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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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Herzliche Zueignung.
der Phantasie umfaßte jener Herr Schwab, daß ich wohl sagen kam:
in den Zweigen dieses Baumes plauderten noch die Legenden, Ge¬
penstergeschichten und Mährchen in nächtlicher Rockenstube, als schon
Lenore ums Morgenroth aus schweren Träumen emporfuhr; -- in
seinen Zweigen hielten noch die asiatischen Banisen, die Simplizissimi,
die Aventüriers, die Felsenbürger, die Robinsonen, die Seeräuber, die
Cartouche, die Finanziers und deren Jude, Süß Oppenheimer, Ge¬
spräche im Reich der Todten bis tief in die Sternennacht, da unter
seinem Schatten Götz von Berlichingen nebst Suite vereint mit Schil¬
lers Räubern der Zukunft bereits auf den Dienst lauerten, und dicht
neben diesen die heilige Vehme und alle geheimen Ordensritter bis
zur Dya-Na-Sore Loge hielten. Es ward ein kunterbunter Polterabend
der alten und neuen Zeit unter diesem Baume gefeiert, da wetteiferte
Theophrastus Bombastus Paracelsus mit Cagliostro in Theriack und
Lebensäther, da lehrten Christian Weisens drei Erznarren den Natur¬
menschen Basedows Latein aus dem Orbis pictus Comenii, da
sperrte der höfliche Schüler den Magister Philotecknos in das Ma¬
gasin des enfans
der Frau von Beaumont, bis er Knigges Um¬
gang mit Menschen auswendig konnte; da deklamirte Pater Cochem
aus Eckartshausens "Gott ist die reinste Liebe" und meditirte der
Letztere aus des Ersten vier letzten Dingen, da that Siegfried von
Lindenberg die genealogische Frage "was thuen die Fürsten von Ho¬
henloh?" und antwortete Hübner: "sie theilen sich in drei Linien." --
Da las Eulenspiegel die Correkturbogen der neuen Heloise und sang
Donquixote: "Freude schöner Götterfunken," und endlich -- hier tanzte
der Reifrock mit der chemise grecque den Cotillon auf der Hochzeit
des Kehrauses bei einem umfassenden Orchester von der alten Laute
Scheidlers, der Glasharmonicka und Harfe der blinden Jungfer Pa¬
radies, einigen Maultrommeln, Papagenopfeifen und modernen Gui¬
tarren. -- Ja um den Paradeplatz aller Leistungen unter dem Kom¬
mando des Herrn Schwab zu umspannen, reichte kaum das Gespinnst
der alten Base Cordula zu, deren reiner Faden doch von dem Tauf¬
hemde der Fräulein von Sternheim bis zur Jakobinermüze um die
Spule gelaufen war. -- Dieser Janus, dieser Proteus, dieser Cen¬
taur von Scherz und Ernst, dieser mir ewig theure Herr Schwab
also stellte mich bei der Kaiser Krönung sehr ernsthaft zur Rede
und ermahnte mich, im Stillen meine Ansprüche auf das Länd¬
chen Vadutz fallen und Gras über diese kahlen Phantasien wach¬

Herzliche Zueignung.
der Phantaſie umfaßte jener Herr Schwab, daß ich wohl ſagen kam:
in den Zweigen dieſes Baumes plauderten noch die Legenden, Ge¬
penſtergeſchichten und Maͤhrchen in naͤchtlicher Rockenſtube, als ſchon
Lenore ums Morgenroth aus ſchweren Traͤumen emporfuhr; — in
ſeinen Zweigen hielten noch die aſiatiſchen Baniſen, die Simpliziſſimi,
die Aventuͤriers, die Felſenbuͤrger, die Robinſonen, die Seeraͤuber, die
Cartouche, die Finanziers und deren Jude, Suͤß Oppenheimer, Ge¬
ſpraͤche im Reich der Todten bis tief in die Sternennacht, da unter
ſeinem Schatten Goͤtz von Berlichingen nebſt Suite vereint mit Schil¬
lers Raͤubern der Zukunft bereits auf den Dienſt lauerten, und dicht
neben dieſen die heilige Vehme und alle geheimen Ordensritter bis
zur Dya-Na-Sore Loge hielten. Es ward ein kunterbunter Polterabend
der alten und neuen Zeit unter dieſem Baume gefeiert, da wetteiferte
Theophraſtus Bombaſtus Paracelſus mit Caglioſtro in Theriack und
Lebensaͤther, da lehrten Chriſtian Weiſens drei Erznarren den Natur¬
menſchen Baſedows Latein aus dem Orbis pictus Comenii, da
ſperrte der hoͤfliche Schuͤler den Magiſter Philotecknos in das Ma¬
gasin des enfans
der Frau von Beaumont, bis er Knigges Um¬
gang mit Menſchen auswendig konnte; da deklamirte Pater Cochem
aus Eckartshauſens „Gott iſt die reinſte Liebe“ und meditirte der
Letztere aus des Erſten vier letzten Dingen, da that Siegfried von
Lindenberg die genealogiſche Frage „was thuen die Fuͤrſten von Ho¬
henloh?“ und antwortete Huͤbner: „ſie theilen ſich in drei Linien.“ —
Da las Eulenſpiegel die Correkturbogen der neuen Heloiſe und ſang
Donquixote: „Freude ſchoͤner Goͤtterfunken,“ und endlich — hier tanzte
der Reifrock mit der chemise grecque den Cotillon auf der Hochzeit
des Kehrauſes bei einem umfaſſenden Orcheſter von der alten Laute
Scheidlers, der Glasharmonicka und Harfe der blinden Jungfer Pa¬
radies, einigen Maultrommeln, Papagenopfeifen und modernen Gui¬
tarren. — Ja um den Paradeplatz aller Leiſtungen unter dem Kom¬
mando des Herrn Schwab zu umſpannen, reichte kaum das Geſpinnſt
der alten Baſe Cordula zu, deren reiner Faden doch von dem Tauf¬
hemde der Fraͤulein von Sternheim bis zur Jakobinermuͤze um die
Spule gelaufen war. — Dieſer Janus, dieſer Proteus, dieſer Cen¬
taur von Scherz und Ernſt, dieſer mir ewig theure Herr Schwab
alſo ſtellte mich bei der Kaiſer Kroͤnung ſehr ernſthaft zur Rede
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[X/0018] Herzliche Zueignung. der Phantaſie umfaßte jener Herr Schwab, daß ich wohl ſagen kam: in den Zweigen dieſes Baumes plauderten noch die Legenden, Ge¬ penſtergeſchichten und Maͤhrchen in naͤchtlicher Rockenſtube, als ſchon Lenore ums Morgenroth aus ſchweren Traͤumen emporfuhr; — in ſeinen Zweigen hielten noch die aſiatiſchen Baniſen, die Simpliziſſimi, die Aventuͤriers, die Felſenbuͤrger, die Robinſonen, die Seeraͤuber, die Cartouche, die Finanziers und deren Jude, Suͤß Oppenheimer, Ge¬ ſpraͤche im Reich der Todten bis tief in die Sternennacht, da unter ſeinem Schatten Goͤtz von Berlichingen nebſt Suite vereint mit Schil¬ lers Raͤubern der Zukunft bereits auf den Dienſt lauerten, und dicht neben dieſen die heilige Vehme und alle geheimen Ordensritter bis zur Dya-Na-Sore Loge hielten. Es ward ein kunterbunter Polterabend der alten und neuen Zeit unter dieſem Baume gefeiert, da wetteiferte Theophraſtus Bombaſtus Paracelſus mit Caglioſtro in Theriack und Lebensaͤther, da lehrten Chriſtian Weiſens drei Erznarren den Natur¬ menſchen Baſedows Latein aus dem Orbis pictus Comenii, da ſperrte der hoͤfliche Schuͤler den Magiſter Philotecknos in das Ma¬ gasin des enfans der Frau von Beaumont, bis er Knigges Um¬ gang mit Menſchen auswendig konnte; da deklamirte Pater Cochem aus Eckartshauſens „Gott iſt die reinſte Liebe“ und meditirte der Letztere aus des Erſten vier letzten Dingen, da that Siegfried von Lindenberg die genealogiſche Frage „was thuen die Fuͤrſten von Ho¬ henloh?“ und antwortete Huͤbner: „ſie theilen ſich in drei Linien.“ — Da las Eulenſpiegel die Correkturbogen der neuen Heloiſe und ſang Donquixote: „Freude ſchoͤner Goͤtterfunken,“ und endlich — hier tanzte der Reifrock mit der chemise grecque den Cotillon auf der Hochzeit des Kehrauſes bei einem umfaſſenden Orcheſter von der alten Laute Scheidlers, der Glasharmonicka und Harfe der blinden Jungfer Pa¬ radies, einigen Maultrommeln, Papagenopfeifen und modernen Gui¬ tarren. — Ja um den Paradeplatz aller Leiſtungen unter dem Kom¬ mando des Herrn Schwab zu umſpannen, reichte kaum das Geſpinnſt der alten Baſe Cordula zu, deren reiner Faden doch von dem Tauf¬ hemde der Fraͤulein von Sternheim bis zur Jakobinermuͤze um die Spule gelaufen war. — Dieſer Janus, dieſer Proteus, dieſer Cen¬ taur von Scherz und Ernſt, dieſer mir ewig theure Herr Schwab alſo ſtellte mich bei der Kaiſer Kroͤnung ſehr ernſthaft zur Rede und ermahnte mich, im Stillen meine Anſpruͤche auf das Laͤnd¬ chen Vadutz fallen und Gras uͤber dieſe kahlen Phantaſien wach¬

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. X. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/18>, abgerufen am 21.11.2024.