edelsten Herzen endlich mit der Last deines leeren und doch so schweren Bettelsackes zum Staube nieder drückest?"
Also redete der arme alte Raugraf Gockel von Hanau in edlem hohen Zorne, zu Hinkel von Hennegau seiner Gat¬ tin, welche so betrübt und beschämt und kümmerlich vor ihm stand, als ob sie den Zipf hätte. Aber schon sammelte sie sich und wollte so eben sprechen: "die Raubvögel bringen uns wohl auch manchmal junge Hasen" -- doch da krähte der schwarze Alektryo, der große Stammhahn ihres Mannes, der über ihr auf einem Mauerrande saß, in demselben Au¬ genblick so hell und scharf, daß er ihr das Wort wie mit einer Sichel vor dem Munde wegschnitt, und als er dabei mit den Flügeln schlug, und Graf Gockel von Hanau sein zerrisse¬ nes Mäntelchen auch ungeduldig auf der Schulter hin und her warf, so sagte die Frau Hinkel von Hennegau auch kein Piepswörtchen mehr, denn sie wußte den Alektryo und den Gockel zu ehren.
Sie wollte eben umwenden und weggehen, da sagte Gockel: "o Hinkel! ich brauche dir nichts mehr zu sagen, der ritterliche Alektryo, der Herold, Wappenprüfer und Kreiswärtel, Notarius Publikus und kaiserlich gekrönte Poet meiner Vorfahren hat meine Rede unterkrähet, und somit dagegen protestirt, daß seinen Nachkommen, den zu erwar¬ tenden Hühnchen, die gefährlichen Raubvögel zugesellt wür¬ den." Bei diesen letzten Worten bückte sich Frau Hinkel be¬ reits unter der niedrigen Thüre und verschwand mit einem tiefen Seufzer im Hühnerstall.
Im Hühnerstall? Ja -- denn im wunderbaren, kunstrei¬ chen, im neben-, durch- und hintereinandrigen Stil der Urwelt, Mitwelt und Nachwelt erbauten Hühnerstall wohnten Gockel von Hanau, Hinkel von Hennegau und Gackeleia, ihre Fräu¬ lein Tochter, und in der Ecke stand in einem alten Schilde das auf gothische Weise von Stroh geflochtene Raugraf Gockelsche Erbhühnernest, in welchem die Glucke Gallina
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edelſten Herzen endlich mit der Laſt deines leeren und doch ſo ſchweren Bettelſackes zum Staube nieder druͤckeſt?“
Alſo redete der arme alte Raugraf Gockel von Hanau in edlem hohen Zorne, zu Hinkel von Hennegau ſeiner Gat¬ tin, welche ſo betruͤbt und beſchaͤmt und kuͤmmerlich vor ihm ſtand, als ob ſie den Zipf haͤtte. Aber ſchon ſammelte ſie ſich und wollte ſo eben ſprechen: „die Raubvoͤgel bringen uns wohl auch manchmal junge Haſen“ — doch da kraͤhte der ſchwarze Alektryo, der große Stammhahn ihres Mannes, der uͤber ihr auf einem Mauerrande ſaß, in demſelben Au¬ genblick ſo hell und ſcharf, daß er ihr das Wort wie mit einer Sichel vor dem Munde wegſchnitt, und als er dabei mit den Fluͤgeln ſchlug, und Graf Gockel von Hanau ſein zerriſſe¬ nes Maͤntelchen auch ungeduldig auf der Schulter hin und her warf, ſo ſagte die Frau Hinkel von Hennegau auch kein Piepswoͤrtchen mehr, denn ſie wußte den Alektryo und den Gockel zu ehren.
Sie wollte eben umwenden und weggehen, da ſagte Gockel: „o Hinkel! ich brauche dir nichts mehr zu ſagen, der ritterliche Alektryo, der Herold, Wappenpruͤfer und Kreiswaͤrtel, Notarius Publikus und kaiſerlich gekroͤnte Poet meiner Vorfahren hat meine Rede unterkraͤhet, und ſomit dagegen proteſtirt, daß ſeinen Nachkommen, den zu erwar¬ tenden Huͤhnchen, die gefaͤhrlichen Raubvoͤgel zugeſellt wuͤr¬ den.“ Bei dieſen letzten Worten buͤckte ſich Frau Hinkel be¬ reits unter der niedrigen Thuͤre und verſchwand mit einem tiefen Seufzer im Huͤhnerſtall.
Im Huͤhnerſtall? Ja — denn im wunderbaren, kunſtrei¬ chen, im neben-, durch- und hintereinandrigen Stil der Urwelt, Mitwelt und Nachwelt erbauten Huͤhnerſtall wohnten Gockel von Hanau, Hinkel von Hennegau und Gackeleia, ihre Fraͤu¬ lein Tochter, und in der Ecke ſtand in einem alten Schilde das auf gothiſche Weiſe von Stroh geflochtene Raugraf Gockelſche Erbhuͤhnerneſt, in welchem die Glucke Gallina
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edelſten Herzen endlich mit der Laſt deines leeren und doch
ſo ſchweren Bettelſackes zum Staube nieder druͤckeſt?“
Alſo redete der arme alte Raugraf Gockel von Hanau
in edlem hohen Zorne, zu Hinkel von Hennegau ſeiner Gat¬
tin, welche ſo betruͤbt und beſchaͤmt und kuͤmmerlich vor ihm
ſtand, als ob ſie den Zipf haͤtte. Aber ſchon ſammelte ſie
ſich und wollte ſo eben ſprechen: „die Raubvoͤgel bringen
uns wohl auch manchmal junge Haſen“ — doch da kraͤhte der
ſchwarze Alektryo, der große Stammhahn ihres Mannes,
der uͤber ihr auf einem Mauerrande ſaß, in demſelben Au¬
genblick ſo hell und ſcharf, daß er ihr das Wort wie mit einer
Sichel vor dem Munde wegſchnitt, und als er dabei mit
den Fluͤgeln ſchlug, und Graf Gockel von Hanau ſein zerriſſe¬
nes Maͤntelchen auch ungeduldig auf der Schulter hin und
her warf, ſo ſagte die Frau Hinkel von Hennegau auch kein
Piepswoͤrtchen mehr, denn ſie wußte den Alektryo und den
Gockel zu ehren.
Sie wollte eben umwenden und weggehen, da ſagte
Gockel: „o Hinkel! ich brauche dir nichts mehr zu ſagen,
der ritterliche Alektryo, der Herold, Wappenpruͤfer und
Kreiswaͤrtel, Notarius Publikus und kaiſerlich gekroͤnte Poet
meiner Vorfahren hat meine Rede unterkraͤhet, und ſomit
dagegen proteſtirt, daß ſeinen Nachkommen, den zu erwar¬
tenden Huͤhnchen, die gefaͤhrlichen Raubvoͤgel zugeſellt wuͤr¬
den.“ Bei dieſen letzten Worten buͤckte ſich Frau Hinkel be¬
reits unter der niedrigen Thuͤre und verſchwand mit einem
tiefen Seufzer im Huͤhnerſtall.
Im Huͤhnerſtall? Ja — denn im wunderbaren, kunſtrei¬
chen, im neben-, durch- und hintereinandrigen Stil der Urwelt,
Mitwelt und Nachwelt erbauten Huͤhnerſtall wohnten Gockel
von Hanau, Hinkel von Hennegau und Gackeleia, ihre Fraͤu¬
lein Tochter, und in der Ecke ſtand in einem alten Schilde
das auf gothiſche Weiſe von Stroh geflochtene Raugraf
Gockelſche Erbhuͤhnerneſt, in welchem die Glucke Gallina
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/25>, abgerufen am 21.11.2024.
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