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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Parasiten- oder Eingeweide-Schnecke.
damals und später Triest besuchenden Naturforschern gewöhnlich von dem in dem Fischerdorfe
Zaule wohnenden Fischer Frusing und seiner Familie täglich nach Triest gebracht, wenn man
nicht selbst die anstrengende Handthierung des Netzschleppens ausüben wollte. So hielt es auch
Johannes Müller, so oft er nicht die feineren mikroskopischen Thierformen mit eigner Hand
in einem engen Gazenetz von der Ober-
fläche des Meeres einzufangen hatte.
Er entdeckte nun in einzelnen Eremplaren
der Synapta einen Schlauch, dessen eines
Ende im engsten Zusammenhang mit
dem obengenannten Bauchgefäß des
Echinoderms war, während das andere
frei in der Leibeshöhle desselben flot-
tirte. Die anatomische Beschaffenheit des
Schlauches erregte bald die ganze Auf-
merksamkeit des Beobachters; er erkannte,
daß er es mit einem höchst sonderbaren
Vorkommen innerhalb der Holothurie zu
thun habe, und sein Erstaunen wuchs,
als in dem Schlauche aus Eiern, welche
unzweifelhaft ein Produkt des Schlauches
waren -- junge Schnecken zum Vorschein
kamen, ausgerüstet mit Schale, Fuß
und Segel. Der Entdecker fragte sich
natürlich, ob er es hier nicht mit einem
Parasitismus zu thun habe. Allein es
schien ihm der "schueckenerzeugende
Schlauch" so gar Nichts von einer
Schnecke an sich zu haben, daß man ihn
unmöglich für gleichwerthig mit einem
solchen Thiere und etwa durch rückschrei-
tende Metamorphose so umgewandelt
halten könnte, auch schien ihm die Ver-
bindung zwischen der Synapta und dem
Schneckenschlauche eine so innige zu sein,
daß er die Jdee ganz fallen ließ, es
walte hier das Verhältniß von Wohn-
thier (Synapta) und Parasit (Schnecken-
schlauch), und in einer sehr geistreichen
Schrift*) die Vermuthung plausibel zu
machen suchte, der Schneckenschlauch sei
ein Erzeugniß der Synapta. Er fand,
daß die Erscheinung sich bei etwa einer
von hundert Synapten zeigte und kam
[Abbildung] A Die Holothurie Synapta digitata mit dem parasitischen
Schneckenschlauch.
B Mittelstück der Synapta digitata mit dem Schneckenschlauch.
(4mal pergrößert.)
aus dem Labyrinth nicht zusammenpassender Thatsachen nicht anders heraus, als durch die
kühne Annahme, es liege eine Art von Generationswechsel vor, aber ein Generationswechsel, bei
welchem es nicht mit einem innerhalb eines und desselben anatomischen Grundtypus sich

*) Ueber Synapta digitata und über die Erzeugung von Schnecken in Holothurien. Berlin 1852.

Paraſiten- oder Eingeweide-Schnecke.
damals und ſpäter Trieſt beſuchenden Naturforſchern gewöhnlich von dem in dem Fiſcherdorfe
Zaule wohnenden Fiſcher Fruſing und ſeiner Familie täglich nach Trieſt gebracht, wenn man
nicht ſelbſt die anſtrengende Handthierung des Netzſchleppens ausüben wollte. So hielt es auch
Johannes Müller, ſo oft er nicht die feineren mikroſkopiſchen Thierformen mit eigner Hand
in einem engen Gazenetz von der Ober-
fläche des Meeres einzufangen hatte.
Er entdeckte nun in einzelnen Eremplaren
der Synapta einen Schlauch, deſſen eines
Ende im engſten Zuſammenhang mit
dem obengenannten Bauchgefäß des
Echinoderms war, während das andere
frei in der Leibeshöhle deſſelben flot-
tirte. Die anatomiſche Beſchaffenheit des
Schlauches erregte bald die ganze Auf-
merkſamkeit des Beobachters; er erkannte,
daß er es mit einem höchſt ſonderbaren
Vorkommen innerhalb der Holothurie zu
thun habe, und ſein Erſtaunen wuchs,
als in dem Schlauche aus Eiern, welche
unzweifelhaft ein Produkt des Schlauches
waren — junge Schnecken zum Vorſchein
kamen, ausgerüſtet mit Schale, Fuß
und Segel. Der Entdecker fragte ſich
natürlich, ob er es hier nicht mit einem
Paraſitismus zu thun habe. Allein es
ſchien ihm der „ſchueckenerzeugende
Schlauch“ ſo gar Nichts von einer
Schnecke an ſich zu haben, daß man ihn
unmöglich für gleichwerthig mit einem
ſolchen Thiere und etwa durch rückſchrei-
tende Metamorphoſe ſo umgewandelt
halten könnte, auch ſchien ihm die Ver-
bindung zwiſchen der Synapta und dem
Schneckenſchlauche eine ſo innige zu ſein,
daß er die Jdee ganz fallen ließ, es
walte hier das Verhältniß von Wohn-
thier (Synapta) und Paraſit (Schnecken-
ſchlauch), und in einer ſehr geiſtreichen
Schrift*) die Vermuthung plauſibel zu
machen ſuchte, der Schneckenſchlauch ſei
ein Erzeugniß der Synapta. Er fand,
daß die Erſcheinung ſich bei etwa einer
von hundert Synapten zeigte und kam
[Abbildung] A Die Holothurie Synapta digitata mit dem paraſitiſchen
Schneckenſchlauch.
B Mittelſtück der Synapta digitata mit dem Schneckenſchlauch.
(4mal pergrößert.)
aus dem Labyrinth nicht zuſammenpaſſender Thatſachen nicht anders heraus, als durch die
kühne Annahme, es liege eine Art von Generationswechſel vor, aber ein Generationswechſel, bei
welchem es nicht mit einem innerhalb eines und deſſelben anatomiſchen Grundtypus ſich

*) Ueber Synapta digitata und über die Erzeugung von Schnecken in Holothurien. Berlin 1852.
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[875/0923] Paraſiten- oder Eingeweide-Schnecke. damals und ſpäter Trieſt beſuchenden Naturforſchern gewöhnlich von dem in dem Fiſcherdorfe Zaule wohnenden Fiſcher Fruſing und ſeiner Familie täglich nach Trieſt gebracht, wenn man nicht ſelbſt die anſtrengende Handthierung des Netzſchleppens ausüben wollte. So hielt es auch Johannes Müller, ſo oft er nicht die feineren mikroſkopiſchen Thierformen mit eigner Hand in einem engen Gazenetz von der Ober- fläche des Meeres einzufangen hatte. Er entdeckte nun in einzelnen Eremplaren der Synapta einen Schlauch, deſſen eines Ende im engſten Zuſammenhang mit dem obengenannten Bauchgefäß des Echinoderms war, während das andere frei in der Leibeshöhle deſſelben flot- tirte. Die anatomiſche Beſchaffenheit des Schlauches erregte bald die ganze Auf- merkſamkeit des Beobachters; er erkannte, daß er es mit einem höchſt ſonderbaren Vorkommen innerhalb der Holothurie zu thun habe, und ſein Erſtaunen wuchs, als in dem Schlauche aus Eiern, welche unzweifelhaft ein Produkt des Schlauches waren — junge Schnecken zum Vorſchein kamen, ausgerüſtet mit Schale, Fuß und Segel. Der Entdecker fragte ſich natürlich, ob er es hier nicht mit einem Paraſitismus zu thun habe. Allein es ſchien ihm der „ſchueckenerzeugende Schlauch“ ſo gar Nichts von einer Schnecke an ſich zu haben, daß man ihn unmöglich für gleichwerthig mit einem ſolchen Thiere und etwa durch rückſchrei- tende Metamorphoſe ſo umgewandelt halten könnte, auch ſchien ihm die Ver- bindung zwiſchen der Synapta und dem Schneckenſchlauche eine ſo innige zu ſein, daß er die Jdee ganz fallen ließ, es walte hier das Verhältniß von Wohn- thier (Synapta) und Paraſit (Schnecken- ſchlauch), und in einer ſehr geiſtreichen Schrift *) die Vermuthung plauſibel zu machen ſuchte, der Schneckenſchlauch ſei ein Erzeugniß der Synapta. Er fand, daß die Erſcheinung ſich bei etwa einer von hundert Synapten zeigte und kam [Abbildung A Die Holothurie Synapta digitata mit dem paraſitiſchen Schneckenſchlauch. B Mittelſtück der Synapta digitata mit dem Schneckenſchlauch. (4mal pergrößert.)] aus dem Labyrinth nicht zuſammenpaſſender Thatſachen nicht anders heraus, als durch die kühne Annahme, es liege eine Art von Generationswechſel vor, aber ein Generationswechſel, bei welchem es nicht mit einem innerhalb eines und deſſelben anatomiſchen Grundtypus ſich *) Ueber Synapta digitata und über die Erzeugung von Schnecken in Holothurien. Berlin 1852.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 875. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/923>, abgerufen am 23.11.2024.