Man sieht sie auch meist gegen Mittag stehn. Ach mögt' auch ich von dieser Bluhme lernen, Und stets nach GOTT, dem Licht und Born der Sternen, Der aller Sonnen Sonne, sehn! Mein Herz, sey immer dazu fertig! Es ist die Sonn' allgegenwärtig, Man brauchet nicht, sich nach ihr hin zu drehn.
Kein Mensch, der wie ein Mensch gedenkt, kann sonder Freude Das zierliche Gewächs, das künstliche Gebäude Von dieser Wunder-Pflanze sehn. Der starre Fuß gleicht eines Baumes Stamm, Die grüne Rinde deckt ein rechtes Holz. Voll Rören Jst das Schnee-weisse Mark, und löchricht, wie ein Schwamm. Ein grosses, Herzen-formigs Blatt, Das nicht, wie and're Blätter, glatt, Nein, das zusammt dem Stiel mit Zäserchen umringt; Bedeckt den Ursprung von den Zweigen, An deren Spitzen sich die gelben Bluhmen zeigen Auf einer grünen Bluhm', aus der das Gold entspringt, So unser Aug' ergetzt.
Die Bluhme selbst sieht aus, wie wir die Sonne mahlen. Jhr Leib ist rund, wie sie; es gleichen güld'nen Stralen Der gelben Blätter nette Spitzen, Die rings um ihren Cörper blitzen, Der meistens gelb, oft aber, wann er reift, Und sich das kleine Heer der braunen Bluhmen häuft, Das ihn zuletzt bedeckt; dem Purpur ähnlich siehet. Schau, wie in dieser Dunkelheit, Als wie durch ein Gewölk, in holder Zierlichkeit Und einem mehr als güld'nen Glanz, Ein rechter Stralen-reicher Kranz Von kleinen Sternen blüht und glühet!
Seh'
Man ſieht ſie auch meiſt gegen Mittag ſtehn. Ach moͤgt’ auch ich von dieſer Bluhme lernen, Und ſtets nach GOTT, dem Licht und Born der Sternen, Der aller Sonnen Sonne, ſehn! Mein Herz, ſey immer dazu fertig! Es iſt die Sonn’ allgegenwaͤrtig, Man brauchet nicht, ſich nach ihr hin zu drehn.
Kein Menſch, der wie ein Menſch gedenkt, kann ſonder Freude Das zierliche Gewaͤchs, das kuͤnſtliche Gebaͤude Von dieſer Wunder-Pflanze ſehn. Der ſtarre Fuß gleicht eines Baumes Stamm, Die gruͤne Rinde deckt ein rechtes Holz. Voll Roͤren Jſt das Schnee-weiſſe Mark, und loͤchricht, wie ein Schwam̃. Ein groſſes, Herzen-formigs Blatt, Das nicht, wie and’re Blaͤtter, glatt, Nein, das zuſammt dem Stiel mit Zaͤſerchen umringt; Bedeckt den Urſprung von den Zweigen, An deren Spitzen ſich die gelben Bluhmen zeigen Auf einer gruͤnen Bluhm’, aus der das Gold entſpringt, So unſer Aug’ ergetzt.
Die Bluhme ſelbſt ſieht aus, wie wir die Sonne mahlen. Jhr Leib iſt rund, wie ſie; es gleichen guͤld’nen Stralen Der gelben Blaͤtter nette Spitzen, Die rings um ihren Coͤrper blitzen, Der meiſtens gelb, oft aber, wann er reift, Und ſich das kleine Heer der braunen Bluhmen haͤuft, Das ihn zuletzt bedeckt; dem Purpur aͤhnlich ſiehet. Schau, wie in dieſer Dunkelheit, Als wie durch ein Gewoͤlk, in holder Zierlichkeit Und einem mehr als guͤld’nen Glanz, Ein rechter Stralen-reicher Kranz Von kleinen Sternen bluͤht und gluͤhet!
Seh’
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Man ſieht ſie auch meiſt gegen Mittag ſtehn.</l><lb/><l>Ach moͤgt’ auch ich von dieſer Bluhme lernen,</l><lb/><l>Und ſtets nach GOTT, dem Licht und Born der Sternen,</l><lb/><l>Der aller Sonnen Sonne, ſehn!</l><lb/><l>Mein Herz, ſey immer dazu fertig!</l><lb/><l>Es iſt die Sonn’ allgegenwaͤrtig,</l><lb/><l>Man brauchet nicht, ſich nach ihr hin zu drehn.</l></lg><lb/><lgn="34"><l>Kein Menſch, der wie ein Menſch gedenkt, kann ſonder</l><lb/><l><hirendition="#et">Freude</hi></l><lb/><l>Das zierliche Gewaͤchs, das kuͤnſtliche Gebaͤude</l><lb/><l>Von dieſer Wunder-Pflanze ſehn.</l><lb/><l>Der ſtarre Fuß gleicht eines Baumes Stamm,</l><lb/><l>Die gruͤne Rinde deckt ein rechtes Holz. Voll Roͤren</l><lb/><l>Jſt das Schnee-weiſſe Mark, und loͤchricht, wie ein Schwam̃.</l><lb/><l>Ein groſſes, Herzen-formigs Blatt,</l><lb/><l>Das nicht, wie and’re Blaͤtter, glatt,</l><lb/><l>Nein, das zuſammt dem Stiel mit Zaͤſerchen umringt;</l><lb/><l>Bedeckt den Urſprung von den Zweigen,</l><lb/><l>An deren Spitzen ſich die gelben Bluhmen zeigen</l><lb/><l>Auf einer gruͤnen Bluhm’, aus der das Gold entſpringt,</l><lb/><l>So unſer Aug’ ergetzt.</l></lg><lb/><lgn="35"><l>Die Bluhme ſelbſt ſieht aus, wie wir die Sonne mahlen.</l><lb/><l>Jhr Leib iſt rund, wie ſie; es gleichen guͤld’nen Stralen</l><lb/><l>Der gelben Blaͤtter nette Spitzen,</l><lb/><l>Die rings um ihren Coͤrper blitzen,</l><lb/><l>Der meiſtens gelb, oft aber, wann er reift,</l><lb/><l>Und ſich das kleine Heer der braunen Bluhmen haͤuft,</l><lb/><l>Das ihn zuletzt bedeckt; dem Purpur aͤhnlich ſiehet.</l><lb/><l>Schau, wie in dieſer Dunkelheit,</l><lb/><l>Als wie durch ein Gewoͤlk, in holder Zierlichkeit</l><lb/><l>Und einem mehr als guͤld’nen Glanz,</l><lb/><l>Ein rechter Stralen-reicher Kranz</l><lb/><l>Von kleinen Sternen bluͤht und gluͤhet!</l></lg><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Seh’</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
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Man ſieht ſie auch meiſt gegen Mittag ſtehn.
Ach moͤgt’ auch ich von dieſer Bluhme lernen,
Und ſtets nach GOTT, dem Licht und Born der Sternen,
Der aller Sonnen Sonne, ſehn!
Mein Herz, ſey immer dazu fertig!
Es iſt die Sonn’ allgegenwaͤrtig,
Man brauchet nicht, ſich nach ihr hin zu drehn.
Kein Menſch, der wie ein Menſch gedenkt, kann ſonder
Freude
Das zierliche Gewaͤchs, das kuͤnſtliche Gebaͤude
Von dieſer Wunder-Pflanze ſehn.
Der ſtarre Fuß gleicht eines Baumes Stamm,
Die gruͤne Rinde deckt ein rechtes Holz. Voll Roͤren
Jſt das Schnee-weiſſe Mark, und loͤchricht, wie ein Schwam̃.
Ein groſſes, Herzen-formigs Blatt,
Das nicht, wie and’re Blaͤtter, glatt,
Nein, das zuſammt dem Stiel mit Zaͤſerchen umringt;
Bedeckt den Urſprung von den Zweigen,
An deren Spitzen ſich die gelben Bluhmen zeigen
Auf einer gruͤnen Bluhm’, aus der das Gold entſpringt,
So unſer Aug’ ergetzt.
Die Bluhme ſelbſt ſieht aus, wie wir die Sonne mahlen.
Jhr Leib iſt rund, wie ſie; es gleichen guͤld’nen Stralen
Der gelben Blaͤtter nette Spitzen,
Die rings um ihren Coͤrper blitzen,
Der meiſtens gelb, oft aber, wann er reift,
Und ſich das kleine Heer der braunen Bluhmen haͤuft,
Das ihn zuletzt bedeckt; dem Purpur aͤhnlich ſiehet.
Schau, wie in dieſer Dunkelheit,
Als wie durch ein Gewoͤlk, in holder Zierlichkeit
Und einem mehr als guͤld’nen Glanz,
Ein rechter Stralen-reicher Kranz
Von kleinen Sternen bluͤht und gluͤhet!
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/402>, abgerufen am 27.07.2024.
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