Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht?" -- o lasse mich ruhen und nimm mir von der Stirne
den Traum und erzähle mir den Traum!" -- Ihre Stimme
war ganz ruhig, als sie Dieses sprach, auch mir war wohl
und friedlich -- ich fühlte, daß ich heilte und genaß selbst;
da ließ ich sie ruhen und erzählte Nichts als: "ich pflückte
rothe Blumen, da fielen mich drei wilde Löwen an und tru¬
gen mich weit durch einen Wald und unter einer Linde setz¬
ten sie mich nieder, und thaten so grimmig gegen mich, da
war mir so bang, so bang!" Als ich so weit gesprochen,
drückte sie ihre Stirne wie Eisen so schwer auf meine rechte
Schulterspange, daß es mich schmerzte und ich sie mit dem
Ausruf wegdrängte: "bist du unsinnig?" -- Sie bebte aber
vor Angst und sprach: "die Löwen sollen mich eher zerrei¬
ßen, als dir die Kleinode rauben, die mich heilen, wart,
wart! da kömmt der Hahn, horch sein Schrei! die Löwen
fliehen." Da krähte der Hahn wirklich zum zweitenmal, ich
war erstaunt, daß sie von dem rettenden Hahnenschrei mei¬
nes Traumes sprach und von dem Raube der Kleinode, wo¬
von ich selbst noch nicht gesprochen hatte, aber ich ließ mir
es nicht merken und schwieg, doch wie erstaunte ich erst, als
sie fortfuhr: "o armes Kind von Hennegau! das Kleinod
meiner Heimath, welches mir meine Sinne geheilt hat --
jetzt, jetzt, tausend Dank! sie sind heil, -- die lichten Edel¬
steine von Vadutz sind gerettet und der Hahn steckte dir einen
weit wunderbareren Ring an den Finger unter der Linde,
und Verena mit dem frommen Hühnlein Gallina sah freu¬
dig zu, und ich und die Schwestern kamen aus dem Kloster
Lilienthal und folgten den Brautzug und folgten dem Leichen¬
zug und standen am Grabe im Garten, und das arme Kind
stand vor uns und wir leuchteten und sangen:

"O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit."

"O wie bin ich selig, daß Alles so gut geendet!" --
So sagte also die gute Klareta den ganzen Schluß meines

nicht?“ — o laſſe mich ruhen und nimm mir von der Stirne
den Traum und erzaͤhle mir den Traum!“ — Ihre Stimme
war ganz ruhig, als ſie Dieſes ſprach, auch mir war wohl
und friedlich — ich fuͤhlte, daß ich heilte und genaß ſelbſt;
da ließ ich ſie ruhen und erzaͤhlte Nichts als: „ich pfluͤckte
rothe Blumen, da fielen mich drei wilde Loͤwen an und tru¬
gen mich weit durch einen Wald und unter einer Linde ſetz¬
ten ſie mich nieder, und thaten ſo grimmig gegen mich, da
war mir ſo bang, ſo bang!“ Als ich ſo weit geſprochen,
druͤckte ſie ihre Stirne wie Eiſen ſo ſchwer auf meine rechte
Schulterſpange, daß es mich ſchmerzte und ich ſie mit dem
Ausruf wegdraͤngte: „biſt du unſinnig?“ — Sie bebte aber
vor Angſt und ſprach: „die Loͤwen ſollen mich eher zerrei¬
ßen, als dir die Kleinode rauben, die mich heilen, wart,
wart! da koͤmmt der Hahn, horch ſein Schrei! die Loͤwen
fliehen.“ Da kraͤhte der Hahn wirklich zum zweitenmal, ich
war erſtaunt, daß ſie von dem rettenden Hahnenſchrei mei¬
nes Traumes ſprach und von dem Raube der Kleinode, wo¬
von ich ſelbſt noch nicht geſprochen hatte, aber ich ließ mir
es nicht merken und ſchwieg, doch wie erſtaunte ich erſt, als
ſie fortfuhr: „o armes Kind von Hennegau! das Kleinod
meiner Heimath, welches mir meine Sinne geheilt hat —
jetzt, jetzt, tauſend Dank! ſie ſind heil, — die lichten Edel¬
ſteine von Vadutz ſind gerettet und der Hahn ſteckte dir einen
weit wunderbareren Ring an den Finger unter der Linde,
und Verena mit dem frommen Huͤhnlein Gallina ſah freu¬
dig zu, und ich und die Schweſtern kamen aus dem Kloſter
Lilienthal und folgten den Brautzug und folgten dem Leichen¬
zug und ſtanden am Grabe im Garten, und das arme Kind
ſtand vor uns und wir leuchteten und ſangen:

„O Stern und Blume, Geiſt und Kleid,
Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit.“

„O wie bin ich ſelig, daß Alles ſo gut geendet!“ —
So ſagte alſo die gute Klareta den ganzen Schluß meines

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0331" n="277"/>
nicht?&#x201C; &#x2014; o la&#x017F;&#x017F;e mich ruhen und nimm mir von der Stirne<lb/>
den Traum und erza&#x0364;hle mir den Traum!&#x201C; &#x2014; Ihre Stimme<lb/>
war ganz ruhig, als &#x017F;ie Die&#x017F;es &#x017F;prach, auch mir war wohl<lb/>
und friedlich &#x2014; ich fu&#x0364;hlte, daß ich heilte und genaß &#x017F;elb&#x017F;t;<lb/>
da ließ ich &#x017F;ie ruhen und erza&#x0364;hlte Nichts als: &#x201E;ich pflu&#x0364;ckte<lb/>
rothe Blumen, da fielen mich drei wilde Lo&#x0364;wen an und tru¬<lb/>
gen mich weit durch einen Wald und unter einer Linde &#x017F;etz¬<lb/>
ten &#x017F;ie mich nieder, und thaten &#x017F;o grimmig gegen mich, da<lb/>
war mir &#x017F;o bang, &#x017F;o bang!&#x201C; Als ich &#x017F;o weit ge&#x017F;prochen,<lb/>
dru&#x0364;ckte &#x017F;ie ihre Stirne wie Ei&#x017F;en &#x017F;o &#x017F;chwer auf meine rechte<lb/>
Schulter&#x017F;pange, daß es mich &#x017F;chmerzte und ich &#x017F;ie mit dem<lb/>
Ausruf wegdra&#x0364;ngte: &#x201E;bi&#x017F;t du un&#x017F;innig?&#x201C; &#x2014; Sie bebte aber<lb/>
vor Ang&#x017F;t und &#x017F;prach: &#x201E;die Lo&#x0364;wen &#x017F;ollen mich eher zerrei¬<lb/>
ßen, als dir die Kleinode rauben, die mich heilen, wart,<lb/>
wart! da ko&#x0364;mmt der Hahn, horch &#x017F;ein Schrei! die Lo&#x0364;wen<lb/>
fliehen.&#x201C; Da kra&#x0364;hte der Hahn wirklich zum zweitenmal, ich<lb/>
war er&#x017F;taunt, daß &#x017F;ie von dem rettenden Hahnen&#x017F;chrei mei¬<lb/>
nes Traumes &#x017F;prach und von dem Raube der Kleinode, wo¬<lb/>
von ich &#x017F;elb&#x017F;t noch nicht ge&#x017F;prochen hatte, aber ich ließ mir<lb/>
es nicht merken und &#x017F;chwieg, doch wie er&#x017F;taunte ich er&#x017F;t, als<lb/>
&#x017F;ie fortfuhr: &#x201E;o armes Kind von Hennegau! das Kleinod<lb/>
meiner Heimath, welches mir meine Sinne geheilt hat &#x2014;<lb/>
jetzt, jetzt, tau&#x017F;end Dank! &#x017F;ie &#x017F;ind heil, &#x2014; die lichten Edel¬<lb/>
&#x017F;teine von Vadutz &#x017F;ind gerettet und der Hahn &#x017F;teckte dir einen<lb/>
weit wunderbareren Ring an den Finger unter der Linde,<lb/>
und Verena mit dem frommen Hu&#x0364;hnlein Gallina &#x017F;ah freu¬<lb/>
dig zu, und ich und die Schwe&#x017F;tern kamen aus dem Klo&#x017F;ter<lb/>
Lilienthal und folgten den Brautzug und folgten dem Leichen¬<lb/>
zug und &#x017F;tanden am Grabe im Garten, und das arme Kind<lb/>
&#x017F;tand vor uns und wir leuchteten und &#x017F;angen:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>&#x201E;O Stern und Blume, Gei&#x017F;t und Kleid,</l><lb/>
            <l>Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit.&#x201C;</l><lb/>
          </lg>
          <p>&#x201E;O wie bin ich &#x017F;elig, daß Alles &#x017F;o gut geendet!&#x201C; &#x2014;<lb/>
So &#x017F;agte al&#x017F;o die gute Klareta den ganzen Schluß meines<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[277/0331] nicht?“ — o laſſe mich ruhen und nimm mir von der Stirne den Traum und erzaͤhle mir den Traum!“ — Ihre Stimme war ganz ruhig, als ſie Dieſes ſprach, auch mir war wohl und friedlich — ich fuͤhlte, daß ich heilte und genaß ſelbſt; da ließ ich ſie ruhen und erzaͤhlte Nichts als: „ich pfluͤckte rothe Blumen, da fielen mich drei wilde Loͤwen an und tru¬ gen mich weit durch einen Wald und unter einer Linde ſetz¬ ten ſie mich nieder, und thaten ſo grimmig gegen mich, da war mir ſo bang, ſo bang!“ Als ich ſo weit geſprochen, druͤckte ſie ihre Stirne wie Eiſen ſo ſchwer auf meine rechte Schulterſpange, daß es mich ſchmerzte und ich ſie mit dem Ausruf wegdraͤngte: „biſt du unſinnig?“ — Sie bebte aber vor Angſt und ſprach: „die Loͤwen ſollen mich eher zerrei¬ ßen, als dir die Kleinode rauben, die mich heilen, wart, wart! da koͤmmt der Hahn, horch ſein Schrei! die Loͤwen fliehen.“ Da kraͤhte der Hahn wirklich zum zweitenmal, ich war erſtaunt, daß ſie von dem rettenden Hahnenſchrei mei¬ nes Traumes ſprach und von dem Raube der Kleinode, wo¬ von ich ſelbſt noch nicht geſprochen hatte, aber ich ließ mir es nicht merken und ſchwieg, doch wie erſtaunte ich erſt, als ſie fortfuhr: „o armes Kind von Hennegau! das Kleinod meiner Heimath, welches mir meine Sinne geheilt hat — jetzt, jetzt, tauſend Dank! ſie ſind heil, — die lichten Edel¬ ſteine von Vadutz ſind gerettet und der Hahn ſteckte dir einen weit wunderbareren Ring an den Finger unter der Linde, und Verena mit dem frommen Huͤhnlein Gallina ſah freu¬ dig zu, und ich und die Schweſtern kamen aus dem Kloſter Lilienthal und folgten den Brautzug und folgten dem Leichen¬ zug und ſtanden am Grabe im Garten, und das arme Kind ſtand vor uns und wir leuchteten und ſangen: „O Stern und Blume, Geiſt und Kleid, Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit.“ „O wie bin ich ſelig, daß Alles ſo gut geendet!“ — So ſagte alſo die gute Klareta den ganzen Schluß meines

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/331
Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/331>, abgerufen am 21.11.2024.