Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.Da manch Eichhorn hüpfet, da dem Nest entschlüpfet Manches liebe Vögelein; bring mir doch ein Schwesterlein, Leg es in den Garten, will sein fleißig warten, Leg es, wie der Osterhaas bunte Eier legt ins Gras, Leg mirs in mein Schürzelein, trag ichs in mein Kämmerlein, Mir im Arm soll's liegen, will's am Herzchen wiegen, Dann leg ichs in Mutter Schooß, die mirs aufzieht fromm und groß." Ich kann nicht sagen, wie dieser Gesang mich rührte "Da träumte mir ein Träumelein, ich saß ganz einsam und allein, Blos wie ein armes Seelchen fein, ein kleines Thaujuwelchen rein, Auf weiter Himmelswiesen-Flur und sucht' des Paradieses Spur, Ich zitterte durch Mark und Bein, mein Kleidchen war der Mon¬ denschein, Ich flehte zum Ermatten schier, wer gibt ein Bischen Schatten mir? Da flog ein langer Schatten her, ins Kreuz gestaltet ungefähr, That mich in meinem Schrecken ein Weilchen auch bedecken. Es war der Storch, der Langebein, ich sah ihn in dem Monden¬ schein Die Wiese hin spazieren und ringsum spioniren, Da fand er vor dem Hirtenhaus ein junges Lamm gesetzet aus; Es lauert bang gekauert und hat den Storch gedauert, Er sprach: "geschlagen hats schon zwölf, daß Gott dir vor den Wölfen helf! Da manch Eichhorn huͤpfet, da dem Neſt entſchluͤpfet Manches liebe Voͤgelein; bring mir doch ein Schweſterlein, Leg es in den Garten, will ſein fleißig warten, Leg es, wie der Oſterhaas bunte Eier legt ins Gras, Leg mirs in mein Schuͤrzelein, trag ichs in mein Kaͤmmerlein, Mir im Arm ſoll's liegen, will's am Herzchen wiegen, Dann leg ichs in Mutter Schooß, die mirs aufzieht fromm und groß.« Ich kann nicht ſagen, wie dieſer Geſang mich ruͤhrte »Da traͤumte mir ein Traͤumelein, ich ſaß ganz einſam und allein, Blos wie ein armes Seelchen fein, ein kleines Thaujuwelchen rein, Auf weiter Himmelswieſen-Flur und ſucht' des Paradieſes Spur, Ich zitterte durch Mark und Bein, mein Kleidchen war der Mon¬ denſchein, Ich flehte zum Ermatten ſchier, wer gibt ein Bischen Schatten mir? Da flog ein langer Schatten her, ins Kreuz geſtaltet ungefaͤhr, That mich in meinem Schrecken ein Weilchen auch bedecken. Es war der Storch, der Langebein, ich ſah ihn in dem Monden¬ ſchein Die Wieſe hin ſpazieren und ringsum ſpioniren, Da fand er vor dem Hirtenhaus ein junges Lamm geſetzet aus; Es lauert bang gekauert und hat den Storch gedauert, Er ſprach: „geſchlagen hats ſchon zwoͤlf, daß Gott dir vor den Woͤlfen helf! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0309" n="255"/> <l>Da manch Eichhorn huͤpfet, da dem Neſt entſchluͤpfet</l><lb/> <l>Manches liebe Voͤgelein; bring mir doch ein Schweſterlein,</l><lb/> <l>Leg es in den Garten, will ſein fleißig warten,</l><lb/> <l>Leg es, wie der Oſterhaas bunte Eier legt ins Gras,</l><lb/> <l>Leg mirs in mein Schuͤrzelein, trag ichs in mein Kaͤmmerlein,</l><lb/> <l>Mir im Arm ſoll's liegen, will's am Herzchen wiegen,</l><lb/> <l>Dann leg ichs in Mutter Schooß, die mirs aufzieht fromm und<lb/> groß.«</l><lb/> </lg> <p>Ich kann nicht ſagen, wie dieſer Geſang mich ruͤhrte<lb/> und ich meine auch den Klapperſtorch, der ſehr ernſthaft<lb/> zuhoͤrte, dann klapperte und wie in Geſchaͤften fort flog,<lb/> worauf auch die Kinder weiter zogen. Nun ging ich zu<lb/> des Herzens Nachbarin, bei welcher ich am 25. April mit<lb/> den Geſpielen uͤber die Wiege geſprungen, ſie war krank,<lb/> es kam ihr gar ernſt der Gedanke an den Tod, ſie legte mir<lb/> mit Thraͤnen, was ihr theuer, an das liebſte Herz, das ſie<lb/> in ihrer Einfalt kennet, und ich habe. Ich verließ ſie bang<lb/> und ſchwer und wachte bis Mitternacht in Sorgen, der Voll¬<lb/> mond ſtieg auf die Linde und blickte mich ſo ſehnſuͤchtig an,<lb/> daß er mich entſchlummernd hinuͤberzog in das andere Land.</p><lb/> <lg type="poem"> <l>»Da traͤumte mir ein Traͤumelein, ich ſaß ganz einſam und allein,</l><lb/> <l>Blos wie ein armes Seelchen fein, ein kleines Thaujuwelchen<lb/> rein,</l><lb/> <l>Auf weiter Himmelswieſen-Flur und ſucht' des Paradieſes Spur,</l><lb/> <l>Ich zitterte durch Mark und Bein, mein Kleidchen war der Mon¬<lb/> denſchein,</l><lb/> <l>Ich flehte zum Ermatten ſchier, wer gibt ein Bischen Schatten<lb/> mir?</l><lb/> <l>Da flog ein langer Schatten her, ins Kreuz geſtaltet ungefaͤhr,</l><lb/> <l>That mich in meinem Schrecken ein Weilchen auch bedecken.</l><lb/> <l>Es war der Storch, der Langebein, ich ſah ihn in dem Monden¬<lb/> ſchein</l><lb/> <l>Die Wieſe hin ſpazieren und ringsum ſpioniren,</l><lb/> <l>Da fand er vor dem Hirtenhaus ein junges Lamm geſetzet aus;</l><lb/> <l>Es lauert bang gekauert und hat den Storch gedauert,</l><lb/> <l>Er ſprach: „geſchlagen hats ſchon zwoͤlf, daß Gott dir vor den<lb/> Woͤlfen helf!</l><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [255/0309]
Da manch Eichhorn huͤpfet, da dem Neſt entſchluͤpfet
Manches liebe Voͤgelein; bring mir doch ein Schweſterlein,
Leg es in den Garten, will ſein fleißig warten,
Leg es, wie der Oſterhaas bunte Eier legt ins Gras,
Leg mirs in mein Schuͤrzelein, trag ichs in mein Kaͤmmerlein,
Mir im Arm ſoll's liegen, will's am Herzchen wiegen,
Dann leg ichs in Mutter Schooß, die mirs aufzieht fromm und
groß.«
Ich kann nicht ſagen, wie dieſer Geſang mich ruͤhrte
und ich meine auch den Klapperſtorch, der ſehr ernſthaft
zuhoͤrte, dann klapperte und wie in Geſchaͤften fort flog,
worauf auch die Kinder weiter zogen. Nun ging ich zu
des Herzens Nachbarin, bei welcher ich am 25. April mit
den Geſpielen uͤber die Wiege geſprungen, ſie war krank,
es kam ihr gar ernſt der Gedanke an den Tod, ſie legte mir
mit Thraͤnen, was ihr theuer, an das liebſte Herz, das ſie
in ihrer Einfalt kennet, und ich habe. Ich verließ ſie bang
und ſchwer und wachte bis Mitternacht in Sorgen, der Voll¬
mond ſtieg auf die Linde und blickte mich ſo ſehnſuͤchtig an,
daß er mich entſchlummernd hinuͤberzog in das andere Land.
»Da traͤumte mir ein Traͤumelein, ich ſaß ganz einſam und allein,
Blos wie ein armes Seelchen fein, ein kleines Thaujuwelchen
rein,
Auf weiter Himmelswieſen-Flur und ſucht' des Paradieſes Spur,
Ich zitterte durch Mark und Bein, mein Kleidchen war der Mon¬
denſchein,
Ich flehte zum Ermatten ſchier, wer gibt ein Bischen Schatten
mir?
Da flog ein langer Schatten her, ins Kreuz geſtaltet ungefaͤhr,
That mich in meinem Schrecken ein Weilchen auch bedecken.
Es war der Storch, der Langebein, ich ſah ihn in dem Monden¬
ſchein
Die Wieſe hin ſpazieren und ringsum ſpioniren,
Da fand er vor dem Hirtenhaus ein junges Lamm geſetzet aus;
Es lauert bang gekauert und hat den Storch gedauert,
Er ſprach: „geſchlagen hats ſchon zwoͤlf, daß Gott dir vor den
Woͤlfen helf!
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