Haupt so deutlich neben mir, daß ich die Ranke von mei¬ nem Kleide löste und das Haupt mit ihr bekränzte. Da hörte ich jene Worte wieder und erschrack nicht, und legte die Hand auf das Haupt und fühlte: diese Worte sollen mein Wahlspruch seyn. Entschlummernd aber hörte ich eine kla¬ gende Stimme: "Ach wer nimmt mir von der Stirne den Traum?" da versteckte ich mich und hörte zum erstenmal in meinem Leben mein Herz heftig pochen und entschlief.
St. Albanustag. Heut ward Alles wahr, ich stand bei meinem lieben Herzgespann und sie trugen das Kind zur Kirche, indessen erzählte ich ihr, wie ich Nachts im Traum bei der Rose gestanden und was ich gesehen, und sie brachten das Kindlein ganz klar und heil wieder, und ich legte es ihr ans Herz, und mein Herzgespann weinte auf das Röslein, wie Nachts die Rose gethan.
St. Achatiustag. Heute mußte ich das kleine Rös¬ lein in den Garten tragen. Mein Herzgespann glaubte, es bringe ihm einen besonderen Segen, durch mich zuerst an die Luft getragen zu werden. Ich trug es und sagte ihm im Herzen Alles, was ich gesehen, von den leuchtenden Frauen und dem Jüngling mit der Lilie, und es schien es besser zu verstehen, als ich; denn es sah mich groß an, lä¬ chelte und weinte dann gar beweglich. Ich aber hatte im¬ mer Angst, ich möge es fallen lassen, und brachte es heim. --
NB. Nun nahet aber ein wichtiger Tag, Sonnenwende, des Täufers Tag, da die Sonn nicht höher mag; da hat sich auch meine Sonne gewendet, und ist vieles anders geworden mit mir, da ich erfahren von den Kleinoden von Vadutz, die ich bisher unwissend auf den Schultern getragen und da ich gestiftet das Kloster Lilienthal.
St. Edeltrudistag vor Sonnenwende. Heut Morgen gegen drei Uhr vor Tages-Grauen ward ich aufge¬ weckt, und sieh, Verena stand bei meinem Bette und be¬
Haupt ſo deutlich neben mir, daß ich die Ranke von mei¬ nem Kleide loͤſte und das Haupt mit ihr bekraͤnzte. Da hoͤrte ich jene Worte wieder und erſchrack nicht, und legte die Hand auf das Haupt und fuͤhlte: dieſe Worte ſollen mein Wahlſpruch ſeyn. Entſchlummernd aber hoͤrte ich eine kla¬ gende Stimme: „Ach wer nimmt mir von der Stirne den Traum?“ da verſteckte ich mich und hoͤrte zum erſtenmal in meinem Leben mein Herz heftig pochen und entſchlief.
St. Albanustag. Heut ward Alles wahr, ich ſtand bei meinem lieben Herzgeſpann und ſie trugen das Kind zur Kirche, indeſſen erzaͤhlte ich ihr, wie ich Nachts im Traum bei der Roſe geſtanden und was ich geſehen, und ſie brachten das Kindlein ganz klar und heil wieder, und ich legte es ihr ans Herz, und mein Herzgeſpann weinte auf das Roͤslein, wie Nachts die Roſe gethan.
St. Achatiustag. Heute mußte ich das kleine Roͤs¬ lein in den Garten tragen. Mein Herzgeſpann glaubte, es bringe ihm einen beſonderen Segen, durch mich zuerſt an die Luft getragen zu werden. Ich trug es und ſagte ihm im Herzen Alles, was ich geſehen, von den leuchtenden Frauen und dem Juͤngling mit der Lilie, und es ſchien es beſſer zu verſtehen, als ich; denn es ſah mich groß an, laͤ¬ chelte und weinte dann gar beweglich. Ich aber hatte im¬ mer Angſt, ich moͤge es fallen laſſen, und brachte es heim. —
NB. Nun nahet aber ein wichtiger Tag, Sonnenwende, des Taͤufers Tag, da die Sonn nicht hoͤher mag; da hat ſich auch meine Sonne gewendet, und iſt vieles anders geworden mit mir, da ich erfahren von den Kleinoden von Vadutz, die ich bisher unwiſſend auf den Schultern getragen und da ich geſtiftet das Kloſter Lilienthal.
St. Edeltrudistag vor Sonnenwende. Heut Morgen gegen drei Uhr vor Tages-Grauen ward ich aufge¬ weckt, und ſieh, Verena ſtand bei meinem Bette und be¬
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Haupt ſo deutlich neben mir, daß ich die Ranke von mei¬
nem Kleide loͤſte und das Haupt mit ihr bekraͤnzte. Da
hoͤrte ich jene Worte wieder und erſchrack nicht, und legte
die Hand auf das Haupt und fuͤhlte: dieſe Worte ſollen mein
Wahlſpruch ſeyn. Entſchlummernd aber hoͤrte ich eine kla¬
gende Stimme: „Ach wer nimmt mir von der Stirne den
Traum?“ da verſteckte ich mich und hoͤrte zum erſtenmal
in meinem Leben mein Herz heftig pochen und entſchlief.
St. Albanustag. Heut ward Alles wahr, ich ſtand
bei meinem lieben Herzgeſpann und ſie trugen das Kind zur
Kirche, indeſſen erzaͤhlte ich ihr, wie ich Nachts im Traum bei
der Roſe geſtanden und was ich geſehen, und ſie brachten
das Kindlein ganz klar und heil wieder, und ich legte es ihr
ans Herz, und mein Herzgeſpann weinte auf das Roͤslein,
wie Nachts die Roſe gethan.
St. Achatiustag. Heute mußte ich das kleine Roͤs¬
lein in den Garten tragen. Mein Herzgeſpann glaubte, es
bringe ihm einen beſonderen Segen, durch mich zuerſt an
die Luft getragen zu werden. Ich trug es und ſagte ihm
im Herzen Alles, was ich geſehen, von den leuchtenden
Frauen und dem Juͤngling mit der Lilie, und es ſchien es
beſſer zu verſtehen, als ich; denn es ſah mich groß an, laͤ¬
chelte und weinte dann gar beweglich. Ich aber hatte im¬
mer Angſt, ich moͤge es fallen laſſen, und brachte es
heim. —
NB. Nun nahet aber ein wichtiger Tag, Sonnenwende,
des Taͤufers Tag, da die Sonn nicht hoͤher mag; da hat ſich
auch meine Sonne gewendet, und iſt vieles anders geworden
mit mir, da ich erfahren von den Kleinoden von Vadutz,
die ich bisher unwiſſend auf den Schultern getragen und da
ich geſtiftet das Kloſter Lilienthal.
St. Edeltrudistag vor Sonnenwende. Heut
Morgen gegen drei Uhr vor Tages-Grauen ward ich aufge¬
weckt, und ſieh, Verena ſtand bei meinem Bette und be¬
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/315>, abgerufen am 21.11.2024.
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