und morgenländischer Völker Geheimlehre davon erfahren, schrieb ich mit der Schrift des Mönchs aus Bänderen zu¬ sammen und werde dir es überreichen, daß du es deinen Tagebüchern beifügest. -- Da mich dieser entsetzliche Mann nun zu großem Mitleid bewegte, sagte ich zu ihm: "Joseph komme mit mir, die Trägerinn der Achselbänder Rebeckas ist milde, sie wird deinem Haupte gern vergönnen ein we¬ nig zu ruhen;" er aber erwiederte mit erschreckendem Ernst: "ich werde nicht ruhen, als bis alle zerstreuten Edelsteine wieder gesammelt sind um den verworfenen Eckstein des Tempels, den auch ich von mir gestoßen!" Nach diesen Worten brach er in Wehklage aus und wollte durch die Bü¬ sche hinweg eilen, aber ich faßte ihn am Mantel mit den Worten: "erst sage mir von allem Mitgetheilten, was ist Wahrheit?" -- Ihn aber durchzuckte diese Frage mit schreck¬ licher Erinnerung, er zitterte, blickte mich an und erwiederte: "Wie du fragest, so fragte Pilatus den, der gesprochen, ich bin in die Welt gekommen, der Wahrheit zum Zeugniß, wer aus der Wahrheit ist, der höret meine Stimme. -- Weh mir! ich war nicht aus der Wahrheit, aber ich hörte doch ihre Stimme, sie sprach zu mir, der sie fortstieß auf den Leidensweg: "ich gehe, und du sollst gehen, bis ich komme" -- das geschah nach der Frage, was ist die Wahr¬ heit? und so irre ich der Wahrheit zum Zeugniß über die Erde bis zum Tage, da sie wiederkehrt." -- Nach diesen Worten riß er sich von mir los und floh so eilend durch die Büsche hinweg, daß ich ein Kreuz hinter ihm schlug. Möge ihn der Segen erreichen!" -- Weiter sprach Jakob von Guise zu mir, ich möge keine Sorge wegen den Kleinodien haben, es könne sich ja gar leicht bald etwas mit mir än¬ dern, ich soll nur streben, mich der Wirkung der linken Seite zu entziehen und der rechten hinzugeben, ich möge bedenken, daß mir gesagt sey, der Siegelring Salomonis werde einst mit diesen Spangen zusammen kommen, und dann komme
und morgenlaͤndiſcher Voͤlker Geheimlehre davon erfahren, ſchrieb ich mit der Schrift des Moͤnchs aus Baͤnderen zu¬ ſammen und werde dir es uͤberreichen, daß du es deinen Tagebuͤchern beifuͤgeſt. — Da mich dieſer entſetzliche Mann nun zu großem Mitleid bewegte, ſagte ich zu ihm: „Joſeph komme mit mir, die Traͤgerinn der Achſelbaͤnder Rebeckas iſt milde, ſie wird deinem Haupte gern vergoͤnnen ein we¬ nig zu ruhen;“ er aber erwiederte mit erſchreckendem Ernſt: „ich werde nicht ruhen, als bis alle zerſtreuten Edelſteine wieder geſammelt ſind um den verworfenen Eckſtein des Tempels, den auch ich von mir geſtoßen!“ Nach dieſen Worten brach er in Wehklage aus und wollte durch die Buͤ¬ ſche hinweg eilen, aber ich faßte ihn am Mantel mit den Worten: „erſt ſage mir von allem Mitgetheilten, was iſt Wahrheit?“ — Ihn aber durchzuckte dieſe Frage mit ſchreck¬ licher Erinnerung, er zitterte, blickte mich an und erwiederte: „Wie du frageſt, ſo fragte Pilatus den, der geſprochen, ich bin in die Welt gekommen, der Wahrheit zum Zeugniß, wer aus der Wahrheit iſt, der hoͤret meine Stimme. — Weh mir! ich war nicht aus der Wahrheit, aber ich hoͤrte doch ihre Stimme, ſie ſprach zu mir, der ſie fortſtieß auf den Leidensweg: „ich gehe, und du ſollſt gehen, bis ich komme“ — das geſchah nach der Frage, was iſt die Wahr¬ heit? und ſo irre ich der Wahrheit zum Zeugniß uͤber die Erde bis zum Tage, da ſie wiederkehrt.“ — Nach dieſen Worten riß er ſich von mir los und floh ſo eilend durch die Buͤſche hinweg, daß ich ein Kreuz hinter ihm ſchlug. Moͤge ihn der Segen erreichen!“ — Weiter ſprach Jakob von Guiſe zu mir, ich moͤge keine Sorge wegen den Kleinodien haben, es koͤnne ſich ja gar leicht bald etwas mit mir aͤn¬ dern, ich ſoll nur ſtreben, mich der Wirkung der linken Seite zu entziehen und der rechten hinzugeben, ich moͤge bedenken, daß mir geſagt ſey, der Siegelring Salomonis werde einſt mit dieſen Spangen zuſammen kommen, und dann komme
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und morgenlaͤndiſcher Voͤlker Geheimlehre davon erfahren,
ſchrieb ich mit der Schrift des Moͤnchs aus Baͤnderen zu¬
ſammen und werde dir es uͤberreichen, daß du es deinen
Tagebuͤchern beifuͤgeſt. — Da mich dieſer entſetzliche Mann
nun zu großem Mitleid bewegte, ſagte ich zu ihm: „Joſeph
komme mit mir, die Traͤgerinn der Achſelbaͤnder Rebeckas
iſt milde, ſie wird deinem Haupte gern vergoͤnnen ein we¬
nig zu ruhen;“ er aber erwiederte mit erſchreckendem Ernſt:
„ich werde nicht ruhen, als bis alle zerſtreuten Edelſteine
wieder geſammelt ſind um den verworfenen Eckſtein des
Tempels, den auch ich von mir geſtoßen!“ Nach dieſen
Worten brach er in Wehklage aus und wollte durch die Buͤ¬
ſche hinweg eilen, aber ich faßte ihn am Mantel mit den
Worten: „erſt ſage mir von allem Mitgetheilten, was iſt
Wahrheit?“ — Ihn aber durchzuckte dieſe Frage mit ſchreck¬
licher Erinnerung, er zitterte, blickte mich an und erwiederte:
„Wie du frageſt, ſo fragte Pilatus den, der geſprochen,
ich bin in die Welt gekommen, der Wahrheit zum Zeugniß,
wer aus der Wahrheit iſt, der hoͤret meine Stimme. —
Weh mir! ich war nicht aus der Wahrheit, aber ich hoͤrte
doch ihre Stimme, ſie ſprach zu mir, der ſie fortſtieß auf
den Leidensweg: „ich gehe, und du ſollſt gehen, bis ich
komme“ — das geſchah nach der Frage, was iſt die Wahr¬
heit? und ſo irre ich der Wahrheit zum Zeugniß uͤber die
Erde bis zum Tage, da ſie wiederkehrt.“ — Nach dieſen
Worten riß er ſich von mir los und floh ſo eilend durch die
Buͤſche hinweg, daß ich ein Kreuz hinter ihm ſchlug. Moͤge
ihn der Segen erreichen!“ — Weiter ſprach Jakob von
Guiſe zu mir, ich moͤge keine Sorge wegen den Kleinodien
haben, es koͤnne ſich ja gar leicht bald etwas mit mir aͤn¬
dern, ich ſoll nur ſtreben, mich der Wirkung der linken Seite
zu entziehen und der rechten hinzugeben, ich moͤge bedenken,
daß mir geſagt ſey, der Siegelring Salomonis werde einſt
mit dieſen Spangen zuſammen kommen, und dann komme
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/357>, abgerufen am 21.11.2024.
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