An Macht und Würde seyn, und keiner dienen wollen. Es siehet jedermann Fast alles, was er sieht, nach seinem Nutzen an, Und keiner denkt von uns aufs ganze: keiner denket, Daß Der, durch Dessen Wink sich Zeit und Erde lenket, Unendlich weise sey; Daß Er von Ewigkeit auf alle Dinge sehe, Daß alles, was geschicht, in einer langen Reih' Und gleichsam unzerteilt in einer Kette stehe, Wovon das Menschliche Gemüt Nicht den Zusammenhang der vielen Glieder sieht. Es felen ihm davon zu viel; daher sein Schluß Unwidersprechlich felen muß. Der aber sieht's allein, Der alles, was vorbey, Was ist, was künftig kömmt, auf einmal deutlich schauet, Und folglich weiß nur Der, wozu das nützlich sey, Was allezeit geschicht, was Er zerbricht und bauet.
O HErr, wenn man mit Ernst Dein' Allmacht, Weisheit, Liebe, Die all' unendlich sind, und die Du Selber bist, Mit unserm eitlen Nichts nur im Vergleich ermisst; So kann's nicht anders seyn, man wird sich selbst nicht finden: Denn aller Creatur Verstand und Witz verschwinden, Und werden bey der Quell des ew'gen Weis heit-Lichts Zu Nacht, zu Finsterniß, zu Schatten und zu Nichts.
Um die verborg'nen Weg' ein wenig zu erklären; So fällt mir itzt aus eines Weisen Lehren Ein nützliches Exempel bey. Derselbe schreib't, wie folgt: ein frommer Pilgrim sey Auf einem Berg' einmal mit beten und mit lesen
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An Macht und Wuͤrde ſeyn, und keiner dienen wollen. Es ſiehet jedermann Faſt alles, was er ſieht, nach ſeinem Nutzen an, Und keiner denkt von uns aufs ganze: keiner denket, Daß Der, durch Deſſen Wink ſich Zeit und Erde lenket, Unendlich weiſe ſey; Daß Er von Ewigkeit auf alle Dinge ſehe, Daß alles, was geſchicht, in einer langen Reih’ Und gleichſam unzerteilt in einer Kette ſtehe, Wovon das Menſchliche Gemuͤt Nicht den Zuſammenhang der vielen Glieder ſieht. Es felen ihm davon zu viel; daher ſein Schluß Unwiderſprechlich felen muß. Der aber ſieht’s allein, Der alles, was vorbey, Was iſt, was kuͤnftig koͤmmt, auf einmal deutlich ſchauet, Und folglich weiß nur Der, wozu das nuͤtzlich ſey, Was allezeit geſchicht, was Er zerbricht und bauet.
O HErr, wenn man mit Ernſt Dein’ Allmacht, Weiſheit, Liebe, Die all’ unendlich ſind, und die Du Selber biſt, Mit unſerm eitlen Nichts nur im Vergleich ermiſſt; So kann’s nicht anders ſeyn, man wird ſich ſelbſt nicht finden: Denn aller Creatur Verſtand und Witz verſchwinden, Und werden bey der Quell des ew’gen Weiſ heit-Lichts Zu Nacht, zu Finſterniß, zu Schatten und zu Nichts.
Um die verborg’nen Weg’ ein wenig zu erklaͤren; So faͤllt mir itzt aus eines Weiſen Lehren Ein nuͤtzliches Exempel bey. Derſelbe ſchreib’t, wie folgt: ein frommer Pilgrim ſey Auf einem Berg’ einmal mit beten und mit leſen
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An Macht und Wuͤrde ſeyn, und keiner dienen wollen.
Es ſiehet jedermann
Faſt alles, was er ſieht, nach ſeinem Nutzen an,
Und keiner denkt von uns aufs ganze: keiner denket,
Daß Der, durch Deſſen Wink ſich Zeit und Erde lenket,
Unendlich weiſe ſey;
Daß Er von Ewigkeit auf alle Dinge ſehe,
Daß alles, was geſchicht, in einer langen Reih’
Und gleichſam unzerteilt in einer Kette ſtehe,
Wovon das Menſchliche Gemuͤt
Nicht den Zuſammenhang der vielen Glieder ſieht.
Es felen ihm davon zu viel; daher ſein Schluß
Unwiderſprechlich felen muß.
Der aber ſieht’s allein, Der alles, was vorbey,
Was iſt, was kuͤnftig koͤmmt, auf einmal deutlich ſchauet,
Und folglich weiß nur Der, wozu das nuͤtzlich ſey,
Was allezeit geſchicht, was Er zerbricht und bauet.
O HErr, wenn man mit Ernſt Dein’ Allmacht, Weiſheit,
Liebe,
Die all’ unendlich ſind, und die Du Selber biſt,
Mit unſerm eitlen Nichts nur im Vergleich ermiſſt;
So kann’s nicht anders ſeyn, man wird ſich ſelbſt nicht finden:
Denn aller Creatur Verſtand und Witz verſchwinden,
Und werden bey der Quell des ew’gen Weiſ heit-Lichts
Zu Nacht, zu Finſterniß, zu Schatten und zu Nichts.
Um die verborg’nen Weg’ ein wenig zu erklaͤren;
So faͤllt mir itzt aus eines Weiſen Lehren
Ein nuͤtzliches Exempel bey.
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Auf einem Berg’ einmal mit beten und mit leſen
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727, S. 455. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/491>, abgerufen am 22.11.2024.
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