und stand einige Augenblicke stumm vor dem kleinen Tisch, auf welchem meine Leuchte vor einem schönen Johannisblu¬ mentopf brannte und eine Schüssel mit Brod und Früchten aufgetragen war. Klareta hatte für Alles gesorgt. Wie ich so stand, umfaßte sie meine Füße und sagte: "Gott sey Dank, daß du da bist ohne Unfall!" nun nahm sie die neun Rös¬ lein aus meiner Schürze und legte sie auf einen Teller; "sie sind gesegnet," sprach sie, "die Mägdlein und Frauen tra¬ gen sie an den rothen Wollfäden am Halse, das deutet auf das Blut Johannis bei seiner Enthauptung. Sie tragen sie in frommer Hoffnung, Gott möge sie durch die Fürbitte des heiligen Täufers vor dem Veitstanz und allen Nervenübeln bewahren." -- Ich schenkte die neun Röslein der Klareta, weil ich, Gott sey Dank, nie eine Spur solcher Krankheiten gehabt; sie dankte herzlich. -- Ich war gar einsilbig, ich war ermüdet und trotz meiner heftigen Theilnahme an der Johannislust innerlich schwer und traurig. Noch immer be¬ wegte mein Herz der Festjubel durch Musik, Gesang, Jauch¬ zen und Feuer, die in mein Zelt hereinklangen und schim¬ merten, und doch trauerte ich und konnte nicht deutlich sa¬ gen um was. -- Es ist ein Hang nach Unabhängigkeit in mir, der mich verschließt, wenn er gefesselt ist. -- Es war so viel Außerordentliches über mich gekommen, daß ich alle Aeußerung unterdrückte aus Furcht, irgend eine Gewalt über meine Seele zu zugestehen. -- "Soll ich das Nachtgebet mit dir beten?" fragte Klareta. -- "Ich will allein beten," antwortete ich und stand auf; da verließ sie das Zelt. Ich betete vor meinem Lager knieend und sie draus unter dem Sternhimmel. -- Als sie durch meine Bewegung vernahm, daß ich geendet, fragte sie um die Erlaubniß, zu mir zu kommen. Ich gestattete es. Sie brachte ein Gefäß mit lau¬ warmem Wasser und setzte es zu meinen Füßen vor mein La¬ ger, auf dem ich saß. Stillschweigend ließ ich mir die Haare von ihr flechten, ich war in einem dumpfen Hinbrü¬
und ſtand einige Augenblicke ſtumm vor dem kleinen Tiſch, auf welchem meine Leuchte vor einem ſchoͤnen Johannisblu¬ mentopf brannte und eine Schuͤſſel mit Brod und Fruͤchten aufgetragen war. Klareta hatte fuͤr Alles geſorgt. Wie ich ſo ſtand, umfaßte ſie meine Fuͤße und ſagte: „Gott ſey Dank, daß du da biſt ohne Unfall!“ nun nahm ſie die neun Roͤs¬ lein aus meiner Schuͤrze und legte ſie auf einen Teller; „ſie ſind geſegnet,“ ſprach ſie, „die Maͤgdlein und Frauen tra¬ gen ſie an den rothen Wollfaͤden am Halſe, das deutet auf das Blut Johannis bei ſeiner Enthauptung. Sie tragen ſie in frommer Hoffnung, Gott moͤge ſie durch die Fuͤrbitte des heiligen Taͤufers vor dem Veitstanz und allen Nervenuͤbeln bewahren.“ — Ich ſchenkte die neun Roͤslein der Klareta, weil ich, Gott ſey Dank, nie eine Spur ſolcher Krankheiten gehabt; ſie dankte herzlich. — Ich war gar einſilbig, ich war ermuͤdet und trotz meiner heftigen Theilnahme an der Johannisluſt innerlich ſchwer und traurig. Noch immer be¬ wegte mein Herz der Feſtjubel durch Muſik, Geſang, Jauch¬ zen und Feuer, die in mein Zelt hereinklangen und ſchim¬ merten, und doch trauerte ich und konnte nicht deutlich ſa¬ gen um was. — Es iſt ein Hang nach Unabhaͤngigkeit in mir, der mich verſchließt, wenn er gefeſſelt iſt. — Es war ſo viel Außerordentliches uͤber mich gekommen, daß ich alle Aeußerung unterdruͤckte aus Furcht, irgend eine Gewalt uͤber meine Seele zu zugeſtehen. — „Soll ich das Nachtgebet mit dir beten?“ fragte Klareta. — „Ich will allein beten,“ antwortete ich und ſtand auf; da verließ ſie das Zelt. Ich betete vor meinem Lager knieend und ſie draus unter dem Sternhimmel. — Als ſie durch meine Bewegung vernahm, daß ich geendet, fragte ſie um die Erlaubniß, zu mir zu kommen. Ich geſtattete es. Sie brachte ein Gefaͤß mit lau¬ warmem Waſſer und ſetzte es zu meinen Fuͤßen vor mein La¬ ger, auf dem ich ſaß. Stillſchweigend ließ ich mir die Haare von ihr flechten, ich war in einem dumpfen Hinbruͤ¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0367"n="313"/>
und ſtand einige Augenblicke ſtumm vor dem kleinen Tiſch,<lb/>
auf welchem meine Leuchte vor einem ſchoͤnen Johannisblu¬<lb/>
mentopf brannte und eine Schuͤſſel mit Brod und Fruͤchten<lb/>
aufgetragen war. Klareta hatte fuͤr Alles geſorgt. Wie ich<lb/>ſo ſtand, umfaßte ſie meine Fuͤße und ſagte: „Gott ſey Dank,<lb/>
daß du da biſt ohne Unfall!“ nun nahm ſie die neun Roͤs¬<lb/>
lein aus meiner Schuͤrze und legte ſie auf einen Teller; „ſie<lb/>ſind geſegnet,“ſprach ſie, „die Maͤgdlein und Frauen tra¬<lb/>
gen ſie an den rothen Wollfaͤden am Halſe, das deutet auf<lb/>
das Blut Johannis bei ſeiner <choice><sic>Enthauptnng</sic><corr>Enthauptung</corr></choice>. Sie tragen ſie<lb/>
in frommer Hoffnung, Gott moͤge ſie durch die Fuͤrbitte des<lb/>
heiligen Taͤufers vor dem Veitstanz und allen Nervenuͤbeln<lb/>
bewahren.“— Ich ſchenkte die neun Roͤslein der Klareta,<lb/>
weil ich, Gott ſey Dank, nie eine Spur ſolcher Krankheiten<lb/>
gehabt; ſie dankte herzlich. — Ich war gar einſilbig, ich<lb/>
war ermuͤdet und trotz meiner heftigen Theilnahme an der<lb/>
Johannisluſt innerlich ſchwer und traurig. Noch immer be¬<lb/>
wegte mein Herz der Feſtjubel durch Muſik, Geſang, Jauch¬<lb/>
zen und Feuer, die in mein Zelt hereinklangen und ſchim¬<lb/>
merten, und doch trauerte ich und konnte nicht deutlich ſa¬<lb/>
gen um was. — Es iſt ein Hang nach Unabhaͤngigkeit in<lb/>
mir, der mich verſchließt, wenn er gefeſſelt iſt. — Es war<lb/>ſo viel Außerordentliches uͤber mich gekommen, daß ich alle<lb/>
Aeußerung unterdruͤckte aus Furcht, irgend eine Gewalt uͤber<lb/>
meine Seele zu zugeſtehen. —„Soll ich das Nachtgebet<lb/>
mit dir beten?“ fragte Klareta. —„Ich will allein beten,“<lb/>
antwortete ich und ſtand auf; da verließ ſie das Zelt. Ich<lb/>
betete vor meinem Lager knieend und ſie draus unter dem<lb/>
Sternhimmel. — Als ſie durch meine Bewegung vernahm,<lb/>
daß ich geendet, fragte ſie um die Erlaubniß, zu mir zu<lb/>
kommen. Ich geſtattete es. Sie brachte ein Gefaͤß mit lau¬<lb/>
warmem Waſſer und ſetzte es zu meinen Fuͤßen vor mein La¬<lb/>
ger, auf dem ich ſaß. Stillſchweigend ließ ich mir die<lb/>
Haare von ihr flechten, ich war in einem dumpfen Hinbruͤ¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[313/0367]
und ſtand einige Augenblicke ſtumm vor dem kleinen Tiſch,
auf welchem meine Leuchte vor einem ſchoͤnen Johannisblu¬
mentopf brannte und eine Schuͤſſel mit Brod und Fruͤchten
aufgetragen war. Klareta hatte fuͤr Alles geſorgt. Wie ich
ſo ſtand, umfaßte ſie meine Fuͤße und ſagte: „Gott ſey Dank,
daß du da biſt ohne Unfall!“ nun nahm ſie die neun Roͤs¬
lein aus meiner Schuͤrze und legte ſie auf einen Teller; „ſie
ſind geſegnet,“ ſprach ſie, „die Maͤgdlein und Frauen tra¬
gen ſie an den rothen Wollfaͤden am Halſe, das deutet auf
das Blut Johannis bei ſeiner Enthauptung. Sie tragen ſie
in frommer Hoffnung, Gott moͤge ſie durch die Fuͤrbitte des
heiligen Taͤufers vor dem Veitstanz und allen Nervenuͤbeln
bewahren.“ — Ich ſchenkte die neun Roͤslein der Klareta,
weil ich, Gott ſey Dank, nie eine Spur ſolcher Krankheiten
gehabt; ſie dankte herzlich. — Ich war gar einſilbig, ich
war ermuͤdet und trotz meiner heftigen Theilnahme an der
Johannisluſt innerlich ſchwer und traurig. Noch immer be¬
wegte mein Herz der Feſtjubel durch Muſik, Geſang, Jauch¬
zen und Feuer, die in mein Zelt hereinklangen und ſchim¬
merten, und doch trauerte ich und konnte nicht deutlich ſa¬
gen um was. — Es iſt ein Hang nach Unabhaͤngigkeit in
mir, der mich verſchließt, wenn er gefeſſelt iſt. — Es war
ſo viel Außerordentliches uͤber mich gekommen, daß ich alle
Aeußerung unterdruͤckte aus Furcht, irgend eine Gewalt uͤber
meine Seele zu zugeſtehen. — „Soll ich das Nachtgebet
mit dir beten?“ fragte Klareta. — „Ich will allein beten,“
antwortete ich und ſtand auf; da verließ ſie das Zelt. Ich
betete vor meinem Lager knieend und ſie draus unter dem
Sternhimmel. — Als ſie durch meine Bewegung vernahm,
daß ich geendet, fragte ſie um die Erlaubniß, zu mir zu
kommen. Ich geſtattete es. Sie brachte ein Gefaͤß mit lau¬
warmem Waſſer und ſetzte es zu meinen Fuͤßen vor mein La¬
ger, auf dem ich ſaß. Stillſchweigend ließ ich mir die
Haare von ihr flechten, ich war in einem dumpfen Hinbruͤ¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/367>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.