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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Muscheln. Monomyarier.
der Art, wie mir wiederholt in Norwegen in ziemlichen Tiefen von 20 bis 30 Faden die Limen
ins Schleppnetz geriethen, muß ich annehmen, daß sie auf tieferem Meeresgrunde, wo sie nicht
durch Wellen und Strömungen gestört werden, sich nicht erst unter größeren Steinen den Platz
für ihr Nest aussuchen. Diejenigen, welche der oben genannte französische Zoolog in Mahon
sammelte, befanden sich alle im seichten Wasser und durch große Steine geschützt. Getrocknet
werden die die Materialien verbindenden Fäden sehr brüchig, daher die Nester, obgleich durchaus
nicht selten, sich doch nicht zur Aufbewahrung in Naturaliensammlungen eignen.

Den Mittelpunkt der Familie, welcher Lima beigezählt wird, der Kammmuscheln, bildet die
Gattung Kammmuschel, Pecten, dem Leser vielleicht schon nach ihrer Schale bekannt, die von
den größeren Arten als Schüssel für feines Ragout (ragout fin en coequilles) gebraucht wird,
und welche auch, um einen ästhetischeren Anknüpfungspunkt zu nennen, Hut und Kleid der aus
dem Morgenlande heimkehrenden Pilger zu schmücken pflegte. Das Gehäus ist also frei und
regelmäßig, bei vielen Arten ungleichschalig, indem die eine Hälfte vertiefter, schüsselförmig ist
und die andre darauf als ein flacher Deckel paßt. Auffallend sind auch die Ohren jederseits neben
dem Wirbel, von welchen aus meist Rippen nach den Rändern ausstrahlen. Das Thier hat die
Mantellappen vollkommen frei, am Rande verdickt und mit mehreren Reihen fleischiger Tentakeln
besetzt, zwischen ihnen zahlreiche Augen. Wir erwähnen hier die Gesichtswerkzeuge einer Muschel
zum ersten Male, und allerdings sind sie bei Pecten durch ihr diamant- und smaragdartiges
Leuchten am auffallendsten, obschon viele andre Sippen (von den früher genannten z. B. Tridacna,

[Abbildung] Stück vom Mantelrande der Kammmuschel mit Tastern und Augen.
die Mießmuschel, Herzmuschel) damit
versehen sind. Weder die Arten, noch
die Jndividuen, noch auch die Mantel-
hälften verhalten sich in Bezug auf Zahl
und Lage dieser Augen gleich. Sie stehen
in der Nähe des Schlosses, und zumal
hinter demselben am dichtesten und sind
an dem konveren Mantellappen, das ist
dem unteren, weniger zahlreich als an
dem flachen. Sie erreichen bei den
größeren Arten einen Durchmesser von 1/2 Linie; zwischen diesen liegen kleinere, kaum halb so
große, aber alle zeigen den wundervollen Glanz, hervorgerufen durch eine besondere Beschaffenheit
der Regenbogenhaut, durch welche die Lichtstrahlen zurückgeworfen werden. Ueberhaupt erstaunt
man über die Vollkommenheit dieser Augen, welche trotz ihrer auch im höchsten Grade befrem-
denden Lage die optischen Einrichtungen haben, daß gute Bilder von der die Muschel umgebenden
Außenwelt erzeugt und vermittelst des Nervenapparates auch zu ihrem dämmernden Muschel-
bewußtsein werden. Jn jedem Falle aber kann die Muschel vermittelst derselben nicht in die
Ferne sehen, sondern sie thun ihr den Dienst, die wir uns durch feine kleine Linsen verschaffen;
es sind Gesichtsorgane für die nächste Nähe, unmittelbare Wächter und Bewacher der Schalen
und Mantelränder. Es wäre daher ganz gefehlt, wollte man das Sehvermögen der Kamm-
muscheln mit ihrer ausgezeichneten Fähigkeit zu springen und zu schwimmen in Verbindung bringen.
Man hat dieselbe vielfach beobachtet und sie verfahren dabei, wie die Limen, daß sie vermittelst
des starken Schließmuskels die durch das Ligament geöffneten Schalen hastig zuklappen. Ein
englischer Beobachter sagt, daß er in einem von der Ebbe zurückgelassenen Wassertümpel die
Jugend von Pecten opereularis ganz munter umherhüpfen sah. Jhre Bewegung war reißend
und schnell und zickzackartig, sehr ähnlich der der Enten, welche auf einem Teiche während eines
Sonnenblickes vor dem Regen spielend sich vergnügen. Sie schienen durch plötzliches Oeffnen und
Schließen ihrer Klappen das Vermögen zu haben, wie ein Pfeil durch das Wasser zu fliegen.
Ein Sprung entführte sie mehrere Ellen weit, und mit einem zweiten waren sie plötzlich wieder

Muſcheln. Monomyarier.
der Art, wie mir wiederholt in Norwegen in ziemlichen Tiefen von 20 bis 30 Faden die Limen
ins Schleppnetz geriethen, muß ich annehmen, daß ſie auf tieferem Meeresgrunde, wo ſie nicht
durch Wellen und Strömungen geſtört werden, ſich nicht erſt unter größeren Steinen den Platz
für ihr Neſt ausſuchen. Diejenigen, welche der oben genannte franzöſiſche Zoolog in Mahon
ſammelte, befanden ſich alle im ſeichten Waſſer und durch große Steine geſchützt. Getrocknet
werden die die Materialien verbindenden Fäden ſehr brüchig, daher die Neſter, obgleich durchaus
nicht ſelten, ſich doch nicht zur Aufbewahrung in Naturalienſammlungen eignen.

Den Mittelpunkt der Familie, welcher Lima beigezählt wird, der Kammmuſcheln, bildet die
Gattung Kammmuſchel, Pecten, dem Leſer vielleicht ſchon nach ihrer Schale bekannt, die von
den größeren Arten als Schüſſel für feines Ragout (ragout fin en coequilles) gebraucht wird,
und welche auch, um einen äſthetiſcheren Anknüpfungspunkt zu nennen, Hut und Kleid der aus
dem Morgenlande heimkehrenden Pilger zu ſchmücken pflegte. Das Gehäus iſt alſo frei und
regelmäßig, bei vielen Arten ungleichſchalig, indem die eine Hälfte vertiefter, ſchüſſelförmig iſt
und die andre darauf als ein flacher Deckel paßt. Auffallend ſind auch die Ohren jederſeits neben
dem Wirbel, von welchen aus meiſt Rippen nach den Rändern ausſtrahlen. Das Thier hat die
Mantellappen vollkommen frei, am Rande verdickt und mit mehreren Reihen fleiſchiger Tentakeln
beſetzt, zwiſchen ihnen zahlreiche Augen. Wir erwähnen hier die Geſichtswerkzeuge einer Muſchel
zum erſten Male, und allerdings ſind ſie bei Pecten durch ihr diamant- und ſmaragdartiges
Leuchten am auffallendſten, obſchon viele andre Sippen (von den früher genannten z. B. Tridacna,

[Abbildung] Stück vom Mantelrande der Kammmuſchel mit Taſtern und Augen.
die Mießmuſchel, Herzmuſchel) damit
verſehen ſind. Weder die Arten, noch
die Jndividuen, noch auch die Mantel-
hälften verhalten ſich in Bezug auf Zahl
und Lage dieſer Augen gleich. Sie ſtehen
in der Nähe des Schloſſes, und zumal
hinter demſelben am dichteſten und ſind
an dem konveren Mantellappen, das iſt
dem unteren, weniger zahlreich als an
dem flachen. Sie erreichen bei den
größeren Arten einen Durchmeſſer von ½ Linie; zwiſchen dieſen liegen kleinere, kaum halb ſo
große, aber alle zeigen den wundervollen Glanz, hervorgerufen durch eine beſondere Beſchaffenheit
der Regenbogenhaut, durch welche die Lichtſtrahlen zurückgeworfen werden. Ueberhaupt erſtaunt
man über die Vollkommenheit dieſer Augen, welche trotz ihrer auch im höchſten Grade befrem-
denden Lage die optiſchen Einrichtungen haben, daß gute Bilder von der die Muſchel umgebenden
Außenwelt erzeugt und vermittelſt des Nervenapparates auch zu ihrem dämmernden Muſchel-
bewußtſein werden. Jn jedem Falle aber kann die Muſchel vermittelſt derſelben nicht in die
Ferne ſehen, ſondern ſie thun ihr den Dienſt, die wir uns durch feine kleine Linſen verſchaffen;
es ſind Geſichtsorgane für die nächſte Nähe, unmittelbare Wächter und Bewacher der Schalen
und Mantelränder. Es wäre daher ganz gefehlt, wollte man das Sehvermögen der Kamm-
muſcheln mit ihrer ausgezeichneten Fähigkeit zu ſpringen und zu ſchwimmen in Verbindung bringen.
Man hat dieſelbe vielfach beobachtet und ſie verfahren dabei, wie die Limen, daß ſie vermittelſt
des ſtarken Schließmuskels die durch das Ligament geöffneten Schalen haſtig zuklappen. Ein
engliſcher Beobachter ſagt, daß er in einem von der Ebbe zurückgelaſſenen Waſſertümpel die
Jugend von Pecten opereularis ganz munter umherhüpfen ſah. Jhre Bewegung war reißend
und ſchnell und zickzackartig, ſehr ähnlich der der Enten, welche auf einem Teiche während eines
Sonnenblickes vor dem Regen ſpielend ſich vergnügen. Sie ſchienen durch plötzliches Oeffnen und
Schließen ihrer Klappen das Vermögen zu haben, wie ein Pfeil durch das Waſſer zu fliegen.
Ein Sprung entführte ſie mehrere Ellen weit, und mit einem zweiten waren ſie plötzlich wieder

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[946/0994] Muſcheln. Monomyarier. der Art, wie mir wiederholt in Norwegen in ziemlichen Tiefen von 20 bis 30 Faden die Limen ins Schleppnetz geriethen, muß ich annehmen, daß ſie auf tieferem Meeresgrunde, wo ſie nicht durch Wellen und Strömungen geſtört werden, ſich nicht erſt unter größeren Steinen den Platz für ihr Neſt ausſuchen. Diejenigen, welche der oben genannte franzöſiſche Zoolog in Mahon ſammelte, befanden ſich alle im ſeichten Waſſer und durch große Steine geſchützt. Getrocknet werden die die Materialien verbindenden Fäden ſehr brüchig, daher die Neſter, obgleich durchaus nicht ſelten, ſich doch nicht zur Aufbewahrung in Naturalienſammlungen eignen. Den Mittelpunkt der Familie, welcher Lima beigezählt wird, der Kammmuſcheln, bildet die Gattung Kammmuſchel, Pecten, dem Leſer vielleicht ſchon nach ihrer Schale bekannt, die von den größeren Arten als Schüſſel für feines Ragout (ragout fin en coequilles) gebraucht wird, und welche auch, um einen äſthetiſcheren Anknüpfungspunkt zu nennen, Hut und Kleid der aus dem Morgenlande heimkehrenden Pilger zu ſchmücken pflegte. Das Gehäus iſt alſo frei und regelmäßig, bei vielen Arten ungleichſchalig, indem die eine Hälfte vertiefter, ſchüſſelförmig iſt und die andre darauf als ein flacher Deckel paßt. Auffallend ſind auch die Ohren jederſeits neben dem Wirbel, von welchen aus meiſt Rippen nach den Rändern ausſtrahlen. Das Thier hat die Mantellappen vollkommen frei, am Rande verdickt und mit mehreren Reihen fleiſchiger Tentakeln beſetzt, zwiſchen ihnen zahlreiche Augen. Wir erwähnen hier die Geſichtswerkzeuge einer Muſchel zum erſten Male, und allerdings ſind ſie bei Pecten durch ihr diamant- und ſmaragdartiges Leuchten am auffallendſten, obſchon viele andre Sippen (von den früher genannten z. B. Tridacna, [Abbildung Stück vom Mantelrande der Kammmuſchel mit Taſtern und Augen.] die Mießmuſchel, Herzmuſchel) damit verſehen ſind. Weder die Arten, noch die Jndividuen, noch auch die Mantel- hälften verhalten ſich in Bezug auf Zahl und Lage dieſer Augen gleich. Sie ſtehen in der Nähe des Schloſſes, und zumal hinter demſelben am dichteſten und ſind an dem konveren Mantellappen, das iſt dem unteren, weniger zahlreich als an dem flachen. Sie erreichen bei den größeren Arten einen Durchmeſſer von ½ Linie; zwiſchen dieſen liegen kleinere, kaum halb ſo große, aber alle zeigen den wundervollen Glanz, hervorgerufen durch eine beſondere Beſchaffenheit der Regenbogenhaut, durch welche die Lichtſtrahlen zurückgeworfen werden. Ueberhaupt erſtaunt man über die Vollkommenheit dieſer Augen, welche trotz ihrer auch im höchſten Grade befrem- denden Lage die optiſchen Einrichtungen haben, daß gute Bilder von der die Muſchel umgebenden Außenwelt erzeugt und vermittelſt des Nervenapparates auch zu ihrem dämmernden Muſchel- bewußtſein werden. Jn jedem Falle aber kann die Muſchel vermittelſt derſelben nicht in die Ferne ſehen, ſondern ſie thun ihr den Dienſt, die wir uns durch feine kleine Linſen verſchaffen; es ſind Geſichtsorgane für die nächſte Nähe, unmittelbare Wächter und Bewacher der Schalen und Mantelränder. Es wäre daher ganz gefehlt, wollte man das Sehvermögen der Kamm- muſcheln mit ihrer ausgezeichneten Fähigkeit zu ſpringen und zu ſchwimmen in Verbindung bringen. Man hat dieſelbe vielfach beobachtet und ſie verfahren dabei, wie die Limen, daß ſie vermittelſt des ſtarken Schließmuskels die durch das Ligament geöffneten Schalen haſtig zuklappen. Ein engliſcher Beobachter ſagt, daß er in einem von der Ebbe zurückgelaſſenen Waſſertümpel die Jugend von Pecten opereularis ganz munter umherhüpfen ſah. Jhre Bewegung war reißend und ſchnell und zickzackartig, ſehr ähnlich der der Enten, welche auf einem Teiche während eines Sonnenblickes vor dem Regen ſpielend ſich vergnügen. Sie ſchienen durch plötzliches Oeffnen und Schließen ihrer Klappen das Vermögen zu haben, wie ein Pfeil durch das Waſſer zu fliegen. Ein Sprung entführte ſie mehrere Ellen weit, und mit einem zweiten waren ſie plötzlich wieder

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 946. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/994>, abgerufen am 23.11.2024.