309 Arten, westlich 94 Arten
gefunden, nur 10 Arten kommen aber beiden Gebieten gemeinschaftlich zu, und fast genau so ist
das Verhältniß zwischen den durch die Anden getrennten Gebieten von Südamerika.

Die großen, artenreichen Gattungen, wie Helix, Bulimus u. a., sind fast über die ganze Erde
verbreitet, die kleinen, aus einer oder nur einigen Arten bestehenden Gattungen, die wir oben
gar nicht genannt, finden wir in fast gleicher Vertheilung auf den Jnseln und den Continenten,
"und sehen also auch darin in Bezug auf ihre Ausdehnung eine große Bevorzugung der ersteren".
Jedoch auch einige große Gattungen haben ein bloß insuläres Vorkommen, wie z. B. die 207 Arten
der zu den Heliciden gehörigen Achatinella ausschließlich auf den Sandwich-Jnseln leben. "Es
wird also immer mehr klar", sagt Keferstein, "wie die Jnseln in allen Verhältnissen der Pulmonaten-
Faunen dem großen Faunengebiete der Continente gleichstehen und im Verhältniß zu ihrer räum-
lichen Ausdehnung also sehr bevorzugt sind". Am meisten sind von der Jsolirung die Landschnecken
betroffen, während die Limnäaceen sich häufiger durch mehrere Gebiete erstrecken. "Mit gewohntem
Scharfsinn", fährt Keferstein fort, "hat Darwin diese auffallende Verbreitung der Süßwasser-
pulmonaten und anderer Süßwasserbewohner erläutert. Während die Süßwasserpulmonaten
wegen ihrer nach allen Seiten sicher abgeschlossenen Wohnsitze auf den ersten Blick viel weniger
Aussicht auf eine weitere Verbreitung besitzen, als die Landpulmonaten, zeigt Darwin, daß ihr an
Wasserpflanzen befestigter Laich durch Wasservögel leicht weit fortgeführt zu werden gestattet,

Tellerſchnecke. Lungen-Napfſchnecken. Verbreitung der Lungenſchnecken.

Wir haben im Obigen bei weitem nicht alle Familien oder gar Gattungen der Lungen-
ſchnecken berückſichtigen können, knüpfen aber nun an die mitgetheilten Einzelheiten noch einige
allgemeine Betrachtungen, die zum Theil nicht bloß dieſe Schnecken, ſondern die ganze Thierwelt
angehen, zu welchen man aber durch dieſe Gruppe der Weichthiere ganz beſonders angeregt wird.
Sieht man ab von einigen Würmern, z. B. den Regenwürmern, ſo gibt es kaum eine andere
Abtheilung der höher entwickelten Thierwelt, deren Mitglieder ſo eng an den Boden und die
Lokalität gebunden wären und dabei in ſo außerordentlicher Art und Manchfaltigkeit vorkämen,
als die Lungenſchnecken. Wegen der geringen Hilfsmittel, ſich fortzubewegen, ſind ſie den geringſten
Verſuchungen, ihr Verbreitungsbezirk zu erweitern, ausgeſetzt, und man darf daher hoffen, die
ihrer Verbreitung zu Grunde liegenden allgemeinen Geſetze einfacher und klarer ausgedrückt zu
ſehen, als bei denjenigen Thieren, welche bei ähnlich hoher Organiſation mit viel reicheren Mitteln,
ihren Wohnſitz zu wechſeln, ausgeſtattet ſind. Wir finden von Keferſtein die hier in Betracht
kommenden Thatſachen äußerſt umſichtig und vollſtändig geſammelt, nehmen aber in der Erklärung
der Thatſachen den entgegengeſetzten Standpunkt ein.

Den Einfluß des Klimas und Bodens auf die Verbreitung der Lungenſchnecken haben
wir ſchon oben berührt. Es wurde hervorgehoben, wie denſelben beſonders ein Kalkboden günſtig
ſei; derſelbe äußert ſeinen Einfluß weniger auf die Helix- und Limax-Arten, als auf Clausilia
und Pupa. Die Fülle der Clauſilien in Dalmatien mag dafür zeugen. Daß die Wärme, die
mächtigſte Freundin des Lebens, der Verbreitung nach den Höhen der Gebirge und nach den Polen
ihre Ziele ſetzt, wird natürlich auch in der Abnahme der Lungenſchnecken in dieſen Richtungen ihre
Beglaubigung finden. Am ſtrengſten iſt dieß bei den Landpulmonaten ausgedrückt. Doch dieß iſt
ein ganz allgemein geltendes Geſetz. Jm höchſten Grade überraſchend iſt es aber, daß wir gerade
auf den Jnſeln den größten Reichthum an Lungenſchnecken finden, indem auf die Madeira-Gruppe
134 Arten kommen, auf Cuba 300, Jamaika 250, Sandwich-Jnſeln 250, Philippinen über 350.
Aus der Vergleichung dieſer Arten mit denen der benachbarten Feſtländer geht dann hervor, daß
der gemeinſamen Arten höchſt wenige oder keine oder ſolche ſind, welche wegen ihrer großen
Verbreitung den Namen von Cosmopoliten verdienen, daß alſo das Meer für die heutige Verbrei-
tungsweiſe der Lungenſchnecken eine faſt abſolute Grenze iſt, ganz beſonders für die Jſolirung auf
Jnſeln und Jnſel-Gruppen. Jn ähnlicher Weiſe finden wir durch hohe Gebirgszüge eine Scheidung
hervorgebracht. So ſind in Nordamerika öſtlich vom Felſengebirge 309 Arten, weſtlich 94 Arten
gefunden, nur 10 Arten kommen aber beiden Gebieten gemeinſchaftlich zu, und faſt genau ſo iſt
das Verhältniß zwiſchen den durch die Anden getrennten Gebieten von Südamerika.

Die großen, artenreichen Gattungen, wie Helix, Bulimus u. a., ſind faſt über die ganze Erde
verbreitet, die kleinen, aus einer oder nur einigen Arten beſtehenden Gattungen, die wir oben
gar nicht genannt, finden wir in faſt gleicher Vertheilung auf den Jnſeln und den Continenten,
„und ſehen alſo auch darin in Bezug auf ihre Ausdehnung eine große Bevorzugung der erſteren“.
Jedoch auch einige große Gattungen haben ein bloß inſuläres Vorkommen, wie z. B. die 207 Arten
der zu den Heliciden gehörigen Achatinella ausſchließlich auf den Sandwich-Jnſeln leben. „Es
wird alſo immer mehr klar“, ſagt Keferſtein, „wie die Jnſeln in allen Verhältniſſen der Pulmonaten-
Faunen dem großen Faunengebiete der Continente gleichſtehen und im Verhältniß zu ihrer räum-
lichen Ausdehnung alſo ſehr bevorzugt ſind“. Am meiſten ſind von der Jſolirung die Landſchnecken
betroffen, während die Limnäaceen ſich häufiger durch mehrere Gebiete erſtrecken. „Mit gewohntem
Scharfſinn“, fährt Keferſtein fort, „hat Darwin dieſe auffallende Verbreitung der Süßwaſſer-
pulmonaten und anderer Süßwaſſerbewohner erläutert. Während die Süßwaſſerpulmonaten
wegen ihrer nach allen Seiten ſicher abgeſchloſſenen Wohnſitze auf den erſten Blick viel weniger
Ausſicht auf eine weitere Verbreitung beſitzen, als die Landpulmonaten, zeigt Darwin, daß ihr an
Waſſerpflanzen befeſtigter Laich durch Waſſervögel leicht weit fortgeführt zu werden geſtattet,

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[807/0855] Tellerſchnecke. Lungen-Napfſchnecken. Verbreitung der Lungenſchnecken. Wir haben im Obigen bei weitem nicht alle Familien oder gar Gattungen der Lungen- ſchnecken berückſichtigen können, knüpfen aber nun an die mitgetheilten Einzelheiten noch einige allgemeine Betrachtungen, die zum Theil nicht bloß dieſe Schnecken, ſondern die ganze Thierwelt angehen, zu welchen man aber durch dieſe Gruppe der Weichthiere ganz beſonders angeregt wird. Sieht man ab von einigen Würmern, z. B. den Regenwürmern, ſo gibt es kaum eine andere Abtheilung der höher entwickelten Thierwelt, deren Mitglieder ſo eng an den Boden und die Lokalität gebunden wären und dabei in ſo außerordentlicher Art und Manchfaltigkeit vorkämen, als die Lungenſchnecken. Wegen der geringen Hilfsmittel, ſich fortzubewegen, ſind ſie den geringſten Verſuchungen, ihr Verbreitungsbezirk zu erweitern, ausgeſetzt, und man darf daher hoffen, die ihrer Verbreitung zu Grunde liegenden allgemeinen Geſetze einfacher und klarer ausgedrückt zu ſehen, als bei denjenigen Thieren, welche bei ähnlich hoher Organiſation mit viel reicheren Mitteln, ihren Wohnſitz zu wechſeln, ausgeſtattet ſind. Wir finden von Keferſtein die hier in Betracht kommenden Thatſachen äußerſt umſichtig und vollſtändig geſammelt, nehmen aber in der Erklärung der Thatſachen den entgegengeſetzten Standpunkt ein. Den Einfluß des Klimas und Bodens auf die Verbreitung der Lungenſchnecken haben wir ſchon oben berührt. Es wurde hervorgehoben, wie denſelben beſonders ein Kalkboden günſtig ſei; derſelbe äußert ſeinen Einfluß weniger auf die Helix- und Limax-Arten, als auf Clausilia und Pupa. Die Fülle der Clauſilien in Dalmatien mag dafür zeugen. Daß die Wärme, die mächtigſte Freundin des Lebens, der Verbreitung nach den Höhen der Gebirge und nach den Polen ihre Ziele ſetzt, wird natürlich auch in der Abnahme der Lungenſchnecken in dieſen Richtungen ihre Beglaubigung finden. Am ſtrengſten iſt dieß bei den Landpulmonaten ausgedrückt. Doch dieß iſt ein ganz allgemein geltendes Geſetz. Jm höchſten Grade überraſchend iſt es aber, daß wir gerade auf den Jnſeln den größten Reichthum an Lungenſchnecken finden, indem auf die Madeira-Gruppe 134 Arten kommen, auf Cuba 300, Jamaika 250, Sandwich-Jnſeln 250, Philippinen über 350. Aus der Vergleichung dieſer Arten mit denen der benachbarten Feſtländer geht dann hervor, daß der gemeinſamen Arten höchſt wenige oder keine oder ſolche ſind, welche wegen ihrer großen Verbreitung den Namen von Cosmopoliten verdienen, daß alſo das Meer für die heutige Verbrei- tungsweiſe der Lungenſchnecken eine faſt abſolute Grenze iſt, ganz beſonders für die Jſolirung auf Jnſeln und Jnſel-Gruppen. Jn ähnlicher Weiſe finden wir durch hohe Gebirgszüge eine Scheidung hervorgebracht. So ſind in Nordamerika öſtlich vom Felſengebirge 309 Arten, weſtlich 94 Arten gefunden, nur 10 Arten kommen aber beiden Gebieten gemeinſchaftlich zu, und faſt genau ſo iſt das Verhältniß zwiſchen den durch die Anden getrennten Gebieten von Südamerika. Die großen, artenreichen Gattungen, wie Helix, Bulimus u. a., ſind faſt über die ganze Erde verbreitet, die kleinen, aus einer oder nur einigen Arten beſtehenden Gattungen, die wir oben gar nicht genannt, finden wir in faſt gleicher Vertheilung auf den Jnſeln und den Continenten, „und ſehen alſo auch darin in Bezug auf ihre Ausdehnung eine große Bevorzugung der erſteren“. Jedoch auch einige große Gattungen haben ein bloß inſuläres Vorkommen, wie z. B. die 207 Arten der zu den Heliciden gehörigen Achatinella ausſchließlich auf den Sandwich-Jnſeln leben. „Es wird alſo immer mehr klar“, ſagt Keferſtein, „wie die Jnſeln in allen Verhältniſſen der Pulmonaten- Faunen dem großen Faunengebiete der Continente gleichſtehen und im Verhältniß zu ihrer räum- lichen Ausdehnung alſo ſehr bevorzugt ſind“. Am meiſten ſind von der Jſolirung die Landſchnecken betroffen, während die Limnäaceen ſich häufiger durch mehrere Gebiete erſtrecken. „Mit gewohntem Scharfſinn“, fährt Keferſtein fort, „hat Darwin dieſe auffallende Verbreitung der Süßwaſſer- pulmonaten und anderer Süßwaſſerbewohner erläutert. Während die Süßwaſſerpulmonaten wegen ihrer nach allen Seiten ſicher abgeſchloſſenen Wohnſitze auf den erſten Blick viel weniger Ausſicht auf eine weitere Verbreitung beſitzen, als die Landpulmonaten, zeigt Darwin, daß ihr an Waſſerpflanzen befeſtigter Laich durch Waſſervögel leicht weit fortgeführt zu werden geſtattet,

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 807. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/855>, abgerufen am 23.11.2024.