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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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es sich auch wohl für Leute unserer Herkunft, von der Miethe
solches Raubgesindels zu leben? -- und gesetzt auch, Gott suchte
uns mit solchem Elende heim, daß uns die Verzweiflung zu
so unwürdigen Hilfsmitteln triebe, -- was doch nie geschehen
wird, denn eher wollte ich Hungers sterben, -- womit würden
die räuberischen Einwohner uns vor Allem die Miethe be¬
zahlen? Gewiß würden sie uns alle unsre lieben Gastfreunde
erwürgt in die Küche werfen, und zwar auf ihre mörderische
Art zerrupft und zerfleischt. Die freundlichen Singvögel,
welche mit ihrem unschuldigen Gezwitscher unsre wüste
Wohnung zu einem herzerfreuenden Aufenthalte machen,
willst du doch wohl lieber singen hören, als sie gebraten
essen? Würde dir das Herz nicht brechen, die allerliebste
Frau Nachtigall, die trauliche Grasmücke, den fröhlichen
Distelfink, oder gar das liebe treue Rothkehlchen in der Pfanne
zu rösten, oder am Spieße zu braten, und dann zuletzt, wenn
sie alle die Miethe bezahlt hätten, nichts als das Geschrei
und Gekrächze der gräulichen Raubvögel zu hören? Aber
wenn auch alles dieses zu überwinden wäre, bedenkst du
dann in deiner Blindheit nicht, daß diese Mörder allein so
gern hier wohnen möchten, weil sie wissen, daß wir uns
von der Hühnerzucht nähren wollen? Haben wir nicht die
ehrbare Stamm-Henne Gallina jetzt über dreißig Eiern sitzen,
werden diese nicht dreißig Hühner werden, und kann nicht
jedes wieder dreißig Eier legen, welche es wieder ausbrütet
zu dreißig Hühnern, macht schon dreißig mal dreißig, also
neunhundert Hühner, welchen wir entgegensehen? O du un¬
vernünftiges Hinkel! und zu diesen willst du dir Geier und
Habichte ins Schloß ziehen? Hast du denn gänzlich vergessen,
daß du ein edler Sprosse aus dem hohen Stamme der Gra¬
fen von Hennegau bist, und kannst du solche Vorschläge ei¬
nem gebornen leider armen, leider verkannten Raugrafen von
Hanau machen? Ich kenne dich nicht mehr! -- O du ent¬
setzliche Armuth! ist es denn also wahr, daß du auch die

es ſich auch wohl fuͤr Leute unſerer Herkunft, von der Miethe
ſolches Raubgeſindels zu leben? — und geſetzt auch, Gott ſuchte
uns mit ſolchem Elende heim, daß uns die Verzweiflung zu
ſo unwuͤrdigen Hilfsmitteln triebe, — was doch nie geſchehen
wird, denn eher wollte ich Hungers ſterben, — womit wuͤrden
die raͤuberiſchen Einwohner uns vor Allem die Miethe be¬
zahlen? Gewiß wuͤrden ſie uns alle unſre lieben Gaſtfreunde
erwuͤrgt in die Kuͤche werfen, und zwar auf ihre moͤrderiſche
Art zerrupft und zerfleiſcht. Die freundlichen Singvoͤgel,
welche mit ihrem unſchuldigen Gezwitſcher unſre wuͤſte
Wohnung zu einem herzerfreuenden Aufenthalte machen,
willſt du doch wohl lieber ſingen hoͤren, als ſie gebraten
eſſen? Wuͤrde dir das Herz nicht brechen, die allerliebſte
Frau Nachtigall, die trauliche Grasmuͤcke, den froͤhlichen
Diſtelfink, oder gar das liebe treue Rothkehlchen in der Pfanne
zu roͤſten, oder am Spieße zu braten, und dann zuletzt, wenn
ſie alle die Miethe bezahlt haͤtten, nichts als das Geſchrei
und Gekraͤchze der graͤulichen Raubvoͤgel zu hoͤren? Aber
wenn auch alles dieſes zu uͤberwinden waͤre, bedenkſt du
dann in deiner Blindheit nicht, daß dieſe Moͤrder allein ſo
gern hier wohnen moͤchten, weil ſie wiſſen, daß wir uns
von der Huͤhnerzucht naͤhren wollen? Haben wir nicht die
ehrbare Stamm-Henne Gallina jetzt uͤber dreißig Eiern ſitzen,
werden dieſe nicht dreißig Huͤhner werden, und kann nicht
jedes wieder dreißig Eier legen, welche es wieder ausbruͤtet
zu dreißig Huͤhnern, macht ſchon dreißig mal dreißig, alſo
neunhundert Huͤhner, welchen wir entgegenſehen? O du un¬
vernuͤnftiges Hinkel! und zu dieſen willſt du dir Geier und
Habichte ins Schloß ziehen? Haſt du denn gaͤnzlich vergeſſen,
daß du ein edler Sproſſe aus dem hohen Stamme der Gra¬
fen von Hennegau biſt, und kannſt du ſolche Vorſchlaͤge ei¬
nem gebornen leider armen, leider verkannten Raugrafen von
Hanau machen? Ich kenne dich nicht mehr! — O du ent¬
ſetzliche Armuth! iſt es denn alſo wahr, daß du auch die

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[2/0024] es ſich auch wohl fuͤr Leute unſerer Herkunft, von der Miethe ſolches Raubgeſindels zu leben? — und geſetzt auch, Gott ſuchte uns mit ſolchem Elende heim, daß uns die Verzweiflung zu ſo unwuͤrdigen Hilfsmitteln triebe, — was doch nie geſchehen wird, denn eher wollte ich Hungers ſterben, — womit wuͤrden die raͤuberiſchen Einwohner uns vor Allem die Miethe be¬ zahlen? Gewiß wuͤrden ſie uns alle unſre lieben Gaſtfreunde erwuͤrgt in die Kuͤche werfen, und zwar auf ihre moͤrderiſche Art zerrupft und zerfleiſcht. Die freundlichen Singvoͤgel, welche mit ihrem unſchuldigen Gezwitſcher unſre wuͤſte Wohnung zu einem herzerfreuenden Aufenthalte machen, willſt du doch wohl lieber ſingen hoͤren, als ſie gebraten eſſen? Wuͤrde dir das Herz nicht brechen, die allerliebſte Frau Nachtigall, die trauliche Grasmuͤcke, den froͤhlichen Diſtelfink, oder gar das liebe treue Rothkehlchen in der Pfanne zu roͤſten, oder am Spieße zu braten, und dann zuletzt, wenn ſie alle die Miethe bezahlt haͤtten, nichts als das Geſchrei und Gekraͤchze der graͤulichen Raubvoͤgel zu hoͤren? Aber wenn auch alles dieſes zu uͤberwinden waͤre, bedenkſt du dann in deiner Blindheit nicht, daß dieſe Moͤrder allein ſo gern hier wohnen moͤchten, weil ſie wiſſen, daß wir uns von der Huͤhnerzucht naͤhren wollen? Haben wir nicht die ehrbare Stamm-Henne Gallina jetzt uͤber dreißig Eiern ſitzen, werden dieſe nicht dreißig Huͤhner werden, und kann nicht jedes wieder dreißig Eier legen, welche es wieder ausbruͤtet zu dreißig Huͤhnern, macht ſchon dreißig mal dreißig, alſo neunhundert Huͤhner, welchen wir entgegenſehen? O du un¬ vernuͤnftiges Hinkel! und zu dieſen willſt du dir Geier und Habichte ins Schloß ziehen? Haſt du denn gaͤnzlich vergeſſen, daß du ein edler Sproſſe aus dem hohen Stamme der Gra¬ fen von Hennegau biſt, und kannſt du ſolche Vorſchlaͤge ei¬ nem gebornen leider armen, leider verkannten Raugrafen von Hanau machen? Ich kenne dich nicht mehr! — O du ent¬ ſetzliche Armuth! iſt es denn alſo wahr, daß du auch die

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/24>, abgerufen am 21.11.2024.