chen war und das alte Erbhühnernest wie einen Fallhut auf dem Kopf trug.
Alektryo, der Stammhahn, saß neben dem Schreibtische auf der Raugräflich Gockelschen Erbhühnertrage, welche der berühmte Erwin von Steinbach zugleich mit dem Straßbur¬ ger Münster erfunden hatte, und wiederholte, da er die ganze Familie wieder in ihren altgräflichen Kleidern sah, sein Krä¬ hen mit stolzer Freude. Er hatte einen reichsfreiritterlichen Unmittelbarkeitssinn und war nie gern in Gelnhausen ge¬ wesen, wo er nur zu Haus der Hahn im Korb war, am Hof aber nie auf dem Mist krähen durfte, weil dieses ein Regale, ein königliches Recht der Hofhähne war. Er war hier nur Kammerhahn a la suite, hatte allerlei Kränkungen seiner Verhältnisse von den Hofhahnen zu erleiden, und durfte sie nicht einmal deswegen herausfordern. Gleich Graf Go¬ ckel war er sehr mit dem König Eifrasius unzufrieden, denn dieser hatte einmal die Eier seiner lieben Gemahlin Gallina durch die Polizei wegnehmen und sich in die Pfanne schla¬ gen lassen. -- Seine häusliche Glückseligkeit war dadurch ge¬ stört. Er war heftig und ungeduldig, Gallina aber gacksig, glucksig und piepsig geworden. Sie saßen immer auf dem Hühnerministerium und kamen nicht ins Freie; statt auf dem Miste, scharrte Alektryo in Papierspänen, und die leidende Gallina wälzte sich im Streusand oder brütete hoffnungslos auf den ausgeblasenen Eierschaalen des Eierordens, welche dort aufbewahrt wurden.
Nun aber, da alle zur Abreise gekleidet waren, trieb Alektryo die Gallina an, von seiner Seite auf dem Gockelschen Hühnersteg hinab zu dem Hennegauschen Erbhühnerkorb der Frau Hinkel zu schreiten, und sagte ihr dabei ganz freund¬ lich ins Ohr, was ihr tröstend zu Herzen ging: "heute Abend sind wir frei und glücklich in Gockelsruh, dem Pallaste unsrer Vorfahren, da giebt es Würmchen und Maikäfer und aller¬ lei Sämerei die Menge; da wollen wir ein neues Leben be¬
chen war und das alte Erbhuͤhnerneſt wie einen Fallhut auf dem Kopf trug.
Alektryo, der Stammhahn, ſaß neben dem Schreibtiſche auf der Raugraͤflich Gockelſchen Erbhuͤhnertrage, welche der beruͤhmte Erwin von Steinbach zugleich mit dem Straßbur¬ ger Muͤnſter erfunden hatte, und wiederholte, da er die ganze Familie wieder in ihren altgraͤflichen Kleidern ſah, ſein Kraͤ¬ hen mit ſtolzer Freude. Er hatte einen reichsfreiritterlichen Unmittelbarkeitsſinn und war nie gern in Gelnhauſen ge¬ weſen, wo er nur zu Haus der Hahn im Korb war, am Hof aber nie auf dem Miſt kraͤhen durfte, weil dieſes ein Regale, ein koͤnigliches Recht der Hofhaͤhne war. Er war hier nur Kammerhahn à la suite, hatte allerlei Kraͤnkungen ſeiner Verhaͤltniſſe von den Hofhahnen zu erleiden, und durfte ſie nicht einmal deswegen herausfordern. Gleich Graf Go¬ ckel war er ſehr mit dem Koͤnig Eifraſius unzufrieden, denn dieſer hatte einmal die Eier ſeiner lieben Gemahlin Gallina durch die Polizei wegnehmen und ſich in die Pfanne ſchla¬ gen laſſen. — Seine haͤusliche Gluͤckſeligkeit war dadurch ge¬ ſtoͤrt. Er war heftig und ungeduldig, Gallina aber gackſig, gluckſig und piepſig geworden. Sie ſaßen immer auf dem Huͤhnerminiſterium und kamen nicht ins Freie; ſtatt auf dem Miſte, ſcharrte Alektryo in Papierſpaͤnen, und die leidende Gallina waͤlzte ſich im Streuſand oder bruͤtete hoffnungslos auf den ausgeblaſenen Eierſchaalen des Eierordens, welche dort aufbewahrt wurden.
Nun aber, da alle zur Abreiſe gekleidet waren, trieb Alektryo die Gallina an, von ſeiner Seite auf dem Gockelſchen Huͤhnerſteg hinab zu dem Hennegauſchen Erbhuͤhnerkorb der Frau Hinkel zu ſchreiten, und ſagte ihr dabei ganz freund¬ lich ins Ohr, was ihr troͤſtend zu Herzen ging: „heute Abend ſind wir frei und gluͤcklich in Gockelsruh, dem Pallaſte unſrer Vorfahren, da giebt es Wuͤrmchen und Maikaͤfer und aller¬ lei Saͤmerei die Menge; da wollen wir ein neues Leben be¬
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[8/0030]
chen war und das alte Erbhuͤhnerneſt wie einen Fallhut auf
dem Kopf trug.
Alektryo, der Stammhahn, ſaß neben dem Schreibtiſche
auf der Raugraͤflich Gockelſchen Erbhuͤhnertrage, welche der
beruͤhmte Erwin von Steinbach zugleich mit dem Straßbur¬
ger Muͤnſter erfunden hatte, und wiederholte, da er die ganze
Familie wieder in ihren altgraͤflichen Kleidern ſah, ſein Kraͤ¬
hen mit ſtolzer Freude. Er hatte einen reichsfreiritterlichen
Unmittelbarkeitsſinn und war nie gern in Gelnhauſen ge¬
weſen, wo er nur zu Haus der Hahn im Korb war, am
Hof aber nie auf dem Miſt kraͤhen durfte, weil dieſes ein
Regale, ein koͤnigliches Recht der Hofhaͤhne war. Er war
hier nur Kammerhahn à la suite, hatte allerlei Kraͤnkungen
ſeiner Verhaͤltniſſe von den Hofhahnen zu erleiden, und durfte
ſie nicht einmal deswegen herausfordern. Gleich Graf Go¬
ckel war er ſehr mit dem Koͤnig Eifraſius unzufrieden, denn
dieſer hatte einmal die Eier ſeiner lieben Gemahlin Gallina
durch die Polizei wegnehmen und ſich in die Pfanne ſchla¬
gen laſſen. — Seine haͤusliche Gluͤckſeligkeit war dadurch ge¬
ſtoͤrt. Er war heftig und ungeduldig, Gallina aber gackſig,
gluckſig und piepſig geworden. Sie ſaßen immer auf dem
Huͤhnerminiſterium und kamen nicht ins Freie; ſtatt auf dem
Miſte, ſcharrte Alektryo in Papierſpaͤnen, und die leidende
Gallina waͤlzte ſich im Streuſand oder bruͤtete hoffnungslos
auf den ausgeblaſenen Eierſchaalen des Eierordens, welche
dort aufbewahrt wurden.
Nun aber, da alle zur Abreiſe gekleidet waren, trieb
Alektryo die Gallina an, von ſeiner Seite auf dem Gockelſchen
Huͤhnerſteg hinab zu dem Hennegauſchen Erbhuͤhnerkorb der
Frau Hinkel zu ſchreiten, und ſagte ihr dabei ganz freund¬
lich ins Ohr, was ihr troͤſtend zu Herzen ging: „heute Abend
ſind wir frei und gluͤcklich in Gockelsruh, dem Pallaſte unſrer
Vorfahren, da giebt es Wuͤrmchen und Maikaͤfer und aller¬
lei Saͤmerei die Menge; da wollen wir ein neues Leben be¬
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/30>, abgerufen am 21.11.2024.
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