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Bremscheid, Matthias von. Der christliche Mann in seinem Glauben und Leben. Mainz, 1901.

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Virgil, dessen Gedichte wir noch heute bewundern. In
dem sechsten Buche seiner Aeneide spricht er mit wahr-
haft erschütternden Worten von den Qualen der Ver-
worfenen und sagt dann zum Schlusse:
"Wenn auch unzählige Zungen ich hätt' und unzählige Lippen,
Eiserne Stimme dazu, doch könnte ich nimmer beschreiben,
Was für Qualen der Böse dort trägt zur Strafe des Lasters."

Die berühmtesten Philosophen Griechenlands, wie
Pythagoras, Sokrates und Plato sprechen denselben
Glauben aus, und Cato, der bekannte Römer, ruft,
beseelt von demselben begeistert aus: "O glücklicher Tag,
an welchem ich diese Erde verlasse, um mich zur himm-
lischen Versammlung der Geister, die mir vorangegangen
sind, zu erheben."
Ein Glaube, der allgemein bei allen,
auch den verschiedensten und entferntesten Völkern ver-
breitet ist, kann kein Irrthum, keine Täuschung sein,
muß auf Wahrheit beruhen; er ist dem Menschenge-
schlechte von Gott mit in's Leben gegeben.

3. Christlicher Mann! nicht für die kurze Zeit
dieses Lebens, nicht für den Staub und die Scholle
bist du erschaffen, sondern für Höheres, für eine wahre
und ewig dauernde Glückseligkeit. Das sagt uns die
eigene Vernunft
. Der Mensch will glücklich sein,
vollkommen glücklich, beständig glücklich. Das ist der
mächtige Zug in seinem Innern, den er nicht unter-
drücken kann. Dieses Sehnen finden wir bei allen
Menschen, nicht bloß beim Fürsten, dessen Haupt eine
goldene Krone schmückt, sondern auch bei dem armen
Manne in der zerfallenen Hütte, bei dem vor Kälte

Virgil, dessen Gedichte wir noch heute bewundern. In
dem sechsten Buche seiner Aeneide spricht er mit wahr-
haft erschütternden Worten von den Qualen der Ver-
worfenen und sagt dann zum Schlusse:
„Wenn auch unzählige Zungen ich hätt' und unzählige Lippen,
Eiserne Stimme dazu, doch könnte ich nimmer beschreiben,
Was für Qualen der Böse dort trägt zur Strafe des Lasters.“

Die berühmtesten Philosophen Griechenlands, wie
Pythagoras, Sokrates und Plato sprechen denselben
Glauben aus, und Cato, der bekannte Römer, ruft,
beseelt von demselben begeistert aus: „O glücklicher Tag,
an welchem ich diese Erde verlasse, um mich zur himm-
lischen Versammlung der Geister, die mir vorangegangen
sind, zu erheben.“
Ein Glaube, der allgemein bei allen,
auch den verschiedensten und entferntesten Völkern ver-
breitet ist, kann kein Irrthum, keine Täuschung sein,
muß auf Wahrheit beruhen; er ist dem Menschenge-
schlechte von Gott mit in's Leben gegeben.

3. Christlicher Mann! nicht für die kurze Zeit
dieses Lebens, nicht für den Staub und die Scholle
bist du erschaffen, sondern für Höheres, für eine wahre
und ewig dauernde Glückseligkeit. Das sagt uns die
eigene Vernunft
. Der Mensch will glücklich sein,
vollkommen glücklich, beständig glücklich. Das ist der
mächtige Zug in seinem Innern, den er nicht unter-
drücken kann. Dieses Sehnen finden wir bei allen
Menschen, nicht bloß beim Fürsten, dessen Haupt eine
goldene Krone schmückt, sondern auch bei dem armen
Manne in der zerfallenen Hütte, bei dem vor Kälte

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[58/0070] Virgil, dessen Gedichte wir noch heute bewundern. In dem sechsten Buche seiner Aeneide spricht er mit wahr- haft erschütternden Worten von den Qualen der Ver- worfenen und sagt dann zum Schlusse: „Wenn auch unzählige Zungen ich hätt' und unzählige Lippen, Eiserne Stimme dazu, doch könnte ich nimmer beschreiben, Was für Qualen der Böse dort trägt zur Strafe des Lasters.“ Die berühmtesten Philosophen Griechenlands, wie Pythagoras, Sokrates und Plato sprechen denselben Glauben aus, und Cato, der bekannte Römer, ruft, beseelt von demselben begeistert aus: „O glücklicher Tag, an welchem ich diese Erde verlasse, um mich zur himm- lischen Versammlung der Geister, die mir vorangegangen sind, zu erheben.“ Ein Glaube, der allgemein bei allen, auch den verschiedensten und entferntesten Völkern ver- breitet ist, kann kein Irrthum, keine Täuschung sein, muß auf Wahrheit beruhen; er ist dem Menschenge- schlechte von Gott mit in's Leben gegeben. 3. Christlicher Mann! nicht für die kurze Zeit dieses Lebens, nicht für den Staub und die Scholle bist du erschaffen, sondern für Höheres, für eine wahre und ewig dauernde Glückseligkeit. Das sagt uns die eigene Vernunft. Der Mensch will glücklich sein, vollkommen glücklich, beständig glücklich. Das ist der mächtige Zug in seinem Innern, den er nicht unter- drücken kann. Dieses Sehnen finden wir bei allen Menschen, nicht bloß beim Fürsten, dessen Haupt eine goldene Krone schmückt, sondern auch bei dem armen Manne in der zerfallenen Hütte, bei dem vor Kälte

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Zitationshilfe: Bremscheid, Matthias von. Der christliche Mann in seinem Glauben und Leben. Mainz, 1901, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bremscheid_mann_1901/70>, abgerufen am 12.05.2024.