so demüthige dich und bettle das Futter für das Hühnlein zusammen, so werden die Wohlthäter tausendfach belohnt werden; und du selbst theile das Ueberflüßige mit Gott und den Armen, so wird Alles auch tausendfach gemehrt werden, und Alles das schenke dem Aermsten aller Armen, mir -- damit ich meine Schuld tilge und zur Ruhe gelange." So flehte das Büblein zu Verena und sie gab ihm die Hand darauf und es verschwand. -- Von dieser Zeit an bettelte Verena immer den Weizen zur Nahrung des ganzen Galli¬ nariums und verwendete den Ueberfluß, wie du weißt, für die Kirche und die Armen, und Gott segnete ihr Thun reich¬ lich. Niemals hat sie das Geheimniß des Bübleins ausge¬ sprochen, nie mehr von ihm gesagt, als: "es macht sein Sach" -- denn man soll die Schuld der Todten tilgen, ohne sie zu verkünden. Gestern Abend nun, als sie alle Hühner noch fütterte und das Hühnlein im Korb mit auf ihre Kammer nehmen wollte, um heute vor Tag, ohne die andern Hühner im Schlafe zu stören ihren jährlichen Gang zu der Höhle Salmos mit ihm anzutreten, sah sie das Büb¬ lein im Gewölbe sehr beschäftigt, als packe es seinen Rei¬ sebündel. -- Nach Mitternacht, nachdem sie wenige Stun¬ den geschlafen, weckte sie die Erscheinung und sprach: "Ve¬ rena, ich komme Abschied von dir zu nehmen, lohn dir das wahre Weizenkörnlein tausendfältig, was du an mir gethan! Alles, was ich schulde, ist bezahlt, schenk mir doch noch ein Bischen auf den Weg, daß ich doch Etwas mitbringe und nicht ganz so kahl ankomme, sieh, ich habe noch Platz oben in meinem Bündlein!" Da stand Verena auf und betete von Herzen für das Büblein, bis es sagte: "Genug, genug, ich krieg den Seckel sonst nicht zu. Jetzt gehe zu Jakob von Guise und sage ihm, wie es mit dem Büblein beschaf¬ fen war, und wie es sein Sach endlich durch dich zu Stande gebracht. Sage ihm auch, er solle der Gräfin Amey Alles erzählen und sie bitten, daß sie mir mein Bündlein zuschnüre,
ſo demuͤthige dich und bettle das Futter fuͤr das Huͤhnlein zuſammen, ſo werden die Wohlthaͤter tauſendfach belohnt werden; und du ſelbſt theile das Ueberfluͤßige mit Gott und den Armen, ſo wird Alles auch tauſendfach gemehrt werden, und Alles das ſchenke dem Aermſten aller Armen, mir — damit ich meine Schuld tilge und zur Ruhe gelange.“ So flehte das Buͤblein zu Verena und ſie gab ihm die Hand darauf und es verſchwand. — Von dieſer Zeit an bettelte Verena immer den Weizen zur Nahrung des ganzen Galli¬ nariums und verwendete den Ueberfluß, wie du weißt, fuͤr die Kirche und die Armen, und Gott ſegnete ihr Thun reich¬ lich. Niemals hat ſie das Geheimniß des Buͤbleins ausge¬ ſprochen, nie mehr von ihm geſagt, als: „es macht ſein Sach“ — denn man ſoll die Schuld der Todten tilgen, ohne ſie zu verkuͤnden. Geſtern Abend nun, als ſie alle Huͤhner noch fuͤtterte und das Huͤhnlein im Korb mit auf ihre Kammer nehmen wollte, um heute vor Tag, ohne die andern Huͤhner im Schlafe zu ſtoͤren ihren jaͤhrlichen Gang zu der Hoͤhle Salmos mit ihm anzutreten, ſah ſie das Buͤb¬ lein im Gewoͤlbe ſehr beſchaͤftigt, als packe es ſeinen Rei¬ ſebuͤndel. — Nach Mitternacht, nachdem ſie wenige Stun¬ den geſchlafen, weckte ſie die Erſcheinung und ſprach: „Ve¬ rena, ich komme Abſchied von dir zu nehmen, lohn dir das wahre Weizenkoͤrnlein tauſendfaͤltig, was du an mir gethan! Alles, was ich ſchulde, iſt bezahlt, ſchenk mir doch noch ein Bischen auf den Weg, daß ich doch Etwas mitbringe und nicht ganz ſo kahl ankomme, ſieh, ich habe noch Platz oben in meinem Buͤndlein!“ Da ſtand Verena auf und betete von Herzen fuͤr das Buͤblein, bis es ſagte: „Genug, genug, ich krieg den Seckel ſonſt nicht zu. Jetzt gehe zu Jakob von Guiſe und ſage ihm, wie es mit dem Buͤblein beſchaf¬ fen war, und wie es ſein Sach endlich durch dich zu Stande gebracht. Sage ihm auch, er ſolle der Graͤfin Amey Alles erzaͤhlen und ſie bitten, daß ſie mir mein Buͤndlein zuſchnuͤre,
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ſo demuͤthige dich und bettle das Futter fuͤr das Huͤhnlein
zuſammen, ſo werden die Wohlthaͤter tauſendfach belohnt
werden; und du ſelbſt theile das Ueberfluͤßige mit Gott und
den Armen, ſo wird Alles auch tauſendfach gemehrt werden,
und Alles das ſchenke dem Aermſten aller Armen, mir —
damit ich meine Schuld tilge und zur Ruhe gelange.“ So
flehte das Buͤblein zu Verena und ſie gab ihm die Hand
darauf und es verſchwand. — Von dieſer Zeit an bettelte
Verena immer den Weizen zur Nahrung des ganzen Galli¬
nariums und verwendete den Ueberfluß, wie du weißt, fuͤr
die Kirche und die Armen, und Gott ſegnete ihr Thun reich¬
lich. Niemals hat ſie das Geheimniß des Buͤbleins ausge¬
ſprochen, nie mehr von ihm geſagt, als: „es macht ſein
Sach“ — denn man ſoll die Schuld der Todten tilgen,
ohne ſie zu verkuͤnden. Geſtern Abend nun, als ſie alle
Huͤhner noch fuͤtterte und das Huͤhnlein im Korb mit auf
ihre Kammer nehmen wollte, um heute vor Tag, ohne die
andern Huͤhner im Schlafe zu ſtoͤren ihren jaͤhrlichen Gang
zu der Hoͤhle Salmos mit ihm anzutreten, ſah ſie das Buͤb¬
lein im Gewoͤlbe ſehr beſchaͤftigt, als packe es ſeinen Rei¬
ſebuͤndel. — Nach Mitternacht, nachdem ſie wenige Stun¬
den geſchlafen, weckte ſie die Erſcheinung und ſprach: „Ve¬
rena, ich komme Abſchied von dir zu nehmen, lohn dir das
wahre Weizenkoͤrnlein tauſendfaͤltig, was du an mir gethan!
Alles, was ich ſchulde, iſt bezahlt, ſchenk mir doch noch ein
Bischen auf den Weg, daß ich doch Etwas mitbringe und
nicht ganz ſo kahl ankomme, ſieh, ich habe noch Platz oben
in meinem Buͤndlein!“ Da ſtand Verena auf und betete von
Herzen fuͤr das Buͤblein, bis es ſagte: „Genug, genug,
ich krieg den Seckel ſonſt nicht zu. Jetzt gehe zu Jakob
von Guiſe und ſage ihm, wie es mit dem Buͤblein beſchaf¬
fen war, und wie es ſein Sach endlich durch dich zu Stande
gebracht. Sage ihm auch, er ſolle der Graͤfin Amey Alles
erzaͤhlen und ſie bitten, daß ſie mir mein Buͤndlein zuſchnuͤre,
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/320>, abgerufen am 22.11.2024.
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