Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.Herzliche Zueignung. schauen ihnen über die Schultern lehnte, mehrmals gesagt: "du meinstwohl, du seyst der Kaiser, daß du mich belehnen willst?" so nannte ich auch diese Schulterbänder die Lehnskleinode von Vadutz. -- Aber kein Glück besteht auf Erden! -- und jetzt, liebes Größmütterchen, ist endlich die Zeit gekommen, da ich dich mit dem Ursprung vieler Thränen bekannt machen kann, welche ich aller Welt zum Räthsel ver¬ gossen habe. -- Ich träumerischer Knabe hielt mich bei der Kaiser¬ krönung für nichts mehr und nichts weniger, als den verkannten pri¬ vatisirenden Regenten von Vadutz, und würde es nach jener größten Ungerechtigkeit, daß der Hauptmann von Capernaum noch immer nicht Major geworden ist, für die allergrößte gehalten haben, wenn beim Ritterschlag nach der Frage: "ist kein Dalberg da?" nicht die Frage gefolgt seyn würde: "ist kein edler Dynast von Vadutz da, daß er das Lehnskleinod auf seine Schultern empfange?" -- So standen meine Hoffnungen, als nun am Vorabende ihrer Erfüllung mich ein alter Diener des Hauses, Herr Schwab, der Buchhalter, an dessen Originalitäts-Staketen alle Reben, Geisblatt- und Boh¬ nenlauben unsrer Fantasie hinan gerankt waren, enttäuschte. Dieser seltne Mann setzte dem goldnen Kopf bald die Amalia, bald die Lie¬ sel (so hießen seine zwei Haarbeutelperücken) über die Frisuren, a la Tau¬ benflügel, Ninon, Sevigne, Rhinozeros, Elephant, Cagliostro, Montgol¬ fier, Heloise, Siegwart, Werther, Titus, Caracalla und Incroyable, ohne irgend eine dieser Pantomimen der Zeit, welche dem goldnen Kopf zugleich durch die Haare fuhren, zu stören. Er beugte sich wie der immer blühende und fruchtende Christbaum einer derben sachlichen Vorzeit über einen gähnenden Abgrund und über den von Seufzern zerrissenen Zaun der Gegenwart bis zu der sehnsüchtigen Jasmin¬ laube der Pfarrerstochter von Taubenheim hin, welche beschäftigt war, den kaum verbleichten himmelblauen Frack Werthers und des¬ sen strohgelbe Beinkleider auf dem Grabe Siegwarts gegen Mot¬ tenfraß auszuklopfen und abwechselnd den bei der Urne seiner Ge¬ liebten verfrorenen Kapuziner nach den Methoden des Miltenberger Noth- und Hilfbüchleins auf zu thauen, während Karl Moor seine bleichgehärmte Wange an einen Aschenkrug lehnend ihr Mathisons Elegie in den Ruinen eines alten Bergschlosses vorlas und seitwärts ein Verbrecher aus Ehrsucht mit Lida Hand in Hand im Monden¬ schimmer am Unkenteich Irrlichter weidete und nimmer vergaß, was er alda empfand. -- Ein so großes Stück von der Geschichtskarte * *
Herzliche Zueignung. ſchauen ihnen uͤber die Schultern lehnte, mehrmals geſagt: „du meinſtwohl, du ſeyſt der Kaiſer, daß du mich belehnen willſt?“ ſo nannte ich auch dieſe Schulterbaͤnder die Lehnskleinode von Vadutz. — Aber kein Gluͤck beſteht auf Erden! — und jetzt, liebes Groͤßmuͤtterchen, iſt endlich die Zeit gekommen, da ich dich mit dem Urſprung vieler Thraͤnen bekannt machen kann, welche ich aller Welt zum Raͤthſel ver¬ goſſen habe. — Ich traͤumeriſcher Knabe hielt mich bei der Kaiſer¬ kroͤnung fuͤr nichts mehr und nichts weniger, als den verkannten pri¬ vatiſirenden Regenten von Vadutz, und wuͤrde es nach jener groͤßten Ungerechtigkeit, daß der Hauptmann von Capernaum noch immer nicht Major geworden iſt, fuͤr die allergroͤßte gehalten haben, wenn beim Ritterſchlag nach der Frage: „iſt kein Dalberg da?“ nicht die Frage gefolgt ſeyn wuͤrde: „iſt kein edler Dynaſt von Vadutz da, daß er das Lehnskleinod auf ſeine Schultern empfange?“ — So ſtanden meine Hoffnungen, als nun am Vorabende ihrer Erfuͤllung mich ein alter Diener des Hauſes, Herr Schwab, der Buchhalter, an deſſen Originalitaͤts-Staketen alle Reben, Geisblatt- und Boh¬ nenlauben unſrer Fantaſie hinan gerankt waren, enttaͤuſchte. Dieſer ſeltne Mann ſetzte dem goldnen Kopf bald die Amalia, bald die Lie¬ ſel (ſo hießen ſeine zwei Haarbeutelperuͤcken) uͤber die Friſuren, á la Tau¬ benfluͤgel, Ninon, Sevigné, Rhinozeros, Elephant, Caglioſtro, Montgol¬ fier, Heloiſe, Siegwart, Werther, Titus, Caracalla und Incroyable, ohne irgend eine dieſer Pantomimen der Zeit, welche dem goldnen Kopf zugleich durch die Haare fuhren, zu ſtoͤren. Er beugte ſich wie der immer bluͤhende und fruchtende Chriſtbaum einer derben ſachlichen Vorzeit uͤber einen gaͤhnenden Abgrund und uͤber den von Seufzern zerriſſenen Zaun der Gegenwart bis zu der ſehnſuͤchtigen Jasmin¬ laube der Pfarrerstochter von Taubenheim hin, welche beſchaͤftigt war, den kaum verbleichten himmelblauen Frack Werthers und deſ¬ ſen ſtrohgelbe Beinkleider auf dem Grabe Siegwarts gegen Mot¬ tenfraß auszuklopfen und abwechſelnd den bei der Urne ſeiner Ge¬ liebten verfrorenen Kapuziner nach den Methoden des Miltenberger Noth- und Hilfbuͤchleins auf zu thauen, waͤhrend Karl Moor ſeine bleichgehaͤrmte Wange an einen Aſchenkrug lehnend ihr Mathiſons Elegie in den Ruinen eines alten Bergſchloſſes vorlas und ſeitwaͤrts ein Verbrecher aus Ehrſucht mit Lida Hand in Hand im Monden¬ ſchimmer am Unkenteich Irrlichter weidete und nimmer vergaß, was er alda empfand. — Ein ſo großes Stuͤck von der Geſchichtskarte * *
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Herzliche Zueignung.
ſchauen ihnen uͤber die Schultern lehnte, mehrmals geſagt: „du meinſt
wohl, du ſeyſt der Kaiſer, daß du mich belehnen willſt?“ ſo nannte
ich auch dieſe Schulterbaͤnder die Lehnskleinode von Vadutz. — Aber
kein Gluͤck beſteht auf Erden! — und jetzt, liebes Groͤßmuͤtterchen, iſt
endlich die Zeit gekommen, da ich dich mit dem Urſprung vieler
Thraͤnen bekannt machen kann, welche ich aller Welt zum Raͤthſel ver¬
goſſen habe. — Ich traͤumeriſcher Knabe hielt mich bei der Kaiſer¬
kroͤnung fuͤr nichts mehr und nichts weniger, als den verkannten pri¬
vatiſirenden Regenten von Vadutz, und wuͤrde es nach jener groͤßten
Ungerechtigkeit, daß der Hauptmann von Capernaum noch immer
nicht Major geworden iſt, fuͤr die allergroͤßte gehalten haben, wenn
beim Ritterſchlag nach der Frage: „iſt kein Dalberg da?“ nicht die
Frage gefolgt ſeyn wuͤrde: „iſt kein edler Dynaſt von Vadutz da,
daß er das Lehnskleinod auf ſeine Schultern empfange?“ — So
ſtanden meine Hoffnungen, als nun am Vorabende ihrer Erfuͤllung
mich ein alter Diener des Hauſes, Herr Schwab, der Buchhalter,
an deſſen Originalitaͤts-Staketen alle Reben, Geisblatt- und Boh¬
nenlauben unſrer Fantaſie hinan gerankt waren, enttaͤuſchte. Dieſer
ſeltne Mann ſetzte dem goldnen Kopf bald die Amalia, bald die Lie¬
ſel (ſo hießen ſeine zwei Haarbeutelperuͤcken) uͤber die Friſuren, á la Tau¬
benfluͤgel, Ninon, Sevigné, Rhinozeros, Elephant, Caglioſtro, Montgol¬
fier, Heloiſe, Siegwart, Werther, Titus, Caracalla und Incroyable,
ohne irgend eine dieſer Pantomimen der Zeit, welche dem goldnen Kopf
zugleich durch die Haare fuhren, zu ſtoͤren. Er beugte ſich wie der
immer bluͤhende und fruchtende Chriſtbaum einer derben ſachlichen
Vorzeit uͤber einen gaͤhnenden Abgrund und uͤber den von Seufzern
zerriſſenen Zaun der Gegenwart bis zu der ſehnſuͤchtigen Jasmin¬
laube der Pfarrerstochter von Taubenheim hin, welche beſchaͤftigt
war, den kaum verbleichten himmelblauen Frack Werthers und deſ¬
ſen ſtrohgelbe Beinkleider auf dem Grabe Siegwarts gegen Mot¬
tenfraß auszuklopfen und abwechſelnd den bei der Urne ſeiner Ge¬
liebten verfrorenen Kapuziner nach den Methoden des Miltenberger
Noth- und Hilfbuͤchleins auf zu thauen, waͤhrend Karl Moor ſeine
bleichgehaͤrmte Wange an einen Aſchenkrug lehnend ihr Mathiſons
Elegie in den Ruinen eines alten Bergſchloſſes vorlas und ſeitwaͤrts
ein Verbrecher aus Ehrſucht mit Lida Hand in Hand im Monden¬
ſchimmer am Unkenteich Irrlichter weidete und nimmer vergaß, was
er alda empfand. — Ein ſo großes Stuͤck von der Geſchichtskarte
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