Und nun nahm sie die Puppe aus ihrem Körbchen, das sie am Arm hängen hatte, zog das Uhrwerk auf, und die kleine Reisende schnurrte so artig zwischen dem Thymian auf dem Felsen herum, daß Gackeleia ihr, in die Hände patschend, nachlief. Da erwischte der alte Gockel das Kind beim Arm und sagte: "Nun habe ich dich, habe ich dir nicht tausend¬ mal verboten, meinen Ring ohne meine Erlaubniß anzurüh¬ ren? Du hast ihn aber dem alten Betrüger gegeben, und der hat ihn mit einem andern vertauscht, der keinen Heller werth ist, und so hast du deine Eltern und dich in Schande und Armuth gebracht durch deine Begierde nach einer elenden Puppe". Da schrie Gackeleia ganz erbärmlich:
"Keine Puppe, es ist nur Eine schöne Kunstfigur. Vater, Vater laß mich los! Ach sie läuft durch Stein und Moos Von dem Fels in vollem Lauf, Mutter Hinkel halt' sie auf! Daß sie nicht den Hals zerbricht; Denn sie kennt die Wege nicht."
Die kleine Puppe lief auch ganz wie toll den Felsen hin¬ unter, und Frau Hinkel wollte sie aufhalten, aber glitt auf dem glatten Rasen aus und rutschte ein ziemlich Stück Weg hinab.
Darüber wurde der alte Gockel noch viel ungeduldiger und sagte: "nun sieh, das Unglück, deine Mutter bricht noch schier ein Bein über der abscheulichen Puppe. Recht muß seyn, du hast unverzeihlich gefehlt; jetzt wähle Gackeleia: ent¬ weder kriegst du hier recht tüchtig die Ruthe, oder du läßt die Puppe laufen", und da Gackeleia wieder schrie:
"Keine Puppe, es ist nur Eine schöne Kunstfigur, Nach der Uhr und nach der Schnur, Und ein Mäuschen von Natur." --
Und nun nahm ſie die Puppe aus ihrem Koͤrbchen, das ſie am Arm haͤngen hatte, zog das Uhrwerk auf, und die kleine Reiſende ſchnurrte ſo artig zwiſchen dem Thymian auf dem Felſen herum, daß Gackeleia ihr, in die Haͤnde patſchend, nachlief. Da erwiſchte der alte Gockel das Kind beim Arm und ſagte: „Nun habe ich dich, habe ich dir nicht tauſend¬ mal verboten, meinen Ring ohne meine Erlaubniß anzuruͤh¬ ren? Du haſt ihn aber dem alten Betruͤger gegeben, und der hat ihn mit einem andern vertauſcht, der keinen Heller werth iſt, und ſo haſt du deine Eltern und dich in Schande und Armuth gebracht durch deine Begierde nach einer elenden Puppe“. Da ſchrie Gackeleia ganz erbaͤrmlich:
„Keine Puppe, es iſt nur Eine ſchoͤne Kunſtfigur. Vater, Vater laß mich los! Ach ſie laͤuft durch Stein und Moos Von dem Fels in vollem Lauf, Mutter Hinkel halt' ſie auf! Daß ſie nicht den Hals zerbricht; Denn ſie kennt die Wege nicht.“
Die kleine Puppe lief auch ganz wie toll den Felſen hin¬ unter, und Frau Hinkel wollte ſie aufhalten, aber glitt auf dem glatten Raſen aus und rutſchte ein ziemlich Stuͤck Weg hinab.
Daruͤber wurde der alte Gockel noch viel ungeduldiger und ſagte: „nun ſieh, das Ungluͤck, deine Mutter bricht noch ſchier ein Bein uͤber der abſcheulichen Puppe. Recht muß ſeyn, du haſt unverzeihlich gefehlt; jetzt waͤhle Gackeleia: ent¬ weder kriegſt du hier recht tuͤchtig die Ruthe, oder du laͤßt die Puppe laufen“, und da Gackeleia wieder ſchrie:
„Keine Puppe, es iſt nur Eine ſchoͤne Kunſtfigur, Nach der Uhr und nach der Schnur, Und ein Maͤuschen von Natur.“ —
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Und nun nahm ſie die Puppe aus ihrem Koͤrbchen, das ſie
am Arm haͤngen hatte, zog das Uhrwerk auf, und die kleine
Reiſende ſchnurrte ſo artig zwiſchen dem Thymian auf dem
Felſen herum, daß Gackeleia ihr, in die Haͤnde patſchend,
nachlief. Da erwiſchte der alte Gockel das Kind beim Arm
und ſagte: „Nun habe ich dich, habe ich dir nicht tauſend¬
mal verboten, meinen Ring ohne meine Erlaubniß anzuruͤh¬
ren? Du haſt ihn aber dem alten Betruͤger gegeben, und der
hat ihn mit einem andern vertauſcht, der keinen Heller werth
iſt, und ſo haſt du deine Eltern und dich in Schande und
Armuth gebracht durch deine Begierde nach einer elenden
Puppe“. Da ſchrie Gackeleia ganz erbaͤrmlich:
„Keine Puppe, es iſt nur
Eine ſchoͤne Kunſtfigur.
Vater, Vater laß mich los!
Ach ſie laͤuft durch Stein und Moos
Von dem Fels in vollem Lauf,
Mutter Hinkel halt' ſie auf!
Daß ſie nicht den Hals zerbricht;
Denn ſie kennt die Wege nicht.“
Die kleine Puppe lief auch ganz wie toll den Felſen hin¬
unter, und Frau Hinkel wollte ſie aufhalten, aber glitt auf
dem glatten Raſen aus und rutſchte ein ziemlich Stuͤck Weg
hinab.
Daruͤber wurde der alte Gockel noch viel ungeduldiger
und ſagte: „nun ſieh, das Ungluͤck, deine Mutter bricht noch
ſchier ein Bein uͤber der abſcheulichen Puppe. Recht muß
ſeyn, du haſt unverzeihlich gefehlt; jetzt waͤhle Gackeleia: ent¬
weder kriegſt du hier recht tuͤchtig die Ruthe, oder du laͤßt
die Puppe laufen“, und da Gackeleia wieder ſchrie:
„Keine Puppe, es iſt nur
Eine ſchoͤne Kunſtfigur,
Nach der Uhr und nach der Schnur,
Und ein Maͤuschen von Natur.“ —
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/175>, abgerufen am 16.07.2024.
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