sehen an der Pracht seines Mantelbesatzes und der Lebhaftigkeit seiner Bewegungen. Das läng- liche gleichschalige Gehäus ist von reinstem Weiß, klafft an beiden Enden, besonders aber vorn, und läßt eine Menge orangefarbener Fransen des Mantelrandes hervortreten, welche, wenn das Thier sonst ruhig ist, die verschiedensten wurmartigen Bewegungen machen, wenn es aber an seine höchst sonderbare Weise
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Nest der Feilenmuschel(Lima hians). Nat. Größe.
schwimmt, wie ein feuriger Schweif nachgezogen werden. Kaum nämlich hat man di Muschel frei ins Wasser ge- setzt, so öffnet sie und klappt die Schale mit großer Heftig- keit zu und schwimmt nun stoßweiße nach allen Rich- tungen. Dabei sind einzelne der schönen Frausen abge- rissen, scheinen aber dadurch erst recht lebendig geworden zu sein, indem sie am Boden des Gefäßes ihre Krümmun- gen, wie Regenwürmer, auf eigne Faust fortsetzen. Das kann, wenn man das Wasser frisch erhält, ein paar Stun- den dauern. Bleibt das Thier im Neste, so läßt es den dichten Fransenbüschel, der von dem nach innen gekehrten Rande des fast vollständig gespaltenen Mantels abgeht, aus der Nestöffnung heraus spielen, so daß von der Schale nichts zu sehen ist. Offenbar dienen sie, da sie mit lebhaft agirenden Wimpern bedeckt sind, zur Herbeischaffung der kleinen mikroskopischen Beute und des Athemwassers. Daß diese lebhafte Muschel in einem Neste wohnt, welches sie offenbar nicht verläßt, ist eine vor der Hand etwas ungereimte Thatsache.
Betrachten wir nun das Nest etwas näher. Das Thier befestigt eine Menge ihm gerade zunächst liegender Gegenstände durch Byssusfäden einer gröberen Sorte an einander. Wie gesagt, waren die Nester, welche ich in Norwegen sah, fast nur aus kleineren leichten Steinchen und Muschelstückchen zusammengefügt; das abgebildete, welches Lacaze-Duthiers an einer seichten Stelle im Hafen von Mahon fand, vereinigt in buntester Auswahl Holz, Steine, Korallen, Schneckenhäuser u. s. w. und hat dadurch ein viel ungeschickteres Aeußere bekommen, als ich gesehen. Man hat zwar die Lima noch nicht beim Nestbau beobachtet, allein da man bei der Mießmuschel sich leicht davon überzeugen kann, daß das Thier beliebig die Bartfäden abzureißen vermag, so wird man auch der Feilenmuschel dieses Vermögen zuschreiben müssen. Nachdem sie nun die groben Außenwände des Hauses zusammengestrickt und die Bausteine durch Hunderte von Fäden verknüpft hat, tapeziert sie es inwendig mit einem feineren Gewebe aus, und es gleicht auch in dieser Beziehung dem feinsten und bequemsten, von außen wenig einladenden Vogelneste. So bildet es für die durch ihr klaffendes Gehäus wenig geschützte Muschel eine gute Festung, welche auch die gierigsten Raubfische zu verschlingen Austand nehmen werden. Nach
Taschenberg und Schmidt, wirbellose Thiere. (Brehm, Thierleben. VI.) 60
See-Perlenmuſchel. Feilenmuſchel.
ſehen an der Pracht ſeines Mantelbeſatzes und der Lebhaftigkeit ſeiner Bewegungen. Das läng- liche gleichſchalige Gehäus iſt von reinſtem Weiß, klafft an beiden Enden, beſonders aber vorn, und läßt eine Menge orangefarbener Franſen des Mantelrandes hervortreten, welche, wenn das Thier ſonſt ruhig iſt, die verſchiedenſten wurmartigen Bewegungen machen, wenn es aber an ſeine höchſt ſonderbare Weiſe
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Neſt der Feilenmuſchel(Lima hians). Nat. Größe.
ſchwimmt, wie ein feuriger Schweif nachgezogen werden. Kaum nämlich hat man di Muſchel frei ins Waſſer ge- ſetzt, ſo öffnet ſie und klappt die Schale mit großer Heftig- keit zu und ſchwimmt nun ſtoßweiße nach allen Rich- tungen. Dabei ſind einzelne der ſchönen Frauſen abge- riſſen, ſcheinen aber dadurch erſt recht lebendig geworden zu ſein, indem ſie am Boden des Gefäßes ihre Krümmun- gen, wie Regenwürmer, auf eigne Fauſt fortſetzen. Das kann, wenn man das Waſſer friſch erhält, ein paar Stun- den dauern. Bleibt das Thier im Neſte, ſo läßt es den dichten Franſenbüſchel, der von dem nach innen gekehrten Rande des faſt vollſtändig geſpaltenen Mantels abgeht, aus der Neſtöffnung heraus ſpielen, ſo daß von der Schale nichts zu ſehen iſt. Offenbar dienen ſie, da ſie mit lebhaft agirenden Wimpern bedeckt ſind, zur Herbeiſchaffung der kleinen mikroſkopiſchen Beute und des Athemwaſſers. Daß dieſe lebhafte Muſchel in einem Neſte wohnt, welches ſie offenbar nicht verläßt, iſt eine vor der Hand etwas ungereimte Thatſache.
Betrachten wir nun das Neſt etwas näher. Das Thier befeſtigt eine Menge ihm gerade zunächſt liegender Gegenſtände durch Byſſusfäden einer gröberen Sorte an einander. Wie geſagt, waren die Neſter, welche ich in Norwegen ſah, faſt nur aus kleineren leichten Steinchen und Muſchelſtückchen zuſammengefügt; das abgebildete, welches Lacaze-Duthiers an einer ſeichten Stelle im Hafen von Mahon fand, vereinigt in bunteſter Auswahl Holz, Steine, Korallen, Schneckenhäuſer u. ſ. w. und hat dadurch ein viel ungeſchickteres Aeußere bekommen, als ich geſehen. Man hat zwar die Lima noch nicht beim Neſtbau beobachtet, allein da man bei der Mießmuſchel ſich leicht davon überzeugen kann, daß das Thier beliebig die Bartfäden abzureißen vermag, ſo wird man auch der Feilenmuſchel dieſes Vermögen zuſchreiben müſſen. Nachdem ſie nun die groben Außenwände des Hauſes zuſammengeſtrickt und die Bauſteine durch Hunderte von Fäden verknüpft hat, tapeziert ſie es inwendig mit einem feineren Gewebe aus, und es gleicht auch in dieſer Beziehung dem feinſten und bequemſten, von außen wenig einladenden Vogelneſte. So bildet es für die durch ihr klaffendes Gehäus wenig geſchützte Muſchel eine gute Feſtung, welche auch die gierigſten Raubfiſche zu verſchlingen Auſtand nehmen werden. Nach
Taſchenberg und Schmidt, wirbelloſe Thiere. (Brehm, Thierleben. VI.) 60
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See-Perlenmuſchel. Feilenmuſchel.
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und läßt eine Menge orangefarbener Franſen des Mantelrandes hervortreten, welche, wenn das
Thier ſonſt ruhig iſt, die verſchiedenſten wurmartigen Bewegungen machen, wenn es aber an
ſeine höchſt ſonderbare Weiſe
[Abbildung Neſt der Feilenmuſchel (Lima hians). Nat. Größe.]
ſchwimmt, wie ein feuriger
Schweif nachgezogen werden.
Kaum nämlich hat man di
Muſchel frei ins Waſſer ge-
ſetzt, ſo öffnet ſie und klappt
die Schale mit großer Heftig-
keit zu und ſchwimmt nun
ſtoßweiße nach allen Rich-
tungen. Dabei ſind einzelne
der ſchönen Frauſen abge-
riſſen, ſcheinen aber dadurch
erſt recht lebendig geworden
zu ſein, indem ſie am Boden
des Gefäßes ihre Krümmun-
gen, wie Regenwürmer, auf
eigne Fauſt fortſetzen. Das
kann, wenn man das Waſſer
friſch erhält, ein paar Stun-
den dauern. Bleibt das Thier
im Neſte, ſo läßt es den
dichten Franſenbüſchel, der
von dem nach innen gekehrten
Rande des faſt vollſtändig
geſpaltenen Mantels abgeht,
aus der Neſtöffnung heraus
ſpielen, ſo daß von der Schale nichts zu ſehen iſt. Offenbar dienen ſie, da ſie mit lebhaft
agirenden Wimpern bedeckt ſind, zur Herbeiſchaffung der kleinen mikroſkopiſchen Beute und des
Athemwaſſers. Daß dieſe lebhafte Muſchel in einem Neſte wohnt, welches ſie offenbar nicht
verläßt, iſt eine vor der Hand etwas ungereimte Thatſache.
Betrachten wir nun das Neſt etwas näher. Das Thier befeſtigt eine Menge ihm gerade
zunächſt liegender Gegenſtände durch Byſſusfäden einer gröberen Sorte an einander. Wie geſagt,
waren die Neſter, welche ich in Norwegen ſah, faſt nur aus kleineren leichten Steinchen und
Muſchelſtückchen zuſammengefügt; das abgebildete, welches Lacaze-Duthiers an einer ſeichten
Stelle im Hafen von Mahon fand, vereinigt in bunteſter Auswahl Holz, Steine, Korallen,
Schneckenhäuſer u. ſ. w. und hat dadurch ein viel ungeſchickteres Aeußere bekommen, als ich
geſehen. Man hat zwar die Lima noch nicht beim Neſtbau beobachtet, allein da man bei der
Mießmuſchel ſich leicht davon überzeugen kann, daß das Thier beliebig die Bartfäden abzureißen
vermag, ſo wird man auch der Feilenmuſchel dieſes Vermögen zuſchreiben müſſen. Nachdem ſie
nun die groben Außenwände des Hauſes zuſammengeſtrickt und die Bauſteine durch Hunderte
von Fäden verknüpft hat, tapeziert ſie es inwendig mit einem feineren Gewebe aus, und es
gleicht auch in dieſer Beziehung dem feinſten und bequemſten, von außen wenig einladenden
Vogelneſte. So bildet es für die durch ihr klaffendes Gehäus wenig geſchützte Muſchel eine gute
Feſtung, welche auch die gierigſten Raubfiſche zu verſchlingen Auſtand nehmen werden. Nach
Taſchenberg und Schmidt, wirbelloſe Thiere. (Brehm, Thierleben. VI.) 60
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 945. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/993>, abgerufen am 23.11.2024.
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