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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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eine Kerze, zündete sie an der Lampe an und überreichte
sie der Mutter des Johannisengels; diese gab sie dem Kna¬
ben hin und führte ihn zu den Reisern, die er mit der Fa¬
ckel entzündete. Hoch auf prasselte die Gluth, wir ringten
und reihten umher und sangen:

"Feuerrothe Röselein,
Aus der Erde springt der Wein,
Aus dem Blute dringt der Schein,
Roth schwing ich mein Fähnelein!"

O! die schimmernden fröhlichen Kinder und Jungfrauen in
ihrem Schmuck und der Blumenkranz über ihnen von der
Flamme unter dem Sternhimmel beleuchtet! -- Die rosigte
Mutter mußte den Johannisengel fest auf den Arm nehmen,
er zappelte mit Händen und Füßen und wollte mit aller Ge¬
walt durch das Feuer springen. Wer kann sagen, wie hin¬
reißend ihr blühendes Antlitz neben dem freudigen Engels¬
kopf Immels im Lichte des Feuers glühte, es war als ringe
eine Rose mit einem Schmetterling, der sie fortreißen will
in die Gluth. -- Da eilte sie fort mit ihm zu dem zweiten
Feuer, daß er es entzünde, dann zum dritten und bis zum
neunten, wo schon sein Wägelein harrte, in dem man ihn müde
und entschlummernd in die Stadt zurückführte. -- Wie aber
erging es mir? -- Von allen vier Winden her lockten die
Schallmeien der Hirten und der Gesang: "Feuerrothe Röse¬
lein," wo ich hinblickte, loderte ein Feuer auf, überall war
ich hingerissen; es war, als sey ich ein ausgerüstetes Schiff
mit allen Segeln dem Winde Preis gegeben, alle ernsten
Erfahrungen der letzten Tage lagen zwar, wie ein schwerer
Ballast in mir, und wie kräftige Anker waren sie ausgewor¬
fen nach allen Seiten, -- aber die Taue waren zu schwach
oder zu kurz, sie reichten nicht zum festen Ankergrund; die
Töne und Chöre hoben und wiegten mich mit stets höher
schwellenden Wogen, die rings um bis zum fernsten Hinter¬
grund sich mehrenden Feuer, von hüpfenden Schatten um¬

eine Kerze, zuͤndete ſie an der Lampe an und uͤberreichte
ſie der Mutter des Johannisengels; dieſe gab ſie dem Kna¬
ben hin und fuͤhrte ihn zu den Reiſern, die er mit der Fa¬
ckel entzuͤndete. Hoch auf praſſelte die Gluth, wir ringten
und reihten umher und ſangen:

„Feuerrothe Roͤſelein,
Aus der Erde ſpringt der Wein,
Aus dem Blute dringt der Schein,
Roth ſchwing ich mein Faͤhnelein!“

O! die ſchimmernden froͤhlichen Kinder und Jungfrauen in
ihrem Schmuck und der Blumenkranz uͤber ihnen von der
Flamme unter dem Sternhimmel beleuchtet! — Die roſigte
Mutter mußte den Johannisengel feſt auf den Arm nehmen,
er zappelte mit Haͤnden und Fuͤßen und wollte mit aller Ge¬
walt durch das Feuer ſpringen. Wer kann ſagen, wie hin¬
reißend ihr bluͤhendes Antlitz neben dem freudigen Engels¬
kopf Immels im Lichte des Feuers gluͤhte, es war als ringe
eine Roſe mit einem Schmetterling, der ſie fortreißen will
in die Gluth. — Da eilte ſie fort mit ihm zu dem zweiten
Feuer, daß er es entzuͤnde, dann zum dritten und bis zum
neunten, wo ſchon ſein Waͤgelein harrte, in dem man ihn muͤde
und entſchlummernd in die Stadt zuruͤckfuͤhrte. — Wie aber
erging es mir? — Von allen vier Winden her lockten die
Schallmeien der Hirten und der Geſang: „Feuerrothe Roͤſe¬
lein,“ wo ich hinblickte, loderte ein Feuer auf, uͤberall war
ich hingeriſſen; es war, als ſey ich ein ausgeruͤſtetes Schiff
mit allen Segeln dem Winde Preis gegeben, alle ernſten
Erfahrungen der letzten Tage lagen zwar, wie ein ſchwerer
Ballaſt in mir, und wie kraͤftige Anker waren ſie ausgewor¬
fen nach allen Seiten, — aber die Taue waren zu ſchwach
oder zu kurz, ſie reichten nicht zum feſten Ankergrund; die
Toͤne und Choͤre hoben und wiegten mich mit ſtets hoͤher
ſchwellenden Wogen, die rings um bis zum fernſten Hinter¬
grund ſich mehrenden Feuer, von huͤpfenden Schatten um¬

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[310/0364] eine Kerze, zuͤndete ſie an der Lampe an und uͤberreichte ſie der Mutter des Johannisengels; dieſe gab ſie dem Kna¬ ben hin und fuͤhrte ihn zu den Reiſern, die er mit der Fa¬ ckel entzuͤndete. Hoch auf praſſelte die Gluth, wir ringten und reihten umher und ſangen: „Feuerrothe Roͤſelein, Aus der Erde ſpringt der Wein, Aus dem Blute dringt der Schein, Roth ſchwing ich mein Faͤhnelein!“ O! die ſchimmernden froͤhlichen Kinder und Jungfrauen in ihrem Schmuck und der Blumenkranz uͤber ihnen von der Flamme unter dem Sternhimmel beleuchtet! — Die roſigte Mutter mußte den Johannisengel feſt auf den Arm nehmen, er zappelte mit Haͤnden und Fuͤßen und wollte mit aller Ge¬ walt durch das Feuer ſpringen. Wer kann ſagen, wie hin¬ reißend ihr bluͤhendes Antlitz neben dem freudigen Engels¬ kopf Immels im Lichte des Feuers gluͤhte, es war als ringe eine Roſe mit einem Schmetterling, der ſie fortreißen will in die Gluth. — Da eilte ſie fort mit ihm zu dem zweiten Feuer, daß er es entzuͤnde, dann zum dritten und bis zum neunten, wo ſchon ſein Waͤgelein harrte, in dem man ihn muͤde und entſchlummernd in die Stadt zuruͤckfuͤhrte. — Wie aber erging es mir? — Von allen vier Winden her lockten die Schallmeien der Hirten und der Geſang: „Feuerrothe Roͤſe¬ lein,“ wo ich hinblickte, loderte ein Feuer auf, uͤberall war ich hingeriſſen; es war, als ſey ich ein ausgeruͤſtetes Schiff mit allen Segeln dem Winde Preis gegeben, alle ernſten Erfahrungen der letzten Tage lagen zwar, wie ein ſchwerer Ballaſt in mir, und wie kraͤftige Anker waren ſie ausgewor¬ fen nach allen Seiten, — aber die Taue waren zu ſchwach oder zu kurz, ſie reichten nicht zum feſten Ankergrund; die Toͤne und Choͤre hoben und wiegten mich mit ſtets hoͤher ſchwellenden Wogen, die rings um bis zum fernſten Hinter¬ grund ſich mehrenden Feuer, von huͤpfenden Schatten um¬

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/364>, abgerufen am 20.05.2024.