in Acht, oder ich komme mit dem Knotenstock über dich. Wo habe ich denn Käse oder eine Käsefabrik? Gehe von dan¬ nen und gönne den Armen ihr einziges Gut: die Ruhe und den Schlaf." Da antwortete die Stimme wieder: "Gnä¬ digster Graf, vergebet mir, daß ich euch erweckte, ich sehe wohl, daß ihr den Leuten die Käse nicht abliefern lassen wol¬ let, ich werde sie abweisen!"
Nun hörte Gockel draußen auf dem Hofe sprechen und hin und wieder gehen, und seine Verwunderung, was das zu bedeuten habe, wuchs immer mehr. "Ach", sagte er zu seiner Frau, "ich fürchte fast, es ist irgend eine Nachstel¬ lung von unsern Feinden aus Gelnhausen, die uns ermorden wollen." "Das wäre entsetzlich", erwiederte Frau Hinkel und drückte sich in der Angst dicht an ihn. Da pochte es wie¬ der an der Thüre, und Gockel rief zwar erschrocken, aber doch ziemlich laut: "Wer da?" Da antwortete eine andere Stim¬ me: "Eurer Hochgräflichen Gnaden unterthänigster Küchen¬ meister fragt an, ob er einen Zentner Schinken aus der gräflichen Rauchkammer abliefern darf, welche auf den drei Eseln, die vom König Sissi angekommen sind, abgeholt wer¬ den sollen?"
Gockel, dem bei diesen Reden zu Muthe ward, wie ei¬ nem Hahn ohne Kopf, rief aus: "Warte, ich will dir Schin¬ ken geben, du nichtswürdiger Spötter!" indem er aufsprang und nach seinem Stocke suchte. Als er aber ganz klar und deutlich drei Esel vor der Thüre schreien hörte, rief er und Frau Hinkel zugleich: "Herr Jemine, die Esel sind wirklich da." Es war noch dunkel in dem Stalle, der kein Fenster hatte, und dessen verschlossene Thüre nur durch einen Spalt einen Schimmer des Tages hereinfallen ließ. Gockel tappte an der Wand nach seinem Knotenstock herum, und plötzlich wurde er von ein paar zarten Armen herzlich umschlossen, so daß er laut aufschrie: "um Gotteswillen, wer ist das?" Aber die Unbekannte hörte nicht auf, ihn mit den zärtlich¬
in Acht, oder ich komme mit dem Knotenſtock uͤber dich. Wo habe ich denn Kaͤſe oder eine Kaͤſefabrik? Gehe von dan¬ nen und goͤnne den Armen ihr einziges Gut: die Ruhe und den Schlaf.“ Da antwortete die Stimme wieder: „Gnaͤ¬ digſter Graf, vergebet mir, daß ich euch erweckte, ich ſehe wohl, daß ihr den Leuten die Kaͤſe nicht abliefern laſſen wol¬ let, ich werde ſie abweiſen!“
Nun hoͤrte Gockel draußen auf dem Hofe ſprechen und hin und wieder gehen, und ſeine Verwunderung, was das zu bedeuten habe, wuchs immer mehr. „Ach“, ſagte er zu ſeiner Frau, „ich fuͤrchte faſt, es iſt irgend eine Nachſtel¬ lung von unſern Feinden aus Gelnhauſen, die uns ermorden wollen.“ „Das waͤre entſetzlich“, erwiederte Frau Hinkel und druͤckte ſich in der Angſt dicht an ihn. Da pochte es wie¬ der an der Thuͤre, und Gockel rief zwar erſchrocken, aber doch ziemlich laut: „Wer da?“ Da antwortete eine andere Stim¬ me: „Eurer Hochgraͤflichen Gnaden unterthaͤnigſter Kuͤchen¬ meiſter fragt an, ob er einen Zentner Schinken aus der graͤflichen Rauchkammer abliefern darf, welche auf den drei Eſeln, die vom Koͤnig Siſſi angekommen ſind, abgeholt wer¬ den ſollen?“
Gockel, dem bei dieſen Reden zu Muthe ward, wie ei¬ nem Hahn ohne Kopf, rief aus: „Warte, ich will dir Schin¬ ken geben, du nichtswuͤrdiger Spoͤtter!“ indem er aufſprang und nach ſeinem Stocke ſuchte. Als er aber ganz klar und deutlich drei Eſel vor der Thuͤre ſchreien hoͤrte, rief er und Frau Hinkel zugleich: „Herr Jemine, die Eſel ſind wirklich da.“ Es war noch dunkel in dem Stalle, der kein Fenſter hatte, und deſſen verſchloſſene Thuͤre nur durch einen Spalt einen Schimmer des Tages hereinfallen ließ. Gockel tappte an der Wand nach ſeinem Knotenſtock herum, und ploͤtzlich wurde er von ein paar zarten Armen herzlich umſchloſſen, ſo daß er laut aufſchrie: „um Gotteswillen, wer iſt das?“ Aber die Unbekannte hoͤrte nicht auf, ihn mit den zaͤrtlich¬
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in Acht, oder ich komme mit dem Knotenſtock uͤber dich.
Wo habe ich denn Kaͤſe oder eine Kaͤſefabrik? Gehe von dan¬
nen und goͤnne den Armen ihr einziges Gut: die Ruhe und
den Schlaf.“ Da antwortete die Stimme wieder: „Gnaͤ¬
digſter Graf, vergebet mir, daß ich euch erweckte, ich ſehe
wohl, daß ihr den Leuten die Kaͤſe nicht abliefern laſſen wol¬
let, ich werde ſie abweiſen!“
Nun hoͤrte Gockel draußen auf dem Hofe ſprechen und
hin und wieder gehen, und ſeine Verwunderung, was das zu
bedeuten habe, wuchs immer mehr. „Ach“, ſagte er zu
ſeiner Frau, „ich fuͤrchte faſt, es iſt irgend eine Nachſtel¬
lung von unſern Feinden aus Gelnhauſen, die uns ermorden
wollen.“ „Das waͤre entſetzlich“, erwiederte Frau Hinkel
und druͤckte ſich in der Angſt dicht an ihn. Da pochte es wie¬
der an der Thuͤre, und Gockel rief zwar erſchrocken, aber doch
ziemlich laut: „Wer da?“ Da antwortete eine andere Stim¬
me: „Eurer Hochgraͤflichen Gnaden unterthaͤnigſter Kuͤchen¬
meiſter fragt an, ob er einen Zentner Schinken aus der
graͤflichen Rauchkammer abliefern darf, welche auf den drei
Eſeln, die vom Koͤnig Siſſi angekommen ſind, abgeholt wer¬
den ſollen?“
Gockel, dem bei dieſen Reden zu Muthe ward, wie ei¬
nem Hahn ohne Kopf, rief aus: „Warte, ich will dir Schin¬
ken geben, du nichtswuͤrdiger Spoͤtter!“ indem er aufſprang
und nach ſeinem Stocke ſuchte. Als er aber ganz klar und
deutlich drei Eſel vor der Thuͤre ſchreien hoͤrte, rief er und
Frau Hinkel zugleich: „Herr Jemine, die Eſel ſind wirklich
da.“ Es war noch dunkel in dem Stalle, der kein Fenſter
hatte, und deſſen verſchloſſene Thuͤre nur durch einen Spalt
einen Schimmer des Tages hereinfallen ließ. Gockel tappte
an der Wand nach ſeinem Knotenſtock herum, und ploͤtzlich
wurde er von ein paar zarten Armen herzlich umſchloſſen, ſo
daß er laut aufſchrie: „um Gotteswillen, wer iſt das?“
Aber die Unbekannte hoͤrte nicht auf, ihn mit den zaͤrtlich¬
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/182>, abgerufen am 23.11.2024.
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