Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [107]–162. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

seinem Bruder in der Gegend herum patrouilliren, ob vielleicht den Räubern auf die Spur komme; indessen wolle er andere Leute zu Fuß aussenden und den Müller, wenn er komme, um die weiteren Umstände vernehmen. Kasper ging nun von dem Gerichtshalter weg nach dem väterlichen Hause. Da er aber an meiner Hütte vorüber mußte und durch das Fenster hörte, daß ich ein geistliches Lied sang, wie ich denn vor Gedanken an seine selige Mutter nicht schlafen konnte, so pochte er an und sagte: Gelobt sei Jesus Christus! Liebe Großmutter, Kasper ist hier. Ach! wie fuhren mir die Worte durch Mark und Bein, ich stürzte an das Fenster, öffnete es und küßte und drückte ihn mit unendlichen Thränen. Er erzählte mir sein Unglück mit großer Eile und sagte, welchen Auftrag er an seinen Vater vom Gerichtshalter habe; er müsse darum jetzt gleich hin, um den Dieben nachzusetzen, denn seine Ehre hänge davon ab, daß er sein Pferd wieder erhalte.

Ich weiß nicht, aber das Wort Ehre fuhr mir recht durch alle Glieder, denn ich wußte schwere Gerichte, die ihm bevorstanden. Thue deine Pflicht und gib Gott allein die Ehre, sagte ich; und er eilte von mir nach Finkel's Hof, der am andern Ende des Dorfes liegt. Ich sank, als er fort war, auf die Kniee und betete zu Gott, er möge ihn doch in seinen Schutz nehmen; ach! betete mit einer Angst, wie niemals, und mußte daher immer sagen: Herr, dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden.

seinem Bruder in der Gegend herum patrouilliren, ob vielleicht den Räubern auf die Spur komme; indessen wolle er andere Leute zu Fuß aussenden und den Müller, wenn er komme, um die weiteren Umstände vernehmen. Kasper ging nun von dem Gerichtshalter weg nach dem väterlichen Hause. Da er aber an meiner Hütte vorüber mußte und durch das Fenster hörte, daß ich ein geistliches Lied sang, wie ich denn vor Gedanken an seine selige Mutter nicht schlafen konnte, so pochte er an und sagte: Gelobt sei Jesus Christus! Liebe Großmutter, Kasper ist hier. Ach! wie fuhren mir die Worte durch Mark und Bein, ich stürzte an das Fenster, öffnete es und küßte und drückte ihn mit unendlichen Thränen. Er erzählte mir sein Unglück mit großer Eile und sagte, welchen Auftrag er an seinen Vater vom Gerichtshalter habe; er müsse darum jetzt gleich hin, um den Dieben nachzusetzen, denn seine Ehre hänge davon ab, daß er sein Pferd wieder erhalte.

Ich weiß nicht, aber das Wort Ehre fuhr mir recht durch alle Glieder, denn ich wußte schwere Gerichte, die ihm bevorstanden. Thue deine Pflicht und gib Gott allein die Ehre, sagte ich; und er eilte von mir nach Finkel's Hof, der am andern Ende des Dorfes liegt. Ich sank, als er fort war, auf die Kniee und betete zu Gott, er möge ihn doch in seinen Schutz nehmen; ach! betete mit einer Angst, wie niemals, und mußte daher immer sagen: Herr, dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0032"/>
seinem Bruder in der Gegend herum patrouilliren, ob vielleicht den Räubern                auf die Spur komme; indessen wolle er andere Leute zu Fuß aussenden und den Müller,                wenn er komme, um die weiteren Umstände vernehmen. Kasper ging nun von dem                Gerichtshalter weg nach dem väterlichen Hause. Da er aber an meiner Hütte vorüber                mußte und durch das Fenster hörte, daß ich ein geistliches Lied sang, wie ich denn                vor Gedanken an seine selige Mutter nicht schlafen konnte, so pochte er an und sagte:                Gelobt sei Jesus Christus! Liebe Großmutter, Kasper ist hier. Ach! wie fuhren mir die                Worte durch Mark und Bein, ich stürzte an das Fenster, öffnete es und küßte und                drückte ihn mit unendlichen Thränen. Er erzählte mir sein Unglück mit großer Eile und                sagte, welchen Auftrag er an seinen Vater vom Gerichtshalter habe; er müsse darum                jetzt gleich hin, um den Dieben nachzusetzen, denn seine Ehre hänge davon ab, daß er                sein Pferd wieder erhalte.</p><lb/>
        <p>Ich weiß nicht, aber das Wort Ehre fuhr mir recht durch alle Glieder, denn ich wußte                schwere Gerichte, die ihm bevorstanden. Thue deine Pflicht und gib Gott allein die                Ehre, sagte ich; und er eilte von mir nach Finkel's Hof, der am andern Ende des                Dorfes liegt. Ich sank, als er fort war, auf die Kniee und betete zu Gott, er möge                ihn doch in seinen Schutz nehmen; ach! betete mit einer Angst, wie niemals, und mußte                daher immer sagen: Herr, dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0032] seinem Bruder in der Gegend herum patrouilliren, ob vielleicht den Räubern auf die Spur komme; indessen wolle er andere Leute zu Fuß aussenden und den Müller, wenn er komme, um die weiteren Umstände vernehmen. Kasper ging nun von dem Gerichtshalter weg nach dem väterlichen Hause. Da er aber an meiner Hütte vorüber mußte und durch das Fenster hörte, daß ich ein geistliches Lied sang, wie ich denn vor Gedanken an seine selige Mutter nicht schlafen konnte, so pochte er an und sagte: Gelobt sei Jesus Christus! Liebe Großmutter, Kasper ist hier. Ach! wie fuhren mir die Worte durch Mark und Bein, ich stürzte an das Fenster, öffnete es und küßte und drückte ihn mit unendlichen Thränen. Er erzählte mir sein Unglück mit großer Eile und sagte, welchen Auftrag er an seinen Vater vom Gerichtshalter habe; er müsse darum jetzt gleich hin, um den Dieben nachzusetzen, denn seine Ehre hänge davon ab, daß er sein Pferd wieder erhalte. Ich weiß nicht, aber das Wort Ehre fuhr mir recht durch alle Glieder, denn ich wußte schwere Gerichte, die ihm bevorstanden. Thue deine Pflicht und gib Gott allein die Ehre, sagte ich; und er eilte von mir nach Finkel's Hof, der am andern Ende des Dorfes liegt. Ich sank, als er fort war, auf die Kniee und betete zu Gott, er möge ihn doch in seinen Schutz nehmen; ach! betete mit einer Angst, wie niemals, und mußte daher immer sagen: Herr, dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T13:27:19Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T13:27:19Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_annerl_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_annerl_1910/32
Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [107]–162. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_annerl_1910/32>, abgerufen am 21.11.2024.