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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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hen, daß er mit ihr Morgens vor Tag zur Gartenthüre
hinaus, hinten um die Stadtmauer herum, seine Abreise an¬
zutreten versprach.

Gockel hängte seine Hühnerminister-Kleidung an das
königliche Hühnerministerial-Zapfenbrett, legte alle die ihm
aufgedrungenen Eierorden ab, den Orden der Schmeichelei
und Heuchelei und befestigte seinen eigenen, Raugräflich Go¬
ckel Hanauischen Haus-Orden der Kinderei wieder in das
Knopfloch der Jacke seines Großvaters, die er morgen früh
anziehen wollte; dann setzte er sich an seinen Schreibtisch,
um alle die Rechnungen über seine Verwaltung heute Nacht
noch auszubrüten, und als er es so weit gebracht, daß Ein¬
nahme und Ausgabe sich wie ein Ei dem andern glichen,
sank er ermüdet mit der Nase auf das Papier und schnarchte,
daß der Streusand von zerstossenen Eierschalen umherflog,
und mehrere Muster von Hühnerfedern, die vor ihm lagen,
durch einander wehten. Aber der Schaden war nicht groß.

Kaum graute der Tag, als Alektryo, der edle Stamm¬
hahn sich selbst ermunternd mit den Flügeln in die Seite
schlug, den Hals emporreckte und mit aufgerissenem Schna¬
bel lautkrähend wie mir einem Trompetenstoß alle zur Ab¬
reise erweckte; das Stammhuhn Gallina begleitete sein Morgen¬
lied mit einigen wehmüthigen Accorden. Gockel sprang auf und
weckte Weib und Kind, die sich bald einstellten. Frau Hin¬
kel war sehr traurig, auch sie mußte ihre Hühnerministerial-
Kontusche ans Zapfenbrett hängen und die Kleider von Go¬
ckels Großmutter anziehen; händeringend stand sie in diesem
Putz vor dem Spiegel. Gockel hatte viel zu ermahnen und
zu trösten; er hatte seine Raugräfliche Gockelskappe aufge¬
setzt, auf der ein Hahnenkamm war, er hängte seine Perücke
von Eierschalen an den Ministerialperücken-Hahn und fuhr in
die großväterlichen Stiefel und Grafenhosen, welche ihm Ga¬
ckeleia hinbrachte, die ziemlich lustig in ihrem seltsamen Rock¬

hen, daß er mit ihr Morgens vor Tag zur Gartenthuͤre
hinaus, hinten um die Stadtmauer herum, ſeine Abreiſe an¬
zutreten verſprach.

Gockel haͤngte ſeine Huͤhnerminiſter-Kleidung an das
koͤnigliche Huͤhnerminiſterial-Zapfenbrett, legte alle die ihm
aufgedrungenen Eierorden ab, den Orden der Schmeichelei
und Heuchelei und befeſtigte ſeinen eigenen, Raugraͤflich Go¬
ckel Hanauiſchen Haus-Orden der Kinderei wieder in das
Knopfloch der Jacke ſeines Großvaters, die er morgen fruͤh
anziehen wollte; dann ſetzte er ſich an ſeinen Schreibtiſch,
um alle die Rechnungen uͤber ſeine Verwaltung heute Nacht
noch auszubruͤten, und als er es ſo weit gebracht, daß Ein¬
nahme und Ausgabe ſich wie ein Ei dem andern glichen,
ſank er ermuͤdet mit der Naſe auf das Papier und ſchnarchte,
daß der Streuſand von zerſtoſſenen Eierſchalen umherflog,
und mehrere Muſter von Huͤhnerfedern, die vor ihm lagen,
durch einander wehten. Aber der Schaden war nicht groß.

Kaum graute der Tag, als Alektryo, der edle Stamm¬
hahn ſich ſelbſt ermunternd mit den Fluͤgeln in die Seite
ſchlug, den Hals emporreckte und mit aufgeriſſenem Schna¬
bel lautkraͤhend wie mir einem Trompetenſtoß alle zur Ab¬
reiſe erweckte; das Stammhuhn Gallina begleitete ſein Morgen¬
lied mit einigen wehmuͤthigen Accorden. Gockel ſprang auf und
weckte Weib und Kind, die ſich bald einſtellten. Frau Hin¬
kel war ſehr traurig, auch ſie mußte ihre Huͤhnerminiſterial-
Kontuſche ans Zapfenbrett haͤngen und die Kleider von Go¬
ckels Großmutter anziehen; haͤnderingend ſtand ſie in dieſem
Putz vor dem Spiegel. Gockel hatte viel zu ermahnen und
zu troͤſten; er hatte ſeine Raugraͤfliche Gockelskappe aufge¬
ſetzt, auf der ein Hahnenkamm war, er haͤngte ſeine Peruͤcke
von Eierſchalen an den Miniſterialperuͤcken-Hahn und fuhr in
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ckeleia hinbrachte, die ziemlich luſtig in ihrem ſeltſamen Rock¬

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[7/0029] hen, daß er mit ihr Morgens vor Tag zur Gartenthuͤre hinaus, hinten um die Stadtmauer herum, ſeine Abreiſe an¬ zutreten verſprach. Gockel haͤngte ſeine Huͤhnerminiſter-Kleidung an das koͤnigliche Huͤhnerminiſterial-Zapfenbrett, legte alle die ihm aufgedrungenen Eierorden ab, den Orden der Schmeichelei und Heuchelei und befeſtigte ſeinen eigenen, Raugraͤflich Go¬ ckel Hanauiſchen Haus-Orden der Kinderei wieder in das Knopfloch der Jacke ſeines Großvaters, die er morgen fruͤh anziehen wollte; dann ſetzte er ſich an ſeinen Schreibtiſch, um alle die Rechnungen uͤber ſeine Verwaltung heute Nacht noch auszubruͤten, und als er es ſo weit gebracht, daß Ein¬ nahme und Ausgabe ſich wie ein Ei dem andern glichen, ſank er ermuͤdet mit der Naſe auf das Papier und ſchnarchte, daß der Streuſand von zerſtoſſenen Eierſchalen umherflog, und mehrere Muſter von Huͤhnerfedern, die vor ihm lagen, durch einander wehten. Aber der Schaden war nicht groß. Kaum graute der Tag, als Alektryo, der edle Stamm¬ hahn ſich ſelbſt ermunternd mit den Fluͤgeln in die Seite ſchlug, den Hals emporreckte und mit aufgeriſſenem Schna¬ bel lautkraͤhend wie mir einem Trompetenſtoß alle zur Ab¬ reiſe erweckte; das Stammhuhn Gallina begleitete ſein Morgen¬ lied mit einigen wehmuͤthigen Accorden. Gockel ſprang auf und weckte Weib und Kind, die ſich bald einſtellten. Frau Hin¬ kel war ſehr traurig, auch ſie mußte ihre Huͤhnerminiſterial- Kontuſche ans Zapfenbrett haͤngen und die Kleider von Go¬ ckels Großmutter anziehen; haͤnderingend ſtand ſie in dieſem Putz vor dem Spiegel. Gockel hatte viel zu ermahnen und zu troͤſten; er hatte ſeine Raugraͤfliche Gockelskappe aufge¬ ſetzt, auf der ein Hahnenkamm war, er haͤngte ſeine Peruͤcke von Eierſchalen an den Miniſterialperuͤcken-Hahn und fuhr in die großvaͤterlichen Stiefel und Grafenhoſen, welche ihm Ga¬ ckeleia hinbrachte, die ziemlich luſtig in ihrem ſeltſamen Rock¬

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/29>, abgerufen am 23.11.2024.