Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Alles darauf an, das Rechte zu wünschen. Das Kloster Li¬
lienthal solle ich aus Dankbarkeit gegen Gott den armen
Fräulein stiften; eine stäte Fürbitte sey mir bei solchem Be¬
ruf sehr zu wünschen. -- Ich versprach ihm, nach seinem
Rathe zu thun, kniete nieder, empfieng seinen Segen und
er verließ mich, nachdem er mir die Schrift über den Ur¬
sprung der Kleinodien überreicht hatte, die ich hier meinem
Tagebuch beifüge.

Von den Lehnskleinodien von Vadutz. --
Ich Jakob von Guise habe folgende Sagen, Meinun¬
gen, Geheimniße und Ueberlieferungen von den Schulterspan¬
gen der Rebecka, dem Stein Jakobs bei Bethel, dem Sie¬
gelring Salomonis, dem Stein Sakrath u. s. w. für meine
Landesherrinn, Gräfinn Amey von Hennegau, Lehnshuldinn
von Vadutz, zusammengeschrieben aus einer Schrift, welche
mir Klareta zur Lilien, ein Fräulein aus Vadutz mitgetheilt
und aus dem, was mir Carthophylax, der da ist der ewige
Jude, am St. Servatiustag im Walde erzählt. Als ich die¬
sen Cartophylax gefragt: "was hievon ist Wahrheit?" ant¬
wortete er, "nur der sey die Wahrheit, den Pilatus gefragt,
was ist Wahrheit?" Dasselbe erwiedere auch ich Jakob von
Guise Jedem, der mich fraget, was an diesen Erzählungen
Wahrheit sey. -- Wahr ist, daß ich sie vernommen habe als
Reden der auf der Erde spielenden Menschenkinder seit Jahr¬
tausenden. Ob sie dieselben für wahr gehalten, weiß ich
eben so wenig, als ob sie wahr sind. Die Geschichte der
Kinder Gottes sind diese Erzählungen nicht. Da aber die
Kinder Gottes nach den Töchtern der Menschen gesehen hat¬
ten, wie sie schön waren, erzählten sie sich Menschenkinder¬
mährchen, die waren kristalisirt in Formen der Wahrheit und
waren doch nicht die Wahrheit und rollten von Mund zu
Mund im Strom der Rede zu uns nieder, bis sie rund und
bunt waren gleich Kieselsteinlein, mit denen auch wir spie¬

Alles darauf an, das Rechte zu wuͤnſchen. Das Kloſter Li¬
lienthal ſolle ich aus Dankbarkeit gegen Gott den armen
Fraͤulein ſtiften; eine ſtaͤte Fuͤrbitte ſey mir bei ſolchem Be¬
ruf ſehr zu wuͤnſchen. — Ich verſprach ihm, nach ſeinem
Rathe zu thun, kniete nieder, empfieng ſeinen Segen und
er verließ mich, nachdem er mir die Schrift uͤber den Ur¬
ſprung der Kleinodien uͤberreicht hatte, die ich hier meinem
Tagebuch beifuͤge.

Von den Lehnskleinodien von Vadutz. —
Ich Jakob von Guiſe habe folgende Sagen, Meinun¬
gen, Geheimniße und Ueberlieferungen von den Schulterſpan¬
gen der Rebecka, dem Stein Jakobs bei Bethel, dem Sie¬
gelring Salomonis, dem Stein Sakrath u. ſ. w. fuͤr meine
Landesherrinn, Graͤfinn Amey von Hennegau, Lehnshuldinn
von Vadutz, zuſammengeſchrieben aus einer Schrift, welche
mir Klareta zur Lilien, ein Fraͤulein aus Vadutz mitgetheilt
und aus dem, was mir Carthophylax, der da iſt der ewige
Jude, am St. Servatiustag im Walde erzaͤhlt. Als ich die¬
ſen Cartophylax gefragt: „was hievon iſt Wahrheit?“ ant¬
wortete er, „nur der ſey die Wahrheit, den Pilatus gefragt,
was iſt Wahrheit?“ Daſſelbe erwiedere auch ich Jakob von
Guiſe Jedem, der mich fraget, was an dieſen Erzaͤhlungen
Wahrheit ſey. — Wahr iſt, daß ich ſie vernommen habe als
Reden der auf der Erde ſpielenden Menſchenkinder ſeit Jahr¬
tauſenden. Ob ſie dieſelben fuͤr wahr gehalten, weiß ich
eben ſo wenig, als ob ſie wahr ſind. Die Geſchichte der
Kinder Gottes ſind dieſe Erzaͤhlungen nicht. Da aber die
Kinder Gottes nach den Toͤchtern der Menſchen geſehen hat¬
ten, wie ſie ſchoͤn waren, erzaͤhlten ſie ſich Menſchenkinder¬
maͤhrchen, die waren kriſtaliſirt in Formen der Wahrheit und
waren doch nicht die Wahrheit und rollten von Mund zu
Mund im Strom der Rede zu uns nieder, bis ſie rund und
bunt waren gleich Kieſelſteinlein, mit denen auch wir ſpie¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0358" n="304"/>
Alles darauf an, das Rechte zu wu&#x0364;n&#x017F;chen. Das Klo&#x017F;ter Li¬<lb/>
lienthal &#x017F;olle ich aus Dankbarkeit gegen Gott den armen<lb/>
Fra&#x0364;ulein &#x017F;tiften; eine &#x017F;ta&#x0364;te Fu&#x0364;rbitte &#x017F;ey mir bei &#x017F;olchem Be¬<lb/>
ruf &#x017F;ehr zu wu&#x0364;n&#x017F;chen. &#x2014; Ich ver&#x017F;prach ihm, nach &#x017F;einem<lb/>
Rathe zu thun, kniete nieder, empfieng &#x017F;einen Segen und<lb/>
er verließ mich, nachdem er mir die Schrift u&#x0364;ber den Ur¬<lb/>
&#x017F;prung der Kleinodien u&#x0364;berreicht hatte, die ich hier meinem<lb/>
Tagebuch beifu&#x0364;ge.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Von den Lehnskleinodien von Vadutz</hi>. &#x2014;<lb/>
Ich Jakob von Gui&#x017F;e habe folgende Sagen, Meinun¬<lb/>
gen, Geheimniße und Ueberlieferungen von den Schulter&#x017F;pan¬<lb/>
gen der Rebecka, dem Stein Jakobs bei Bethel, dem Sie¬<lb/>
gelring Salomonis, dem Stein Sakrath u. &#x017F;. w. fu&#x0364;r meine<lb/>
Landesherrinn, Gra&#x0364;finn Amey von Hennegau, Lehnshuldinn<lb/>
von Vadutz, zu&#x017F;ammenge&#x017F;chrieben aus einer Schrift, welche<lb/>
mir Klareta zur Lilien, ein Fra&#x0364;ulein aus Vadutz mitgetheilt<lb/>
und aus dem, was mir Carthophylax, der da i&#x017F;t der ewige<lb/>
Jude, am St. Servatiustag im Walde erza&#x0364;hlt. Als ich die¬<lb/>
&#x017F;en Cartophylax gefragt: &#x201E;was hievon i&#x017F;t Wahrheit?&#x201C; ant¬<lb/>
wortete er, &#x201E;nur der &#x017F;ey die Wahrheit, den Pilatus gefragt,<lb/>
was i&#x017F;t Wahrheit?&#x201C; Da&#x017F;&#x017F;elbe erwiedere auch ich Jakob von<lb/>
Gui&#x017F;e Jedem, der mich fraget, was an die&#x017F;en Erza&#x0364;hlungen<lb/>
Wahrheit &#x017F;ey. &#x2014; Wahr i&#x017F;t, daß ich &#x017F;ie vernommen habe als<lb/>
Reden der auf der Erde &#x017F;pielenden Men&#x017F;chenkinder &#x017F;eit Jahr¬<lb/>
tau&#x017F;enden. Ob &#x017F;ie die&#x017F;elben fu&#x0364;r wahr gehalten, weiß ich<lb/>
eben &#x017F;o wenig, als ob &#x017F;ie wahr &#x017F;ind. Die Ge&#x017F;chichte der<lb/>
Kinder Gottes &#x017F;ind die&#x017F;e Erza&#x0364;hlungen nicht. Da aber die<lb/>
Kinder Gottes nach den To&#x0364;chtern der Men&#x017F;chen ge&#x017F;ehen hat¬<lb/>
ten, wie &#x017F;ie &#x017F;cho&#x0364;n waren, erza&#x0364;hlten &#x017F;ie &#x017F;ich Men&#x017F;chenkinder¬<lb/>
ma&#x0364;hrchen, die waren kri&#x017F;tali&#x017F;irt in Formen der Wahrheit und<lb/>
waren doch nicht die Wahrheit und rollten von Mund zu<lb/>
Mund im Strom der Rede zu uns nieder, bis &#x017F;ie rund und<lb/>
bunt waren gleich Kie&#x017F;el&#x017F;teinlein, mit denen auch wir &#x017F;pie¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[304/0358] Alles darauf an, das Rechte zu wuͤnſchen. Das Kloſter Li¬ lienthal ſolle ich aus Dankbarkeit gegen Gott den armen Fraͤulein ſtiften; eine ſtaͤte Fuͤrbitte ſey mir bei ſolchem Be¬ ruf ſehr zu wuͤnſchen. — Ich verſprach ihm, nach ſeinem Rathe zu thun, kniete nieder, empfieng ſeinen Segen und er verließ mich, nachdem er mir die Schrift uͤber den Ur¬ ſprung der Kleinodien uͤberreicht hatte, die ich hier meinem Tagebuch beifuͤge. Von den Lehnskleinodien von Vadutz. — Ich Jakob von Guiſe habe folgende Sagen, Meinun¬ gen, Geheimniße und Ueberlieferungen von den Schulterſpan¬ gen der Rebecka, dem Stein Jakobs bei Bethel, dem Sie¬ gelring Salomonis, dem Stein Sakrath u. ſ. w. fuͤr meine Landesherrinn, Graͤfinn Amey von Hennegau, Lehnshuldinn von Vadutz, zuſammengeſchrieben aus einer Schrift, welche mir Klareta zur Lilien, ein Fraͤulein aus Vadutz mitgetheilt und aus dem, was mir Carthophylax, der da iſt der ewige Jude, am St. Servatiustag im Walde erzaͤhlt. Als ich die¬ ſen Cartophylax gefragt: „was hievon iſt Wahrheit?“ ant¬ wortete er, „nur der ſey die Wahrheit, den Pilatus gefragt, was iſt Wahrheit?“ Daſſelbe erwiedere auch ich Jakob von Guiſe Jedem, der mich fraget, was an dieſen Erzaͤhlungen Wahrheit ſey. — Wahr iſt, daß ich ſie vernommen habe als Reden der auf der Erde ſpielenden Menſchenkinder ſeit Jahr¬ tauſenden. Ob ſie dieſelben fuͤr wahr gehalten, weiß ich eben ſo wenig, als ob ſie wahr ſind. Die Geſchichte der Kinder Gottes ſind dieſe Erzaͤhlungen nicht. Da aber die Kinder Gottes nach den Toͤchtern der Menſchen geſehen hat¬ ten, wie ſie ſchoͤn waren, erzaͤhlten ſie ſich Menſchenkinder¬ maͤhrchen, die waren kriſtaliſirt in Formen der Wahrheit und waren doch nicht die Wahrheit und rollten von Mund zu Mund im Strom der Rede zu uns nieder, bis ſie rund und bunt waren gleich Kieſelſteinlein, mit denen auch wir ſpie¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/358
Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/358>, abgerufen am 22.11.2024.