ses Linnen an der Sonne mit Thränen des Dankes gebleicht. Sie theilte aber Alles mit ihnen und so auch dieses Linnen; da haben dann die dankbaren Armen ihr aus ihrem Theil ein Brauthemd und ein Todtenhemd genäht, und da noch ein Stückchen übrig blieb, verfertigten sie dies kleine Kissen daraus und nähten den Spruch darauf: "ein gutes Gewis¬ sen ist das ruhigste Kissen." Es kamen aber alle Vögelein, denen sie von Jugend auf ihre Brosamen ausgestreut hatte, herangeflogen, und rupften sich selbst aus Dankbarkeit die zartesten Flaumfederchen aus der Brust in das Kissen, bis es recht weich und reichlich gefüllt war. Diese Gaben ver¬ ehrten sie der lieben Wohlthäterin als Brautgeschenk und sie nahm sie mit in den Blumensarg." -- "Du weißt Alles noch recht schön," erwiederte Frau Hinkel, "sieh, zum An¬ denken dieses so ehrenvollen Ereignisses haben auch alle Jung¬ frauen und Frauen unseres Stammes in ihrer Ausstattung zwei solche Hemden und ein solches kleines Kissen, welche von den Armen verfertigt werden müssen und dieser Theil der Aus¬ stattung heißt die Armen-Linnen-Spiegelgabe, weil wir uns an der Milde unsrer Ahnfrau spiegeln sollen."
"Ach," sagte Gackeleia, "es ist schwer den Blick von dem lieben Angesicht zu trennen, es ist so ehrwürdig, so ernst wie eine Sybille, welche Schicksale träumt, so lieb¬ voll sorgend und warnend wie eine fromme Mutter, und auf der sinnenden Stirne ruht der Friede besiegter Leiden, und wenn ich ganz bewegt bin und die Thränen mir in die Augen treten wollen, lächeln mir ihre Wangen und ihre Lippen so kindlich entgegen und es ist mir, als küße mir ein Kind die Thränen von den Augen und streiche mir tröstend die Locken von der Stirne." -- Da sprach Gockel: "Kind, du hast ein gutes sicheres Aug, was du sagst, muß wohl so gewesen seyn. Sieh, darum hat das liebe Herz, die gute Ahnfrau auch schon als Jungfrau den Hennegauschen Mägdlein-Or¬ den der freudig-frommen Kinder gestiftet, dessen höchster
ſes Linnen an der Sonne mit Thraͤnen des Dankes gebleicht. Sie theilte aber Alles mit ihnen und ſo auch dieſes Linnen; da haben dann die dankbaren Armen ihr aus ihrem Theil ein Brauthemd und ein Todtenhemd genaͤht, und da noch ein Stuͤckchen uͤbrig blieb, verfertigten ſie dies kleine Kiſſen daraus und naͤhten den Spruch darauf: „ein gutes Gewiſ¬ ſen iſt das ruhigſte Kiſſen.“ Es kamen aber alle Voͤgelein, denen ſie von Jugend auf ihre Broſamen ausgeſtreut hatte, herangeflogen, und rupften ſich ſelbſt aus Dankbarkeit die zarteſten Flaumfederchen aus der Bruſt in das Kiſſen, bis es recht weich und reichlich gefuͤllt war. Dieſe Gaben ver¬ ehrten ſie der lieben Wohlthaͤterin als Brautgeſchenk und ſie nahm ſie mit in den Blumenſarg.“ — „Du weißt Alles noch recht ſchoͤn,“ erwiederte Frau Hinkel, „ſieh, zum An¬ denken dieſes ſo ehrenvollen Ereigniſſes haben auch alle Jung¬ frauen und Frauen unſeres Stammes in ihrer Ausſtattung zwei ſolche Hemden und ein ſolches kleines Kiſſen, welche von den Armen verfertigt werden muͤſſen und dieſer Theil der Aus¬ ſtattung heißt die Armen-Linnen-Spiegelgabe, weil wir uns an der Milde unſrer Ahnfrau ſpiegeln ſollen.“
„Ach,“ ſagte Gackeleia, „es iſt ſchwer den Blick von dem lieben Angeſicht zu trennen, es iſt ſo ehrwuͤrdig, ſo ernſt wie eine Sybille, welche Schickſale traͤumt, ſo lieb¬ voll ſorgend und warnend wie eine fromme Mutter, und auf der ſinnenden Stirne ruht der Friede beſiegter Leiden, und wenn ich ganz bewegt bin und die Thraͤnen mir in die Augen treten wollen, laͤcheln mir ihre Wangen und ihre Lippen ſo kindlich entgegen und es iſt mir, als kuͤße mir ein Kind die Thraͤnen von den Augen und ſtreiche mir troͤſtend die Locken von der Stirne.“ — Da ſprach Gockel: „Kind, du haſt ein gutes ſicheres Aug, was du ſagſt, muß wohl ſo geweſen ſeyn. Sieh, darum hat das liebe Herz, die gute Ahnfrau auch ſchon als Jungfrau den Hennegauſchen Maͤgdlein-Or¬ den der freudig-frommen Kinder geſtiftet, deſſen hoͤchſter
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ſes Linnen an der Sonne mit Thraͤnen des Dankes gebleicht.
Sie theilte aber Alles mit ihnen und ſo auch dieſes Linnen;
da haben dann die dankbaren Armen ihr aus ihrem Theil
ein Brauthemd und ein Todtenhemd genaͤht, und da noch
ein Stuͤckchen uͤbrig blieb, verfertigten ſie dies kleine Kiſſen
daraus und naͤhten den Spruch darauf: „ein gutes Gewiſ¬
ſen iſt das ruhigſte Kiſſen.“ Es kamen aber alle Voͤgelein,
denen ſie von Jugend auf ihre Broſamen ausgeſtreut hatte,
herangeflogen, und rupften ſich ſelbſt aus Dankbarkeit die
zarteſten Flaumfederchen aus der Bruſt in das Kiſſen, bis
es recht weich und reichlich gefuͤllt war. Dieſe Gaben ver¬
ehrten ſie der lieben Wohlthaͤterin als Brautgeſchenk und ſie
nahm ſie mit in den Blumenſarg.“ — „Du weißt Alles
noch recht ſchoͤn,“ erwiederte Frau Hinkel, „ſieh, zum An¬
denken dieſes ſo ehrenvollen Ereigniſſes haben auch alle Jung¬
frauen und Frauen unſeres Stammes in ihrer Ausſtattung zwei
ſolche Hemden und ein ſolches kleines Kiſſen, welche von den
Armen verfertigt werden muͤſſen und dieſer Theil der Aus¬
ſtattung heißt die Armen-Linnen-Spiegelgabe, weil wir uns
an der Milde unſrer Ahnfrau ſpiegeln ſollen.“
„Ach,“ ſagte Gackeleia, „es iſt ſchwer den Blick von
dem lieben Angeſicht zu trennen, es iſt ſo ehrwuͤrdig, ſo
ernſt wie eine Sybille, welche Schickſale traͤumt, ſo lieb¬
voll ſorgend und warnend wie eine fromme Mutter, und auf
der ſinnenden Stirne ruht der Friede beſiegter Leiden, und
wenn ich ganz bewegt bin und die Thraͤnen mir in die Augen
treten wollen, laͤcheln mir ihre Wangen und ihre Lippen ſo
kindlich entgegen und es iſt mir, als kuͤße mir ein Kind die
Thraͤnen von den Augen und ſtreiche mir troͤſtend die Locken
von der Stirne.“ — Da ſprach Gockel: „Kind, du haſt ein
gutes ſicheres Aug, was du ſagſt, muß wohl ſo geweſen
ſeyn. Sieh, darum hat das liebe Herz, die gute Ahnfrau
auch ſchon als Jungfrau den Hennegauſchen Maͤgdlein-Or¬
den der freudig-frommen Kinder geſtiftet, deſſen hoͤchſter
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/250>, abgerufen am 21.11.2024.
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