Der bekannte österreichische Konsul und Sprachforscher, Dr. G. von Hahn, hat in sehr ingeniöser Weise wahrscheinlich zu machen gesucht, daß unsere Faß- oder Tonnenschnecke das Vor- bild für die spiraligen Ornamente der ionischen Säule gewesen sei. "Eben so gut", sagt er, "wie heut zu Tage neapolitanische Fischer aus dem Muschel- und Schneckenwerk ihres Strandes schöne Festons zu verfertigen und damit an hohen Festtagen ihre Kirchen zu schmücken verstehen, dürften wohl auch schon im Alterthum die Küstenbewohner zu den zierlichen Erzeugnissen ihres Strandes gegriffen haben, wenn es die an diesem gelegenen Heiligthümer ihrer Götter zu schmücken galt. Unter dem Muschelwerk des Mittelmeeres zeichnet sich aber die ihm eigenthümliche Tonnenschnecke
[Abbildung]
Tonnenschnecke (Dolium perdix). Ein Drittel der Größe.
nicht nur durch ihre Größe aus, denn sie erreicht mitunter die Größe eines Menschenkopfes, sondern auch durch die große Schönheit ihres Gewindes und dessen Rippen." Die Hauptresultate der interessanten Vergleichung der Kunstform mit dem Naturprodukt sind, daß das Gewinde der Tonnenschnecke sowohl in der Zahl seiner Umgänge als in der Konstruktion seiner Spirale der sogenannten Volute des ionischen Kapitäls entspricht, daß mit der inneren Seite des Außenrandes des Gehäuses sich die über den Kanal des ionischen Knaufes laufenden Verbindungskurven beider Voluten wenigstens annähernd herstellen lassen, und daß die konveren Rippen der Außenseite des Gehäuses sich auf der inneren Seite in Kannelüren verwandeln, welche große Aehnlichkeit mit den Kannelüren des ionischen Säulenschaftes haben, und daß sogar ihre Anzahl annnähernd der Anzahl der ionischen Kannelüren entspricht.
Mit den Dolien theilen die Helmschnecken oder Sturmhauben (Cassis) die Familien- eigenthümlichkeiten des großen Fußes mit seitlichen Ausbreitungen, des sehr langen Rüssels, der wie auf kleinen Stielen am Grunde der Fühler stehenden Augen, u. a. Der Mantel der Sturm- hauben bildet einen schleierförmigen Fortsatz über den Kopf und verlängert sich in eine lange zurückgeschlagene Athemröhre. Das Gehäus ist, nach dem conchyliologischen Ausdruck, aufgeblasen, mit kurzem spitzen Gewinde. Die Mündung gewöhnlich eng und linealisch, unten mit einem
Kinkhorn. Faßſchnecke. Sturmhaube.
Der bekannte öſterreichiſche Konſul und Sprachforſcher, Dr. G. von Hahn, hat in ſehr ingeniöſer Weiſe wahrſcheinlich zu machen geſucht, daß unſere Faß- oder Tonnenſchnecke das Vor- bild für die ſpiraligen Ornamente der ioniſchen Säule geweſen ſei. „Eben ſo gut“, ſagt er, „wie heut zu Tage neapolitaniſche Fiſcher aus dem Muſchel- und Schneckenwerk ihres Strandes ſchöne Feſtons zu verfertigen und damit an hohen Feſttagen ihre Kirchen zu ſchmücken verſtehen, dürften wohl auch ſchon im Alterthum die Küſtenbewohner zu den zierlichen Erzeugniſſen ihres Strandes gegriffen haben, wenn es die an dieſem gelegenen Heiligthümer ihrer Götter zu ſchmücken galt. Unter dem Muſchelwerk des Mittelmeeres zeichnet ſich aber die ihm eigenthümliche Tonnenſchnecke
[Abbildung]
Tonnenſchnecke (Dolium perdix). Ein Drittel der Größe.
nicht nur durch ihre Größe aus, denn ſie erreicht mitunter die Größe eines Menſchenkopfes, ſondern auch durch die große Schönheit ihres Gewindes und deſſen Rippen.“ Die Hauptreſultate der intereſſanten Vergleichung der Kunſtform mit dem Naturprodukt ſind, daß das Gewinde der Tonnenſchnecke ſowohl in der Zahl ſeiner Umgänge als in der Konſtruktion ſeiner Spirale der ſogenannten Volute des ioniſchen Kapitäls entſpricht, daß mit der inneren Seite des Außenrandes des Gehäuſes ſich die über den Kanal des ioniſchen Knaufes laufenden Verbindungskurven beider Voluten wenigſtens annähernd herſtellen laſſen, und daß die konveren Rippen der Außenſeite des Gehäuſes ſich auf der inneren Seite in Kannelüren verwandeln, welche große Aehnlichkeit mit den Kannelüren des ioniſchen Säulenſchaftes haben, und daß ſogar ihre Anzahl annnähernd der Anzahl der ioniſchen Kannelüren entſpricht.
Mit den Dolien theilen die Helmſchnecken oder Sturmhauben (Cassis) die Familien- eigenthümlichkeiten des großen Fußes mit ſeitlichen Ausbreitungen, des ſehr langen Rüſſels, der wie auf kleinen Stielen am Grunde der Fühler ſtehenden Augen, u. a. Der Mantel der Sturm- hauben bildet einen ſchleierförmigen Fortſatz über den Kopf und verlängert ſich in eine lange zurückgeſchlagene Athemröhre. Das Gehäus iſt, nach dem conchyliologiſchen Ausdruck, aufgeblaſen, mit kurzem ſpitzen Gewinde. Die Mündung gewöhnlich eng und linealiſch, unten mit einem
<TEI><text><body><floatingText><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0891"n="843"/><fwplace="top"type="header">Kinkhorn. Faßſchnecke. Sturmhaube.</fw><lb/><p>Der bekannte öſterreichiſche Konſul und Sprachforſcher, <hirendition="#aq">Dr.</hi> G. <hirendition="#g">von Hahn,</hi> hat in ſehr<lb/>
ingeniöſer Weiſe wahrſcheinlich zu machen geſucht, daß unſere Faß- oder Tonnenſchnecke das Vor-<lb/>
bild für die ſpiraligen Ornamente der ioniſchen Säule geweſen ſei. „Eben ſo gut“, ſagt er, „wie<lb/>
heut zu Tage neapolitaniſche Fiſcher aus dem Muſchel- und Schneckenwerk ihres Strandes ſchöne<lb/>
Feſtons zu verfertigen und damit an hohen Feſttagen ihre Kirchen zu ſchmücken verſtehen, dürften<lb/>
wohl auch ſchon im Alterthum die Küſtenbewohner zu den zierlichen Erzeugniſſen ihres Strandes<lb/>
gegriffen haben, wenn es die an dieſem gelegenen Heiligthümer ihrer Götter zu ſchmücken galt.<lb/>
Unter dem Muſchelwerk des Mittelmeeres zeichnet ſich aber die ihm eigenthümliche Tonnenſchnecke<lb/><figure><head><hirendition="#c"><hirendition="#g">Tonnenſchnecke</hi> (<hirendition="#aq">Dolium perdix</hi>). Ein Drittel der Größe.</hi></head></figure><lb/>
nicht nur durch ihre Größe aus, denn ſie erreicht mitunter die Größe eines Menſchenkopfes,<lb/>ſondern auch durch die große Schönheit ihres Gewindes und deſſen Rippen.“ Die Hauptreſultate<lb/>
der intereſſanten Vergleichung der Kunſtform mit dem Naturprodukt ſind, daß das Gewinde der<lb/>
Tonnenſchnecke ſowohl in der Zahl ſeiner Umgänge als in der Konſtruktion ſeiner Spirale der<lb/>ſogenannten Volute des ioniſchen Kapitäls entſpricht, daß mit der inneren Seite des Außenrandes<lb/>
des Gehäuſes ſich die über den Kanal des ioniſchen Knaufes laufenden Verbindungskurven beider<lb/>
Voluten wenigſtens annähernd herſtellen laſſen, und daß die konveren Rippen der Außenſeite des<lb/>
Gehäuſes ſich auf der inneren Seite in Kannelüren verwandeln, welche große Aehnlichkeit mit<lb/>
den Kannelüren des ioniſchen Säulenſchaftes haben, und daß ſogar ihre Anzahl annnähernd der<lb/>
Anzahl der ioniſchen Kannelüren entſpricht.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Mit den Dolien theilen die <hirendition="#g">Helmſchnecken</hi> oder <hirendition="#g">Sturmhauben</hi> (<hirendition="#aq">Cassis</hi>) die Familien-<lb/>
eigenthümlichkeiten des großen Fußes mit ſeitlichen Ausbreitungen, des ſehr langen Rüſſels, der<lb/>
wie auf kleinen Stielen am Grunde der Fühler ſtehenden Augen, u. a. Der Mantel der Sturm-<lb/>
hauben bildet einen ſchleierförmigen Fortſatz über den Kopf und verlängert ſich in eine lange<lb/>
zurückgeſchlagene Athemröhre. Das Gehäus iſt, nach dem conchyliologiſchen Ausdruck, aufgeblaſen,<lb/>
mit kurzem ſpitzen Gewinde. Die Mündung gewöhnlich eng und linealiſch, unten mit einem<lb/></p></div></div></div></body></floatingText></body></text></TEI>
[843/0891]
Kinkhorn. Faßſchnecke. Sturmhaube.
Der bekannte öſterreichiſche Konſul und Sprachforſcher, Dr. G. von Hahn, hat in ſehr
ingeniöſer Weiſe wahrſcheinlich zu machen geſucht, daß unſere Faß- oder Tonnenſchnecke das Vor-
bild für die ſpiraligen Ornamente der ioniſchen Säule geweſen ſei. „Eben ſo gut“, ſagt er, „wie
heut zu Tage neapolitaniſche Fiſcher aus dem Muſchel- und Schneckenwerk ihres Strandes ſchöne
Feſtons zu verfertigen und damit an hohen Feſttagen ihre Kirchen zu ſchmücken verſtehen, dürften
wohl auch ſchon im Alterthum die Küſtenbewohner zu den zierlichen Erzeugniſſen ihres Strandes
gegriffen haben, wenn es die an dieſem gelegenen Heiligthümer ihrer Götter zu ſchmücken galt.
Unter dem Muſchelwerk des Mittelmeeres zeichnet ſich aber die ihm eigenthümliche Tonnenſchnecke
[Abbildung Tonnenſchnecke (Dolium perdix). Ein Drittel der Größe.]
nicht nur durch ihre Größe aus, denn ſie erreicht mitunter die Größe eines Menſchenkopfes,
ſondern auch durch die große Schönheit ihres Gewindes und deſſen Rippen.“ Die Hauptreſultate
der intereſſanten Vergleichung der Kunſtform mit dem Naturprodukt ſind, daß das Gewinde der
Tonnenſchnecke ſowohl in der Zahl ſeiner Umgänge als in der Konſtruktion ſeiner Spirale der
ſogenannten Volute des ioniſchen Kapitäls entſpricht, daß mit der inneren Seite des Außenrandes
des Gehäuſes ſich die über den Kanal des ioniſchen Knaufes laufenden Verbindungskurven beider
Voluten wenigſtens annähernd herſtellen laſſen, und daß die konveren Rippen der Außenſeite des
Gehäuſes ſich auf der inneren Seite in Kannelüren verwandeln, welche große Aehnlichkeit mit
den Kannelüren des ioniſchen Säulenſchaftes haben, und daß ſogar ihre Anzahl annnähernd der
Anzahl der ioniſchen Kannelüren entſpricht.
Mit den Dolien theilen die Helmſchnecken oder Sturmhauben (Cassis) die Familien-
eigenthümlichkeiten des großen Fußes mit ſeitlichen Ausbreitungen, des ſehr langen Rüſſels, der
wie auf kleinen Stielen am Grunde der Fühler ſtehenden Augen, u. a. Der Mantel der Sturm-
hauben bildet einen ſchleierförmigen Fortſatz über den Kopf und verlängert ſich in eine lange
zurückgeſchlagene Athemröhre. Das Gehäus iſt, nach dem conchyliologiſchen Ausdruck, aufgeblaſen,
mit kurzem ſpitzen Gewinde. Die Mündung gewöhnlich eng und linealiſch, unten mit einem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 843. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/891>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.