man sicher sein, die gemeine Herzmuschel zu finden, kann man Hunderte von Männern, Weibern und Kindern über die stinkende Fläche treten sehen, wie sie sich bücken und die Muscheln zu Tausenden auflesen, um sie entweder zu sieden und selbst zu essen, oder auf den Gassen und Wegen der benachbarten Städte zu geringem Preise auszubieten."
"Den größten Ueberfluß an ihnen haben jedoch die Nordwestküsten von Schottland. Dort bilden sie nicht einen Lurusgegenstand, sondern eine Lebensnothwendigkeit für die arme, halb- barbarische Bevölkerung. Die Bewohner dieser felsigen Gegenden stehen in dem nicht beneidens- werthen Rufe, für gewöhnlich von diesem geringen Nahrungsmittel abhängig zu sein. Wo sich der Fluß bei Tongue in die See ergießt, sagt Macculloch, ist die Ebbe beträchtlich und die langen Sandbänke enthalten einen ganz beispiellosen Ueberfluß an Herzmuscheln. Jetzt gerade, in einem theuren Jahre, bieten sie täglich beim Niederwasser ein eigenthümliches Schauspiel, indem sich Männer, Weiber und Kinder dort drängen und so lange, als die Ebbe es erlaubt, nach diesen Muscheln suchen. Auch konnte man nicht selten 30 bis 40 Pferde aus der Umgegend sehen, um ganze Ladungen davon viele Meilen weit zu verfahren. Ohne diese Hülfe hätten, es ist nicht zu viel gesagt, viele Menschen Hungers sterben müssen. -- Auch die hebridischen Jnseln Barra und Nord-Uist besitzen ungeheure Hülfsquellen dieser Art. Man kann die Anhäufung solcher Muschelbänke, sagt Wilson, nicht leicht berechnen, aber zu erwähnen ist, daß während einer ganzen, eine gute Reihe von Jahren dauernden Periode von Noth, alle Familien von Barra (damals gegen zweihundert), um ihrer Ernährung willen zu den großen Küstensandbänken am Nordende der Jnsel ihre Zuflucht nahmen. Man hat berechnet, daß zur erwähnten Zeit während einiger Sommer täglich zur Zeit der niedrigsten Ebben während der Monate Mai bis August nicht weniger als hundert bis zweihundert Pferde-Ladungen gesammelt wurden. Die Bänke von Barra sind sehr alt. Ein alter Schriftsteller thut ihrer Erwähnung und sagt, es gäbe in der ganzen Welt keinen schöneren und nützlicheren Sand für Herzmuscheln."
"Aber die ganze Zeit hindurch hat unsere schöne Muschel uns zu Füßen gelegen und geschnappt und geklafft und ihren großen rothen Fuß vorwärts und abwärts gestreckt und gewartet, bis wir Muße finden würden, sie aufzuheben. Sie soll nicht länger vernachlässigt werden. Die zwei- schalige Muschel ist ein schönes solides Gehäus von Stein, massiv, stark und schwer, elegant mit vorstehenden Rippen ausgekehlt, welche regelmäßig von den gekrümmten Spitzen der beiden Schalen ausstrahlen und mit glatten Dornen besetzt sind. Die Farben der Muschel sind anziehend, aber durchaus nicht prächtig; sie bestehen aus reichen und warmen gelblich und röthlich braunen Tinten in koncentrischen Streifen. Gegen die Wirbel hin verlieren sie sich in ein Milchweiß. Das Thier, welches diese starke Festung bewohnt, ist hübscher, als Muschelthiere zu sein pflegen. Die Mantelblätter sind dick und, entsprechend den Schalenhälften, konver. Die Ränder sind in der Nähe der Siphonen stark gefranst, und letztere sind kurze Röhren von beträchtlichem Durchmesser und mit einander verwachsen. Gegen die Ränder zu ist der Mantel von schwammiger Beschaffenheit, aber gegen die Wirbel, wo er die Schale auskleidet, ist er dünn und fast häutig. Die Farbe seiner vorderen Theile ist sehr reich, ein schönes glänzendes Orange, die zottige Tentakel-Einfassung aber blasser. Auch die Röhren sind orange, ihre Jnnenfläche aber weiß mit einem perlenartigen Schimmer." Die etwas gar zu naive Beschreibung des Fußes, welchen unser englischer Schrift- steller u. a. mit einer durch die geöffneten Thüren eines Gesellschaftszimmers tretenden Dame vergleicht, dürfen wir übergehen. Hören wir aber noch, wie ihn die Muschel gebraucht. "Sie streckt den langen, spitz zulaufenden Fuß so weit wie möglich (4 Zoll über den Muschelrand) hervor, welcher nach irgend einer Widerstand leistenden Oberfläche tastet, z. B. jenem halb im Sande begrabenen Stein. Kaum fühlt er ihn, so wird das hakig gebogene Ende ganz steif dagegen gestemmt, der ganze Fuß durch Muskelkontraktion (-- richtiger wohl durch die Schwell- gefäße --) starr gemacht und das ganze Geschöpf Hals über Kopf zwei Fuß und weiter fort- geschnellt. Gelegentlich kann die Herzmuschel noch stärker springen; schon manche hat sich vom
Muſcheln. Dimyarier. Herzmuſcheln.
man ſicher ſein, die gemeine Herzmuſchel zu finden, kann man Hunderte von Männern, Weibern und Kindern über die ſtinkende Fläche treten ſehen, wie ſie ſich bücken und die Muſcheln zu Tauſenden aufleſen, um ſie entweder zu ſieden und ſelbſt zu eſſen, oder auf den Gaſſen und Wegen der benachbarten Städte zu geringem Preiſe auszubieten.“
„Den größten Ueberfluß an ihnen haben jedoch die Nordweſtküſten von Schottland. Dort bilden ſie nicht einen Lurusgegenſtand, ſondern eine Lebensnothwendigkeit für die arme, halb- barbariſche Bevölkerung. Die Bewohner dieſer felſigen Gegenden ſtehen in dem nicht beneidens- werthen Rufe, für gewöhnlich von dieſem geringen Nahrungsmittel abhängig zu ſein. Wo ſich der Fluß bei Tongue in die See ergießt, ſagt Macculloch, iſt die Ebbe beträchtlich und die langen Sandbänke enthalten einen ganz beiſpielloſen Ueberfluß an Herzmuſcheln. Jetzt gerade, in einem theuren Jahre, bieten ſie täglich beim Niederwaſſer ein eigenthümliches Schauſpiel, indem ſich Männer, Weiber und Kinder dort drängen und ſo lange, als die Ebbe es erlaubt, nach dieſen Muſcheln ſuchen. Auch konnte man nicht ſelten 30 bis 40 Pferde aus der Umgegend ſehen, um ganze Ladungen davon viele Meilen weit zu verfahren. Ohne dieſe Hülfe hätten, es iſt nicht zu viel geſagt, viele Menſchen Hungers ſterben müſſen. — Auch die hebridiſchen Jnſeln Barra und Nord-Uiſt beſitzen ungeheure Hülfsquellen dieſer Art. Man kann die Anhäufung ſolcher Muſchelbänke, ſagt Wilſon, nicht leicht berechnen, aber zu erwähnen iſt, daß während einer ganzen, eine gute Reihe von Jahren dauernden Periode von Noth, alle Familien von Barra (damals gegen zweihundert), um ihrer Ernährung willen zu den großen Küſtenſandbänken am Nordende der Jnſel ihre Zuflucht nahmen. Man hat berechnet, daß zur erwähnten Zeit während einiger Sommer täglich zur Zeit der niedrigſten Ebben während der Monate Mai bis Auguſt nicht weniger als hundert bis zweihundert Pferde-Ladungen geſammelt wurden. Die Bänke von Barra ſind ſehr alt. Ein alter Schriftſteller thut ihrer Erwähnung und ſagt, es gäbe in der ganzen Welt keinen ſchöneren und nützlicheren Sand für Herzmuſcheln.“
„Aber die ganze Zeit hindurch hat unſere ſchöne Muſchel uns zu Füßen gelegen und geſchnappt und geklafft und ihren großen rothen Fuß vorwärts und abwärts geſtreckt und gewartet, bis wir Muße finden würden, ſie aufzuheben. Sie ſoll nicht länger vernachläſſigt werden. Die zwei- ſchalige Muſchel iſt ein ſchönes ſolides Gehäus von Stein, maſſiv, ſtark und ſchwer, elegant mit vorſtehenden Rippen ausgekehlt, welche regelmäßig von den gekrümmten Spitzen der beiden Schalen ausſtrahlen und mit glatten Dornen beſetzt ſind. Die Farben der Muſchel ſind anziehend, aber durchaus nicht prächtig; ſie beſtehen aus reichen und warmen gelblich und röthlich braunen Tinten in koncentriſchen Streifen. Gegen die Wirbel hin verlieren ſie ſich in ein Milchweiß. Das Thier, welches dieſe ſtarke Feſtung bewohnt, iſt hübſcher, als Muſchelthiere zu ſein pflegen. Die Mantelblätter ſind dick und, entſprechend den Schalenhälften, konver. Die Ränder ſind in der Nähe der Siphonen ſtark gefranſt, und letztere ſind kurze Röhren von beträchtlichem Durchmeſſer und mit einander verwachſen. Gegen die Ränder zu iſt der Mantel von ſchwammiger Beſchaffenheit, aber gegen die Wirbel, wo er die Schale auskleidet, iſt er dünn und faſt häutig. Die Farbe ſeiner vorderen Theile iſt ſehr reich, ein ſchönes glänzendes Orange, die zottige Tentakel-Einfaſſung aber blaſſer. Auch die Röhren ſind orange, ihre Jnnenfläche aber weiß mit einem perlenartigen Schimmer.“ Die etwas gar zu naive Beſchreibung des Fußes, welchen unſer engliſcher Schrift- ſteller u. a. mit einer durch die geöffneten Thüren eines Geſellſchaftszimmers tretenden Dame vergleicht, dürfen wir übergehen. Hören wir aber noch, wie ihn die Muſchel gebraucht. „Sie ſtreckt den langen, ſpitz zulaufenden Fuß ſo weit wie möglich (4 Zoll über den Muſchelrand) hervor, welcher nach irgend einer Widerſtand leiſtenden Oberfläche taſtet, z. B. jenem halb im Sande begrabenen Stein. Kaum fühlt er ihn, ſo wird das hakig gebogene Ende ganz ſteif dagegen geſtemmt, der ganze Fuß durch Muskelkontraktion (— richtiger wohl durch die Schwell- gefäße —) ſtarr gemacht und das ganze Geſchöpf Hals über Kopf zwei Fuß und weiter fort- geſchnellt. Gelegentlich kann die Herzmuſchel noch ſtärker ſpringen; ſchon manche hat ſich vom
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Muſcheln. Dimyarier. Herzmuſcheln.
man ſicher ſein, die gemeine Herzmuſchel zu finden, kann man Hunderte von Männern, Weibern
und Kindern über die ſtinkende Fläche treten ſehen, wie ſie ſich bücken und die Muſcheln zu
Tauſenden aufleſen, um ſie entweder zu ſieden und ſelbſt zu eſſen, oder auf den Gaſſen und
Wegen der benachbarten Städte zu geringem Preiſe auszubieten.“
„Den größten Ueberfluß an ihnen haben jedoch die Nordweſtküſten von Schottland. Dort
bilden ſie nicht einen Lurusgegenſtand, ſondern eine Lebensnothwendigkeit für die arme, halb-
barbariſche Bevölkerung. Die Bewohner dieſer felſigen Gegenden ſtehen in dem nicht beneidens-
werthen Rufe, für gewöhnlich von dieſem geringen Nahrungsmittel abhängig zu ſein. Wo ſich
der Fluß bei Tongue in die See ergießt, ſagt Macculloch, iſt die Ebbe beträchtlich und die
langen Sandbänke enthalten einen ganz beiſpielloſen Ueberfluß an Herzmuſcheln. Jetzt gerade,
in einem theuren Jahre, bieten ſie täglich beim Niederwaſſer ein eigenthümliches Schauſpiel,
indem ſich Männer, Weiber und Kinder dort drängen und ſo lange, als die Ebbe es erlaubt,
nach dieſen Muſcheln ſuchen. Auch konnte man nicht ſelten 30 bis 40 Pferde aus der Umgegend
ſehen, um ganze Ladungen davon viele Meilen weit zu verfahren. Ohne dieſe Hülfe hätten, es
iſt nicht zu viel geſagt, viele Menſchen Hungers ſterben müſſen. — Auch die hebridiſchen Jnſeln
Barra und Nord-Uiſt beſitzen ungeheure Hülfsquellen dieſer Art. Man kann die Anhäufung
ſolcher Muſchelbänke, ſagt Wilſon, nicht leicht berechnen, aber zu erwähnen iſt, daß während
einer ganzen, eine gute Reihe von Jahren dauernden Periode von Noth, alle Familien von Barra
(damals gegen zweihundert), um ihrer Ernährung willen zu den großen Küſtenſandbänken am
Nordende der Jnſel ihre Zuflucht nahmen. Man hat berechnet, daß zur erwähnten Zeit während
einiger Sommer täglich zur Zeit der niedrigſten Ebben während der Monate Mai bis Auguſt
nicht weniger als hundert bis zweihundert Pferde-Ladungen geſammelt wurden. Die Bänke von
Barra ſind ſehr alt. Ein alter Schriftſteller thut ihrer Erwähnung und ſagt, es gäbe in der
ganzen Welt keinen ſchöneren und nützlicheren Sand für Herzmuſcheln.“
„Aber die ganze Zeit hindurch hat unſere ſchöne Muſchel uns zu Füßen gelegen und geſchnappt
und geklafft und ihren großen rothen Fuß vorwärts und abwärts geſtreckt und gewartet, bis wir
Muße finden würden, ſie aufzuheben. Sie ſoll nicht länger vernachläſſigt werden. Die zwei-
ſchalige Muſchel iſt ein ſchönes ſolides Gehäus von Stein, maſſiv, ſtark und ſchwer, elegant mit
vorſtehenden Rippen ausgekehlt, welche regelmäßig von den gekrümmten Spitzen der beiden Schalen
ausſtrahlen und mit glatten Dornen beſetzt ſind. Die Farben der Muſchel ſind anziehend, aber
durchaus nicht prächtig; ſie beſtehen aus reichen und warmen gelblich und röthlich braunen Tinten
in koncentriſchen Streifen. Gegen die Wirbel hin verlieren ſie ſich in ein Milchweiß. Das
Thier, welches dieſe ſtarke Feſtung bewohnt, iſt hübſcher, als Muſchelthiere zu ſein pflegen. Die
Mantelblätter ſind dick und, entſprechend den Schalenhälften, konver. Die Ränder ſind in der
Nähe der Siphonen ſtark gefranſt, und letztere ſind kurze Röhren von beträchtlichem Durchmeſſer
und mit einander verwachſen. Gegen die Ränder zu iſt der Mantel von ſchwammiger Beſchaffenheit,
aber gegen die Wirbel, wo er die Schale auskleidet, iſt er dünn und faſt häutig. Die Farbe
ſeiner vorderen Theile iſt ſehr reich, ein ſchönes glänzendes Orange, die zottige Tentakel-Einfaſſung
aber blaſſer. Auch die Röhren ſind orange, ihre Jnnenfläche aber weiß mit einem perlenartigen
Schimmer.“ Die etwas gar zu naive Beſchreibung des Fußes, welchen unſer engliſcher Schrift-
ſteller u. a. mit einer durch die geöffneten Thüren eines Geſellſchaftszimmers tretenden Dame
vergleicht, dürfen wir übergehen. Hören wir aber noch, wie ihn die Muſchel gebraucht. „Sie
ſtreckt den langen, ſpitz zulaufenden Fuß ſo weit wie möglich (4 Zoll über den Muſchelrand)
hervor, welcher nach irgend einer Widerſtand leiſtenden Oberfläche taſtet, z. B. jenem halb im
Sande begrabenen Stein. Kaum fühlt er ihn, ſo wird das hakig gebogene Ende ganz ſteif
dagegen geſtemmt, der ganze Fuß durch Muskelkontraktion (— richtiger wohl durch die Schwell-
gefäße —) ſtarr gemacht und das ganze Geſchöpf Hals über Kopf zwei Fuß und weiter fort-
geſchnellt. Gelegentlich kann die Herzmuſchel noch ſtärker ſpringen; ſchon manche hat ſich vom
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 934. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/982>, abgerufen am 23.11.2024.
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