Nacht zu sagen, und ich war doch von den vielen Anstren¬ gungen so müde, daß ich schier vergessen hätte, wie ich hier bei weltfremden Leuten war; ja, lieber Vater! ich war so in der Empfindung des Schlafes, daß ich glaubte, ich sey bei Mutter Hinkel in Gelnhausen, und ich rieb mir die Au¬ gen und hatte schon angefangen, mit weinerlicher Stimme zu sagen: "Mutter, Mutter, Gackeleia ins Bettchen legen, Gackeleia ist müd, müd! -- Da ich aber die Worte der Mutter nicht hörte: "ja, schlafen gehen, das Kind ist müde, das Sandmännchen kömmt angeschlichen", besann ich mich und schaute um mich, und sprach mit majestätischer Stim¬ me: "Ich habe die Ehre, Ihnen sämmtlich eine geruhsame Nacht zu wünschen, lassen Sie sich etwas recht Schönes träu¬ men. Sie würden mich unendlich verbinden, wenn Sie sich zurückziehen wollten, damit ich mich schlafen legen kann." Da aber die dummen Mäuse immer noch verwundert da standen, jagte ich sie endlich mit meiner Schürze nach Haus. Es ist mir nichts peinlicher, als das lange unentschiedene Zaudern, und doch war ich nun, da ich mich zum Schlafen niederlegte, längere Zeit beunruhiget, daß ich die armen Schelmen so hart angefahren hatte nnd bat sie in meinem Innern herzlich um Verzeihung. Kaum war ich entschlafen, so versammelte sich die kö¬ nigliche Mäusefamilie mit ihrem Ministerium um mich her, und ich hörte alle die schönen Reden, die sie hielten, an de¬ nen nichts auszusetzen war, als daß die kurzen zu langwei¬ lig und die langen zu kurzweilig waren. Die Hauptsache war, wie sie der Raugräflich Gockelschen Familie nun schon zweimalige Rettung verdankten. Prinz Pfiffi sagte, als seine Gemahlin in die Gefangenschaft unter die Kunstfigur gekom¬ men, sey er den drei Petschierstechern gefolgt, habe gesehen, wie sie sich den Ring verschafft und sich zu vornehmen, schö¬ nen, jungen Leuten gemacht, den Graf Gockel und seine Fami¬ lie aber in arme Bettler verwünscht hätten. Kurz er wußte
Nacht zu ſagen, und ich war doch von den vielen Anſtren¬ gungen ſo muͤde, daß ich ſchier vergeſſen haͤtte, wie ich hier bei weltfremden Leuten war; ja, lieber Vater! ich war ſo in der Empfindung des Schlafes, daß ich glaubte, ich ſey bei Mutter Hinkel in Gelnhauſen, und ich rieb mir die Au¬ gen und hatte ſchon angefangen, mit weinerlicher Stimme zu ſagen: „Mutter, Mutter, Gackeleia ins Bettchen legen, Gackeleia iſt muͤd, muͤd! — Da ich aber die Worte der Mutter nicht hoͤrte: „ja, ſchlafen gehen, das Kind iſt muͤde, das Sandmaͤnnchen koͤmmt angeſchlichen“, beſann ich mich und ſchaute um mich, und ſprach mit majeſtaͤtiſcher Stim¬ me: „Ich habe die Ehre, Ihnen ſaͤmmtlich eine geruhſame Nacht zu wuͤnſchen, laſſen Sie ſich etwas recht Schoͤnes traͤu¬ men. Sie wuͤrden mich unendlich verbinden, wenn Sie ſich zuruͤckziehen wollten, damit ich mich ſchlafen legen kann.“ Da aber die dummen Maͤuſe immer noch verwundert da ſtanden, jagte ich ſie endlich mit meiner Schuͤrze nach Haus. Es iſt mir nichts peinlicher, als das lange unentſchiedene Zaudern, und doch war ich nun, da ich mich zum Schlafen niederlegte, laͤngere Zeit beunruhiget, daß ich die armen Schelmen ſo hart angefahren hatte nnd bat ſie in meinem Innern herzlich um Verzeihung. Kaum war ich entſchlafen, ſo verſammelte ſich die koͤ¬ nigliche Maͤuſefamilie mit ihrem Miniſterium um mich her, und ich hoͤrte alle die ſchoͤnen Reden, die ſie hielten, an de¬ nen nichts auszuſetzen war, als daß die kurzen zu langwei¬ lig und die langen zu kurzweilig waren. Die Hauptſache war, wie ſie der Raugraͤflich Gockelſchen Familie nun ſchon zweimalige Rettung verdankten. Prinz Pfiffi ſagte, als ſeine Gemahlin in die Gefangenſchaft unter die Kunſtfigur gekom¬ men, ſey er den drei Petſchierſtechern gefolgt, habe geſehen, wie ſie ſich den Ring verſchafft und ſich zu vornehmen, ſchoͤ¬ nen, jungen Leuten gemacht, den Graf Gockel und ſeine Fami¬ lie aber in arme Bettler verwuͤnſcht haͤtten. Kurz er wußte
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Nacht zu ſagen, und ich war doch von den vielen Anſtren¬
gungen ſo muͤde, daß ich ſchier vergeſſen haͤtte, wie ich hier
bei weltfremden Leuten war; ja, lieber Vater! ich war ſo
in der Empfindung des Schlafes, daß ich glaubte, ich ſey
bei Mutter Hinkel in Gelnhauſen, und ich rieb mir die Au¬
gen und hatte ſchon angefangen, mit weinerlicher Stimme
zu ſagen: „Mutter, Mutter, Gackeleia ins Bettchen legen,
Gackeleia iſt muͤd, muͤd! — Da ich aber die Worte der
Mutter nicht hoͤrte: „ja, ſchlafen gehen, das Kind iſt muͤde,
das Sandmaͤnnchen koͤmmt angeſchlichen“, beſann ich mich
und ſchaute um mich, und ſprach mit majeſtaͤtiſcher Stim¬
me: „Ich habe die Ehre, Ihnen ſaͤmmtlich eine geruhſame
Nacht zu wuͤnſchen, laſſen Sie ſich etwas recht Schoͤnes traͤu¬
men. Sie wuͤrden mich unendlich verbinden, wenn Sie ſich
zuruͤckziehen wollten, damit ich mich ſchlafen legen kann.“
Da aber die dummen Maͤuſe immer noch verwundert
da ſtanden, jagte ich ſie endlich mit meiner Schuͤrze
nach Haus. Es iſt mir nichts peinlicher, als das lange
unentſchiedene Zaudern, und doch war ich nun, da ich
mich zum Schlafen niederlegte, laͤngere Zeit beunruhiget,
daß ich die armen Schelmen ſo hart angefahren hatte
nnd bat ſie in meinem Innern herzlich um Verzeihung.
Kaum war ich entſchlafen, ſo verſammelte ſich die koͤ¬
nigliche Maͤuſefamilie mit ihrem Miniſterium um mich her,
und ich hoͤrte alle die ſchoͤnen Reden, die ſie hielten, an de¬
nen nichts auszuſetzen war, als daß die kurzen zu langwei¬
lig und die langen zu kurzweilig waren. Die Hauptſache
war, wie ſie der Raugraͤflich Gockelſchen Familie nun ſchon
zweimalige Rettung verdankten. Prinz Pfiffi ſagte, als ſeine
Gemahlin in die Gefangenſchaft unter die Kunſtfigur gekom¬
men, ſey er den drei Petſchierſtechern gefolgt, habe geſehen,
wie ſie ſich den Ring verſchafft und ſich zu vornehmen, ſchoͤ¬
nen, jungen Leuten gemacht, den Graf Gockel und ſeine Fami¬
lie aber in arme Bettler verwuͤnſcht haͤtten. Kurz er wußte
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/198>, abgerufen am 22.11.2024.
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