Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727.Dieß alles sah ich jüngst, und, wie ich in der Nähe Jm strengen Fluß das Eis schnell vor mir überschiessen. Und eilend, dennoch sanft, beständig vor sich fliessen Und sich verlieren sah; kam mir Des Strom's nie stiller Zug und sanfte Strengigkeit Recht, wie der streng' und stille Lauf der Zeit, Die Schollen wie wir Menschen, für. Wir werden durch die Flut der Zeit dahin geführet, Und weil, was um uns ist, beständig mit uns geht; Wird die gewaltige Bewegung nicht gespüret, Ob gleich nicht einer stille steht. Gebrechlich ist das Eis; wir auch. Die Schollen werden Zu ihrem ersten Stoff, zu Wasser; wir zu Erden. Die wenigsten sind groß, die meisten klein; So geht es auch mit uns. Es werden von den grossen Die kleinen mitgeführt und fortgestossen; Jst dieß der Grossen Brauch Nicht bey den Menschen auch? Verschied'ne setzen sich zusammen, und formiren, Dem Ansehn nach, ein festes Land; Doch wird das scheinbar-sich're Band Die Festigkeit gar bald verlieren. Mit diesen kommt ein Regiment, ein Reich, Das aus so mancherley Gemütern auch bestehet, Das auch, wie stark es scheint, doch öfters bald vergehet, Jn billigen Vergleich. Jch sah mit Lust viel kleine ruhig fliessen, So lange sie sich nicht mit andern stiessen. Wann aber das geschach; Erhob
Dieß alles ſah ich juͤngſt, und, wie ich in der Naͤhe Jm ſtrengen Fluß das Eis ſchnell vor mir uͤberſchieſſen. Und eilend, dennoch ſanft, beſtaͤndig vor ſich flieſſen Und ſich verlieren ſah; kam mir Des Strom’s nie ſtiller Zug und ſanfte Strengigkeit Recht, wie der ſtreng’ und ſtille Lauf der Zeit, Die Schollen wie wir Menſchen, fuͤr. Wir werden durch die Flut der Zeit dahin gefuͤhret, Und weil, was um uns iſt, beſtaͤndig mit uns geht; Wird die gewaltige Bewegung nicht geſpuͤret, Ob gleich nicht einer ſtille ſteht. Gebrechlich iſt das Eis; wir auch. Die Schollen werden Zu ihrem erſten Stoff, zu Waſſer; wir zu Erden. Die wenigſten ſind groß, die meiſten klein; So geht es auch mit uns. Es werden von den groſſen Die kleinen mitgefuͤhrt und fortgeſtoſſen; Jſt dieß der Groſſen Brauch Nicht bey den Menſchen auch? Verſchied’ne ſetzen ſich zuſammen, und formiren, Dem Anſehn nach, ein feſtes Land; Doch wird das ſcheinbar-ſich’re Band Die Feſtigkeit gar bald verlieren. Mit dieſen kommt ein Regiment, ein Reich, Das aus ſo mancherley Gemuͤtern auch beſtehet, Das auch, wie ſtark es ſcheint, doch oͤfters bald vergehet, Jn billigen Vergleich. Jch ſah mit Luſt viel kleine ruhig flieſſen, So lange ſie ſich nicht mit andern ſtieſſen. Wann aber das geſchach; Erhob
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Dieß alles ſah ich juͤngſt, und, wie ich in der Naͤhe
Jm ſtrengen Fluß das Eis ſchnell vor mir uͤberſchieſſen.
Und eilend, dennoch ſanft, beſtaͤndig vor ſich flieſſen
Und ſich verlieren ſah; kam mir
Des Strom’s nie ſtiller Zug und ſanfte Strengigkeit
Recht, wie der ſtreng’ und ſtille Lauf der Zeit,
Die Schollen wie wir Menſchen, fuͤr.
Wir werden durch die Flut der Zeit dahin gefuͤhret,
Und weil, was um uns iſt, beſtaͤndig mit uns geht;
Wird die gewaltige Bewegung nicht geſpuͤret,
Ob gleich nicht einer ſtille ſteht.
Gebrechlich iſt das Eis; wir auch. Die Schollen werden
Zu ihrem erſten Stoff, zu Waſſer; wir zu Erden.
Die wenigſten ſind groß, die meiſten klein;
So geht es auch mit uns. Es werden von den groſſen
Die kleinen mitgefuͤhrt und fortgeſtoſſen;
Jſt dieß der Groſſen Brauch
Nicht bey den Menſchen auch?
Verſchied’ne ſetzen ſich zuſammen, und formiren,
Dem Anſehn nach, ein feſtes Land;
Doch wird das ſcheinbar-ſich’re Band
Die Feſtigkeit gar bald verlieren.
Mit dieſen kommt ein Regiment, ein Reich,
Das aus ſo mancherley Gemuͤtern auch beſtehet,
Das auch, wie ſtark es ſcheint, doch oͤfters bald vergehet,
Jn billigen Vergleich.
Jch ſah mit Luſt viel kleine ruhig flieſſen,
So lange ſie ſich nicht mit andern ſtieſſen.
Wann aber das geſchach;
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