Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.auf den Kasten, dann aber drehte ich den Ring Salomonis "Salomo du weiser König, Dem die Geister unterthänig, Bring doch all den Weizen wieder, Der da auf den Weg fiel nieder Und von Vogeln ward gefressen, Und von Füßen ward zertreten, All den Weizen ungemessen, Den sie auf das Steinfeld säeten, Wo, so schnell er aufgeblüht, In der Sonne er verglüht, Bring zurück die Weizenkörner, Die erstickten durch die Dörner; Was in guten Grund gefallen, Laße fruchtend überwallen, Daß der Weizen dreißigfältig, Sechzigfältig, hundertfältig Alles Unkraut überwältig', Das der Feind hineingesäet. Schnell, o schnell, es ist schon spät! Ringlein, Ringlein dreh dich um, Fruchte schnell, ich bitt' dich drum." Kaum hatte ich den Ring drehend, diesen Wunsch aus¬ auf den Kaſten, dann aber drehte ich den Ring Salomonis „Salomo du weiſer Koͤnig, Dem die Geiſter unterthaͤnig, Bring doch all den Weizen wieder, Der da auf den Weg fiel nieder Und von Vogeln ward gefreſſen, Und von Fuͤßen ward zertreten, All den Weizen ungemeſſen, Den ſie auf das Steinfeld ſaͤeten, Wo, ſo ſchnell er aufgebluͤht, In der Sonne er vergluͤht, Bring zuruͤck die Weizenkoͤrner, Die erſtickten durch die Doͤrner; Was in guten Grund gefallen, Laße fruchtend uͤberwallen, Daß der Weizen dreißigfaͤltig, Sechzigfaͤltig, hundertfaͤltig Alles Unkraut uͤberwaͤltig', Das der Feind hineingeſaͤet. Schnell, o ſchnell, es iſt ſchon ſpaͤt! Ringlein, Ringlein dreh dich um, Fruchte ſchnell, ich bitt' dich drum.“ Kaum hatte ich den Ring drehend, dieſen Wunſch aus¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0389" n="333"/> auf den Kaſten, dann aber drehte ich den Ring Salomonis<lb/> gar flehentlich am Finger:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>„Salomo du weiſer Koͤnig,</l><lb/> <l>Dem die Geiſter unterthaͤnig,</l><lb/> <l>Bring doch all den Weizen wieder,</l><lb/> <l>Der da auf den Weg fiel nieder</l><lb/> <l>Und von Vogeln ward gefreſſen,</l><lb/> <l>Und von Fuͤßen ward zertreten,</l><lb/> <l>All den Weizen ungemeſſen,</l><lb/> <l>Den ſie auf das Steinfeld ſaͤeten,</l><lb/> <l>Wo, ſo ſchnell er aufgebluͤht,</l><lb/> <l>In der Sonne er vergluͤht,</l><lb/> <l>Bring zuruͤck die Weizenkoͤrner,</l><lb/> <l>Die erſtickten durch die Doͤrner;</l><lb/> <l>Was in guten Grund gefallen,</l><lb/> <l>Laße fruchtend uͤberwallen,</l><lb/> <l>Daß der Weizen dreißigfaͤltig,</l><lb/> <l>Sechzigfaͤltig, hundertfaͤltig</l><lb/> <l>Alles Unkraut uͤberwaͤltig',</l><lb/> <l>Das der Feind hineingeſaͤet.</l><lb/> <l>Schnell, o ſchnell, es iſt ſchon ſpaͤt!</l><lb/> <l>Ringlein, Ringlein dreh dich um,</l><lb/> <l>Fruchte ſchnell, ich bitt' dich drum.“</l><lb/> </lg> <p>Kaum hatte ich den Ring drehend, dieſen Wunſch aus¬<lb/> geſprochen, und mitleidig nach dem Knaben hingeſchaut, als<lb/> ich etwas gar Ruͤhrendes ſah. Er blickte mich, ohne den<lb/> Kopf zu heben, mit ſtillem Danke an, Thraͤnenſtroͤme ran¬<lb/> nen von ſeinen Augen auf die Garbe unter ſeinem Haupte<lb/> nieder, und alle die Thraͤnen waren Weizenkoͤrnlein, und die<lb/> Garbe wuchs und mehrte ſich; und als ob ſie mit dem Kna¬<lb/> ben weine, goſſen ſich aus ihren Aehren hundertfaͤltige Wei¬<lb/> zenkoͤrnlein nieder und aus allen Blaͤttern des Buches ran¬<lb/> nen Fruchtkoͤrner heraus, und mein Herz war ſo bewegt,<lb/> daß auch ich auf einer Garbe ſitzend gar reich und mildig¬<lb/> lich weinte, und Verena, die neben mir betend kniete, weinte<lb/> auch und alle unſre Thraͤnen waren Weizenkoͤrner, und ſie<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [333/0389]
auf den Kaſten, dann aber drehte ich den Ring Salomonis
gar flehentlich am Finger:
„Salomo du weiſer Koͤnig,
Dem die Geiſter unterthaͤnig,
Bring doch all den Weizen wieder,
Der da auf den Weg fiel nieder
Und von Vogeln ward gefreſſen,
Und von Fuͤßen ward zertreten,
All den Weizen ungemeſſen,
Den ſie auf das Steinfeld ſaͤeten,
Wo, ſo ſchnell er aufgebluͤht,
In der Sonne er vergluͤht,
Bring zuruͤck die Weizenkoͤrner,
Die erſtickten durch die Doͤrner;
Was in guten Grund gefallen,
Laße fruchtend uͤberwallen,
Daß der Weizen dreißigfaͤltig,
Sechzigfaͤltig, hundertfaͤltig
Alles Unkraut uͤberwaͤltig',
Das der Feind hineingeſaͤet.
Schnell, o ſchnell, es iſt ſchon ſpaͤt!
Ringlein, Ringlein dreh dich um,
Fruchte ſchnell, ich bitt' dich drum.“
Kaum hatte ich den Ring drehend, dieſen Wunſch aus¬
geſprochen, und mitleidig nach dem Knaben hingeſchaut, als
ich etwas gar Ruͤhrendes ſah. Er blickte mich, ohne den
Kopf zu heben, mit ſtillem Danke an, Thraͤnenſtroͤme ran¬
nen von ſeinen Augen auf die Garbe unter ſeinem Haupte
nieder, und alle die Thraͤnen waren Weizenkoͤrnlein, und die
Garbe wuchs und mehrte ſich; und als ob ſie mit dem Kna¬
ben weine, goſſen ſich aus ihren Aehren hundertfaͤltige Wei¬
zenkoͤrnlein nieder und aus allen Blaͤttern des Buches ran¬
nen Fruchtkoͤrner heraus, und mein Herz war ſo bewegt,
daß auch ich auf einer Garbe ſitzend gar reich und mildig¬
lich weinte, und Verena, die neben mir betend kniete, weinte
auch und alle unſre Thraͤnen waren Weizenkoͤrner, und ſie
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