6. Als Thomas Morus, der berühmte Glaubens- held des sechzehnten Jahrhunderts, lange in schwerer Kerkerhaft schmachten mußte, weil er nicht auf Wunsch seines ehebrecherischen Königs dem katholischen Glauben entsagen wollte, machten einige seiner Verwandten alle Versuche, ihn zur Nachgiebigkeit gegen den Fürsten zu bestimmen. Doch alle Vorstellungen scheiterten an seiner Standhaftigkeit. Zuletzt erschien sogar die eigene Gattin mit den deutlichen Spuren des bittersten Schmerzes und Kummers im Angesichte. Sie erinnerte ihn an die glücklichen Jahre, die sie mit einander verlebt hätten, an die hoffnungsvollen Kinder, die ihre ge- meinschaftliche Freude seien, an den unerträglichen Schmerz, der ihr und den Kindern durch seinen bevor- stehenden Tod bereitet würde; endlich bat sie ihn unter einem Strome von Thränen und mit den zärtlichsten Worten, doch wenigstens aus Mitleiden mit ihr und seinen Kindern dem Befehle des Königs zu willfahren, um noch länger in Glück und Ansehen mit einander leben zu können. Auch Morus wurde beim Anblick des großen Schmerzes seiner zärtlich geliebten Gattin tief gerührt und der Gedanke an die nahe Trennung von ihr und seinen Kindern machte ihm das Herz zittern. Doch er wankte nicht in seiner Treue gegen Gott und die heilige Kirche. Fest und ernst schaute er seine Gattin an und sprach: "Wie lange glaubst du wohl, daß dieses Ansehen, dieses glückliche Zusammen- leben noch dauern werde, wenn ich dem ungerechten Befehle des Königs entspreche?""O noch zwanzig, auch
6. Als Thomas Morus, der berühmte Glaubens- held des sechzehnten Jahrhunderts, lange in schwerer Kerkerhaft schmachten mußte, weil er nicht auf Wunsch seines ehebrecherischen Königs dem katholischen Glauben entsagen wollte, machten einige seiner Verwandten alle Versuche, ihn zur Nachgiebigkeit gegen den Fürsten zu bestimmen. Doch alle Vorstellungen scheiterten an seiner Standhaftigkeit. Zuletzt erschien sogar die eigene Gattin mit den deutlichen Spuren des bittersten Schmerzes und Kummers im Angesichte. Sie erinnerte ihn an die glücklichen Jahre, die sie mit einander verlebt hätten, an die hoffnungsvollen Kinder, die ihre ge- meinschaftliche Freude seien, an den unerträglichen Schmerz, der ihr und den Kindern durch seinen bevor- stehenden Tod bereitet würde; endlich bat sie ihn unter einem Strome von Thränen und mit den zärtlichsten Worten, doch wenigstens aus Mitleiden mit ihr und seinen Kindern dem Befehle des Königs zu willfahren, um noch länger in Glück und Ansehen mit einander leben zu können. Auch Morus wurde beim Anblick des großen Schmerzes seiner zärtlich geliebten Gattin tief gerührt und der Gedanke an die nahe Trennung von ihr und seinen Kindern machte ihm das Herz zittern. Doch er wankte nicht in seiner Treue gegen Gott und die heilige Kirche. Fest und ernst schaute er seine Gattin an und sprach: „Wie lange glaubst du wohl, daß dieses Ansehen, dieses glückliche Zusammen- leben noch dauern werde, wenn ich dem ungerechten Befehle des Königs entspreche?“„O noch zwanzig, auch
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6. Als Thomas Morus, der berühmte Glaubens-
held des sechzehnten Jahrhunderts, lange in schwerer
Kerkerhaft schmachten mußte, weil er nicht auf Wunsch
seines ehebrecherischen Königs dem katholischen Glauben
entsagen wollte, machten einige seiner Verwandten alle
Versuche, ihn zur Nachgiebigkeit gegen den Fürsten zu
bestimmen. Doch alle Vorstellungen scheiterten an seiner
Standhaftigkeit. Zuletzt erschien sogar die eigene Gattin
mit den deutlichen Spuren des bittersten Schmerzes
und Kummers im Angesichte. Sie erinnerte ihn an
die glücklichen Jahre, die sie mit einander verlebt
hätten, an die hoffnungsvollen Kinder, die ihre ge-
meinschaftliche Freude seien, an den unerträglichen
Schmerz, der ihr und den Kindern durch seinen bevor-
stehenden Tod bereitet würde; endlich bat sie ihn unter
einem Strome von Thränen und mit den zärtlichsten
Worten, doch wenigstens aus Mitleiden mit ihr und
seinen Kindern dem Befehle des Königs zu willfahren,
um noch länger in Glück und Ansehen mit einander
leben zu können. Auch Morus wurde beim Anblick
des großen Schmerzes seiner zärtlich geliebten Gattin
tief gerührt und der Gedanke an die nahe Trennung
von ihr und seinen Kindern machte ihm das Herz
zittern. Doch er wankte nicht in seiner Treue gegen
Gott und die heilige Kirche. Fest und ernst schaute
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du wohl, daß dieses Ansehen, dieses glückliche Zusammen-
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Bremscheid, Matthias von. Der christliche Mann in seinem Glauben und Leben. Mainz, 1901, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bremscheid_mann_1901/77>, abgerufen am 26.11.2024.
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