Kindern zu dieser Verkrüppelung hinneigen, daß Jndianer, welche sich von Kindheit an den Kopf schmal und hoch zwängen, zuletzt mit solchen Köpfen zur Welt kommen", so hat neuerdings diese Lehre durch die Fülle von Belegen, welche Darwin für die Vererbung und Konsolidirung von neuen Merkmalen und Eigenschaften durch Zuchtwahl gesammelt, die festesten Stützen bekommen.
Diejenigen Unio-Formen unserer mitteldeutschen Gewässer, welche am unbestrittensten auf den Rang von sogenannten guten Arten Auspruch haben, sind Unio tumidus, pictorum und crassus. Eine Beschreibung ihrer schwierigen Unterschiede würde nach dem oben Gesagten hier sehr am ungeeigneten Platze sein. "Jch würde", sagt Roßmäßler, "aus meiner Sammlung noch 4 bis 6 heraus bringen, wenn ich 20 bis 30 unentschiedene Formen -- zum Fenster hinaus werfen wollte. Jch besitze aus dem Gebiete der genannten 4 Arten mindestens 200 verschiedene, meist auch in der Form abweichende Vorkommnisse. Diese würden auch, wenn ich überall feste Arten sehen wollte, entweder zu mindestens 10 Arten verlocken oder -- zur Verzweiflung bringen." Und nun führt uns der Zweifler an dem alten Dogma der Artbeständigkeit an die herrlichen Ufer des Wörthersees bei Klagenfurt in Kärnthen, um uns die Entstehung einer neuen Art an einem bestimmten Beispiele zu zeigen. Wir citiren noch diese ganze Stelle aus der so lehrreichen Jkonographie der Land- und Süßwassermollusken, weil sie unserer Vorstellung vom Artbegriff eine bestimmte Richtung gibt und zu weiterem Nachdenken und Vergleichungen auffordert. "Der Wörthsee bei Klagenfurt", heißt es, "hat den Unio platyrhynchus geschaffen, ob aus Unio pictorum (der gemeinen Malermuschel), läßt sich aus begreiflichen Gründen direkt freilich nicht nachweisen. Als man von dem See den (zur Stadt führenden) Lendkanal ableitete, füllte denselben das Wasser des Sees, und es mußte dieses dadurch nach und nach natürlich eine veränderte Beschaffenheit annehmen. Es steht, je entfernter von seinem Ursprunge aus dem See, desto ruhiger, da der Kanal blind, d. h. ohne Abfluß endigt. Der Kanal hat wohl unterhaltene, regelmäßig abgeböschte Ufer, eine Breite von beiläufig 8 bis 10 Schritt und eine durchschnittliche Tiefe von etwa 3 Fuß. Bei der ersten Füllung des Kanales mit dem Wasser des Sees mußten natürlich einige Muscheln mit diesem in den Kanal gelangen, deren Nachkommen wir jetzt überall in demselben finden. Nun trifft man im Kanale, in welchem Unio pictorum in charakteristischer Form vorherrscht, keinen einzigen Unio platyrhynchus, den Bewohner des Sees, und im See keinen einzigen Unio pictorum. Sollte es also eine zu kühne Hypothese sein, anzunehmen, daß Unio platyrhynchus, dem man seine große Verwandtschaft mit Unio pictorum leicht ansieht, im Kanale wieder zur Form von Unio pictorum zurückgekehrt sei, nachdem er den eigenthümlichen Entwicklungsbedingnissen des Sees entrückt und in eine neue Sphäre versetzt war? Parallel mit dem Kanale fließt etwa eine halbe Stunde südlicher aus dem See der Glanfurtbach aus. Natürlich muß dieser wegen der fortwährenden Erneuerung seines Wassers durch Seewasser eine dem See viel ähnlichere Beschaffenheit als der Kanal haben, aber gleichwohl nicht dieselbe, schon wegen des steten beweglichen Abflusses. Der Unterschied ist aber schon bedeutend genug, um den Platyrhynchus, der sich in dem Glanfurtbache nie findet, zu Unio longirostris zu machen, der recht eigentlich zwischen jenen beiden in der Mitte steht. Unio decurvatus (des Sees) kommt in einzelnen bedeutend modificirten Exemplaren vor, dagegen in Unzahl eine kleine Form von Unio batavus (des Kanales) und eine Stunde weiter unterhalb fand ich nur noch, und zwar in Unmasse den Unio batavus, und zwar wieder etwas modificirt, wogegen die ganze übrige Gesellschaft ver- schwunden war. Nun frage ich, kann man sich angenfälligere Erklärungen über das Verwandt- schaftsverhältniß der Muschelformen unserer tausendfältig verschiedenen Gewässer wünschen? Man beweise mir mit wenigstens gleich plausibeln Gründen, daß meine Schlußfolgerung falsch und daß die Muscheln des Wörthsees, des Lendkanals und des Glanfurtbaches in keinerlei Abstammungs- beziehung zu einander stehen, und dann, aber auch nur dann, will ich mich herbeilassen, die zahllosen Arten, welche gewisse Herren verfertigen, als solche anzuerkennen."
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Unio. Allgemeines.
Kindern zu dieſer Verkrüppelung hinneigen, daß Jndianer, welche ſich von Kindheit an den Kopf ſchmal und hoch zwängen, zuletzt mit ſolchen Köpfen zur Welt kommen“, ſo hat neuerdings dieſe Lehre durch die Fülle von Belegen, welche Darwin für die Vererbung und Konſolidirung von neuen Merkmalen und Eigenſchaften durch Zuchtwahl geſammelt, die feſteſten Stützen bekommen.
Diejenigen Unio-Formen unſerer mitteldeutſchen Gewäſſer, welche am unbeſtrittenſten auf den Rang von ſogenannten guten Arten Auſpruch haben, ſind Unio tumidus, pictorum und crassus. Eine Beſchreibung ihrer ſchwierigen Unterſchiede würde nach dem oben Geſagten hier ſehr am ungeeigneten Platze ſein. „Jch würde“, ſagt Roßmäßler, „aus meiner Sammlung noch 4 bis 6 heraus bringen, wenn ich 20 bis 30 unentſchiedene Formen — zum Fenſter hinaus werfen wollte. Jch beſitze aus dem Gebiete der genannten 4 Arten mindeſtens 200 verſchiedene, meiſt auch in der Form abweichende Vorkommniſſe. Dieſe würden auch, wenn ich überall feſte Arten ſehen wollte, entweder zu mindeſtens 10 Arten verlocken oder — zur Verzweiflung bringen.“ Und nun führt uns der Zweifler an dem alten Dogma der Artbeſtändigkeit an die herrlichen Ufer des Wörtherſees bei Klagenfurt in Kärnthen, um uns die Entſtehung einer neuen Art an einem beſtimmten Beiſpiele zu zeigen. Wir citiren noch dieſe ganze Stelle aus der ſo lehrreichen Jkonographie der Land- und Süßwaſſermollusken, weil ſie unſerer Vorſtellung vom Artbegriff eine beſtimmte Richtung gibt und zu weiterem Nachdenken und Vergleichungen auffordert. „Der Wörthſee bei Klagenfurt“, heißt es, „hat den Unio platyrhynchus geſchaffen, ob aus Unio pictorum (der gemeinen Malermuſchel), läßt ſich aus begreiflichen Gründen direkt freilich nicht nachweiſen. Als man von dem See den (zur Stadt führenden) Lendkanal ableitete, füllte denſelben das Waſſer des Sees, und es mußte dieſes dadurch nach und nach natürlich eine veränderte Beſchaffenheit annehmen. Es ſteht, je entfernter von ſeinem Urſprunge aus dem See, deſto ruhiger, da der Kanal blind, d. h. ohne Abfluß endigt. Der Kanal hat wohl unterhaltene, regelmäßig abgeböſchte Ufer, eine Breite von beiläufig 8 bis 10 Schritt und eine durchſchnittliche Tiefe von etwa 3 Fuß. Bei der erſten Füllung des Kanales mit dem Waſſer des Sees mußten natürlich einige Muſcheln mit dieſem in den Kanal gelangen, deren Nachkommen wir jetzt überall in demſelben finden. Nun trifft man im Kanale, in welchem Unio pictorum in charakteriſtiſcher Form vorherrſcht, keinen einzigen Unio platyrhynchus, den Bewohner des Sees, und im See keinen einzigen Unio pictorum. Sollte es alſo eine zu kühne Hypotheſe ſein, anzunehmen, daß Unio platyrhynchus, dem man ſeine große Verwandtſchaft mit Unio pictorum leicht anſieht, im Kanale wieder zur Form von Unio pictorum zurückgekehrt ſei, nachdem er den eigenthümlichen Entwicklungsbedingniſſen des Sees entrückt und in eine neue Sphäre verſetzt war? Parallel mit dem Kanale fließt etwa eine halbe Stunde ſüdlicher aus dem See der Glanfurtbach aus. Natürlich muß dieſer wegen der fortwährenden Erneuerung ſeines Waſſers durch Seewaſſer eine dem See viel ähnlichere Beſchaffenheit als der Kanal haben, aber gleichwohl nicht dieſelbe, ſchon wegen des ſteten beweglichen Abfluſſes. Der Unterſchied iſt aber ſchon bedeutend genug, um den Platyrhynchus, der ſich in dem Glanfurtbache nie findet, zu Unio longirostris zu machen, der recht eigentlich zwiſchen jenen beiden in der Mitte ſteht. Unio decurvatus (des Sees) kommt in einzelnen bedeutend modificirten Exemplaren vor, dagegen in Unzahl eine kleine Form von Unio batavus (des Kanales) und eine Stunde weiter unterhalb fand ich nur noch, und zwar in Unmaſſe den Unio batavus, und zwar wieder etwas modificirt, wogegen die ganze übrige Geſellſchaft ver- ſchwunden war. Nun frage ich, kann man ſich angenfälligere Erklärungen über das Verwandt- ſchaftsverhältniß der Muſchelformen unſerer tauſendfältig verſchiedenen Gewäſſer wünſchen? Man beweiſe mir mit wenigſtens gleich plauſibeln Gründen, daß meine Schlußfolgerung falſch und daß die Muſcheln des Wörthſees, des Lendkanals und des Glanfurtbaches in keinerlei Abſtammungs- beziehung zu einander ſtehen, und dann, aber auch nur dann, will ich mich herbeilaſſen, die zahlloſen Arten, welche gewiſſe Herren verfertigen, als ſolche anzuerkennen.“
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Unio. Allgemeines.
Kindern zu dieſer Verkrüppelung hinneigen, daß Jndianer, welche ſich von Kindheit an den Kopf
ſchmal und hoch zwängen, zuletzt mit ſolchen Köpfen zur Welt kommen“, ſo hat neuerdings dieſe
Lehre durch die Fülle von Belegen, welche Darwin für die Vererbung und Konſolidirung von
neuen Merkmalen und Eigenſchaften durch Zuchtwahl geſammelt, die feſteſten Stützen bekommen.
Diejenigen Unio-Formen unſerer mitteldeutſchen Gewäſſer, welche am unbeſtrittenſten auf den
Rang von ſogenannten guten Arten Auſpruch haben, ſind Unio tumidus, pictorum und crassus.
Eine Beſchreibung ihrer ſchwierigen Unterſchiede würde nach dem oben Geſagten hier ſehr am
ungeeigneten Platze ſein. „Jch würde“, ſagt Roßmäßler, „aus meiner Sammlung noch 4 bis 6
heraus bringen, wenn ich 20 bis 30 unentſchiedene Formen — zum Fenſter hinaus werfen wollte.
Jch beſitze aus dem Gebiete der genannten 4 Arten mindeſtens 200 verſchiedene, meiſt auch in
der Form abweichende Vorkommniſſe. Dieſe würden auch, wenn ich überall feſte Arten ſehen
wollte, entweder zu mindeſtens 10 Arten verlocken oder — zur Verzweiflung bringen.“ Und nun
führt uns der Zweifler an dem alten Dogma der Artbeſtändigkeit an die herrlichen Ufer des
Wörtherſees bei Klagenfurt in Kärnthen, um uns die Entſtehung einer neuen Art an einem
beſtimmten Beiſpiele zu zeigen. Wir citiren noch dieſe ganze Stelle aus der ſo lehrreichen
Jkonographie der Land- und Süßwaſſermollusken, weil ſie unſerer Vorſtellung vom Artbegriff
eine beſtimmte Richtung gibt und zu weiterem Nachdenken und Vergleichungen auffordert. „Der
Wörthſee bei Klagenfurt“, heißt es, „hat den Unio platyrhynchus geſchaffen, ob aus Unio
pictorum (der gemeinen Malermuſchel), läßt ſich aus begreiflichen Gründen direkt freilich nicht
nachweiſen. Als man von dem See den (zur Stadt führenden) Lendkanal ableitete, füllte denſelben
das Waſſer des Sees, und es mußte dieſes dadurch nach und nach natürlich eine veränderte
Beſchaffenheit annehmen. Es ſteht, je entfernter von ſeinem Urſprunge aus dem See, deſto
ruhiger, da der Kanal blind, d. h. ohne Abfluß endigt. Der Kanal hat wohl unterhaltene,
regelmäßig abgeböſchte Ufer, eine Breite von beiläufig 8 bis 10 Schritt und eine durchſchnittliche
Tiefe von etwa 3 Fuß. Bei der erſten Füllung des Kanales mit dem Waſſer des Sees mußten
natürlich einige Muſcheln mit dieſem in den Kanal gelangen, deren Nachkommen wir jetzt überall
in demſelben finden. Nun trifft man im Kanale, in welchem Unio pictorum in charakteriſtiſcher
Form vorherrſcht, keinen einzigen Unio platyrhynchus, den Bewohner des Sees, und im See
keinen einzigen Unio pictorum. Sollte es alſo eine zu kühne Hypotheſe ſein, anzunehmen, daß
Unio platyrhynchus, dem man ſeine große Verwandtſchaft mit Unio pictorum leicht anſieht, im
Kanale wieder zur Form von Unio pictorum zurückgekehrt ſei, nachdem er den eigenthümlichen
Entwicklungsbedingniſſen des Sees entrückt und in eine neue Sphäre verſetzt war? Parallel mit
dem Kanale fließt etwa eine halbe Stunde ſüdlicher aus dem See der Glanfurtbach aus. Natürlich
muß dieſer wegen der fortwährenden Erneuerung ſeines Waſſers durch Seewaſſer eine dem See
viel ähnlichere Beſchaffenheit als der Kanal haben, aber gleichwohl nicht dieſelbe, ſchon wegen des
ſteten beweglichen Abfluſſes. Der Unterſchied iſt aber ſchon bedeutend genug, um den Platyrhynchus,
der ſich in dem Glanfurtbache nie findet, zu Unio longirostris zu machen, der recht eigentlich
zwiſchen jenen beiden in der Mitte ſteht. Unio decurvatus (des Sees) kommt in einzelnen
bedeutend modificirten Exemplaren vor, dagegen in Unzahl eine kleine Form von Unio batavus
(des Kanales) und eine Stunde weiter unterhalb fand ich nur noch, und zwar in Unmaſſe den
Unio batavus, und zwar wieder etwas modificirt, wogegen die ganze übrige Geſellſchaft ver-
ſchwunden war. Nun frage ich, kann man ſich angenfälligere Erklärungen über das Verwandt-
ſchaftsverhältniß der Muſchelformen unſerer tauſendfältig verſchiedenen Gewäſſer wünſchen? Man
beweiſe mir mit wenigſtens gleich plauſibeln Gründen, daß meine Schlußfolgerung falſch und daß
die Muſcheln des Wörthſees, des Lendkanals und des Glanfurtbaches in keinerlei Abſtammungs-
beziehung zu einander ſtehen, und dann, aber auch nur dann, will ich mich herbeilaſſen, die
zahlloſen Arten, welche gewiſſe Herren verfertigen, als ſolche anzuerkennen.“
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 899. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/947>, abgerufen am 23.11.2024.
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