Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite
Gockel, Hinkel und Gackeleia.

In Deutschland in einem wilden Wald, zwischen Gelnhau¬
sen und Hanau, lebte ein ehrenfester bejahrter Mann, und
der hieß Gockel. Gockel hatte ein Weib, und das hieß Hinkel.
Gockel und Hinkel hatten ein Töchterchen, und das hieß Ga¬
ckeleia. Ihre Wohnung war in einem wüsten Schloß, woran
nichts auszusetzen war, denn es war nichts darin, aber viel
einzusetzen, nämlich Thür und Thor und Fenster. Mit fri¬
scher Luft und Sonnenschein und allerlei Wetter war es
wohl ausgerüstet, denn das Dach war eingestürzt und die
Treppen und Decken und Böden waren nachgefolgt. Gras
und Kraut und Busch und Baum wuchsen aus allen Win¬
keln, und Vögel, vom Zaunkönig bis zum Storch, nisteten
in dem wüsten Haus. Es versuchten zwar einigemal auch
Geier, Habichte, Weihen, Falken, Eulen, Raben und solche
verdächtige Vögel sich da anzusiedeln, aber Gockel schlug es
ihnen rund ab, wenn sie ihm gleich allerlei Braten und Fi¬
sche als Miethe bezahlen wollten.

Einst aber sprach sein Weib Hinkel: "mein lieber Gockel,
es geht uns sehr knapp, warum willst du die vornehmen
Vögel nicht hier wohnen lassen? Wir könnten die Miethe
doch wohl brauchen, du läßt ja das ganze Schloß von allen
möglichen Vögeln bewohnen, welche dir gar nichts dafür be¬
zahlen." -- Da antwortete Gockel: "o du unvernünftiges
Hinkel, vergißt du denn ganz und gar, wer wir sind, schickt

1
Gockel, Hinkel und Gackeleia.

In Deutſchland in einem wilden Wald, zwiſchen Gelnhau¬
ſen und Hanau, lebte ein ehrenfeſter bejahrter Mann, und
der hieß Gockel. Gockel hatte ein Weib, und das hieß Hinkel.
Gockel und Hinkel hatten ein Toͤchterchen, und das hieß Ga¬
ckeleia. Ihre Wohnung war in einem wuͤſten Schloß, woran
nichts auszuſetzen war, denn es war nichts darin, aber viel
einzuſetzen, naͤmlich Thuͤr und Thor und Fenſter. Mit fri¬
ſcher Luft und Sonnenſchein und allerlei Wetter war es
wohl ausgeruͤſtet, denn das Dach war eingeſtuͤrzt und die
Treppen und Decken und Boͤden waren nachgefolgt. Gras
und Kraut und Buſch und Baum wuchſen aus allen Win¬
keln, und Voͤgel, vom Zaunkoͤnig bis zum Storch, niſteten
in dem wuͤſten Haus. Es verſuchten zwar einigemal auch
Geier, Habichte, Weihen, Falken, Eulen, Raben und ſolche
verdaͤchtige Voͤgel ſich da anzuſiedeln, aber Gockel ſchlug es
ihnen rund ab, wenn ſie ihm gleich allerlei Braten und Fi¬
ſche als Miethe bezahlen wollten.

Einſt aber ſprach ſein Weib Hinkel: „mein lieber Gockel,
es geht uns ſehr knapp, warum willſt du die vornehmen
Voͤgel nicht hier wohnen laſſen? Wir koͤnnten die Miethe
doch wohl brauchen, du laͤßt ja das ganze Schloß von allen
moͤglichen Voͤgeln bewohnen, welche dir gar nichts dafuͤr be¬
zahlen.“ — Da antwortete Gockel: „o du unvernuͤnftiges
Hinkel, vergißt du denn ganz und gar, wer wir ſind, ſchickt

1
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0023" n="[1]"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b #fr">Gockel, Hinkel und Gackeleia.</hi><lb/>
        </head>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p><hi rendition="#in">I</hi>n Deut&#x017F;chland in einem wilden Wald, zwi&#x017F;chen Gelnhau¬<lb/>
&#x017F;en und Hanau, lebte ein ehrenfe&#x017F;ter bejahrter Mann, und<lb/>
der hieß Gockel. Gockel hatte ein Weib, und das hieß Hinkel.<lb/>
Gockel und Hinkel hatten ein To&#x0364;chterchen, und das hieß Ga¬<lb/>
ckeleia. Ihre Wohnung war in einem wu&#x0364;&#x017F;ten Schloß, woran<lb/>
nichts auszu&#x017F;etzen war, denn es war nichts darin, aber viel<lb/>
einzu&#x017F;etzen, na&#x0364;mlich Thu&#x0364;r und Thor und Fen&#x017F;ter. Mit fri¬<lb/>
&#x017F;cher Luft und Sonnen&#x017F;chein und allerlei Wetter war es<lb/>
wohl ausgeru&#x0364;&#x017F;tet, denn das Dach war einge&#x017F;tu&#x0364;rzt und die<lb/>
Treppen und Decken und Bo&#x0364;den waren nachgefolgt. Gras<lb/>
und Kraut und Bu&#x017F;ch und Baum wuch&#x017F;en aus allen Win¬<lb/>
keln, und Vo&#x0364;gel, vom Zaunko&#x0364;nig bis zum Storch, ni&#x017F;teten<lb/>
in dem wu&#x0364;&#x017F;ten Haus. Es ver&#x017F;uchten zwar einigemal auch<lb/>
Geier, Habichte, Weihen, Falken, Eulen, Raben und &#x017F;olche<lb/>
verda&#x0364;chtige Vo&#x0364;gel &#x017F;ich da anzu&#x017F;iedeln, aber Gockel &#x017F;chlug es<lb/>
ihnen rund ab, wenn &#x017F;ie ihm gleich allerlei Braten und Fi¬<lb/>
&#x017F;che als Miethe bezahlen wollten.</p><lb/>
        <p>Ein&#x017F;t aber &#x017F;prach &#x017F;ein Weib Hinkel: &#x201E;mein lieber Gockel,<lb/>
es geht uns &#x017F;ehr knapp, warum will&#x017F;t du die vornehmen<lb/>
Vo&#x0364;gel nicht hier wohnen la&#x017F;&#x017F;en? Wir ko&#x0364;nnten die Miethe<lb/>
doch wohl brauchen, du la&#x0364;ßt ja das ganze Schloß von allen<lb/>
mo&#x0364;glichen Vo&#x0364;geln bewohnen, welche dir gar nichts dafu&#x0364;r be¬<lb/>
zahlen.&#x201C; &#x2014; Da antwortete Gockel: &#x201E;o du unvernu&#x0364;nftiges<lb/>
Hinkel, vergißt du denn ganz und gar, wer wir &#x017F;ind, &#x017F;chickt<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">1<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[1]/0023] Gockel, Hinkel und Gackeleia. In Deutſchland in einem wilden Wald, zwiſchen Gelnhau¬ ſen und Hanau, lebte ein ehrenfeſter bejahrter Mann, und der hieß Gockel. Gockel hatte ein Weib, und das hieß Hinkel. Gockel und Hinkel hatten ein Toͤchterchen, und das hieß Ga¬ ckeleia. Ihre Wohnung war in einem wuͤſten Schloß, woran nichts auszuſetzen war, denn es war nichts darin, aber viel einzuſetzen, naͤmlich Thuͤr und Thor und Fenſter. Mit fri¬ ſcher Luft und Sonnenſchein und allerlei Wetter war es wohl ausgeruͤſtet, denn das Dach war eingeſtuͤrzt und die Treppen und Decken und Boͤden waren nachgefolgt. Gras und Kraut und Buſch und Baum wuchſen aus allen Win¬ keln, und Voͤgel, vom Zaunkoͤnig bis zum Storch, niſteten in dem wuͤſten Haus. Es verſuchten zwar einigemal auch Geier, Habichte, Weihen, Falken, Eulen, Raben und ſolche verdaͤchtige Voͤgel ſich da anzuſiedeln, aber Gockel ſchlug es ihnen rund ab, wenn ſie ihm gleich allerlei Braten und Fi¬ ſche als Miethe bezahlen wollten. Einſt aber ſprach ſein Weib Hinkel: „mein lieber Gockel, es geht uns ſehr knapp, warum willſt du die vornehmen Voͤgel nicht hier wohnen laſſen? Wir koͤnnten die Miethe doch wohl brauchen, du laͤßt ja das ganze Schloß von allen moͤglichen Voͤgeln bewohnen, welche dir gar nichts dafuͤr be¬ zahlen.“ — Da antwortete Gockel: „o du unvernuͤnftiges Hinkel, vergißt du denn ganz und gar, wer wir ſind, ſchickt 1

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/23
Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/23>, abgerufen am 21.11.2024.